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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 45 (2/1993)

abstand

Die „Arbeitsgruppe Ausländer“ der Berliner Polizei

Eine Sondereinheit mit Doppelfunktion


von Otto Diederichs


Der Grundstein der ersten polizeilichen Sondereinheit zur Bearbeitung von Ausländerangelegenheiten wurde 1971 in der damaligen Polizeiinspektion Wedding mit drei Beamten gelegt. Schnell wurde das Modell auch auf die anderen Berliner Bezirke ausgedehnt und 1979 schließlich ein eigener Ermittlungstrupp mit Koordinierungsfunktion bei der Landespolizeidirektion eingerichtet,[1] deren Leiter, der Polizeihauptkommissar (PHK) Klaus-Dieter Reichert, Anfang Juli diesen Jahres zudem zum polizeilichen Ausländerbeauftragten bestellt wurde.[2] Aus den ursprünglich drei Beamten sind unterdessen 61 geworden, die sich alle freiwillig zu diesem Einsatz meldeten. Ursprüngliche Pläne, in Stuttgart und Frankfurt/M. ähnliche Einheiten einzurichten,[3] sind dem Vernehmen nach nicht verwirklicht worden, und über diejenigen in Hamburg oder München ist wenig bekannt, allerdings sollen sie mit der Berliner Einheit nur bedingt vergleichbar sein.

Ihren Namen hat die Gruppe unterdessen geändert. Hieß sie zunächst „Arbeitsgebiet gezielte Ausländerüberwachung“,[4] so wurde daraus schließlich – neutraler – die „Arbeitsgruppe Ausländer“.[5] Stets gleich geblieben sind das polizeiliche Kürzel „AGA“ und die Aufgabenstellung. Diese besteht zum einen darin, den Kontakt zum ausländischen Bevölkerungsanteil Berlins zu suchen, um so Vertrauen zur Polizei zu schaffen, und andererseits, illegal in der Stadt aufhältige Personen zu ermitteln und die entsprechenden „aufenthaltsbeendenden Maßnahmen“ einzuleiten.

Die „Sonnenseite“

„Das Hauptziel der AGA-Leute ist, die Diskrepanz zwischen Ausländern und Polizei abzubauen. Dies versucht man auch dadurch zu erreichen, daß man nicht nur kontrollierend, gebietend und Zwang androhend auftritt, sondern auch im Umgang mit den Ausländern regelrechte Sozialarbeit leistet“,[6] heißt es in der ehemaligen Zeitschrift der Berliner Polizei. So helfen die Beamten z.B. bei Schwierigkeiten mit der Ausländerbehörde oder bemühen sich, in Diskussionsveranstaltungen die Akzeptanz der deutschen Bevölkerung für Asylbewerberheime zu erhöhen.[7] Ebenso sind Fälle nachzuweisen, in denen Angehörige der AGA durch Intervention bei der Ausländerbehörde versuchten, sozial unzumutbare Entscheidungen bei der Verteilung von Asylbewerbern in andere Bundesländer (z.B. wenn dadurch Familien auseinandergerissen werden) oder bei Abschiebungen (bis hin zur Weigerung, daran mitzuwirken) zu verhindern. Des weiteren unterstützen oder beraten sie bei der Einstellung ausländischer Jugendlicher in den Polizeidienst und sind in der Fortbildung tätig. Auch Fußballturniere zwischen (Ost)Berliner Skinheads, türkischen Jugendlichen und Polizeischülern u.ä. wurden bereits durch die AGA (oder mit deren Unterstützung) organisiert.

Was durch solche vertrauensbildenden Maßnahmen möglich werden kann, läßt sich am besten an der Person des PHK Gerhard Lüder darstellen. Seit ca. 21 Jahren bei der AGA, ist er heute Leiter der elfköpfigen Gruppe der Direktion 5 und damit u.a. zuständig für den Bezirk Kreuzberg, mit einem rd. 42%igen Anteil türkisch-stämmiger Bevölkerung. Er spricht fließend türkisch und ist seit Ende 1992 Ehrenmitglied der „Türkischen Gemeinde zu Berlin“. Durch seine guten Kontakte, die zweifellos hohes persönliches Engagement erfordern, gelang es in einem Falle gar – und ein besseres Beispiel ließe sich kaum finden –, eine Familienfehde wieder beizulegen, die bereits blutig zu enden drohte: Während zwischen der Familie eines Mädchens (das zu seinem Berliner Freund geflohen war, um einer Verheiratung in der Türkei zu entgehen) und der Familie des (Berliner) Bräutigams bereits das Sondereinsatzkommando aufgezogen war, begann der mit Kultur und Religion vertraute Lüder zu vermitteln.[8] In stundenlangen Verhandlungen gelang es schließlich, unter Hinzuziehung des Imam der türkischen Gemeinde zwischen den kampfbereiten Parteien einen Vertrag auszuhandeln, der die Ehre des Brautvaters wieder herstellte.

Die „Schattenseite“[9]

Im Gegensatz dazu steht die andere Seite der AGA-Aufgaben: „Das Hauptaugenmerk der Beamten dieser Sondergruppen zielt jedoch auf die Illegalen“.[10] Dieser Satz von 1975 hat nach wie vor Gültigkeit.

Geriet die AGA zu Beginn der 80er Jahre wegen ihrer Ermittlungen gegen binationale Paare, die der sog. „Schein-“ oder „Zweckehe“ verdächtigt wurden, noch heftig in die öffentliche Kritik[11], so hat sich diese inzwischen gelegt. Dennoch finden solche Aktionen auch heute noch statt – den Informationen zufolge handelt es sich je Direktion um etwa 3-4 Fälle monatlich.

„Damit haben wir eine Bauchlandung gemacht“, bekennt PHK Lüder freimütig, der die damals erhobenen Vorwürfe[12] allerdings für übertrieben hält. Im wesentlichen seien nur falsche Angaben bei schriftlichen Erklärungen, Anträgen etc. geprüft worden; Haussuchungen nach Anhaltspunkten für die ständige Anwesenheit des ausländischen Partners (etwa Wäschestücke oder Zahnbürsten) habe es nur in Ausnahmefällen und bei Vorlage eines richterlichen Durchsuchungsbefehles gegeben. Der relative Rückgang von Scheinehenermittlungen mag u.U. auch damit zu tun haben, daß die personell eher kleinen Arbeitsgruppen mit ihren sonstigen Aufgaben mehr als ausgelastet sind. Wichtiger scheinen nach der Öffnung der Grenzen in Osteuropa die Ermittlungen gegen jene geworden zu sein, deren Verfolgung die Politik heute Vorrang gibt: vietnamesische Zigarettenhändler, jugoslawische Hütchenspieler, polnische Schwarzarbeiter, osteuropäische und asiatische Prostituierte etc. In kleinerem Umfang führen die Beamten der AGA in diesen Bereichen auch eigenständige Ermittlungen durch. Im wesentlichen jedoch geschehen die Einsätze zur Unterstützung anderer Dienststellen. So liegt die Federführung bei Einsätzen gegen den Zigarettenhandel in der Regel beim Zoll; bei Bordellrazzien oder Ermittlungen im Bereich des Drogenhandels zumeist bei der für die Bekämpfung der sog. „Organisierten Kriminalität“ zuständigen Fachdienstelle bzw. bei der Drogenfahndung usw. Hier leistet die AGA Unterstützungsarbeit, indem sie bei zu überprüfenden Nichtdeutschen die Abklärung nach dem Ausländerrecht vornimmt und die sich daran ggf. anschließenden Maßnahmen, z.B. Abschiebungen, vorbereitet. Es erstaunt deshalb, daß die Beamten keinen eigenen Zugang zu den Ausländer-Datenbanken besitzen. Abfragen, etwa im „Ausländerzentralregister“ (siehe S. 35 ff.), müssen stets über die Ausländerbehörde abgewickelt werden. Im Bereich der im früheren Ostberlin gelegenen Direktionen ist zudem der Zugang über den am Flughafen Schönefeld stationierten Bundesgrenzschutz möglich.

Gespaltenes Fazit

Eine Bewertung muß zwangsläufig zwiespältig bleiben. Eine Arbeit, wie sie von den Beamten im Bereich der legal in Berlin lebenden Ausländer geleistet wird, ist ohne Zweifel sinnvoll: Eine bürgernähere Form der Polizeiarbeit als die der Verhinderung einer blutigen Familienfehde ist kaum denkbar und ohne einen längeren, engagierten Kontakt zur nichtdeutschen Bevölkerung nicht zu leisten. Andererseits kann das Vorgehen gegen vietnamesische ZigarettenhändlerInnen (in der Mehrzahl ehemalige VertragsarbeiterInnen der früheren DDR mit nun ungesichertem Aufenthaltsrecht, denen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes selten etwas anderes bleibt als der illegale Verkauf unverzollter Zigaretten) kaum akzeptiert werden, solange Aufgriffe sich (spätestens im Wiederholungsfall und ohne Berücksichtigung der Gründe) auf die Aufenthaltsgenehmigung (oder ein Asylverfahren) niederschlagen. Gleiches gilt bei Prostituierten, die alle der Willkür ihrer Zuhälter ausgeliefert sind. (Daran ändert sich auch nichts, wenn über den Umweg fehlender Baugenehmigungen etc. versucht wird, auch die Betreiber von Bordellen unmittelbar zu treffen.)

Nahezu zwangsläufig muß sich aus der Zweiteilung ihrer Arbeit im Bewußtsein der Beamten eine Trennung in „gute“, d.h. legal hier lebende und arbeitende, und in „schlechte“, z.B. illegal eingewanderte AusländerInnen ergeben. Übereinstimmend betonen denn auch befragte AGA-Beamte, mit der Aufteilung in Beratung und Repression keine Schwierigkeiten zu haben, da es sich um voneinander getrennte Bereiche handele, bei denen es nicht zu Überschneidungen komme. Solche Reaktionen sind nicht untypisch (und den Beamten daher nur sehr bedingt vorzuwerfen) für eine Gesellschaft, die meint, sich die Schizophrenie leisten zu können, einerseits ihren Wohlstand mittels abgeschotteter Grenzen, restriktiver Asylgesetze etc. vor dem hungrigen Rest der Welt zu bewahren und andererseits ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, indem sie sich – im wahrsten Sinne – ihre „Lieblingsausländer“ hält. Daran wird sich vermutlich aber solange nichts ändern, wie sich nicht eine grundsätzliche – für alle überlebensnotwendige – Bereitschaft zum Teilen politisch durchsetzt.

Otto Diederichs ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.



[1] Kleine Anfrage Nr. 1489 der ALTERNATIVEN LISTE v. 19.2.1986
[2] Berliner Zeitung v. 9.7.1993
[3] Polizeischau 5/75, S. 6
[4] Kleine Anfrage gem. § 50 GO v. 28.3.1985
[5] Schreiben des Berliner Innensenators, Az. SenInn III C 1 – 0345/606
[6] Polizeischau 5/75, S. 4
[7] vgl. die tageszeitung v. 16.6.1993
[8] vgl. National Geographic May 1993
[9] hierzu siehe auch: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 24 (2/86), S. 46 ff.
[10] Polizeischau 5/75, S. 5
[11] Protokolle des Ausschuß für Ausländerfragen des Berliner Abgeordnetenhauses: 7. Sitzung v. 5.2.1982, 8. Sitzung v. 19.2.1982, 9. Sitzung v. 5.3.1992
[12] vgl. Informationsbroschüre der „Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen e.V.“, Berlin 1985 und Bürgerrechte & Polizei/CILIP 24 (2/86), S. 46 ff.

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Erstellt am 06.06.2000 – letzte Änderung am 07.06.2000