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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 45 (2/1993)

abstand

Die Sicherung der deutschen Ostgrenze

Der Bundesgrenzschutz vor neuen Aufgaben


von Otto Diederichs


Etwa um 1985 – mit Beginn der Bestrebungen der europäischen Staaten, im Rahmen des „Schengener Abkommens“[1] die innerstaatlichen Grenzen langfristig aufzuheben – begann der Bundesgrenzschutz (BGS) erstmals in seiner Geschichte, sich um den weiteren Bestand ernstliche Sorgen zu machen. Sicherheitspolitiker und Polizeiplaner gingen sogar daran, mit dem Programm „BGS 2000“ zwanghaft neue Aufgaben für die tannengrüne Truppe zu finden.[2] Mit dem Zerfall des sog. „Ostblocks“ schwanden die Befürchtungen dann dahin: Mit der Sicherung der neuentstandenen Grenzen zu Polen und der ehemaligen Tschechoslowakei ist der BGS heute mehr als ausgelastet.

Deren Sicherung obliegt dem Grenzschutzpräsidium (GSP) Ost in Berlin mit seinen Grenzschutzämtern Frankfurt/Oder (für die Grenze zu Polen) und Pirna (für den Bereich der sächsisch-tschechischen Grenze). Für den bayerisch-tschechischen Abschnitt ist das GSP Süd in München zuständig, das diese Aufgaben im April 1992 von der Grenzpolizei des Freistaates übernahm.[3] Insgesamt sind hierfür unterdessen 2.463 Polizeikräfte und 1.100 ZollbeamtInnen eingesetzt.[4] Auf der Ostsee werden sie unterstützt durch die 3. Flottille des „BGS See“ mit 135 Mann (verstärkt durch eine weitere Flottille des Stützpunktes Neustadt).[5]

Da dies, offiziellen Angaben zufolge, jedoch nicht ausreicht, begann der Bundesgrenzschutz im Februar 1993 damit, in den ostdeutschen Ortschaften entlang der Grenze zusätzlich rd. 1.500 polizeiliche Hilfskräfte anzuwerben,[6] die zunächst auf drei Jahre befristete Verträge erhalten sollen.[7] Geplant ist, ca. 800 der neuen Polizeiangestellten „für Unterstützungstätigkeiten bei der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs“ und die übrigen 700 „zur Verstärkung der mobilen Grenzüberwachungskräfte“ einzusetzen.[8] Die ersten 50 nahmen Anfang April ihre Tätigkeiten auf.[9]

Abwehr von Flüchtlingen

Zwar nehmen die BGS-BeamtInnen auch im östlichen Grenzbereich die traditionellen grenzpolizeilichen Aufgaben, wie z.B. Paßkontrollen, Bekämpfung des Schmuggels, allgemeine Fahndungstätigkeiten etc., wahr, ihre wichtigste Tätigkeit liegt jedoch darin, den „Druck der illegalen Zuwanderungen“[10] aufzufangen oder zumindest abzumildern, wie Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) dies Anfang 1992 ausdrückte. Vorausgegangen war dem die erste BGS-Jahresbilanz für das Jahr 1991. Danach waren allein an der polnisch-deutschen Grenze 15.406 Personen beim illegalen Grenzübertritt aufgegriffen worden.[11] Mit ca. 1.500 BeamtInnen ging man 1992 daher dazu über, „außerhalb der Grenzübergänge als mobile Fahndungs- und Überwachungskräfte eine Abwehrlinie“ zu bilden.[12] Diese „Mobilen Überwachungstrupps“, im Beamtendeutsch kurz „Müt“ genannten Einheiten, bestreifen seither – vorwiegend nachts – mit Pkw und Motorrädern die grüne Grenze. Ende 1992 kündigte das Bonner Innenministerium – militärische Sprachkategorien haben z.Zt. Konjunktur – die Einrichtung einer weiteren „zweiten Auffanglinie“[13] an. Zusätzlich patrouillieren auf den Grenzflüssen die Boote des dem Finanzministerium unterstehenden Zoll. Da Oder und Neiße in der meisten Zeit des Jahres sehr niedriges, z.T. nur hüfthohes Wasser führen, erhielt der brandenburgische Zoll im April diesen Jahres zwei speziell für diese Aufgabe entwickelte Jetboote.[14] Mit einem Tiefgang von nur 50 cm und einer Spitzengeschwindigkeit von rund 50 km/h sind die mit zusätzlichem Radar ausgerüsteten Boote[15] nun in der Lage, auch die ansonsten nicht beschiffbaren Abschnitte der Flüsse zu kontrollieren. Insgesamt verfügt der Zoll hier über 10 Boote.[16]

Gleichwohl verging in den letzten anderthalb Jahren kaum ein Monat, in dem nicht auf dramatisch steigende Zahlen illegaler Grenzgänger hingewiesen worden wäre: Wurde für das gesamte Jahr 1991 die Zahl der im Zuständigkeitsbereich des Grenzschutzamtes (GSA) Frankfurt/Oder festgestellten illegalen Grenzgänger noch mit 9.110 angegeben[17], so wurden für das erste Halbjahr 1992 bereits 13.000 gemeldet.[18] Die Gesamtzahlen des GSP Ost für 1992 lauten 29.990 (Frankfurt/Oder 18.545, Pirna 11.445) und für 1993 (bis Mai) total 20.823 (Frankfurt/Oder 11.747, Pirna 9.076[19]).

Um zu dokumentieren, daß die Mehrzahl der EinwanderInnen dabei keine politischen Gründe geltend macht und – nach Bonner Lesart – somit entweder unlautere Absichten verfolgt, zumindest aber kein Bleiberecht beanspruchen kann, werden zwischendurch stets auch die beim Grenzübertritt bzw. beim Aufgriff durch BGS-Kräfte gestellten Asylanträge bekanntgegeben. Danach stellten im Februar 1992 von 828 vorübergehend Festgenommenen lediglich 43 einen entsprechenden Antrag.[20] Im Juni 1992 waren es 22 von insgesamt 2.019[21] und im April 1993 nur 33 von 1.683 Personen.[22]

Nun soll nicht bestritten werden, daß die Mehrzahl der Flüchtlinge (in diesem Falle vorwiegend BürgerInnen der früheren sozialistischen Staaten und darunter wiederum mit bis zu 80% überwiegend rumänische Staatsangehörige[23]) in ihren Heimatländern zumeist keiner unmittelbaren Verfolgung ausgesetzt sind, sondern – was ebenfalls legitim ist – als sog. Armuts- und Hungerflüchtlinge versuchen, einer ausweglosen Situation zu entfliehen. Gleichwohl hat die obige Bilanz einen erheblichen Schönheitsfehler. Während nämlich Flüchtlinge, denen es gelingt, eine Asylbewerberstelle zu erreichen, dort mehrheitlich einen Antrag stellen, nachdem sie über ihre Rechte aufgeklärt wurden, kommt das Thema Asyl bei den Befragungen des BGS gar nicht erst zur Sprache.[24] Dort erhielten die Festgenommenen bis zum Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes am 1. Juli 1993 lediglich in ihrer Landessprache abgefaßte Fragebögen, auf denen sie als Einreisegrund wählen konnten unter a) Besuch von Verwandten, b) Urlaubsreise, c) Geschäftsreise oder d) Arbeitsaufnahme.[25] Die meisten entschieden sich dann wahrheitsgemäß für den Punkt d – mit dem Ergebnis, daß sie in der Regel innerhalb von 5 Stunden wieder abgeschoben wurden.[26] (Seit dem 1.7.93 werden Flüchtlinge unmittelbar zurückgeschoben, da Polen und die Tschechische Republik als „Sicheres Drittland“ gelten.) Dies wiederum hat zur Folge, daß die Betroffenen in einer der nächsten Nächte erneut versuchen, die Grenze zu überwinden. In wievielen der statistisch ausgewiesenen Fälle illegaler Einwanderung es sich dabei dann um solchermaßen verursachte Mehrfachaufgriffe handelt, wird – zumindest offiziell – nirgendwo angegeben.

Schlepper und Schleuser

Wieviele der illegalen EinwanderInnen bei dem Versuch, dem zumeist elenden Leben in ihrer Heimat zu entfliehen, sich der Hilfe von Schleppern ausliefern, kann nur vermutet werden. Zweifellos bilden sie jedoch prozentual den größten Anteil der Flüchtlinge. Über den Organisierungsgrad in diesem Gewerbe ist wenig bekannt. Bislang vorliegenden Informationen zufolge handelt es sich in der Regel um in kleineren Banden zusammengeschlossene Täter, die in der Vergangenheit ihren Lebensunterhalt durch Schmuggel und Kleinkriminalität sicherten und nun das Geschäft mit der menschlichen Not für sich entdeckt haben.[27] Festnahmen sind hier eher selten – und sofern sie erfolgen, handelt es sich um das letzte Glied in der Kette, also um jene Schleuser, welche die Menschen über die Grenze führen. Nach Auskunft des Grenzschutzpräsidiums Ost konnten in dessen Zuständigkeitsbereich 1992 insgesamt 229 mutmaßliche Schleuser vorläufig festgenommen werden (über anschl. tatsächlich erlassene Haftbefehle wurde keine Statistik geführt). Bis zum Mai 1993 waren es bisher 91 Personen.[28] (Insgesamt wurden an den deutschen Grenzen 1992 knapp 700 mutmaßliche Schlepper/Schleuser festgenommen; für die ersten fünf Monate 1993 wird die Zahl mit 1.049 angegeben[29]).

Unterdessen ermitteln in einigen Fällen auch Sonderkommissionen des BGS gegen Schlepperringe.[30] Um das Informationsdefizit[31] in diesem Bereich abzubauen, erließ die Innenministerkonferenz am 22.5.92 zudem eine vorläufige Richtlinie zum Aufbau einer Falldatei „Schleuser und Geschleuste“.[32] Geführt wird diese Datei von der „Zentralstelle zur Bekämpfung der illegalen Einreise von Ausländern“ bei der Grenzschutzdirektion in Koblenz. Gegenwärtig befindet sich die Datei im Probelauf. Angeschlossen sind neben der BGS-Direktion die Grenzschutzämter Schwandorf und Frankfurt/M. (wegen der Einreiseversuche über den dortigen Großflughafen), das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen.[33] Die Konzeption sieht vor, daß die angeschlossenen Polizeistellen alle in ihrem Zuständigkeitsbereich bekannten Schleusungsfälle – einschl. sämtlicher Personendaten (auch der Geschleusten) – in die Datei eingeben. Auf deren Grundlage soll dann von der „Zentralstelle“ ein Lagebild erstellt und daraus wiederum geeignete Bekämpfungsmaßnahmen entwickelt werden.[34]

Elektronikgrenze

Zusätzlich zu den personellen Anstrengungen, die deutsche „Wohlstandsgrenze“ (so der sozialdemokratische Innenminister Brandenburgs, Alwin Ziel[35]) zu sichern, entwickelte das Bundesinnenministerium (BMI) zu Beginn des Jahres einen Plan, künftig auch Radar- und Infrarot-Elektronik einzusetzen.[36] Unterstützt wird dieses Vorhaben, das derzeit erprobt wird, von den Ländern Brandenburg[37] und Sachsen[38] sowie von der „Gewerkschaft der Polizei (GdP)“.[39] Über diesen Modellversuch ist indessen kaum etwas zu erfahren. Nachfragen bei den zuständigen Grenzschutzeinrichtungen blieben erfolglos, da das BMI – so die einhelligen Auskünfte – den Öffentlichkeitsreferaten des BGS „restriktive Beschränkungen“ auferlegt und sich die Informationsweitergabe selbst vorbehalten habe. Vor Ablauf des halbjährigen Modellversuches Ende Juli seien Auskünfte über bisherige Erfahrungen nicht möglich, u.a., „um den Wettbewerb der Anbieterfirmen nicht zu beeinflussen“. Bekannt ist deshalb momentan lediglich, daß es sich dabei um ein ursprünglich für militärische Zwecke entwickeltes „Gefechtsfeldüberwachungsradar“[40] handelt sowie daß derzeit im Zuständigkeitsbereich der GSP Ost zwei (jeweils 1,4 Mio. DM teure) VW-Busse mit beweglichen Radar- und Wärmebildgeräten im Einsatz sind.[41] Die Radargeräte stammen dabei aus ehemaligen NVA-Beständen, während die Infrarottechnik aus Westdeutschland kommt.[42] Neben diesem militärischen Gerät[43] wird nach Auskunft eines BGS-Beamten, der ungenannt bleiben möchte, unterdessen auch Elektronik getestet, die von privaten Herstellern zur Verfügung gestellt wurde. Hinweise in diese Richtung geben auch verschiedene Ausgaben des in Bonn erscheinenden „Behörden Spiegel“.[44] Nach Ansicht von Militärexperten, die das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ befragte, ist zumindest das Bundeswehrgerät vollkommen ungeeignet.[45]

Ost-West-Kooperation

Mitte März diesen Jahres hielt die Innenministerkonferenz in Frankfurt/Oder einen Fachkongreß „Polizeiliche Zusammenarbeit mit Osteuropa“ ab. Als wichtigste ausländische Vertreter nahmen daran der Leiter der Abteilung Kriminalpolizei im russischen Innenministerium, Generalmajor Kolesnikow, und der Unterstaatssekretär des polnischen Innenministeriums, Zimowski, teil. Insbesondere letzterer erklärte dabei die Bereitschaft Polens, „die direkte Zusammenarbeit auf der untersten Ebene im Grenzbereich auszubauen“.[46] Solche Dienste bei der Sicherung der „Wohlstandsgrenze“ läßt sich die Bundesregierung dann gern etwas kosten: Ausschließlich für ihre Polizeien erhalten Polen, die tschechische und die slowakische Republik, Bulgarien und die neuen baltischen Staaten bis 1994 Ausstattungs- und Ausbildungshilfen im Gesamtumfang von ca. 31 Mio. DM.[47]

Die Bundesrepublik ist eben doch ein ausländerfreundliches Land.

Otto Diederichs ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.



[1] Vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 40 (3/91)
[2] Vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 38 (1/91), S. 40 ff.
[3] Kriminalistik 8-9/92, S. 500
[4] Die Polizei 6/93, S. 150
[5] Ebd.
[6] Berliner Morgenpost v. 13.2.1993
[7] die tageszeitung v. 6.4.1993
[8] Die Polizei 6/93, S. 150
[9] Berliner Morgenpost v. 6.4.1993
[10] Berliner Zeitung v. 20.1.1992
[11] Der Tagesspiegel v. 12.1.1992
[12] Berliner Zeitung v. 20.1.1992
[13] Berliner Morgenpost v. 30.11.1992
[14] Der Tagesspiegel v. 2.4.1993
[15] Berliner Morgenpost v. 1.2.1993
[16] Der Tagesspiegel v. 2.4.1993
[17] Der Tagesspiegel v. 16.12.1992
[18] Berliner Zeitung v. 20.7.1992
[19] Schreiben des GSP Ost v. 9.7.1993
[20] Berliner Morgenpost v. 27.2.1992
[21] Der Tagesspiegel v. 3.7.1992
[22] Berliner Zeitung v. 22.4.1993
[23] Berliner Zeitung v. 20.7.1992, Der Tagesspiegel v. 3.8.1992, Berliner Morgenpost v. 13.11.1992, Der Tagesspiegel v. 16.12.1992
[24] Berliner Zeitung v. 8.5.1993
[25] die tageszeitung v. 8.12.1992
[26] Berliner Zeitung v. 20.7.1992
[27] Vgl. die tageszeitung v. 8.12.1992
[28] Schreiben des GSP Ost v. 9.6.1993
[29] Berliner Morgenpost v. 15.6.1993
[30] Vgl. die tageszeitung v. 8.12.1992, Behörden Spiegel 2/93
[31] Vgl. Berliner Zeitung v. 6.4.1993
[32] Die Polizei 6/93, S. 151
[33] Ebd.
[34] Ebd.
[35] Die Polizei 6/93, S. 129
[36] Berliner Zeitung v. 4.1.1993
[37] Berliner Zeitung v. 5.1.1993 und Berliner Morgenpost v. 28.2.1993
[38] die tageszeitung v. 11.1.1993
[39] Ebd.
[40] Behörden Spiegel 2/93
[41] Berliner Zeitung v. 13.1.1993, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.2.1993
[42] Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.2.1993
[43] Vgl. die tageszeitung v. 4.1.1993
[44] Vgl. Behörden Spiegel 3-4/93 und 5-6/93
[45] Der Spiegel v. 11.1.1993
[46] Die Polizei 6/93, S. 159
[47] Die Polizei 6/93, S. 143

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© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 1993-2000
HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 06.06.2000 – letzte Änderung am 07.06.2000