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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 45 (2/1993)

abstand

Die Polizei muß ihren Schutzauftrag erfüllen!

Gemeinsame Forderungen von 'Forum Buntes Deutschland e.V. – SOS Rassismus', Bundesarbeitsgemeinschaft 'Kritische Polizisten und Polizistinnen', Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V./ Bürgerrechte & Polizei/CILIP, Berlin



Nach rund einem halben Jahr scheinbarer Beruhigung sind am 29.5.93 in Solingen erneut Menschen durch Rechtsextremisten getötet worden. Insgesamt starben bei rechtsradikal motivierten Gewalttaten in den vergangenen zwei Jahren 22 Menschen. Die gesellschaftlichen Ursachen von Rechtsextremismus und Rassismus sind der Polizei nicht zugänglich; sie ist für die Lösung dieser Probleme die falsche Institution. Von der Polizei muß jedoch erwartet werden, daß sie ihre elementare Aufgabe, Leib und Leben von Menschen zu schützen, mit Nachdruck erfüllt.

Die Polizei muß ihren Schutzauftrag erfüllen!

1. Objektsicherung

Bedrohungsschwerpunkte sind Wohngebiete mit erhöhtem AusländerInnenanteil und – insbesondere – Wohnheime von Asylbewerbern/-innen.

  1. Wohngebiete mit hohem nichtdeutschem Bevölkerungsanteil müssen daher in einen verstärkten Streifendienst einbezogen werden. AusländerInnen muß die Polizei die gleiche Aufmerksamkeit widmen, wie sie prominenten Politikern zugestanden wird. Verstärkte polizeiliche Präsenz, etwa in Form von Streifenwageneinsätzen oder durch Kontaktbereichsbeamte, kann potentielle Straftäter abschrecken und zur frühzeitigen Entdeckung von Anschlägen oder Angriffen auf AusländerInnen führen.
  2. Wohnheime von AsylbewerberInnen sind so auszustatten, daß sie direkten Angriffen kurzfristig standhalten können. Hierzu gehört z.B. eine bruch- und schußfeste Verglasung der Fenster. Die Unterkünfte sind mit technischen Anlagen zu versehen, die eine rasche Information der Polizei ermöglichen. Neben der ständigen Anwesenheit von Betreuungspersonal ist die Einrichtung von festen Alarmverbindungen (Standleitungen) zur nächstgelegenen Polizeistation notwendig. Kurzfristig sind Funktelefone zu installieren.
  3. Ausländerbeauftragte bei der Polizei sind zu benennen, die zum Abbau von gegenseitigen Berührungsängsten und der Verbesserung der Kommunikation beitragen können. Die entsprechende Empfehlung der Innenministerkonferenz ist unverzüglich umzusetzen. Die Initiative des Potsdamer Polizeipräsidiums könnte hierbei als Orientierung dienen.
  4. Der Schutz des menschlichen Lebens hat Vorrang vor allen anderen Rechtsgütern! Angesichts einer Polizeidichte, die zur höchsten der Welt zählt (in Schleswig-Holstein 1 PolizistIn je 308 Einwohner, in Brandenburg 1:271, in Mecklenburg-Vorpommern 1:267, in Berlin 1:107, in Nordrhein-Westfalen 1:333), ist eine Ausdehnung des geforderten Streifendienstes ohne personelle Verstärkung der Polizei realisierbar. Auch die Einstellung von mangelhaft ausgebildeten Hilfskräften (etwa in Form einer 'Freiwilligen Polizeireserve' wie in Berlin oder wie derzeit beim BGS an der Grenze zu Polen und der Tschechischen Republik) ist nicht nötig. Nötig ist vielmehr der politische Wille, polizeiliche Tätigkeiten anders zu gewichten. So bietet sich (langfristig) u.a. an, Bagatelldelikte zu entkriminalisieren (z.B. im Bereich der Eigentumsdelikte, Verkehrsdelikte, Btm-Delikte). Kurzfristig können und müssen diese Aufgaben zurückgestellt werden.

2. Nichtdeutsche in Polizeidienst und -ausbildung

Die Polizei ist für nichtdeutsche Bewerber/Bewerberinnen zu öffnen.

  1. Eine verstärkte Einstellung ausländischer MitbürgerInnen in den Polizeidienst ist geboten und mittelfristig nicht zu umgehen. Dies gebietet allein schon die Teilhabe der nichtdeutschen Bevölkerung am gesamten öffentlichen Leben. Hierzu muß das geltende Beamtenrecht reformiert werden. Dies bietet eine doppelte Chance. Zum einen ist es diesen BeamtInnen aufgrund ihrer Sprach- und Mentalitätskenntnisse eher möglich, Kontakt (und Vertrauen) zur nichtdeutschen Bevölkerung zu gewinnen und so eine an den Interessen und Bedürfnissen der Bürger und Bürgerinnen ausgerichtete Polizeiarbeit zu befördern. Zum anderen besteht dadurch die Möglichkeit, Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit auch innerhalb der Polizei aufzubrechen.
  2. Zum Abbau latenter und offener Ausländerfeindlichkeit in Teilen der Polizei sollten AusländerInnen stärker in die Ausbildung einbezogen werden. Auch nach der Ausbildungsphase ist der Kontakt zwischen Polizei und nichtdeutscher Bevölkerung beizubehalten, damit sich bei Polizisten nicht das Zerrbild des Ausländers nur als Opfer oder vor allem nur als Täter verfestigt.

3. Kontrolle der Polizei

Will die Polizei das Vertrauen der ausländischen Bevölkerung gewinnen, so liegt es in ihrem eigenen Interesse, rassistischen Übergriffen von PolizeibeamtInnen wirksam entgegenzutreten. Zur Vermeidung und Aufklärung von Übergriffen haben Bürgerrechtsorganisationen seit Jahren Forderungen erhoben, die hier erneut wiederholt werden sollen:

  1. Unabhängige Beschwerde- und Vermittlungsinstanzen sind einzurichten, die über ausreichende Ermittlungsbefugnisse auch im Innern der Polizei verfügen müssen.
  2. Geschaffen werden sollte ferner die Stelle eines/r Landespolizeibeauftragten vergleichbar der Rolle des Wehrbeauftragten hinsichtlich der Bundeswehr. Diese Stellen sollen es PolizeibeamtInnen ermöglichen, vertraulich und ohne sich dem Druck von KollegInnen oder Vorgesetzten aussetzen zu müssen, Straftaten zu melden.

4. Äußerungsmöglickeiten für illegale Einwanderer

Illegal in der Bundesrepublik lebende AusländerInnen brauchen mehr Rechte.

Viele Ausländer, die sich illegal in Deutschland aufhalten, wagen es nach Überfällen nicht, zur Polizei zu gehen, weil sie mit ihrer Ausweisung rechnen müssen. Ähnlich ergeht es legal hier lebenden Ausländern, die wegen ihrer Beteiligung an kleineren Straftaten (Verkauf unverzollter Zigaretten z.B.) keine Anzeige gegen Angreifer erstatten können.

Für beide Gruppen ist eine Regelung zu schaffen, die es ihnen ermöglicht, sich auch öffentlich zur Wehr setzen zu können. Denkbar wäre etwa, daß die Opfer rassistischer Überfälle o.ä. über RechtsanwältInnen, ÄrztInnen, JournalistInnen, Geistliche oder sonstige Personen, die für sich eine Schweigeverpflichtung in Anspruch nehmen können, Anzeige erstatten, ohne daß sie (zumindest) bis zu einer evtl. Prozeßeröffnung selbst in Erscheinung treten müssen. Human zu regeln wären auch die Folgen für die Opfer, wenn ihre Namen (z.B. im Falle einer Prozeßeröffnung) bekannt werden. Orientiert am Einzelfall sind hier Regelungen zu schaffen, die ein angstfreies öffentliches Auftreten ermöglichen, ohne persönliche Konsequenzen aufgrund eigener Gesetzesverstöße (z.B. illegaler Aufenthalt) befürchten zu müssen.

5. Schluß mit amtlichen Diskriminierungen

Die polizeiliche Kriminalstatistik diskriminiert AusländerInnen.

Die jährliche vorgelegte polizeiliche Kriminalstatistik weist ausländische Tatverdächtige gesondert aus. Zudem werden diese bei der Präsentation regelmäßig besonders hervorgehoben. Der Großteil der erfaßten Delikte betrifft dabei jedoch Vergehen nach dem Ausländer- und dem Asylverfahrensgesetz, derer sich Deutsche selbst mit Vorsatz nicht schuldig machen können, etwa das Verlassen des ausländerbehördlichen Zuständigkeitsbereiches. Die Auswertungsmodalitäten der PKS zu ändern wäre ein minimaler Beitrag, den der Bundesinnenminister leisten könnte, um den ausländerfeindlichen Stimmen nicht behördlicherseits weitere Nahrung zu geben.



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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 06.06.2000 – letzte Änderung am 07.06.2000