CILIP Bürgerrechte & Polizei/CILIP 55 (3/96)

Chronologie Juli 1996 zusammengestellt von Otto Diederichs

01.07.: • In Göttingen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen gegen acht Beamte der Landespolizeischule Niedersachsen. Zwei Polizeilehrer werden vom Dienst suspendiert. Am 21.10. stellt die Bremer Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen einen Polizeibeamten ein, dem vorgeworfen wurde, eine wegen Zechprellerei festgenommene Frau zum Oralverkehr genötigt zu haben. Zwar wird der Vorfall nicht bestritten, er sei jedoch von der Frau ausgegangen und habe nicht unter Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses stattgefunden. • In Hannover muß der Prozeß um den Todesschuß auf den Kurden Halim Dener (1994) abgebrochen werden, weil zwei Richter wegen Krankheit ausfallen. • In einem Dürener Supermarkt wird durch einen "wandernden Hefeteig" Alarm ausgelöst. Die Polizei vermerkt in ihrem Einsatzbericht: "Um einen weiteren Fluchtversuch zu verhindern, wurde der Teig von den Polizeibeamten in sicherer Entfernung abgelegt." • Das Magdeburger Landgericht verurteilt einen Einbrecher, der im September 1995 einen Polizisten vorsätzlich überfahren hatte, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Polizistenmordes. Am 5.7. verurteilt das Potsdamer Landgericht ebenfalls einen Einbrecher. Er hatte im August 1995 einen Polizisten erstochen und erhält dafür eine Gefängnisstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten.
 
02.07.: • Der wegen des Lübecker Brandanschlages vom 20.1.96 in Untersuchungshaft sitzende Safwan Eid wird aus der Haft entlassen. Die Haftentlassung wird mit "durchgreifenden Zweifeln" an der Täterschaft begründet. Am 5.7. stellt die Jugendkammer des Lübecker Landgerichtes demgegenüber einen "hinreichenden Tatverdacht" fest und eröffnet ein Verfahren wegen Brandstiftung; am 23.9. bekräftigt der als Hauptbelastungszeuge geltende Rettungssanitäter vor Gericht seine Aussage, Eid habe in der Brandnacht zu ihm gesagt: "Wir waren's".
 
03.07.: • Ein Dannenberger Amtsrichter wertet die Teilnahme an einer verbotenen Demonstration gegen den Castor-Transport von 1995 als eine Ordnungswidrigkeit, vergleichbar dem Falschparken, und verurteilt einen Demonstranten zu einer Geldbuße von 10 DM. Es ist das vierte Urteil dieser Art. Am 10.7. zieht die Göttinger Staatsanwaltschaft ihren Einspruch gegen den Freispruch eines Gleisblockierers zurück. Am 9.8. übergibt die BI Lüchow-Dannenberg der Staatsanwaltschaft in Dannenberg 110 Strafanzeigen gegen Polizisten wegen Übergriffen während der Demonstration am 8.8. Auf der Strecke zwischen Dannenberg und Lüneburg wird ein 1,50 m langes Schienenstück herausgesägt. Der Frühzug entgleist, verletzt wird jedoch niemand. Am 7.10. werden an acht verschiedenen Stellen in der Bundesrepublik Anschläge verübt. Es kommt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Zugverkehrs. Am 10.10. zieht die Bundesanwaltschaft alle die Anschläge betreffenden Ermittlungsverfahren an sich und leitet ein zentrales Verfahren nach §129a ein. Am 15.10. gibt der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) bekannt, daß aus Protest gegen die Atommülltransporte in den vergangenen zwei Jahren bundesweit 250 Anschläge auf Bahnstrecken verübt wurden. Vier Tage später erklärt er, in diesem Jahr könne es keinen Atommülltransport mehr nach Gorleben geben, da ihm zur Sicherung nicht genügend Polizeibeamte zur Verfügung stünden. In Norddeutschland werden am 23.10. mehrere Anschläge auf Bahnlinien verübt, bei denen in einem Fall ein Lokführer am Auge verletzt wird. Die Polizei vermutet auch hier Atomkraftgegner hinter den Anschlägen.
 
04.07.: • Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums wurden in Deutschland im ersten Halbjahr 1996 insgesamt ca. 57.000 Asylbewerber registriert.
 
09.07.: • Mit 200 PolizistInnen wird in Berlin das erste von mehreren besetzten Häusern geräumt. Ein Jugendlicher wird festgenommen. Am 1.8. durchsucht ein Großaufgebot von 200 Polizisten Berlins ältestes besetztes Haus in der Marchstraße; die Aktion verläuft ohne Zwischenfälle. Eine Woche später wird das Haus geräumt. Damit ist der Westteil Berlins besetzerfrei. Am 8.10. wird ein weiteres Haus geräumt; die nächsten drei Häuser räumt die Berliner Polizei am 29.10. Um sich Einlaß zu verschaffen, wird bei einem Haus die Tür durch Beamte des SEK gesprengt. Es kommt zu fünf Festnahmen. • Durch Einsatz eines Spezialeinsatzkommandos wird in Berlin ein entführter Vietnamese befreit. 16 tatverdächtige Vietnamesen und zwei Deutsche werden festgenommen. Am 11.7. entscheidet das Oberverwaltungsgericht in Koblenz, daß Ausländer, die gewerbsmäßig Zigaretten schmuggeln, mit sofortiger Wirkung ausgewiesen werden können (Az.: 11 B 11224/96). Am 25.7. befreit die Polizei erneut einen gekidnapten Vietnamesen. Am 7.8. wird in Berlin wieder ein toter Vietnamese gefunden; er ist das 36. Opfer, das den Auseinandersetzungen in der sog. 'Zigarettenmafia' zugerechnet wird. Bei Auseinandersetzungen zwischen vietnamesischen Banden sind seit 1992 bundesweit bisher mehr als 70 Menschen getötet worden. Am 18.8. kommt es in Halle zu einer Schießerei zwischen Vietnamesen und der Polizei. Ein Mann kann verletzt festgenommen werden. Am 26.9. nimmt die Berliner Polizei erstmals den mutmaßlichen Chef einer Bande und mehrere seiner engsten Komplizen fest. Am 18.10. werden in Berlin zwei Vietnamesen wegen Mordes zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Erstmalig war in einem Prozeß gegen die sog. 'Zigarettenmafia' ein Vietnamese als Zeuge aufgetreten.
 
10.07.: • Nach Mitteilung des sächsischen Innenministeriums wurden in Sachsen seit 1990 insgesamt 1.100 Polizisten wegen früherer Stasi-Tätigkeiten entlassen. Am 26.7. wird ein Hauptfeldwebel der Bundeswehr nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtes Karlsruhe aufgrund seiner Stasimitarbeit fristlos entlassen. (Az.: 7 K 1716/96) Am 11.10. erklärt das Kasseler Arbeitsgericht in einem Grundsatzurteil die Entlassung von Polizeibeamten für rechtmäßig, wenn nachträglich eine frühere Stasi-Tätigkeit bekannt wird. (Az.: 8 AZR 351/93) Am 23.10. entscheidet das Cottbuser Verwaltungsgericht, daß die Untersuchungsarbeit der Stasi nicht mit kriminalistischer Arbeit gleichzusetzen ist. Ein in den brandenburgischen Polizeidienst übernommener ehemaliger MfS-Angehöriger hatte seine Beförderung einklagen wollen. Am 25.10. erklärt das Bundesverwaltungsgericht die Entlassung eines Soldaten, der eine frühere Stasi-Mitarbeit verschwiegen hatte, für rechtens. (Az.: BVerwG 2 C 23.96)
 
12.07.: • In Mecklenburg-Vorpommern überfallen rechtsradikale Jugendliche an mehreren Orten Campingplätze und verletzen Urlauber z.T. erheblich; zu einem weiteren Überfall auf Camper kommt es am 20.7. Ebenfalls am 20.7. wird in Sachsen-Anhalt ein Zeltplatz überfallen; zwei jugendliche Camper müssen im Krankenhaus behandelt werden. Zu einem neuerlichen Überfall auf einen Campingplatz in Mecklenburg-Vorpommern kommt es am 30.7. Am 2.8. leitet die Staatsanwaltschaft gegen "noch unbekannte Polizisten" in Wolgast ein Ermittlungsverfahren ein, nachdem bekannt wird, daß sie bei einem Überfall von rechtsradikalen Jugendlichen nicht eingegriffen haben. Am 3.8. kommt es auch in Nordrhein-Westfalen zu einem Überfall auf einen Campingplatz, fünf Menschen werden verletzt. In Brandenburg beginnt eine ganze Serie fremdenfeindlicher Überfälle: Am 29.9. werden in Eisenhüttenstadt vier Asylbewerber und zwei portugiesische Bauarbeiter verprügelt; am 2.10. wird in Potsdam ein Afrikaner zusammengeschlagen; am 4.10. in Trebbin eine Pizzeria verwüstet, zwei Italiener werden dabei krankenhausreif geschlagen; am 16.10 wird in Genshagen ein Ungar krankenhausreif geschlagen. Am 24.10. werden in Oranienburg zwei britische Studenten zusammengeschlagen und schwer verletzt und am 27.10. in Eisenhüttenstadt zwei Franzosen verprügelt. Nach Angaben des Innenministeriums wurden von Januar bis September 320 rechtsextremistische Straftaten erfaßt.
 
15.07.: • Der Generalbundesanwalt (GBA) läßt unter dem Vorwurf der Werbung für eine 'terroristische Vereinigung' bundesweit die Wohnungen von sechs mutmaßlichen UnterstützerInnen der verbotenen Zeitschrift 'radikal' durchsuchen. Am 2.9. nimmt der GBA offiziell die Ermittlungen nach § 129a auf, nachdem die 'radikal' erstmals komplett im Internet erschienen ist. Wenige Tage später wird der Internetzugang über die Homepage der PDS-Politikerin Angela Marquart blockiert; aus Protest gegen diese Sperrung nehmen weltweit 20 Großrechner die 'radikal' in ihr Angebot auf.
 
16.07.: • Im sog. 'Tunnelgangster-Prozeß' werden die Angeklagten zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und dreizehn Jahren verurteilt. • Nach Mitteilung des Bundesinnenministeriums (BMI) wurden 1996 im ersten Halbjahr 753 Drogentote registriert.
 
17.07.: • In Berlin räumt die Polizei die seit längerem umstrittene Wagenburg an der 'East Side Gallery'; vier Personen werden festgenommen. Die Errichtung einer neuen Wagenburg drei Tage später wird von der Polizei verhindert. • Der Landtag in Stuttgart verschärft das Polizeigesetz. Künftig kann die baden-württembergische Polizei danach verdachtsunabhängige Kontrollstellen einrichten. • Das Landgericht Landshut eröffnet das Verfahren gegen den Luftpiraten, der am 8.3. eine türkische Linienmaschine von Zypern nach München entführt hatte. Am 21.10. wird er zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt.
 
19.07.: • Im Prozeß gegen die mutmaßliche RAF-Unterstützerin Monika Haas verweigert die einstige Entführerin der Lufthansa-Maschine 'Landshut', Souhaila Andrawes, die Aussage. • Nach Angaben des Grenzschutzamtes Frankfurter/Oder wurden an der deutsch-polnischen Grenze im ersten Halbjahr 5.300 Menschen festgenommen.
 
20.07.: • In München und Köln verhindert die Polizei die Demonstration von Anhängern der verbotenen türkischen Organisation 'Devrimci Sol'. Ca. 600 Menschen werden in Gewahrsam genommen.
 
21.07.: • Durch Vermittlung des Bonner Geheimdienstkoordinators Bernd Schmidbauer (CDU) tauschen Israel und die schiitische Hisbollah-Miliz Gefangene sowie die Leichen Gefallener aus. Am 25.10. trifft Schmidbauer zu einer zweiten Vermittlungsmission im Libanon ein. Er will in Verhandlungen mit der Hisbollah den Verbleib des seit zehn Jahren vermißten israelischen Piloten Ron Arad klären. Dieter Langendörfer, der Leiter der ehemaligen 'Soko Reemtsma', erhebt schwere Vorwürfe gegen Hamburgs Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) und Polizeipräsident Arved Semerak, denen er Unfähigkeit vorwirft. Am 23.7. tritt Semerak zurück. Senator Wrocklage lehnt persönliche Konsequenzen ab. Am 26.7. teilt die Hamburger Polizei mit, daß der geplante Wechsel Langendörfers an die Polizeiführungsakademie in Hiltrup am Einspruch mehrerer Ländervertreter gescheitert sei. Daraufhin verläßt Langendörfer die Polizei und geht am 1.10. als neuer Sicherheitschef zur Volkswagen AG. Am 25.9. wird der bisherige Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, Ernst Uhrlau, zum neuen Polizeipräsidenten berufen.
 
23.07.: • Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes darf die Polizei Tatverdächtige durch Privatpersonen zu belastenden Äußerungen verlocken lassen. (Az.: GSSt 1/96)
 
25.07.: • Zwei junge Männer legen ein Geständnis ab, am 16.6. im brandenburgischen Mahlow einen farbigen Bauarbeiter aus Großbritannien zusammengeschlagen zu haben; der Mann liegt immer noch querschnittsgelähmt auf der Intensivstation des Krankenhauses. • In Hannover wird ein Ladendieb von Polizeibeamten mit Handschellen an den Streifenwagen gefesselt; er muß zur Wache neben dem Wagen herlaufen. • Die Fluchthelferin des sog. 'Heidemörders' wird in Hamburg zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.
 
26.07.: • In Zusammenhang mit einem IRA-Anschlag in Osnabrück am 28.6. startet das Bundeskriminalamt zum ersten Mal einen Fahndungsaufruf im Internet. • In Münster wird von der Polizei ein mutmaßlicher Autodieb erschossen.
 
Otto Diederichs ist Redakteur und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP

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