Bürgerrechte & Polizei/CILIP 55 (3/96) | |
Chronologie
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01.07.: |
In Göttingen ermittelt die
Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des
sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen
gegen acht Beamte der Landespolizeischule
Niedersachsen. Zwei Polizeilehrer werden vom
Dienst suspendiert. Am 21.10. stellt die
Bremer Staatsanwaltschaft das Verfahren
gegen einen Polizeibeamten ein, dem
vorgeworfen wurde, eine wegen Zechprellerei
festgenommene Frau zum Oralverkehr genötigt
zu haben. Zwar wird der Vorfall nicht
bestritten, er sei jedoch von der Frau
ausgegangen und habe nicht unter Ausnutzung
eines Abhängigkeitsverhältnisses
stattgefunden.
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02.07.: |
Der wegen des Lübecker
Brandanschlages vom 20.1.96 in Untersuchungshaft
sitzende Safwan Eid wird aus
der Haft entlassen. Die Haftentlassung wird
mit "durchgreifenden Zweifeln" an der
Täterschaft begründet. Am 5.7. stellt die
Jugendkammer des Lübecker Landgerichtes
demgegenüber einen "hinreichenden
Tatverdacht" fest und eröffnet ein Verfahren
wegen Brandstiftung; am 23.9. bekräftigt der
als Hauptbelastungszeuge geltende
Rettungssanitäter vor Gericht seine Aussage,
Eid habe in der Brandnacht zu ihm gesagt:
"Wir waren's".
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03.07.: |
Ein Dannenberger Amtsrichter
wertet die Teilnahme an einer verbotenen
Demonstration gegen den Castor-Transport von
1995 als eine Ordnungswidrigkeit,
vergleichbar dem Falschparken, und
verurteilt einen Demonstranten zu einer
Geldbuße von 10 DM. Es ist das vierte Urteil
dieser Art. Am 10.7. zieht die Göttinger
Staatsanwaltschaft ihren Einspruch gegen den
Freispruch eines Gleisblockierers zurück. Am
9.8. übergibt die BI Lüchow-Dannenberg der
Staatsanwaltschaft in Dannenberg 110
Strafanzeigen gegen Polizisten wegen
Übergriffen während der Demonstration am
8.8. Auf der Strecke zwischen Dannenberg und
Lüneburg wird ein 1,50 m langes
Schienenstück herausgesägt. Der Frühzug
entgleist, verletzt wird jedoch niemand. Am
7.10. werden an acht verschiedenen Stellen
in der Bundesrepublik Anschläge verübt. Es
kommt zu erheblichen Beeinträchtigungen des
Zugverkehrs. Am 10.10. zieht die
Bundesanwaltschaft alle die Anschläge
betreffenden Ermittlungsverfahren an sich
und leitet ein zentrales Verfahren nach §129a ein.
Am 15.10. gibt der
niedersächsische Innenminister Gerhard
Glogowski (SPD) bekannt, daß aus Protest
gegen die Atommülltransporte in den
vergangenen zwei Jahren bundesweit 250
Anschläge auf Bahnstrecken verübt wurden.
Vier Tage später erklärt er, in diesem Jahr
könne es keinen Atommülltransport mehr nach
Gorleben geben, da ihm zur Sicherung nicht
genügend Polizeibeamte zur Verfügung
stünden. In Norddeutschland werden am 23.10.
mehrere Anschläge auf Bahnlinien verübt, bei
denen in einem Fall ein Lokführer am Auge
verletzt wird. Die Polizei vermutet auch
hier Atomkraftgegner hinter den Anschlägen.
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04.07.: |
Nach Auskunft des
Bundesinnenministeriums wurden in Deutschland
im ersten Halbjahr 1996 insgesamt ca.
57.000 Asylbewerber registriert.
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09.07.: |
Mit 200 PolizistInnen wird in
Berlin das erste von mehreren besetzten
Häusern geräumt. Ein Jugendlicher wird
festgenommen. Am 1.8. durchsucht ein
Großaufgebot von 200 Polizisten Berlins
ältestes besetztes Haus in der Marchstraße;
die Aktion verläuft ohne Zwischenfälle. Eine
Woche später wird das Haus geräumt. Damit
ist der Westteil Berlins besetzerfrei. Am
8.10. wird ein weiteres Haus geräumt; die
nächsten drei Häuser räumt die Berliner
Polizei am 29.10. Um sich Einlaß zu
verschaffen, wird bei einem Haus die Tür
durch Beamte des SEK gesprengt. Es kommt zu
fünf Festnahmen.
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10.07.: |
Nach Mitteilung des sächsischen
Innenministeriums wurden in Sachsen seit
1990 insgesamt 1.100 Polizisten wegen
früherer Stasi-Tätigkeiten entlassen. Am
26.7. wird ein Hauptfeldwebel der Bundeswehr
nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtes
Karlsruhe aufgrund seiner Stasimitarbeit
fristlos entlassen. (Az.: 7 K 1716/96) Am
11.10. erklärt das Kasseler Arbeitsgericht
in einem Grundsatzurteil die Entlassung von
Polizeibeamten für rechtmäßig, wenn
nachträglich eine frühere Stasi-Tätigkeit
bekannt wird. (Az.: 8 AZR 351/93) Am 23.10.
entscheidet das Cottbuser Verwaltungsgericht,
daß die Untersuchungsarbeit der Stasi
nicht mit kriminalistischer Arbeit
gleichzusetzen ist. Ein in den
brandenburgischen Polizeidienst übernommener
ehemaliger MfS-Angehöriger hatte seine
Beförderung einklagen wollen. Am 25.10.
erklärt das Bundesverwaltungsgericht die
Entlassung eines Soldaten, der eine frühere
Stasi-Mitarbeit verschwiegen hatte, für
rechtens. (Az.: BVerwG 2 C 23.96)
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12.07.: |
In Mecklenburg-Vorpommern
überfallen rechtsradikale Jugendliche an
mehreren Orten Campingplätze und verletzen
Urlauber z.T. erheblich; zu einem weiteren
Überfall auf Camper kommt es am 20.7.
Ebenfalls am 20.7. wird in Sachsen-Anhalt
ein Zeltplatz überfallen; zwei jugendliche
Camper müssen im Krankenhaus behandelt
werden. Zu einem neuerlichen Überfall auf
einen Campingplatz in Mecklenburg-Vorpommern
kommt es am 30.7. Am 2.8. leitet die
Staatsanwaltschaft gegen "noch unbekannte
Polizisten" in Wolgast ein
Ermittlungsverfahren ein, nachdem bekannt
wird, daß sie bei einem Überfall von
rechtsradikalen Jugendlichen nicht
eingegriffen haben. Am 3.8. kommt es auch in
Nordrhein-Westfalen zu einem Überfall auf
einen Campingplatz, fünf Menschen werden
verletzt. In Brandenburg beginnt eine ganze
Serie fremdenfeindlicher Überfälle: Am 29.9.
werden in Eisenhüttenstadt vier Asylbewerber
und zwei portugiesische Bauarbeiter verprügelt;
am 2.10. wird in Potsdam ein
Afrikaner zusammengeschlagen; am 4.10. in
Trebbin eine Pizzeria verwüstet, zwei
Italiener werden dabei krankenhausreif
geschlagen; am 16.10 wird in Genshagen ein
Ungar krankenhausreif geschlagen. Am 24.10.
werden in Oranienburg zwei britische Studenten
zusammengeschlagen und schwer
verletzt und am 27.10. in Eisenhüttenstadt
zwei Franzosen verprügelt. Nach Angaben des
Innenministeriums wurden von Januar bis
September 320 rechtsextremistische
Straftaten erfaßt.
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15.07.: |
Der Generalbundesanwalt (GBA) läßt
unter dem Vorwurf der Werbung für eine
'terroristische Vereinigung' bundesweit die
Wohnungen von sechs mutmaßlichen
UnterstützerInnen der verbotenen Zeitschrift
'radikal' durchsuchen. Am 2.9. nimmt der
GBA offiziell die Ermittlungen nach § 129a
auf, nachdem die 'radikal' erstmals komplett
im Internet erschienen ist. Wenige Tage
später wird der Internetzugang über die
Homepage der PDS-Politikerin Angela Marquart
blockiert; aus Protest gegen diese Sperrung
nehmen weltweit 20 Großrechner die 'radikal'
in ihr Angebot auf.
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16.07.: |
Im sog. 'Tunnelgangster-Prozeß'
werden die Angeklagten zu Haftstrafen
zwischen zweieinhalb und dreizehn Jahren
verurteilt.
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17.07.: |
In Berlin räumt die Polizei die
seit längerem umstrittene Wagenburg an der
'East Side Gallery'; vier Personen werden
festgenommen. Die Errichtung einer neuen
Wagenburg drei Tage später wird von der
Polizei verhindert.
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19.07.: |
Im Prozeß gegen die mutmaßliche
RAF-Unterstützerin Monika Haas verweigert
die einstige Entführerin der Lufthansa-Maschine
'Landshut', Souhaila Andrawes, die
Aussage.
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20.07.: |
In München und Köln verhindert die
Polizei die Demonstration von Anhängern der
verbotenen türkischen Organisation 'Devrimci
Sol'. Ca. 600 Menschen werden in Gewahrsam
genommen.
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21.07.: |
Durch Vermittlung des Bonner
Geheimdienstkoordinators Bernd Schmidbauer
(CDU) tauschen Israel und die schiitische
Hisbollah-Miliz Gefangene sowie die Leichen
Gefallener aus. Am 25.10. trifft Schmidbauer
zu einer zweiten Vermittlungsmission im
Libanon ein. Er will in Verhandlungen mit
der Hisbollah den Verbleib des seit zehn
Jahren vermißten israelischen Piloten Ron
Arad klären.
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23.07.: |
Nach einem Urteil des
Bundesgerichtshofes darf die Polizei
Tatverdächtige durch Privatpersonen zu
belastenden Äußerungen verlocken lassen.
(Az.: GSSt 1/96)
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25.07.: |
Zwei junge Männer legen ein
Geständnis ab, am 16.6. im brandenburgischen
Mahlow einen farbigen Bauarbeiter aus
Großbritannien zusammengeschlagen zu haben;
der Mann liegt immer noch querschnittsgelähmt
auf der Intensivstation des
Krankenhauses.
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26.07.: |
In Zusammenhang mit einem IRA-Anschlag
in Osnabrück am 28.6. startet das
Bundeskriminalamt zum ersten Mal einen
Fahndungsaufruf im Internet.
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Otto Diederichs ist Redakteur und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP | |
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1996 HTML-Auszeichnung: Martina Kant - 27.04.1997 |