CILIP Bürgerrechte & Polizei/CILIP 55 (3/96)

Die Polizei in der Republik Tschechien seit dem Machtwechsel 1989
 
- Veränderung durch Kontinuität?

von Marian Zajícek
 
Nach dem politischen Machtwechsel im November 1989 veränderte sich die tschechische Polizei nicht nur in organisatorischer Hinsicht. Auch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit wurde schlagartig anders: Die Polizisten in den Straßen waren plötzlich freundlich und schon nach kurzer Zeit war in der Bevölkerung die nahezu vierzigjährige Angst vor der Polizei verschwunden. Die Bürger und Bürgerinnen der Tschechischen Republik empfanden dies als sehr wohltuend und das Verhältnis zur Polizei entspannte sich merklich.
 
Nach diesem anfänglichen Gefühl des 'Freiseins' sorgte eine zunehmende Kriminalität jedoch bald für ein neues Gefühl der Unsicherheit. Die einst so mächtige Polizei war machtlos geworden! Aufgrund der schlechten Erfahrungen der Vergangenheit war das neue Parlament sorgsam darum bemüht gewesen, der Polizei nicht wieder zuviel Macht einzuräumen und hatte ihre einstigen Kompetenzen erheblich beschränkt. Dies war die logische Reaktion einer postkommunistischen Gesellschaft in der ersten Zeit nach dem Machtwechsel.
 
Die Polizei in der ehemaligen CSSR
 
In der früheren CSSR unterstand die Polizei dem Innenministerium und hatte einen ausgesprochen militärischen Charakter. Es existierte ein einheitlicher Polizeistab, das 'Korps der Nationalen Sicherheit' (SNB). Diesem Korps, von dem ein Teil die 'Staatssicherheit' (StB) war, gehörten auch die Geheimdienste an, insbesondere der Nachrichtendienst (ZS), die Spionageabwehr (KR) und der Militärische Abschirmdienst (VKR).
Die damalige Polizei wurde im Grunde von der Kommunistischen Partei geführt. So war es denn auch eher der Normalfall als die Ausnahme, daß höhere Polizeioffiziere ein Amt in der Partei bekleideten. Die wichtigste Aufgabe dieser CSSR-Polizei war denn auch eine offen politische; sie hatte in erster Linie die Herrschaft der Kommunistischen Partei abzusichern und aufrechtzuerhalten. Organisatorisch untergliederte sie sich in zwei Stränge: Eine 'Abteilung für Öffentliche Sicherheit' (VB) und die bereits genannte 'Staatssicherheitsabteilung'. Zwar waren sämtliche Zweige der Polizei eng miteinander verbunden, die entscheidende Rolle spielte jedoch die 'Staatssicherheitsabteilung', deren besondere Aufmerksamkeit sich auf die sogenannten 'Inneren Feinde' richtete, also auf jene Bürger und Bürgerinnen, die es wagten, das Regime zu kritisieren.
 
Die tschechische Polizei heute
 
Wie allgemein üblich, untersteht auch die 'neue' tschechische Polizei dem Innenministerium und wird von Polizeipräsident Oldrich Tomásek vom Polizeihauptquartier in Prag aus zentral geführt - und auch an ihrem militärischen Charakter hat sich wenig geändert. Nach dem politischen Wechsel 1989 wurde der Militärische Abschirmdienst allerdings aus dem Nachrichtendienst und der Spionageabwehr herausgelöst und in das Verteidigungsministerium eingegliedert. Der Nachrichtendienst und die Spionageabwehr unterstehen nun dem 'Sicherheitsnachrichtendienst' (BIS).
Diese Trennung war Teil des Bemühens, die unterschiedlichen Polizeiabteilungen zu dezentralisieren sowie die Polizei (und die Geheimdienste) durch die Regierung und das Parlament kontrollierbar zu machen. Die politische und rechtliche Kontrolle geschieht dabei durch den Sicherheitsausschuß des Parlaments (für den Geheimdienst durch den Ausschuß zur Kontrolle des Sicherheitsdienstes). Die Untersuchung von Vergehen und/oder Verbrechen innerhalb der Polizei obliegt indes der Inspektion des Innenministeriums. Der Stab dieser Inspektion ist in den letzten Jahren allerdings mehrfach ausgewechselt worden - was auf erhebliche interne Auseinandersetzungen bei der Polizei schließen läßt.
Nachdem am 4.10.91 ein entsprechendes Gesetz1 in Kraft gesetzt wurde, erfolgten bei der 'Staatssicherheitsabteilung' etwa 12.000 Entlassungen. Weitere ca. 4.000 Beamte konnten in der Abteilung verbleiben. Da allerdings auch in der gerade entstehenden Demokratie die Aufrechterhaltung öffentlicher Ordnung gewährleistet werden mußte, wurden von diesem Gesetz jedoch nur einige Führungspositionen innerhalb der Polizei tatsächlich betroffen. Ein wichtiger Schritt hin zu einer Demokratisierung der Sicherheitskräfte war die Gründung sog. 'Bürgersicherheitskommissionen' (OBK) unmittelbar nach dem politischen Wechsel. Auf der Grundlage einer Direktive des Innenministers arbeiteten diese Ausschüsse bis zur Trennung der Tschechischen und der Slowakischen Republik im Jahre 1993. Sie waren Initiativ- und Kontrollkommissionen zugleich, die einen demokratischen Einfluß auf die Polizei ausüben sollten, Vorschläge zur Verbesserung der organisatorischen und gesetzlichen Grundlagen der Polizei einbringen konnten und die Rechtmäßigkeit ihrer Arbeit und Vorgehensweisen verfolgten. Besonders aufmerksam verfolgten die Kommissionen Gesetzesübertretungen und forderten entsprechende Wiedergutmachung.
Die Bürgersicherheitskommissionen waren ständige Beratungs- und Kontrollorgane, die unmittelbar von den Bürgern und Bürgerinnen gewählt wurden. Es waren damit echte Selbstverwaltungsorgane, die frei gewählt waren und nicht als ein Resultat der Vereinbarung von politischen Kräften entstanden. Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in den OBK war die Unbescholtenheit. Entsprechend den ursprünglichen Überlegungen sollten die Mitglieder in erster Linie Abgeordnete sein. Nach Aussagen einiger Kommissionsmitglieder wurde die Arbeit allerdings durch eingeschleuste Mitarbeiter des früheren StB erheblich behindert. Außerdem war die Führung der Polizei nicht verpflichtet, den Empfehlungen der Kommissionen zu folgen.
 
Zwar wurden mehrere Vorstöße unternommen, für die 'Bürgersicherheitsausschüsse' eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, sie blieben jedoch sämtlich ohne Erfolg. Nach der Trennung der Tschechischen und Slowakischen Republik haben die Ausschüsse nun keine rechtlichen Kompetenzen mehr. Sie bestehen allerdings in der Form eines eingetragenen Vereins auch weiterhin. Bis heute gibt es in der Tschechischen Republik jedoch kein Gesetz, das den Bürgern und Bürgerinnen eine wirksame Möglichkeit der Einflußnahme auf die Strukturen oder die Arbeitsweisen der Polizei einräumt. Beschwerden oder Veränderungsvorschläge können lediglich beim Sicherheitsausschuß des tschechischen Parlaments eingereicht werden. Dieser Ausschuß hat dann das Recht, den zuständigen Innenminister anzurufen und von ihm eine Stellungnahme zu den Fragen zu verlangen, die in den Beschwerden der Bürger angesprochen werden.
 
Roll back
 
An dieser Stelle ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß es bei der 'neuen' Polizei unterdessen verstärkt zu einer Rückkehr von früheren, belasteten Beamten kommt. Ehemaligen Kadern, die mit dem früheren kommunistischen Regime eng verbunden waren, gelingt es immer wieder, ihnen den Weg zu ebnen, indem Polizeiangehörige, die nach dem Machtwechsel im Zuge der Reformen in die 'neue' Polizei eingetreten waren, zuvor entlassen werden. Ob und in welchem Umfange ein solches 'roll back' stattfindet, hängt in erster Linie von den jeweiligen Polizeipräsidenten und Dienststellenleitern ab. Der Ablauf allerdings ist stets der gleiche: Mit dem Argument, man müsse eine steigende Arbeitsbelastung der Abteilung bewältigen, fordert man 'gute' Leute mit Erfahrung und professionellem Wissen an. Diese 'Professionellen' sind dann zumeist die 'alten Kameraden'. Auf diese Weise entstehen in der 'neuen' tschechischen Polizei zunehmend Seilschaften, die schon mit dem alten Regime zusammengearbeitet haben. Diese Gruppen üben in den Dienststellen dann direkt oder indirekt Druck auf die neuen, unbelasteten Kräfte aus. Von diesen verlassen etliche schließlich aufgrund der für sie immer unhaltbarer werdenden Zustände nach einiger Zeit bewußt die Polizei. Zum Teil werden die neuen Polizisten auch unmittelbar aus sogenannten 'Reorganisationsgründen' entlassen. Diese fatale Entwicklung zeigt unterdessen auch öffentlich bereits erste Wirkungen: Die Polizei der ehemaligen CSSR verhielt sich gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen überheblich und arrogant - und dies setzt sich heute wieder fort.
 
Das derzeit drängendste Sicherheitsproblem in der Tschechischen Republik bildet das sog. organisierte Verbrechen, dessen kriminelle Aktivitäten (z.B. durch Korruption) in alle Ebenen der Gesellschaft eindringen. Die Gefahr der Korruption ist auch innerhalb der Polizei sehr groß. Dies nicht nur wegen der niedrigen Gehälter, sondern nicht zuletzt auch wegen der desolaten Moral der Polizei; im Laufe der vierzigjährigen kommunistischen Herrschaft sind der tschechischen Polizei die moralischen Aspekte ihrer Arbeit weitgehend abhanden gekommen. In den letzten Jahren ist es in der Öffentlichkeit denn auch wieder zu einer wachsenden Verwirrung über polizeiliche Eingriffe gekommen. Es hat den Anschein, als habe die Polizei auf der Suche nach einer neuen Identität ihren Platz in der demokratischen Gesellschaft noch nicht gefunden. Gemischte Gefühle haben jedoch auch die Bürger und Bürgerinnen selbst. Einerseits nehmen sie Berichte über erfolgreiche polizeiliche Aktionen gegen Kriminelle in der Presse oder im Fernsehen sehr positiv auf; befragt man sie allerdings nach ihrem persönlichen Sicherheitsgefühl, erhält man zumeist negative Antworten. Besonders in den Großstädten - und nicht nur in Prag - erwarten die Menschen die sichtbare Präsenz von mehr Streifenpolizisten in den Straßen, die mit ausreichend Kompetenzen ausgestattet sind und wieder den entsprechenden Respekt genießen.
 
Im internationalen Rahmen kooperiert die tschechische Polizei mit INTERPOL auf dem Gebiet des organisierten Verbrechens. Darüber hinaus gibt es in konkreten Fällen eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland, mit Großbritannien und Frankreich. Weiterhin nimmt die tschechische Polizei häufig an den unterschiedlichsten praktischen Fortbildungsveranstaltungen im Ausland teil. Vor einigen Monaten eröffnete zudem das amerikanische FBI ein Zweigbüro in Prag.
 
Marian Zajícek war in den Jahren 1991 bis 1996 Polizeiangehöriger; zunächst in der Ausländerabteilung des Innenministeriums und im letzten Jahr im'Büro zur Dokumentation und Untersuchung kommunistischer Verbrechen'. Er ist heute Mitarbeiter bei 'amnesty international' in Prag und als Assistent im Auslandsausschuß der tschechischen sozialdemokratischen Parlamentsfraktion
 
Anmerkungen
(1)Gesetz Nr. 451 der Gesetzesammlung, sog. Lustrationsgesetz

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