Bürgerrechte & Polizei/CILIP 56 (1/97) | |
Berliner Polizeireformen
- Organisationsveränderungen durch Unternehmensberatung | |
von Otto Diederichs
Als die schweizerische Unternehmensberatung 'Knight-Wegenstein' 1971 damit beauftragt wurde, die Berliner Polizei zu untersuchen und Vorschläge für eine effektivere Organisation und Arbeitsplanung zu unterbreiten, hatte die Managementfirma bereits eine ähnliche Aufgabe bei der Hamburger Polizei durchgeführt.(1) Dennoch waren derartige Untersuchungen damals noch weitgehend Neuland. Heute hingegen ist es längst zu einem beliebten Mittel geworden, im Vorfeld einer polizeilichen Strukturreform externe Managmentberater mit millionenschweren Verträgen einzubeziehen(2) und damit sowohl Offenheit und Unvoreingenommenheit zu demonstrieren wie auch die eigene Reformunfähigkeit gekonnt zu überspielen. Im April diesen Jahres legte Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) den Abgeordneten des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus einen "Zwischenbericht" des Hamburger Unternehmensberaters 'Mummert+Partner' zur Reform der Berliner Polizeistruktur vor. Es ist bereits das zweite Mal, daß in Berlin eine Änderung der Polizeiorganisation auf diese Weise vorbereitet wurde. Berliner Polizeireform 1972 - 1976 Am 26. Mai 1972 um 9.00 Uhr präsentierte ein Projektteam der Polizei, das seit Oktober 1971 gemeinsam mit der schweizerischen Unternehmensberaterfirma 'Knight-Wegenstein' an einer Organisationsuntersuchung der Berliner Polizei gearbeitet hatte, dem sog. 'Kleinen Kreis' der Polizeidienstbesprechung das neue Strukturmodell. Pünktlich zur Mittagspause gegen 12.00 Uhr beschloß der Kreis, die Polizei nach diesen Vorschlägen umzustrukturieren und das Modell der Öffentlichkeit vorzustellen. Berlins damaliger Innensenator Kurt Neubauer (SPD) tat dies mit den Worten: "Über die Umorganisation braucht nicht mehr diskutiert zu werden. Sie wird durchgeführt."(3) Eine größere parlamentarische Debatte, geschweige denn eine öffentliche Diskussion hatte nicht stattgefunden.
Ausgangspunkt für die Untersuchung war der Anstieg
der polizeilichen Anforderungen: Kfz-Zulassungen etwa
hatten seit 1955 von rund 120.000 auf 485.000 jährlich
zugenommen, die statistisch erfaßten Verbrechen
waren von 70.000 auf 170.000 gestiegen, Verkehrsunfälle
von 26.000 auf 62.000 und die Zahl der Funkstreifeneinsätze
war von 113.000 auf 363.000
geklettert.(4) Die bisherigen 113 Polizeireviere im Westteil des damals noch geteilten Berlins sollten in 27 Polizeiabschnitte umgewandelt und die vormaligen 12 Polizei-Inspektionen zu fünf Polizeidirektionen zusammengefaßt werden,(7) deren Grenzen aufgrund des Berlin-Statutes mit den damaligen Sektoren der Westalliierten übereinstimmten.
Die Neuorganisation sollte durch "klare Zuständigkeiten
(...) Doppel- und Nebeneinanderarbeit verhindern"
und Verantwortung und Zuständigkeiten "nahe
an den Ort des Geschehens"
verlegen.(8) Daß die Auflösung und Zusammmenlegung der örtlichen Polizeireviere in Abschnitte und eine Konzentration auf motorisierte Streifentätigkeiten zwangsläufig dazu führen mußte, die bisherigen Kontakte der Beamten zur Bevölkerung aufzulösen, war auch den Planern klar. Als Ausgleich für den Rückzug der Polizei aus der Fläche wurde der Kontaktbereichsbeamte (Kob) geschaffen. Er sollte - von den Abschnitten aus eingesetzt, ständig Dienst in der gleichen Wohngegend, dem Kontaktbereich, verrichten - möglichst dort auch wohnen und der Bevölkerung mit der Zeit bekannt geworden, das direkte Bindeglied zwischen Polizei und Bevölkerung darstellen. Nach einigen Rangeleien mit den Polizeigewerkschaften,(11) die an der Planung nicht beteiligt worden waren, beschloß der Senat Anfang September 1973 die förmliche Umsetzung der Reform, im Februar 1974 stimmte das Parlament zu. Die Vorschläge der Gutachter waren nur in wenigen Punkten abgeändert worden. Im Herbst desselben Jahres hörte das 'Kommando der Schutzpolizei' ebenso auf zu existieren wie die 'Abteilung Kriminalpolizei'. Mit Datum vom 1.10.74 bestand die Berliner Polizei nun aus den Dezernaten 'Verbrechensbekämpfung', 'Öffentliche Sicherheit', 'Straßenverkehr', 'Lagedienst/taktischer Fernmeldedienst' und 'Dienstleistungen'. Am 1.11.74 schließlich wurde die erste Polizeidirektion eingerichtet.(12)
Ein halbes Jahr später zog der Leiter dieser Direktion,
Günther Freund, ein engagierter Befürworter
der Reform, in einem 53-seitigen "Negativkatalog"
erste Bilanz. Wesentliche Mängel, die durch die
Reform beseitigt werden sollten, hatten sich nicht
verändert und z.T. sogar verschlimmert. Zwar war
die strukturelle Reform weitgehend abgeschlossen, nicht
jedoch die Reform des Arbeits- und Führungsstils.
So setzte sich der der Wirtschaft entlehnte Leitgedanke
der 'Delegation von Verantwortung' nur schwer durch.
"Stabsstellen der höheren Ebene", so
Freund, falle es offensichtlich schwer, mit der Mischung
aus reformierten, teilreformierten und noch gar nicht
reformierten Dienststellen zu arbeiten. Ferner fehlten
Sach- und Vorgangsbearbeiter, so daß die Beamten
auch weiterhin einen Großteil der Verwaltungsarbeit
selbst zu leisten hatten und damit im Einsatzdienst
fehlten. Im Bereich 'Dienstleistungen' beklagte Freund
generell eine mangelhafte Zusammenarbeit. Fazit: "Es
blieb manch sinnvolle Maßnahme zunächst
unbekannt und weniger sinnvolle konnten nicht verhindert
werden."(13) Reform als Entsorgungsstrategie: 'Kittlaus-Lösung' 1990 - 1994 Gleichwohl änderte sich fast zwei Jahrzehnte nichts Wesentliches an der Struktur der Berliner Polizei. Im Gegenteil, entsprechend dem seinerzeitigen Reformbeschluß der Innenministerkonferenz(17) hatte das Modell über Hamburg und Berlin hinaus längst in der gesamten Bundesrepublik Fuß gefaßt.
Erst Ende der achtziger Jahre wurde die Führungsstruktur
der Berliner Polizei einer neuerlichen Reform unterzogen.
Der Grund hierfür lag jedoch nicht, wie zu vermuten
wäre, in der Ausweitung der Zuständigkeiten
der (West)Berliner Polizei auf die gesamte Stadt. Hierzu
hatte man die alte Organisationsstruktur lediglich
auf den ehemaligen Ostteil "erstreckt", wie
es im Amtsdeutsch genannt wurde.(18) Hintergrund waren
vielmehr die bereits länger andauernden Querelen
um den sowohl politisch wie innerbehördlich umstrittenen
dritten Mann in der Polizeispitze, Landespolizeidirektor
Manfred Kittlaus.(19) Im Sommer 1994 wurde die Strukturänderung schließlich als sog. 'Fünf-Säulen-Modell' offiziell vollzogen: Mit Schere und Leim hatte man das bisherige Organigramm der Polizei zerschnippelt und neu zusammengeklebt. Aus dem uniformierten Zweig der früheren 'Landespolizeidirektion' war ein 'Landesschutzpolizeiamt' geworden; die einstige 'Direktion Verbrechensbekämpfung' wurde zum 'Landeskriminalamt'; die bisherige 'Hauptabteilung Zentrale Dienste' bekam die Bezeichnung 'Landes-Polizeiverwaltungsamt' - nun allerdings ohne die Verantwortung für den Ausbildungsbereich, dieser wurde als 'Landespolizeischule' selbst zur 'Säule'. Die fünfte Säule schließlich bildete ZERV. Die Reform war somit im Grunde nichts anderes als eine Organisationsrochade, um einen sowohl politisch wie auch innerhalb der Behörde längst untragbar geworden Beamten, den man nach dem Beamtengesetz anders nicht hätte loswerden können, zu entmachten und abzuschieben. 'Mummert+Partner'- Untersuchung 1995-97 Seit knapp zwei Jahren arbeitet erneut eine Consultingfirma an einer Untersuchung der Berliner Polizeistruktur, parallel dazu etwa ebenso lange eine interne Planungsgruppe aus dem Stab des Polizeipräsidenten.(21) Den ersten Zwischenbericht des Hamburger Beratungsunternehmens 'Mummert+Partner' stellte Innensenator Schönbohm am 21.4.97 der Öffentlichkeit vor.(22) Besonders viel geht aus dem 36-seitigen Papier zwar nicht hervor - das Ergebnis ist für die Berliner Polizei gleichwohl geradezu vernichtend. Alle zentralen Versprechen der Reform von 1972 haben sich ein Vierteljahrhundert später in ihr Gegenteil verkehrt: Da ist zunächst einmal die ausgeuferte Hierarchie. Daß sie als direktes Ergebnis auf die 1972er Reform zurückgeht, ist spätestens seit 1980 bekannt, als die 'Hessische Polizeirundschau' ein Planstellenverhältnis der Vollzugspolizeien in der Bundesrepublik veröffentlichte. Fast ein Drittel der Berliner Beamten zählte demnach zum gehobenen und höheren Dienst - der Bundesdurchschnitt lag bei knapp 18,5 Prozent.(23) Bei der Kriminalpolizei war das Mißverhältnis noch deutlicher. Da wundert es nicht, daß heute allein im Landeskriminalamt für die ca. 3.430 Beschäftigten fünf Hierarchieebenen bestehen. Die Arbeitsverfahren bei der Verbrechensbekämpfung sind aufgrund der hohen Arbeitsteilung zwischen Schutz- und Kriminalpolizei und zwischen verschiedenen Dienststellen der Kripo umständlich und aufwendig - was zu hohem Verwaltungsaufwand führt. Nicht sehr viel anders auch in den Polizeiabschnitten: "Etwa ein Drittel der eingesetzten Mitarbeiter im Basisdienst sind überwiegend im Innendienst tätig. Tätigkeitsschwerpunkte (...) liegen bei Führungs- und Leitungsaufgaben sowie Aufgaben des Dienstbetriebes."
Ebenfalls düster sieht es dem Bericht zufolge im
Bereich der Technik aus. Die Unterstützung bei
der Ermittlungsarbeit, insbesondere bei der Datenverarbeitung
(DV), "ist zu gering". Der Ausstattungsstandard
bei der DV-Ausstattung, seit den 70er Jahren traditionell
ein 'Lieblingskind' aller Polizeien, gilt als "insgesamt
unzureichend". Ähnlich vernichtend sind die Berichtsergebnisse bei der Bereitschaftspolizei, der Wasserschutzpolizei, den Polizeireitern, den Diensthundeführern usw.
Noch ist die Untersuchung von 'Mummert+Partner' nicht
gänzlich abgeschlossen, und auch zu welchen Empfehlungen
sie letztlich kommen mag, wird gegenwärtig erst
in Umrissen deutlich. Die allerdings bergen für
die weitere politische Diskussion um die Berliner Polizei
mit Sicherheit Zündstoff, denn an einigen zentralen
Punkten kommt das ideologisch unverdächtige Consultingunternehmen
zu höchst interessanten Schlüssen. Etwa wenn
es erklärt: Was im Ergebnis aus der Untersuchung und deren Umsetzung in einer neuerlichen Polizeireform letztlich wird, ist derzeit noch offen. Im Herbst des Jahres soll in einer der Berliner Direktionen zunächst ein "Probelauf" stattfinden, bei dem eine veränderte Arbeitsorganisation der Polizei getestet werden soll. SchutzpolizistInnen sollen dabei u.a. mit Kripo-Beamten in gemeinsamen Dienstgruppen arbeiten.(26) Dreh- und Angelpunkt jeglicher Veränderung wird in jedem Falle eine Änderung der bisherigen Dienstzeiten sein. Eine Neuregelung der starren Schichtdienste war zuletzt 1983 versucht worden - sie scheiterte Anfang der 90er Jahre schließlich am Veto des Gesamtpersonalrates. Dieses Mal, so ist aus der GdP zu hören, werde man Änderungen der Dienstzeiten im Personalrat wohl nicht mehr 'ausbremsen', auch wenn dies durch den Wegfall von Schichtzulagen für die BeamtInnen zu gewissen Lohneinbußen führen werde: "Arbeitsplatzsicherheit geht vor Lohnerhalt", heißt es im Hinblick auf die vom Senat bereits beschlossenen 2.000 Stellenstreichungen bis zum Jahr 2000 und der weiteren Einsparpotentiale, die der 'Mummertbericht' sieht. Der 'Bund Deutscher Kriminalbeamter' (BDK) allerdings hat bereits Widerstand gegen die beabsichtigte Reform signalisiert.(27)
Otto Diederichs ist Redakteur und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP; freier Journalist in Berlin |
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Anmerkungen |
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(1) | Vgl. Die Polizei 3/72, S. 65ff. |
(2) | Kienbaum Unternehmensberatung GmbH (Hg.), Abschlußbericht Funktionsbewertung der Schutzpolizei - Studie im Auftrag des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1991; dies., Organisationsuntersuchung der niedersächsischen Landespolizei, Düsseldorf 1992; der kriminalist 9/93, S. 330ff.; Die Streife 4/97, S. 18; siehe auch: Bürgerrechte & Polizei (CILIP) 55 (3/96), S. 26ff. und S. 52 |
(3) | Deutsche Polizei 7/72, S. 57-Bff. |
(4) | Der Tagesspiegel v. 3.6.72 |
(5) | Die Polizei 8/72, S. 240 |
(6) | Der Tagesspiegel v. 3.6.72 |
(7) | Vgl. Deutsche Polizei 7/72 und Die Polizei 8/72 |
(8) | Die Polizei 8/72 |
(9) | Die Polizei 8/72 |
(10) | Vgl. Die Polizei 4/68, S. 107ff.; Die Polizei 2/72, S. 37ff.; Polizei-Technik-Verkehr 7/79, S. 354ff. |
(11) | Deutsche Polizei 7/72; Der Tagesspiegel v. 6.9.73; Der Tagesspiegel v. 13.1.73; Der Tagesspiegel v. 9.8.75 |
(12) | Der Tagesspiegel v. 26.3.74 |
(13) | Der Tagesspiegel v. 8.7.75 |
(14) | Vgl. Der Abend v. 2.10.75; Berliner Morgenpost v. 19.10.75 |
(15) | Der Tagesspiegel v. 7.8.75; Der Tagesspiegel v. 5.10.75; Frankfurter Rundschau v. 13.1.77 |
(16) | Deutsche Polizei 7/75 |
(17) | Frankfurter Rundschau v. 13.1.77 |
(18) | Vgl. Bürgerrechte & Polizei (CILIP) 37 (3/90), S. 18ff. |
(19) | Siehe hierzu: Bürgerrechte & Polizei (CILIP) 54 (2/96), S. 73 |
(20) | die tageszeitung v. 6.6.94 |
(21) | Stab des Polizeipräsidenten (Hg.), Initiative der Polizei zur verstärkten Einbindung der Schutzpolizei in die Kriminalitätsbekämpfung, Berlin, Januar 1997; Berliner Zeitung v. 28.4.97 |
(22) | Der Polizeipräsident in Berlin (Hg.), Externe Begleitung der Polizeistrukturreform. Stand der Untersuchung (nachfolgend: Mummert-Studie) |
(23) | Hessische Polizeirundschau 12/80, S. 15; Der Tagesspiegel v. 28.12.80 |
(24) | Alle Angaben nach: Mummert-Studie |
(25) | Vgl. Busch, Heiner u.a. (Hg.), Die Polizei in der Bundesrepublik, Frankfurt/M.-New York 1985, S. 410ff.; Die GRÜNEN im Bundestag/ALTERNATIVE LISTE Berlin (Hg.), "Nicht dem Staate, sondern den Bürgern dienen". Für eine bürgernahe Polizei, Bonn-Berlin 1990; Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V., 'Polizei 2000'. Gutachterliche Stellungnahme zu einer neuen Polizei unter besonderer Berücksichtigung des Konzeptes 'Polizei Hessen 2000', Berlin 1992, S. 25ff.; dies., Grundlagen für eine bündnisgrüne Politik 'Innerer Sicherheit', Berlin 1996 |
(26) | Stab des Polizeipräsidenten (Hg.), Initiative der Polizei zur verstärkten Einbindung der Schutzpolizei in die Kriminalitätsbekämpfung, Berlin, Januar 1997; Der Tagesspiegel v. 14.1.97; Berliner Zeitung v. 3.2.97 |
(27) | die tageszeitung v. 16.1.97; Berliner Zeitung v. 28.4.97; Berliner Zeitung v. 30.4.97 |
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