Bürgerrechte & Polizei/CILIP 57 (2/97) | |
Polizei und Gemeinde
- Präventionsräte als Chance? |
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von Norbert Pütter und Otto Diederichs | |
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Der Ruf nach einer 'bürgernahen' Polizei oder konkreter
nach einer 'gemeindebezogenen Polizeiarbeit' erfreut
sich allgemeiner Beliebtheit. Als eine zentralisierte,
in der Öffentlichkeit unsichtbare Institution,
in ihren Handlungen gesteuert von bürokratischen
Routinen und ausgerichtet auf die Bekämpfung von
(schwerer) Kriminalität, zeigte sich die Polizei
immer unfähiger, auf die tatsächlichen Sicherheitsprobleme
und -bedürfnisse vor Ort zu reagieren. Seit wenigen Jahren werden nun auch in der Bundesrepublik Anstrengungen unternommen, 'Sicherheit' im lokalen Kontext jenseits traditioneller Polizeiarbeit zu befördern. Während die privatwirtschaftliche Ökonomisierung öffentlicher Sicherheit in Form diverser Sicherheitsdienste aus bürgerrechtlicher Perspektive abgelehnt werden muß, weisen die Versuche, die auf BürgerInnenbeteiligung setzen, zumindest in die richtige Richtung - sofern einige Bedingungen erfüllt sind.
Sicherheit und Sicherheitsgefühl, so die Vermutung,
lassen sich nur dann im lokalen Kontext erfolgversprechend
verbessern, wenn Polizei und Gemeinde zusammenarbeiten,
gemeinsam Kriminalitäts-, aber auch Sicherheits-
und Ordnungsprobleme als solche identifizieren und
nach gemeinsamen Lösungen
suchen.(1) Kriminalpräventionsräte
Ende Oktober 1990 wurde in Schleswig-Holstein auf Anregung
des Innenministers mit dem 'Rat für Kriminalitätsverhütung'
die erste Einrichtung dieser Art in der Bundesrepublik
gegründet.(3)
Das benachbarte Ausland hat hier z.T.
eine weitaus längere Tradition. Bereits seit Ende
der siebziger Jahre gibt es dort vielfältige kriminalpräventive
Ansätze auf kommunaler Ebene.(4)
Hessen richtete im Herbst 1992 den 'Hessischen Präventionsrat'
ein. Ähnlich wie in Schleswig-Holstein gehören
ihm neben Privatleuten Beamte des Innen- und Justiz-,
Kultus-, Jugend-, Arbeits- und Wohnungsbauministeriums
an.(7) Ebenfalls
1992 stellte Brandenburg ein Programm
vor (8) und
begann mit der Einrichtung von
Präventionsräten.(9)
1997 sollen in verschiedenen Berliner Bezirken Präventionsräte
gebildet werden;(10) der
erste am 27. August im Bezirk
Wedding.(11)
Landespräventionsräte haben die Aufgabe, die
überörtliche Entwicklung von Kriminalität
und ihre Entstehungsbedingungen zu analysieren, in
kriminalpolitischen Fragen zu beraten und wissenschaftliche
Erkenntnisse sowie praktische Erfahrungen zu vermitteln.
Sie können (und werden dies vermutlich auch müssen)
Schwerpunkte setzen und als Koordinierungsorgan für
kommunale Räte dienen. "Es sind Ergänzungen
zur Polizei und zur Strafjustiz, Gremien, die Quellen
für Straftaten ortsnah und unbürokratisch
aufspüren und an der Verstopfung dieser Quellen
mitarbeiten".(16)
Kriminalprävention soll in
erster Linie Verbrechensverhütung durch Einflußnahme
auf die Gesellschaft und potentielle Opfer (und Täter)
leisten.(17)
Der Erfolg von Vorbeugungsprogrammen ist
deshalb stark abhängig davon, ob es gelingt, die
(lokalen) Entstehungszusammenhänge von Kriminalität
zu erkennen, sie aufzuarbeiten und 'gegenzusteuern'.
Dabei ist vorrangig an die Erarbeitung von Programmen
zu denken, die Tatgelegenheiten oder -anreize erkennen
und durch Aufklärung reduzieren können (z.B.
Fahrraddiebstahl). Voraussetzungen Versuche, die Polizei stärker an die Menschen, zu deren Schutz sie tätig werden soll, heranzubringen, sind zunächst grundsätzlich zu begrüßen. Eine 'bürgernahe' und 'gemeindeorientierte' Polizei beschreibt jedoch nur die Richtung notweniger Veränderungen. Damit die Modelle mehr liefern als Stichworte polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit und BürgerInnen mehr werden als 'ear and eye of the police', müssen einige Kriterien erfüllt werden. Erstens: Den neuen Konzepten gemeinsam ist zumeist eine eher naive, nostalgische Vorstellung von Gemeinde.(18) Der Gemeindebegriff folgt nicht nur dem der kommunalen Veraltungsbezirke, er unterstellt zudem einen lokalen Handlungsraum, der gegenüber der Mobilität seiner BewohnerInnen wie gegenüber der Verflechtung unterschiedlicher sozialräumlicher Beziehungen eher die dörfliche Welt vergangener Jahrhunderte als die verstädterte der Gegenwart voraussetzt. Zweitens: Nicht nur sozialräumlich, sondern auch sozialstrukturell müßte lokal genauer bestimmt werden, welche Personen die Gemeinden bilden. Daß AusländerInnen in diesem Sinne zur Gemeinde gehören, ist offensichtlich. Die demokratische (und wohl auch probemlösende) Qualität der kommunalen Modelle wird sich daran bemessen, wie es ihnen gelingt, gesellschaftliche Randgruppen zu integrieren.(19) Möglichst viele gesellschaftliche Gruppen und Institutionen sollten vertreten sein. Neben Schulen, Kirchen, Sozialdiensten (auch freie Träger) etc. ist insbesondere auch die Beteiligung von potentiellen Betroffenen(gruppen) anzustreben. Hierzu zählen neben Frauen und Ausländergruppen (auch Flüchtlinge) z.B. auch Drogenabhängige oder Obdachlose etc. Gelingt eine Beteiligung dieser Gruppen nicht, dann besteht die Gefahr, daß sich die Sicherheitsstandards nur zugunsten wohlorganisierter und auch in Sicherheitsfragen privilegierter Gruppen verschieben. Die schnelle Aufmerksamkeit, die viele Räte dem Ladendiebstahl widmen, deutet auf derartige Gefahren hin. Drittens: Die meisten Initiativen gehen von der Polizei bzw. von den Innenverwaltungen aus. Die Rolle, welche die Polizei in den Räten einnimmt, ist dabei jedoch nicht einheitlich. Sollen die Räte nicht zu polizeilichen Hilfseinrichtungen verkommen, dann ist es erforderlich, den polizeilichen Einfluß auf sie zurückzunehmen. Die Federführung muß bei den Kommunen selbst liegen. Die Anbindung an die Polizeiabteilungen der Innenministerien oder die Geschäftsführung durch Polizisten ist abzulehnen. Zudem sind die Räte mit Kompetenzen auszustatten, die ihren Vorschlägen Nachdruck verleihen (z.B. Anhörungs- und Antragsrecht im Gemeinderat). Viertens: 'Gemeindeorientierte Polizeiarbeit' in der Version der Präventionsräte scheint die Polizei unverändert zu lassen. Probleme werden allenfalls als Ausbildungsprobleme thematisiert. Dabei dürften lokale Kompetenzen und Handlungsoptionen (gerade für die beteiligten Polizeien) von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Programme sein. Ein ansonsten unverändertes Polizeisystem (Legalitätsprinzip, Bürokratisierung, zentralisierte Entscheidungsstrukturen) kann durch kommunale Räte kaum von seinen Mängeln befreit werden. Eine bürgerorientierte Polizeiarbeit auf Gemeindeebene setzt eine entsprechend veränderte Polizei voraus. Ansätze hierzu sind aber nicht erkennbar. Modelle
Die 'gemeindebezogene Polizeiarbeit' setzt an einem
wunden Punkt unseres Systems Innerer Sicherheit an.
Ihre Vorschläge, die auf weniger Staat bei der
Formulierung von Zielen, weniger polizeilich-bürokratische
Dominanz und mehr bürgerschaftliche Beteiligung
zielen, ziehen die richtigen Konsequenzen. Allerdings
zeigt die Liste der Fragen, daß über Erfolge
und Mißerfolge, erwünschte und unerwünschte
Folgen nicht die sympathische Rhetorik, sondern die
konkreten Institutionalisierungen und Aktivitäten
vor Ort entscheiden. Erforderlich ist deshalb zweierlei:
Unter Berücksichtigung der genannten Probleme
möglichst viele verschiedene Modelle an möglichst
vielen und verschiedenen Orten zu realisieren. (Sofern
die öffentlichen Haushalte noch Geld für
eine weniger perspektivlose Politik Innerer Sicherheit
ausgeben wollen, dann sollten sie es hier tun.) Und
zweitens sind die Modelle von unabhängiger Seite
zu begleiten. Ihre Resultate müssen der öffentlichen
Diskussion zugänglich gemacht werden.
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Norbert Pütter ist Redaktionsmitglied und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP Otto Diederichs ist Redakteur und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP; freier Journalist in Berlin |
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Anmerkungen |
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(1) | Siehe: die Gegenüberstellung bei Manning, Peter K., Community Policing, in: Dunham, Roger G./Alpert, Geoffrey P. (eds.): Critical Issues in Policing, Prospects Hights 1989, S. 402 |
(2) | Greene, Jack R., Gemeindebezogene Polizeiarbeit, in: Feltes, Thomas/Rebscher, Erich (Hg.), Polizei und Bevölkerung, Holzkirchen/Obb. 1990, S. 106 |
(3) | Presseerklärung der Landesregierung Schleswig-Holstein v. 29.10.90 |
(4) | Ausführlich: Rat für Kriminalitätsverhütung in Schleswig-Holstein (Hg.), Kommunale Kriminalitätsprävention - Chancen durch kommunale Räte für Kriminalitätsverhütung (Dokumentationsreihe Bd. 2), Kiel 1993, S. 20ff.; ders., Projekte der Kriminalitätsverhütung in Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien (Dokumentationsreihe Bd. 4), Kiel 1994, S. 5ff.; Feltes, Thomas, (Hg.), Kommunale Kriminalprävention - Modelle und Erfahrungen, in: Texte der Fachhochschule für Polizei Baden-Württemberg Nr. 3/94, S. 29ff. |
(5) | Innenministerium Schleswig-Holstein, Kabinettsvorlage v. Februar 1990, S. 4 |
(6) | Ausführlich: Finkel, Roland, Kriminalitätsverhütung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, in: Gössner, Rolf (Hg.), Mythos Sicherheit, Baden-Baden 1995, S. 415ff. |
(7) | Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.10.92 |
(8) | Innenministerium Brandenburg, Konzertierte Aktion des Innenministers des Landes Brandenburg, Alwin Ziel, "Kommunale Kriminalitätsverhütung" |
(9) | Vgl. info 110, Nr. 1/96, S. 4-8 |
(10) | Berliner Zeitung v. 23.2.97; Berliner Zeitung v. 23.2.97; Berliner Zeitung v. 29.7.97 |
(11) | Berliner Morgenpost v. 5.8.97 |
(12) | Der Tagesspiegel v. 14.7.94 |
(13) | Niedersächsisches Innenministerium, Kabinettsvorlage (Entwurf der interministeriellen Arbeitsgruppe "Kriminalprävention") v. 3.5.95 |
(14) | der kriminalist 1/96, S. 42 |
(15) | Feltes, Thomas (Hg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg. Erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung von drei Pilotprojekten, Holzkirchen/Obb. 1995 |
(16) | Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 2/93, S. 147 |
(17) | Siehe: Schneider, Hans/Stock, Jürgen, Kriminalprävention vor Ort. Möglichkeiten und Grenzen einer von Bürgern getragenen regionalen Kriminalprävention unter besonderer Würdigung der Rolle der Polizei, Holzkirchen/Obb. 1995; Hammerschick, Walter/Karazman-Morawetz, Inge/Stangl, Wolfgang (Hg.), Die sichere Stadt. Prävention und kommunale Sicherheitspolitik, Baden-Baden 1996 |
(18) | Siehe hierzu: Kriminologisches Journal 4/87, S. 269ff.; Kriminalistik 3/88, S. 128ff.; Neue Kriminalpolitik 1/95, S. 16ff. |
(19) | Feltes, Thomas, Zur Einführung: Kommunale Kriminalprävention und bürgernahe Polizeiarbeit, in: Ders. (Hg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg, Holzkirchen/Obb. 1995, S. 24 |
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1997 HTML-Auszeichnung: Martina Kant - 05.09.1997 |