Bürgerrechte & Polizei/CILIP 57 (2/97) | |
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Lisken, Hans/Denninger, Erhard (Hg.): Handbuch des Polizeirechts,
(Beck) München 1996 (2. Auflage), 998 S., DM 226,- Warum nach nur vier Jahren eine neubearbeitete und erweiterte Auflage des fast 1.000 Seiten umfassenden Handbuchs erforderlich wurde, wird bereits beim kursorischen Blick durch seine Beiträge deutlich: Von der Neuauflage des 'Programms Innerer Sicherheit' der Innenministerkonferenz (1993) bis zur Novellierung der Polizeigesetze in Sachsen und Bayern (beide 1994), von den StPO-Erweiterungen durch das OrgKG (1992) und das Verbrechensbekämpfungsgesetz (1994) bis zum Geldwäschegesetz (1993), vom neuen BGS-Gesetz (1994) bis zum Inkrafttreten von 'Schengen' (1995) und dem Aufbau von Europol (seit 1994). Die das Polizeirecht und die polizeiliche Praxis mitbeeinflussenden rechtlichen und institutionellen Vorkehrungen haben in wenigen Jahren (weitere) Veränderungen erfahren, die nicht nur quantitativ, sondern auch wegen ihrer Bedeutung eine erweiterte Neuauflage rechtfertigen. Über die 'Polizeiliche Zusammenarbeit in Europa' (Mokros) wurde ein neues Kapitel hinzugefügt. Das Handbuch, so die Herausgeber in ihrem Vorwort, will nach "verfassungskonformen und zugleich praktikablen Lösungen" im Polizeirecht suchen. Diese bereits die erste Auflage kennzeichnende Absicht, die verfassungsrechtlichen Vorgaben als kritische Folie der (Polizei)Rechtskommentierung zu nehmen, sich aber gleichzeitig nicht auf juristische Ableitungen zu beschränken, sondern polizeiliche Praxis zur Kenntnis zu nehmen, wird durch die genannten Entwicklungen besonders gefordert. Einige Beispiele: Lisken ("Polizei im Verfassungsgefüge") spricht angesichts der durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz legalisierten Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes an polizeilichen Aufgaben von "Unverträglichkeiten mit den Grundrechten und grundrechtsgleichen Verfahrensrechten" (S. 94); im selben Beitrag wird die Ausweitung der Aufgaben des Bundesgrenzschutzes kritisch kommentiert, weil sie drohe, "das föderale Machtverteilungsgefüge ... durch einfache Gesetzgebungsakte (zu) unterlaufen" (S. 99). In ihren Ausführungen über "Rechtsstaatliche Grundlagen" gehen die beiden Herausgeber auch auf die erheblich variierenden Bestimmungen über den Einsatz Verdeckter Ermittler in den Polizeigesetzen und in der StPO ein. Aber, so die Autoren, mögen die Schwellen noch so "fließen", die Einsatzbereiche noch so "uferlos" formuliert sein, es könne "bei verfassungskonformer Normanwendung nur bei konkreten Gefährdungen höchster Rechtsgüter zum Einsatz 'verdeckter Ermittler' mit Eingriffstätigkeiten kommen". Und kategorisch: "Die Freiheit des einzelnen ist ohne Störungsindiz polizeifest." Die Liste könnte beliebig verlängert werden: Rachors ("Polizeihandeln") Würdigung der bayerischen 'Schleierfahndung' (S. 318ff.), Kniesels ("Versammlungswesen") Erörterung der Bannmeilen-Diskussion (S. 515), Bäumlers ("Polizeiliche Informationsverarbeitung") Auseinandersetzung mit der Rasterfahndung (S. 666ff.) oder mit verdeckten Methoden (S. 677ff.) in der StPO: Durchgängig wird der Finger auf demokratischrechtsstaatlich besonders problematische Entscheidungen der Gesetzgeber gelegt. Für alle, die rechtlich auf der Höhe der Zeit sein wollen, ist und bleibt der 'Lisken/ Denninger' eine unverzichtbare Lektüre und in seiner Fülle ein wertvolles Nachschlagewerk. Durch die erheblich ausgeweiteten Verweise auf die jeweiligen Paragraphen (vor allem der vielen Landespolizeigesetze) wurden Aussagekraft und Anwendungsbereich des Handbuchs erheblich gesteigert.
Demgegenüber sind nur Kleinigkeiten kritisch anzumerken:
Stichproben zeigen, daß das Register nicht ganz
korrekt ist (VE-Begriff bei J 391 und nicht bei J 399ff.);
als Quelle der OK-Richtlinien (u.a. S. 227) könnte
man unterdessen auf den Anhang bei Kleinknecht/Meyer-Goßner
statt auf das nordrhein-westfälische Ministerialblatt
verweisen; die Verabschiedung des brandenburgischen
Polizeigesetzes wurde zwar noch bei den "Fundstellen
der deutschen Polizeigesetze" berücksichtigt,
aber noch nicht in den Beiträgen (etwa S. 29,
48, 152). Das berührt bereits die beiden Grundprobleme
des Unternehmens: Sein dauerhaftes Nachhinken hinter
den Veränderungen und sein Preis. Mittlerweile
ist das BKA-Gesetz novelliert, Polizeirechtsänderungen
werden allenthalben unternommen (Baden-Württemberg,
Sachsen, Niedersachsen), die Europol-Konvention kommt
unweigerlich etc. Die dritte Auflage dürfte alsbald
fällig sein. Und es dürften nur wenige sein,
die sich alle paar Jahre ein wichtiges Buch für
mehr als 200 DM leisten können, in dem vielleicht
'nur' 100 Seiten neu geschrieben oder überarbeitet
wurden. Für die Fortsetzung wäre eine Loseblattsammlung
wohl die bessere Lösung. Schließlich, im
Hinblick auf den Umfang mehr als verständlich,
haben die Herausgeber bei der neuen Auflage auf den
Abdruck von Gesetzestexten verzichtet. Da es bereits
seit Jahren keine akutelle Sammlung der deutschen Polizeigesetze
gibt, sollte es nicht (auch) für den Verlag lohnend
sein, das Handbuch durch eine entsprechende Gesetzessammlung
(aber bitte als Taschenbuch) zu unterstützen?
Joubert, Chantal/Bevers, Hans: Schengen investigated. A Comparison of the Schengen Provisions on International Police Cooperation in the Light of the European Convention of Human Rights (Kluwer Law International), Den Haag, London, Boston 1996, 620 S., hfl. 265,-
Die Polizeikooperation über die nationalen Grenzen
zwischen den westeuropäischen Staaten hat in den
vergangenen Jahren massiv zugenommen. Trotz Schengener
Abkommen und weiterer Verträge im EU-Rahmen bleibt
diese Kooperation allerdings in einem rechtlich zweifelhaften
Rahmen. Joubert und Bevers zeigen nicht nur die dünne
Decke des internationalen Rechts, sondern auch die
Unterschiedlichkeiten der Bestimmungen auf nationaler
Ebene in den fünf ursprünglichen Schengen-Vertragsstaaten
(B, NL, L, F, D). Insbesondere bei den verdeckten Polizeimethoden
von der Observation über den Einsatz von V-Leuten
und verdeckten Ermittlern bis hin zu kontrollierten
Lieferungen und Lauschangriffen stellen sie fest, daß
selbst auf nationaler Ebene polizeiliche Eingriffe
oft gar nicht oder nur aufgrund von internen Anweisungen
reguliert sind. Die Bundesrepublik ist dabei geradezu
ein Musterland an Regelungsdichte und erfüllt
insofern am ehesten noch die von der Europäischen
Menschenrechtskonvention geforderten Standards. Allerdings
stellt sich die Frage, ob eine verstärkte Verrechtlichung
und eine Interpretation der Normen durch den Europäischen
Gerichtshof größere Rechtssicherheit schaffen
kann, wie die Autoren empfehlen. Angesichts der von
ihnen selbst hervorgehobenen realen Grenzen der richterlichen
Kontrolle von verdeckten Methoden bleibt diese Empfehlung
hilflos.
Hailbronner, Kay (Hg.): Zusammenarbeit der Polizei- und Justizverwaltungen in Europa. Die Situation nach Maastricht - Schengen und SIS (Kriminalistik - Wissenschaft & Praxis, Bd. 33), (Kriminalistik Verlag) Heidelberg 1996, 150 S., DM 84,- Würz, Karl: Das Schengener Durchführungsübereinkommen. Einführung, Erläuterungen, Vorschriften (Richard Boorberg Verlag) Stuttgart, München u.a. 1997, 285 S., DM 58,- Der Band von Hailbronner dokumentiert die Beiträge einer Fachtagung der Europäischen Rechtsakademie Trier im September 1995. Der international zusammengesetzte ReferentInnenkreis stammt überwiegend aus den Innen- und Justizverwaltungen und anderen Institutionen der 'Inneren Sicherheit'. So wundert die Homogenität der dokumentierten Beiträge nicht: Man ist sich einig, daß die Öffnung der Grenzen zu einem "kriminalgeographisch offenen Raum mit internationaler organisierter Kriminalität" führt (S. 3) und darum eine verstärkte Zusammenarbeit der Polizeien und Justizbehörden notwendig sei. Ausgehend von dieser Überzeugung beklagen die ReferentInnen für ihr Ressort fast ausnahmslos die fehlenden oder begrenzenden Regelungen bspw. für Auslieferung, polizeiliche Nacheile, grenzüberschreitende hoheitliche Befugnisse der Polizei oder die fehlenden Ermittlungskompetenzen für Europol. Kritische Töne sucht man vergebens. Zwar bemängelt ein spanisches Mitglied des Europaparlaments (EP) die fehlende Beteiligung des EP durch Verhandlungen auf Regierungsebene und fordert daher die Einbettung des Schengen-Vertrages in die EU-Gesetzgebung. Ansonsten spielen Demokratiedefizite und Gefährdungen von Bürger- und Menschenrechten durch die europäische Zusammenarbeit von Justiz und Polizei eine eher untergeordnete Rolle. Der einzige kritische Beitrag der Tagung, der des Datenschutzbeauftragten von Sachsen-Anhalt, fehlt in dem Band. Warum, darüber darf spekuliert werden. Lediglich in der Tagungszusammenfassung erfährt der/die LeserIn von der Existenz dieses Referats und etwas über die darin erwähnten Datenschutzmängel beim Schengener Informationssystem und bei Europol. Entscheidende Impulse für die Diskussion über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, wie der Staatssekretär im Bundesinnenministerium Kurt Schelter in der Eröffnungsansprache vollmundig ankündigte, werden von diesem Tagungsband sicherlich nicht ausgehen.
Bei dem Buch von Würz zum 'Schengener
Durchführungsübereinkommen'
(SDÜ) handelt es sich um ein Nachschlagewerk für
baden-württembergische PolizeibeamtInnen zu den
Regelungen und zur Anwendung des Schengener Vertragwerks.
Im ersten Teil wird äußerst knapp anhand
der Stichworte Interpol, TREVI, Europol und Schengen
die Entwicklung der europäischen Zusammenarbeit
auf dem Gebiet der 'Inneren Sicherheit' skizziert.
Die wichtigsten Regelungen des SDÜ für den
polizeilichen Bereich erläutert Würz im zweiten
Teil. Im Anhang des Bandes sind das Gesetz zum SDÜ,
die Empfehlung R (87) 15 über die Nutzung personenbezogener
Daten im Polizeibereich sowie das Europol-Übereinkommen
von Juli 1995 dokumentiert. Der erläuternde Teil
bietet auch Nicht-PolizistInnen interessante Einblicke
in die polizeilichen Verfahrensweisen bei der Anwendung
des Schengener Abkommens bspw. beim Informationsaustausch,
bei der grenzüberschreitenden Observation und
Nacheile und bei der Handhabung des 'Schengener Informationssystems'
(SIS). Kompakt und übersichtlich werden einzelne
Befugnisse - wohlgemerkt immer im Zusammenhang mit
dem baden-württembergischen Polizeigesetz - dargestellt
und Verfahrenswege erklärt. Eine kritische Betrachtung
des Schengener Vertragwerks darf man auch von diesem
Buch nicht erwarten. Die ebenfalls bei Würz angesprochene
Kritik am Demokratiedefizit beim Zustandekommen der
Schengener Verträge wird mit der ansonsten drohenden
außenpolitischen Handlungsunfähigkeit -
verfassungsgerichtlich unterstützt - als "fehlgehend"
abgetan (S. 34). Auch die Schengener Datenschutzregelungen
würden, so Würz, über den bisherigen
Datenschutzstandard hinausgehen (S. 118). Der Autor
scheint allerdings unter Datenschutz den Schutz der
Daten vor den Betroffenen zu verstehen, wenn er hinsichtlich
der fehlenden Auskunftsrechte bei der verdeckten Registrierung
im SIS schreibt: "Insoweit ist das SDÜ weitergehender
als die nationalen Datenschutzbestimmungen, die auch
bei einer Ausschreibung zur Polizeilichen Beobachtung
die Prüfung der Auskunftserteilung im Einzelfall
vorschreibt." (S. 143) Unklar bleiben die Befugnisse
der Geheimdienste im SIS, die Übermittlung von
Daten an Nicht-Schengen-Staaten und der Datenschutz
der SIRENE-Daten. Um sich über die Funktionsweise
und Abläufe der polizeilichen Zusammenarbeit im
Rahmen von Schengen zu informieren, ist das Buch dennoch
geeignet. Ein weiteres Nachschlagewerk zu Europol soll,
so ist im Vorwort zu lesen, demnächst folgen.
Tolmein, Oliver: "RAF - Das war für uns Befreiung". Ein Gespräch mit Irmgard Möller über bewaffneten Kampf, Knast und Linke (Konkret Literatur Verlag), Hamburg 1997, 270 S., DM 32,-
Auch nach 23 Jahren Haft als RAF-Gefangene will Irmgard
Möller sich nicht mit dem System arrangieren.
Für sie persönlich ist der bewaffnete Kampf
zwar beendet, doch das ändert nichts daran, daß
die Grundsatzentscheidung richtig war - gegen den Nachfolgestaat
des Nazifaschismus zu kämpfen, sich mit den Befreiungsbewegungen
in der Dritten Welt zu solidarisieren. Kritische Fragen
prallen an ihr ab und werden empört zurückgewiesen.
Das gibt den Gesprächsprotokollen zwischen Irmgard
Möller und dem Journalisten Oliver Tolmein etwas
Gespenstisches.
Meyer, Till: Staatsfeind. Erinnerungen (Hoffmann und Campe Verlag), Hamburg, 1996, 474 S., DM 44,-
Im Januar 1992 bekannte sich Till Meyer, einstiges Mitglied
der 'Bewegung 2. Juni' und einer der 'Lorenz-Entführer',
in einem Beitrag von 'Spiegel-TV' offensiv zu seiner
Mitarbeit bei der Stasi. Im Herbst letzten Jahres erweiterte
Meyer seine Bekenntnisse um die Zeit im terroristischen
Untergrund und legte seine Autobiografie vor. Daß
diese offenbar nicht ganz ohne Einflußnahme von
außen entstanden ist, merken nur jene, die ihn
kennen, wenn sich immer wieder urprivate Geschichten
und Geschichten durch das Buch ziehen. Ohne den Druck
der Marketing-Abteilung wären sie kaum miteingeflossen
- das ist eigentlich nicht Meyers Ding. Schon aus Hollywood
wissen wir jedoch, daß auch ein 'straighter fighter'
eine gefühlige Seite braucht, auch wenn die ansonsten
zur Geschichte nichts beiträgt. Nun denn!
Als Psychogramm eines Menschen, der stets mit sich im
reinen ist, sind die Memoiren des Till Meyer sicherlich
aufschlußreich; als Beitrag zur Auseinandersetzung
um militante Politik sind sie kaum zu gebrauchen.
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1997 HTML-Auszeichnung: Martina Kant - 05.09.1997 |