Bürgerrechte & Polizei/CILIP 57 (2/97) | |
Reformen Innerer Sicherheit
- Über die Notwendigkeit von Veränderungen |
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von Norbert Pütter | |
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Noch nie schien sie so wichtig wie heute - und noch
nie waren ihr Scheitern und ihre verheerenden Folgen
so offensichtlich: 'Innere Sicherheit' ist längst
in den Strudel vordergründiger politischer Kampagnen
geraten, in denen der Knüppel staatlicher Repression
zum Allheilmittel gesellschaftlicher Probleme gekürt
wird. Während die Schar der WählerInnenfänger
ausschwärmt und die immergleiche Melodie vom starken
Staat, vom Durchgreifen, von der sprichwörtlichen
Ruhe und Ordnung etc. pfeift, wird eine demokratisch-bürgerrechtlich
orientierte 'Politik Innerer Sicherheit' nötiger
denn je. Wer den Blick in die Tagesnachrichten noch wagt, wird nicht enttäuscht. Die Regierenden bleiben sich treu. Die Beispiele könnten Seiten füllen. Ob der Justizminister höhere Strafen für Jugendliche fordert oder der Drogenbeauftragte der Bundesregierung Eduard Lintner die kontrollierte Heroinabgabe an Süchtige ablehnt, ob Bundesinnenminister Manfred Kanther beim PKK-Verbot bleibt oder der strafrechtliche und polizeiliche Kampf gegen Korruption, Schleuser, Schwarzarbeiter, Graffiti-Sprayer forciert werden soll: Bedrohungsszenarien und Kriminalisierungsforderungen überziehen das Land. Einer alten Tradition gemäß proben Sozialdemokraten die entsprechende Profilierung. Gerhard Schröders Parole zum Umgang mit straffällig gewordenen Ausländern zeigt, welche Alternativlosigkeit eine Regierung unter seiner Verantwortung verspricht.
Wer den starken Staat im Feld der Inneren Sicherheit
predigt, der muß ihm auch starke Arme verleihen.
Da das in Zeiten knapper Kassen nicht mit mehr Personal
zu bewerkstelligen ist, werden die Apparate mit anderen
Mitteln gestärkt: Man öffne ihnen die Türen
in den kriminellen Untergrund (Verdeckte Ermittler
nun auch im Polizeirecht in Niedersachsen), man schaffe
Eingriffsmöglichkeiten ohne Voraussetzungen (Schleierfahndung
in Baden-Württemberg und Bayern), man verlagere
Aufgaben und Kompetenzen auf diffuse europäische
Einrichtungen (Schengen, Europol). Alternativen? Gerade weil ein Ende der ökonomischen und gesellschaftlichen Krise nicht in Sicht ist, weil deshalb zu erwarten ist, daß der politische Ge- und Mißbrauch der Apparate Innerer Sicherheit weiter zunehmen wird, sind demokratische Reformen dringend erforderlich. Eine demokratische Politik, die Schutz und Sicherheit der BürgerInnen zum Gegenstand hat, muß dabei von der demokratisch-grundrechtlichen Selbstverständlichkeit ausgehen, die von der gegenwärtigen Politik absichtsvoll ausgeblendet wird: Gegenstände, Zuständigkeiten und Apparate Innerer Sicherheit sind grundsätzlich nachgeordneter Natur. 'Innere Sicherheit', der Bereich des Straf- und Polizeirechts, markiert eine Art letzte Verteidigungslinie der Gesellschaft. Sie wird erst dort erreicht bzw. überschritten, wo alle anderen Vorkehrungen, Regelungen oder Instanzen versagen und sich die gefährdeten Phänomene überhaupt dazu eignen, durch straf- oder polizeirechtliche Vorschriften und ihnen folgende Maßnahmen angemessen beantwortet zu werden. Polizei und Strafverfolgung haben in einer demokratischen Gesellschaft dort ihren Platz, wo auf Gefahren und/oder bestimmte Verhaltensweisen nicht anders als durch staatliche Gewalt- und Strafandrohung reagiert werden kann.
Für eine demokratische 'Politik Innerer Sicherheit'
ergeben sich aus dieser Positionsbestimmung zwei unmittelbare
Konsequenzen. Zum ersten muß sie dauerhaft ihre
eigene Begrenzung betonen. Statt jedes Delikt zum Anlaß
zu nehmen, um schärfere Strafen, härteres
Durchgreifen und mehr Kompetenzen zu fordern, zeichnet
sich demokratische Politik dadurch aus, daß sie
Ursachen benennt, Zusammenhänge deutlich macht,
Einzelfälle als solche würdigt und situations-
und kontextangemessene Antworten anbietet. Statt ausgreifender
Kriminalisierung muß sie dauerhaft auf dem vorgängigen
Gestaltungsauftrag anderer Politikfelder bestehen.
Eine demokratische Kriminalpolitik ist deshalb gleichbedeutend
mit möglichst wenig Kriminal(isierungs)politik. Reformen
Die gegenwärtigen Änderungen im Bereich der
Inneren Sicherheit stehen unter dem Primat bürokratischer
Effizienz. Der Dreiklang aus Vorwärtsverrechtlichung,
Europäisierung und öffentlichen Haushaltsproblemen
böte zwar ausreichend Anlaß, auch über
Reformen, die diesen Namen verdienen, nachzudenken,
aber die Symbiose zwischen den Sicherheitsapparaten
und einer Politik, die gesellschaftliche Phänomene
bevorzugt in die kriminalpolitische Ecke abschiebt,
scheint dem entgegen zu stehen.
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Norbert Pütter ist Redaktionsmitglied und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP |
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Anmerkungen |
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(1) | Vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP/Diederichs, Otto (Hg.), Hilfe Polizei. Fremdenfeindlichkeit bei Deutschlands Ordnungshütern, Berlin 1995, S. 70ff.; Frankfurter Rundschau v. 4.7.97 |
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