![]() |
Bürgerrechte & Polizei/CILIP 58 (3/97) |
Alternatives Sicherheitskonzept für Städte und Gemeinden
- Gemeinsam Sicherheit herstellen(1) |
|
| |
von Renate Künast | |
| |
Eine Vielzahl von Vorfällen und Phänomenen
in ihrem Wohn- und Lebensumfeld wird von Bürgerinnen
und Bürgern als Unsicherheitsfaktor empfunden.
Dazu gehören neben kriminellen Handlungen auch
unerwünschte Ansprachen und Belästigungen,
Rücksichtslosigkeiten, Lärm, Überforderung
im Straßenverkehr, Zeichen von Zerstörung
und Verfall. Es muß zu den vorrangigen Interessen
der Städte gehören, mehr an tatsächlicher
Sicherheit herzustellen und subjektive Unsicherheitsgefühle
der BürgerInnen abzubauen. Vielerorts wird heutigentags propagiert, mit Aktionen für eine "Saubere Stadt" (d.h. gegen Graffiti, Wagenburgen, Obdachlose und Betteln) werde das Problem Kriminalität tatsächlich beseitigt. Doch selbst bei einer Steigerung des Sicherheitsgefühles in einzelnen Stadtbereichen oder in den Innenstädten, ist Nebeneffekt die Verlagerung von Kriminalität oder des devianten Verhaltens. In den USA haben sich infolge der zunehmenden Kriminalisierung die Gefangenenzahlen verdoppelt. Eine Aktion "Saubere Stadt" kann schon deshalb kein befriedigendes Konzept sein.
Statt die Mittel der Repression auszuweiten, muß
der Versuch unternommen werden, die tatsächliche
Sicherheit und das Sicherheitsgefühl in den Städten
durch eine andere Sicherheitspolitik zu erhöhen.
Dies ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Sicherheitsnetze und Sicherheitsräte, wie sie Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) propagiert, sind nichts anderes als eine Legitimation der Ausdehnung von Polizei- oder BGS-Arbeit. Soweit BürgerInnen daran beteiligt werden sollen, stellt er sich diese als HilfsbeamtInnen, als Wurmfortsatz seiner Truppen vor.
Ein alternatives Sicherheitskonzept setzt andere Schwerpunkte:
Beteiligung der BürgerInnen bei der Konfliktbewältigung Die Beteiligung direkt Betroffener oder auch allgemein die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Gestaltung ihres Wohn- und Lebensumfeldes ist eine demokratische Selbstverständlichkeit. Vielfach wird nur durch die Aktivierung der Betroffenen überhaupt eine Veränderung belastender Situationen geschaffen werden können. Dies beinhaltet die Chance, andere als polizeiliche Lösungsstrategien zu entwickeln. Polizei und Justiz sind grundsätzlich an ihre Regeln, Diskussionsstile und hierarchische Strukturen sowie konventionelle Lösungsmuster gewöhnt. Kommunale Sicherheitsmodelle bieten statt dessen die Chance, daß schon die Diskussion über mögliche Lösungen das Sicherheitsgefühl der Betroffenen verändert. Die aktive Beteiligung an Lösungsversuchen verändert zudem die Handlungs- und Bewegungsmöglichkeiten potentieller Opfergruppen.
Es ist Aufgabe der kommunalen Spitze der Exekutive,
also der BürgermeisterInnen, Präventionsräte
oder andere Sicherheitsmodelle zu initiieren und zu
motivieren, sie mit den notwendigen finanziellen Mitteln
auszustatten, ohne sie jedoch gleichzeitig zu dominieren. Sicherheit durch Stadtentwicklung und öffentlichen Personennahverkehr
Das für alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen
bestehende Recht auf gleiche gesellschaftliche Teilhabe
und Entfaltungsmöglichkeiten muß ein Kriterium
in der Stadtentwicklung werden: Den öffentlichen
Raum beleben!
Zu den durch die Stadtentwicklung möglichen Sicherheitsmaßnahmen
gehört die bewußte Gestaltung von Bauten
und eine entsprechende Gestaltung des Wohnumfeldes.
Tatgelegenheiten werden vermindert und das subjektive
Sicherheitsgefühl verbessert, wenn Flure, Ein-
und Aufgänge, Zugänge zu Gebäuden, Spielplätze,
Zugänge zu Parkplätzen und Parkhäusern
bewußt unter dem Aspekt der Sicherheit einsehbar
gestaltet werden. Wohnumfelder, die verwahrlosen oder nur noch von einzelnen Bevölkerungsgruppen mit ihren spezifischen Interessen genutzt werden, bergen Sicherheitsrisiken in sich. Deshalb muß im Wohnumfeld eine soziale Kontinuität und Mischung aufrechterhalten und gefördert werden. Dazu gehört es auch, Mehrfachnutzungen und Funktionsmischungen z.B. bei Sportplätzen, Freizeitanlagen etc. zu schaffen. Nutzungen nur durch einzelne Bevölkerungs- oder gar Problemgruppen und dieses nur zu eng begrenzten Zeiten, führen zu einem Rückzug oder gar zum Wegzug anderer Bevölkerungsteile. Es ist somit sicherzustellen, daß sich nicht ganze Wohnumfelder quasi über Nacht verändern, indem beispielsweise Bevölkerungsgruppen so angesiedelt werden, daß geschlossene Systeme entstehen. Vielmehr ist zu fördern, daß sich unterschiedlichste BewohnerInnen in einem Wohnfeld aufhalten.
Grundsätzlich sind durch die Stadtplanung FußgängerInnen,
RadfahrerInnen und Busse gegenüber dem Individualverkehrsmittel
Auto zu bevorzugen.
Auch im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs
sind Maßnahmen, welche die tatsächliche
Sicherheitslage oder das Sicherheitsempfinden verbessern,
erforderlich. Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder
Weit mehr als 60% aller Gewaltdelikte geschehen im engeren,
privaten Lebensraum gegen Frauen und Kinder. Bisher
sind für diesen Kriminalitätsbereich noch
nicht hinreichend personelle und sachliche Kapazitäten
sowie eine gezielte Aus- und Fortbildung der Polizei
geschaffen worden. Kriminalitätsverhütung in den Bereichen Jugend, Schule, Bildung
Es ist die besondere Aufgabe der Politik in den Ländern
dafür Sorge zu tragen, daß in Zeiten des
Sparzwanges nicht die sozialen Haushaltstitel geschröpft
werden, während die Innen- und Justizressorts
als angebliche Produzenten von Sicherheit weitgehend
unangetastet bleiben. Die Jugendpolitik muß ihre
Funktion in der Schaffung von Sicherheit auch finanziell
einklagen. Unterstützung der Opfer bei der Krisenbewältigung
Zur Schaffung eines Sicherheitsempfindens gehört
es auch, daß Opfer von Straftaten mit der Aufgabe
der Krisenbewältigung nicht allein gelassen werden.
Zu den erforderlichen Maßnahmen gehören
die bereits genannten Maßnahmen. Diese sind auch
für andere Gruppen anzubieten. Eine andere Drogenpolitik
Im öffentlichen Erscheinungsbild werden der Konsum
illegaler Drogen und seine Begleiterscheinungen von
vielen als Bedrohung oder Belästigung wahrgenommen.
Die repressive Drogenpolitik der Bundesregierung allerdings
ist längst gescheitert. Eine verbesserte Drogenpolitik
muß daher u.a. folgende Inhalte haben: Effektivierung polizeilicher Arbeit
Der Gemeinschaft sind bei der Herstellung von öffentlicher
Sicherheit Grenzen gesetzt. Sie ist dann auf eine funktionierende
Institution 'Polizei' angewiesen. Grundsätzlich bedarf die Polizei einer Reform, welche die Inhalte ihrer Arbeit neu definiert und dementsprechend effektive Einsatzstrukturen schafft. Neben einer dringend durchzuführenden Verwaltungsreform, die effektive und leistungsorientierte Strukturen schafft, muß dies eine interne Umschichtung der vorhandenen personellen und sachlichen Ressourcen zur Folge haben. Die Schwerpunkte polizeilicher Arbeit sind auf die Bearbeitung von Delikten mit schweren Schäden und die Hilfestellung in Notlagen auszurichten. Polizei muß massiv von all den Aufgaben entlastet werden, die nicht zwingend einer hoheitlichen Erledigung bedürfen. Von der Schadensfeststellung bei Autounfällen ohne Personenschäden über eine Entkriminalisierung von Teilen der Drogendelikte und der Entkriminalisierung (bzw. Schaffung einfacher Erledigungsformen) bei Bagatelldelikten, existieren zahlreiche Möglichkeiten die Polizei auf das Wesentliche zu konzentrieren: Ihre Teilnahme an der Aufgabe Sicherheit herzustellen. Die Teilnahme an zivilgesellschaftlichen Modellen der Herstellung von Sicherheit ist allerdings ein zusätzlicher Grund, von der Polizei auch eine zivile Erscheinung und den zivilen Umgang mit Konflikten zu fordern: Dazu gehört z.B. die persönliche Erkennbarkeit und Verantwortlichkeit mittels Namensschildern, aber auch die alte Forderung nach Polizeibeauftragten als Ansprechpartner von BürgerInnen und PolizeimitarbeiterInnen bei Fehlentwicklungen und Übergriffen.
| |
Renate Künast ist Rechtsanwältin, Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und Sprecherin der 'Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht' der Grünen. |
|
Anmerkungen |
|
(1) | Der Text beruht auf Überlegungen zu einer Vorlage für die 'Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht' der Grünen. Das umfangreiche Positionspapier der BAG wird demnächst veröffentlicht. |
(2) | Pfeiffer, Christian u.a., Jugendstrafrecht und jugendstrafrechtliche Praxis in Hamburg, Kriminologisches Institut Niedersachsen 1997, S. 79 |
![]() | Startseite | Inhaltsverzeichnis |
© Bürgerrechte & Polizei/CILIP
1997 HTML-Auszeichnung: Martina Kant - 31.12.1997 |