CILIP Bürgerrechte & Polizei/CILIP 58 (3/97)

Neuerscheinungen

 
Von Trotha, Trutz (Hg): Politischer Wandel, Gesellschaft und Kriminalitätsdiskurse. Beiträge zur interdisziplinären wissenschaftlichen Kriminologie. Festschrift für Fritz Sack zum 65. Geburtstag, (Nomos) Baden-Baden 1996, 383 Seiten, DM 98,-.
Das eher unüblich Gute an dieser Festschrift besteht darin, daß sie nicht nur qua Interview und gedrucktem Vortragstext vom Autor Fritz Sack eingerahmt wird, sondern daß das weit gestreute Themenspektrum das Spektrum der von Fritz Sack im Sinne eines Promachos (Vorkämpfers) vertretenen Kriminologie widerspiegelt, deren eigenständiger Studiengang in Hamburg ohne Sack nicht zustande gekommen wäre. Also finden sich allgemeinere Beiträge zur Kriminologie und ihrem gesellschaftlichem Stellenwert von Vertretern einer kritischen Kriminologie der Gegenwart (u.a. Stanley Cohen, Aaron V. Circourel); werden Schneisen in die Geschichte der Kriminologie geschlagen (etwa von Heinz Steinert) oder spezielle feministische Aspekte beleuchtet (von Marie Andree Betrand). Danach werden kriminalrechts- und herrschaftsgeschichtliche Verflechtungen von Dirk Blasius, Trutz von Trotha u.a. exemplarisch aufgedeckt. Schließlich kommen auch die Strafverfolgung und der Strafvollzug zu ihrem angemessenen Festschriftenanteil. Weil für die Leserinnen und Leser von CILIP von besonderem Interesse, seien alle Beiträge dieses Schlußabschnitts im Titel aufgeführt: Michael Lindenberg behandelt die winzige, indes signifikante "Fingerschau der Polizei"; Werner Lehne untersucht eine neue Modeeinrichtung kommunaler Sicherheitspolitik, die Präventionsräte; Sebastian Scherer beschäftigt sich am Exempel Gefängnis mit den Kontinuitäten und Diskontinuitäten sozialer Kontrolle im Zeichen der Entgrenzung; Karl F. Schumann problematisiert exemplarisch den Labeling-Ansatz; und Werner Heinz zeigt, wie benachteiligte Jugendliche (fast muß man formulieren selbstverständlich) so zugerichtet werden, daß sie für ihre Probleme und ihr Versagen selbst schuldig gemacht werden können.

Abschließend sei Fritz Sack selbst das Wort erteilt: Zu notwendigen gesellschaftlichen Reformen: "Ein anderes Stichwort wäre Partizipation. Dabei geht es heutzutage weniger um politische Partizipation, sondern um eine Partizipation auf den Feldern von Gesellschaft, die in einer geradezu grotesken Weise dem Blick der Gesellschaft entzogen sind. Diese Partizipation würde sich gegen die emphatische Betonung von Privatheit und einer privaten Sphäre richten, von der man behauptet, daß sie staatsfrei und öffentlichkeitsfrei gehalten werden muß. Diese 'institutions of privacy' haben eine viel größere Bedeutung für ökonomisches als für politisches Handeln. Diese 'institutions of privacy', das sind die Krebsgeschwüre in den modernen kapitalistischen Gesellschaften, also Bankgeheimnis uns so fort. Eine adäquate Kriminalpolitik heute müßte Wirtschaftsregulierungspolitik und nicht eine Kriminalpolitik sein, die von strafrechtlichen Normen her denkt, die durchzusetzen und zu implementieren sind, und wo das staatliche Gewaltmonopol einzusetzen ist. Man muß stattdessen Bankgeheimnis, Steuergeheimnis, diese Einrichtungen in den Blick nehmen." (S. 14). Freunde der OK-Bekämpfung sollten diese Überlegung zu der ihren machen.
Zur Bedeutung der Polizei: "Die Bedeutung, die ich der Polizei zumesse, meine Fokussierung auf die Polizei hängt aber natürlich auch mit meiner Terrorismusstudie zusammen. Also da ist mir nicht nur die Schlüsselrolle der Polizei als Ensemble sozialer Praktiken so sehr präsent geworden, sondern auch das, was so oft mit der kontraproduktiven Wirkung des staatlichen Kontrollapparates in dem Sinne gemeint ist, daß er erst die Situationen schafft, für die dann der Gewaltapparat vorrätig gehalten wird - wenn ich an Tilly denke, den ich ja an dieser und jener Stelle zitiere: Die Dialektik, die er in dem Bild ausdrückt, daß der Staat die Unsicherheit erst einmal schafft, für die er sich dann als Träger und Instrument der Kontrolleure anbietet. (...) Es ist das Bild der Polizei in der Rolle des 'agent provocateur', der die latenten Strukturen sichtbar machen will und, wenn er sie nicht sichtbar machen kann, sie selbst herstellt. Das ist eine Metapher, die einen großen heuristischen Wert hat, um Prozesse der Kriminalisierung oder staatliche Tätigkeit überhaupt verstehbar zu machen" (S. 24).

Last but not least, sein erfahren skeptischer und dennoch unverbesserlich emphatischer Aufruf für die Kriminologie als eine kritische Wissenschaft, der mutatis mutandis auch für alle anderen (Sozial-)Wissenschaften gelesen werden kann: "Sind Staat und Politik die identifizierenden, handelnden und gewaltbewährten Einrichtungen der gesellschaftlichen Feindbekämpfung, so ist die Kriminologie über den Großteil ihrer Geschichte hinweg und bis auf den heutigen Tag die rechtfertigende und ideologische Einrichtung gesellschaftlicher Feinderklärung gewesen und geblieben - eingeschworen und verpflichtet der Freiheit und Autonomie der Wissenschaft und der desinteressierten Suche nach Wesen und Wahrheit über den von ihr reklamierten Teil menschlicher und gesellschaftlicher Wirklichkeit. (...) Gehör hat Foucault damit bei den Kriminologen nicht gefunden, auch nicht bei ihren theoretischen und wissenschaftlichen Supervisoren aus den Basisdisziplinen von Biologie, Psychologie und Soziologie, erst recht nicht bei all ihren Auftraggebern aus der Justiz und ihrem institutionellen Apparaten. Sie alle recherchieren und räsonieren in unbeirrter Manier weiter und lassen sich nicht abbringen von ihrem Weg der Ausrottung des Bösen, sowie der Treibjagd nach dessen Repräsentanten in unserer Mitte." (S. 371).


Höfling-Semnar, Bettina: Flucht und deutsche Asylpolitik. Von der Krise des Asylrechts zur Perfektionierung der Zugangsverhinderung, (Westfälisches Dampfboot) Münster, 1995, 294 Seiten, DM 39,80
Überblicksartig werden dichte Informationen über die globale und speziell über die bundesdeutsche Flucht- und Asylproblematik geboten. Allerdings sitzt die Autorin fast naiv partienweise der offiziellen bundesdeutschen Scheindebatte auf: Als sei es je darum gegangen und gehe es noch darum, die Probleme der Flüchtlinge zu lösen. Man will sie schlicht und einfach loswerden. Die Fluchtursachen spielen nur insoweit eine Rolle, als sie von der mangelhaften eigenen Hilfe für die Flüchtlinge hier und jetzt ablenken. Insgesamt ist das in der Tendenz sympathisch geschriebene Buch gänzlich unanalytisch geraten und insofern nicht nur in seinen Daten schon wieder veraltet.
(Beide: Wolf-Dieter Narr)


Ulfkotte, Udo: Verschlußsache BND (Verlag Koehler & Amelang), München, Berlin 1997, 350 S., DM 48,--
Eigentlich sollte das Buch von Udo Ulfkotte dazu beitragen, das Image des Bundesnachrichtendienstes aufzupolieren. Dafür schien der Journalist, der bei der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung' für Afrika, die arabischen Staaten und Geheimdienste zuständig ist, der richtige Mann. In etlichen FAZ-Beiträgen hatte er sich in der Vergangenheit mit BND-freundlichen Berichten für eine solche Aufgabe wärmstens empfohlen. Das jetzt vorgelegte Buch erfüllt die Erwartungen der Unterstützer im Kanzleramt und in Pullach allerdings nicht. Der BND gab zum Erscheinen Anfang Juli sogar eigens eine distanzierende Presseerklärung heraus.

Das klingt vielversprechend! Doch wer daraus ableitet, ein lesenswertes Enthüllungs-Buch in die Hand zu bekommen, sei gewarnt. Munter ist längst Bekanntes mit Internem, Spekulation mit Banalem vermischt. Ohne Zweifel hat Ulfkotte eine Menge internes Material eingesehen und verarbeitet. Doch was nützt das, wenn interessierte - meist aber ungeübte - LeserInnen von Geheimdienstliteratur eine Melange vorfinden, deren Informationsgehalte ineinander verschwimmen und häufig schwer zu trennen sind:

So ist z.B. das erste Kapitel 'Kleine Geschichte der Spionage' (S. 32-76) ein bunter Flickenteppich aus Histörchen und neueren Zeitungsmeldungen. Einfach zu deuten ist auch die Geschichte vom 'Barschel-Mord', die in BND-Akten schlummern soll. Hätte der Autor hier wirklich etwas in der Hand gehabt, hätte er als Presseprofi sein Buch wohl darüber geschrieben statt hier nebenbei zwei Seiten vollzuraunen (S. 19-20). Oder: Das Jelzin nach seiner Herzoperation im Januar 1997 statt einer 'Lungenentzündung' in Wahrheit einen neuen Herzanfall erlitten hatte (S. 103-104), war politischen Beobachtern auch ohne die Pullacher Schlapphüte klar. Wo ist da der Erkenntniswert - geschweige denn die gern beschworene Brisanz? Zumindest schlecht abgestimmt ist die (nicht neue) Episode um die Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956. Während Ulfkotte die Beschaffung dieser Rede dem BND bzw. dessen Vorläufer, der 'Organisation Gehlen' zuschreibt (S. 83), reklamiert der frühere israelische Geheimdienstler Gad Shimron dies in seinem Gastbeitrag für den MOSSAD (S. 337). Schlicht falsch ist schließlich die Aussage "Bei deutschen Strafprozessen kennt man den Quellenschutz - anders als im Ausland - aber nicht." (S. 113); vielleicht sollte Ulfkotte, immerhin Jurist wieder einmal einen Prozeß besuchen - besonders Drogenprozesse eignen sich dafür.

Doch nicht immer ist es so einfach die Spreu vom Weizen zu trennen, insbesondere da, wo es in technische Bereiche geht. Nun ließe sich gutwillig argumentieren, dieses Buch habe allein schon deshalb seine Berechtigung, weil (jüngere) Literatur zum BND ansonsten fehlt. Doch was soll das, wenn der Erkenntniswert nur schwer bzw. für Laien gar nicht zu extrahieren ist. Wer es dennoch lesen möchte, sollte es in einer Bücherei ausleihen und mit dem Gesparten essen gehen. Der Lustgewinn ist in jedem Falle größer.
(Otto Diederichs)


FFM - Forschunsgesellschaft Flucht und Migration e.V. (Hg.): "Sie behandeln uns wie Tiere". Rassismus bei Polizei und Justiz in Deutschland (Hefte der FFM Nr. 4) (Verlag der Buchläden Schwarze Risse, Rote Straße), Berlin, Göttingen 1997, 329 S., DM 18,-
Der Band ist von Mitgliedern des 'Antirassismus Büros Bremen (ARAB)' verfaßt; dementsprechend handeln die meisten Beiträge von den Verhältnissen in Bremen. Nach einer einleitenden Selbstbeschreibung des ARAB werden in einzelnen Kapiteln gesellschaftliche Rahmenbedingungen für polizeilichen (und justitiellen) Rassismus sowie - am Bremer Beispiel - die 1992 beginnende 'Kampagne gegen den sogenannten Asyl- und Sozialhilfebetrug' dargestellt. In weiteren Kapiteln werden jene Vorgänge beschrieben, die den Ruf eines vormals als liberal geltenden Bundeslandes nachhaltig geschädigt haben: Repressive polizeiliche Drogenbekämpfung und ihre unmittelbare Verbindung zur Migrations- bzw. Abschiebepolitik; die Brutalisierung polizeilichen Vorgehens gegenüber ethnischen Minderheiten; die Verabreichung von Brechmitteln als drogenpolizeiliche Standardmaßnahme bis zur (mittlerweile eingestellten) ärztlichen Überprüfung der Altersangaben von jugendlichen Flüchtlingen mittels Röntgenuntersuchungen. Die Schilderungen des Bandes geben einen nachdrücklichen Eindruck von der Situation von Minderheiten im neuen Deutschland der 90er Jahre, vom Zusammenspiel von Politik und Polizei, das auf Kosten derjenigen geht, die sich am unteren Rand der Gesellschaft bewegen. Die Parteinahme der AutorInnen schlägt sich zu Recht in den Texten nieder; reflektiert wird sie leider nicht überall in demselben Maße.
(Norbert Pütter)


 
 

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