![]() |
Bürgerrechte & Polizei/CILIP 58 (3/97) |
| Die Grenzen des strafrechtlichen Umweltschutzes
- Vom Schein einer verstärkten Rechtssicherheit |
|
|
| |
| von Wolf-Dieter Narr | |
|
| |
|
Umweltgefährdungen haben nicht abgenommen. Im Gegenteil.
Die in den 70er Jahren gewachsene öffentliche
Aufmerksamkeit aber glücklicherweise ebenso wenig.
Niemand kann es sich offen sichtbar erlauben, Umweltprobleme
- von der Luftverschmutzung über das Waldsterben
bis hin zur Abfallbeseitigung - ausdrücklich zu
mißachten. Auch hier gilt jedoch: Zwischen dem
besorgten Reden über 'die Umwelt' und den Forderungen,
was alles geschehen müsse, daß diese lebensfördernd
erhalten bzw. wiederhergestellt werde, und den entsprechenden
Taten klafft ein riesiger Spalt. Und nicht nur dies.
Nach wie vor, auf manchen Gebieten mehr denn je, wird
'die Umwelt' bewußt und gewollt oder fahrlässig
und unachtsam gestört und zerstört. Die menschlichen Lebensbedingungen werden gegenwärtig und vor allem für zukünftige Generationen verschlechtert. Dem 'Prinzip der Verantwortung' wird lokal, national und international zuwidergehandelt. Das Geschäft auf Kosten der Umwelt blüht. Etwa im Bereich schwer zu beseitigender Abfälle werden dem Geschäft beträchtliche, von den Wegen allen vernünftigen Umweltschutzes hart abweichende Chancen eröffnet. Regulierungsgespinste
Die ökonomische Durchdringung aller gesellschaftlichen
Bereiche und die weltweite Expansion der wachstumsgerichteten
Ökonomie hat staatliche - in manchen, vor allem
internationalen Bereichen auch nichtstaatliche - Regulierungen
aller Art enorm zunehmen lassen. Das Problem der Verrechtlichung
und der damit eng gekoppelten Bürokratisierung
ist deswegen seinerseits zu einem Thema geworden. Das
national, europäisch und international geknüpfte
Netz von Regulierungen aller Art birgt neben seinen
beabsichtigten 'positiven' Leistungen selbst eine Reihe
von Gefahren in sich. Die Vorschriften nehmen so zu,
daß nur noch Spezialisten ihr Gewebe durchschauen
und nur entsprechend ausgestattete Organisationen sich
in diesem Geflecht ihren Interessen gemäß
bewegen können. Die Komplexität der Regulierungsgespinste
dient nur dem Schein nach einer verstärkten Rechtssicherheit.
Tatsächlich nehmen mit ihrer wachsenden Komplexität
auch die Spielräume der Interpretation zu. Generalprävention? Die Argumente für die ultima ratio strafrechtlich fundierter Sanktion und demgemäßer Verfolgung von 'Umweltverbrechen' wirken auf den ersten Blick überzeugend. In einer typischen Einlassung wies der engagierte Bundestagsabgeordnete Hermann Bachmaier (SPD) im Rahmen des 15. Strafverteidigertages 1991 zunächst darauf hin, daß das Strafrecht "nur eine ergänzende, eine flankierende Funktion im Rahmen der Instrumentarien zum Schutz der Umwelt haben" könne. Unbeschadet dieser bedachten Einschränkung trat er danach jedoch geradezu pathetisch für ein ausgebautes Umweltstrafrecht auf: "Solange das Strafrecht ein Mittel ist, das im Kampf gegen die schwere Verletzung und Gefährdung von Rechtsgütern ganz selbstverständlich zum Einsatz kommt, solange kann das Strafrecht ausgerechnet beim Umweltschutz nicht gänzlich schweigen. Erhebliche Irritationen bis hin zur Frage, ob wir es ernst genug meinen mit unseren tagtäglichen Bekenntnissen zur Ressourcenschonung und zum Schutz der natürlichen Existenzgrundlagen, wären die geradezu zwingende Folge. Auch aus der Tatsache, daß das derzeit geltende Umweltstrafrecht seiner Aufgabe nur in geringem Umfang nachkommt, kann nicht geschlossen werden, Strafrecht sei generell ungeeignet bzw. untauglich, um im Kampf gegen schwere und als kriminell empfundene Umweltgefährdung und Umweltbeeinträchtigung eingesetzt zu werden. Vielmehr ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die erkannten Schwachstellen zu beseitigen und den strafrechtlichen Schutz auf die wirklich elementaren Gefährdungen und Beeinträchtigungen der Umwelt zu konzentrieren, also das strafrechtliche Instrumentarium so zu schaffen, daß die gegenwärtig feststellbaren Funktionsmängel beseitigt werden. (...) Wir (die SPD, Anm. WDN) wollen die Strafverfolgungsorgane in die Lage versetzen, sich um die wirklich gravierenden Umweltdelike zu kümmern, so daß die dafür zur Verfügung stehenden begrenzten Ressourcen effektiver eingesetzt werden können. (...) Ich gehe nach wie vor davon aus, daß ein einleuchtend konzipiertes Umweltstrafrecht auch seine generalpräventive Wirkung nicht verfehlen wird."(1) Bachmaiers Argumentation wird vielfach geteilt. Sie hat sich 1994 erneut strafgesetzförmig niedergeschlagen. Viele engagierte Umweltpolitikerinnen und -politiker gehen sogar darüber hinaus. Beispielsweise Monika Griefahn (SPD), Umweltministerin des Landes Niedersachsen. Sie hebt hervor, daß Niedersachsen 1992 'Sonderermittlungsgruppen Umweltschutz' bei allen Polizeiabschnitten und den Polizeidirektionen Hannover und Braunschweig geschaffen hat und daß insbesondere bei der illegalen Beseitigung von Sondermüll "die Tendenz zur Organisierten Kriminalität im Umweltbereich" zu beachten sei. Diesen und anderen Umweltverbrechen etwa in Form "illegalen Handelns mit geschützten Tier- und Pflanzenarten" will sie u.a. mit einer verbesserten Zusammenarbeit der Umweltbehörden mit den Strafverfolgungsbehörden - angefangen mit einem frühzeitigen informationellen Austausch - auf die Spur kommen.(2)
Daß Vertreter von Strafverfolgungsbehörden
sich mehrheitlich dafür aussprechen, den Strafrahmen
zu erweitern und vor allem das Umweltstrafrecht unabhängig
von der Verwaltung auf eigene Füße zu stellen,
dürfte wenig verwundern.(3)
Allen aktuellen Problemen
zum Trotz - daß man an die 'großen Fische'
nicht herankommt, daß Kompetenzen schon bei der
angemessenen Identifikation von Umweltproblemen/Umweltverbrechen
fehlen, daß Bagatellfälle quantitativ und
qualitativ einen Großteil strafverfolgerischer,
gerichtlich später jedoch nicht weiter verfolgter
Arbeit ausmachen - wird von Vertretern der Polizei
eine generalpräventive Wirkung des Umweltstrafrechts
unterstellt und darauf gedrungen, "die vorbeugenden
Tätigkeiten (der Polizei, Anm. WDN) im Umweltschutz"
auszudehnen. Also folgt: Umweltstrafrecht - ein geeignetes Mittel? Die Erfahrungen mit dem 28. Abschnitt des StGB sind hingegen eher niederschmetternd. Eine Erfahrungssumme nach 1994 läßt sich sinnvollerweise noch nicht ziehen. Da die Modifikationen die Systematik des 28. Abschnitts aber nicht veränderten, sondern in eine ähnliche Richtung weisen, setzen die strafrechtspraktischen und strafverfolgerischen Resümees unterschiedliche Akzente nur insoweit, daß die einen aus den geringen Effekten schlußfolgern, das Strafrecht sei zuzuspitzen und von der Verwaltung zu emanzipieren. Außerdem komme es darauf an, die Polizei besser auszustatten und kompetenter zu schulen. Die anderen halten das scharfe Schwert des Strafrechts für ungeeignet, ja für die Sache des Umweltschutzes schädlich und plädieren für eine umfassendere Umweltpolitik, die veränderte Verwaltungsverfahren zur Folge haben müßte. Die insgesamt geringen Wirkungen des StGB und der auf ihm basierenden Strafverfolgung werden konsequenterweise von den einen eher als eine Frage der angemessenen Implementation und ihrer Voraussetzungen angesehen.(5) Das Verhältnis Verwaltung - Strafverfolgung wäre entsprechend zu ändern; die Polizei zu spezialisieren, besser auszubilden, besser auszustatten u.ä.m. Die anderen jedoch sehen in der strafrechtlich-strafverfolgerischen 'Lösung' von Umweltproblemen geradezu eine Handhabe, auf eine die Ursachen behebende, also etablierten Interessen schmerzende Umweltpolitik weithin zu verzichten.
Gibt es Anhaltspunkte, die eine umweltschützerisch
engagierte und in diesem Sinne vernünftige Entscheidungen
zwischen den diversen Positionen erleichterte? Vor
dem Hintergrund der heute eher randständig geführten
Debatte seien einige angeführt.
Zum zweiten: Vor allen Erwägungen, die, wie bei
Geulen u.a. auf andere strafrechtliche Normierungen
und strafverfolgerische Formen ausgehen, käme
es darauf an, eine doppelte, höchst schwierige
Frage zu beantworten. Sind alle möglichen menschlich
handelnd herbeigeführten Umweltschädigungen
und Umweltgefahren so klar und eindeutig ausmach- und
zurechenbar, daß sie strafrechtlich sanktioniert
werden und zuvor strafverfolgerisch identifiziert werden
können? Wie unterscheiden sich die diversen Umweltgefahren
gemäß dieser Frage? Zum anderen: Sind strafrechtliche
Normen und Sanktionen und dementsprechende strafverfolgerische
Kompetenzen im Hinblick auf die hauptsächlichen
menschlich bewirkten Umweltgefahren die geeigneten
Mittel, denselben zu begegnen? Oder noch anders gefragt,
besteht, indem Umweltgefahren strafrechtlich bekämpft
werden sollen, nicht die doppelte Gefahr, daß
zum einen das Strafrecht bis zur Unkenntlichkeit gedehnt
wird und entsprechende strafverfolgerische Willkürlichkeiten
erlaubt und daß zum anderen der umweltschützerische
Einatz des Strafrechts nur bewirkt, daß die hauptsächlichen
umweltpolitischen Probleme an das Strafrecht und in
die Strafverfolgung abgeschoben werden? Mehr Umweltstrafrecht - weniger Umweltschutzpolitik Wenn es sich indes mit den Umweltgefahren in etwa so verhält wie angedeutet, dann darf demokratisch rechtsstaatlich gesprochen, die scharfe Waffe des Strafrechts nicht gesetzgeberisch geschmiedet und konsequent nicht strafrichterlich polizeilich aus der Scheide gezogen werden. Das Strafrecht, demokratisch rechtsstaatlich begriffen, eignet sich seinem instrumentellen Typus nach in aller Regel nicht dazu, Umweltgefährdungen - sei es präventiv, sei es repressiv - zu bekämpfen. Ausnahmen gibt es allein im repressiven Bereich. Der von einer Sachverständigenkommission im Oktober 1997 vorgelegte Entwurf eines Umweltgesetzbuches kann in seiner Anlage, Zielrichtung, Konsistenz und Brauchbarkeit an dieser Stelle nicht hinreichend analysiert und beurteilt werden. In Sachen Umweltstrafrecht fällt jedoch auf, daß dieses vollkommen ausgespart wird. Nur von Ordnungswidrigkeiten ist vor allem im 13. Abschnitt die Rede. Die Verwaltungsakzessorietät bleibt rundum erhalten. Das in den einzelnen Abschnitten nur leicht modifizierte und etwas deregulierte gesetzliche Umweltkompendium löst auf diese Weise keines der vielen Probleme, die selbst von den Anhängern eines Umweltstrafrechts als der Lösung dringend bedürftig benannt sind, soll ein Umweltstrafrecht im geltenden Rechtsrahmen und ohne die oben aufgeworfenen prinzipiellen Probleme überhaupt sinnvoll sein. Doch ohnehin ist hier eher der m. E. stimmigen Argumentation von Jens Christian Müller-Tuckfeld zu folgen: "Nicht daß das Umweltstrafrecht ineffektiv bei der Verhinderung der Umweltverseuchung ist, ist in erster Linie das Problem, sondern daß es durch seine Botschaft, insofern und weil sie geglaubt wird, eine vernünftige Umweltpolitik - durchaus effektiv - verhindert. Je mehr Umweltstrafrecht, desto weniger Umweltschutzpolitik."(9) Wenn Umweltgefährdungen strafrechtlich bekämpft werden sollen, dann müssen die Gefährdungsdelikte abstrakt normiert werden. Damit nehmen nicht nur die unbestimmten Rechtsbegriffe zu und erlauben so strafverfolgerisch Grund- und Menschenrechte präventiv kräftig zu unterhöhlen. Vielmehr geht die personen- und handlungsbezogene raison d'etre des Strafrechts - gefährdet wie sie de lege lata ohnehin weithin ist - völlig verloren. Da jedoch ein solch verändertes, auf alle möglichen Umweltgefährdungen bezogenes Umweltstrafrecht nie dauernd strafverfolgerisch umgesetzt werden könnte, verstärkt das ausgeleierte Strafrecht die exekutivisch strafgerichtliche Willkür. Und diese äußert sich dann nicht nur in der Wirksamkeit des bekannten Mottos 'Die Kleinen hängt man und die Großen läßt man laufen'. Darüber hinaus dient das Umweltstrafrecht genau dem Zweck, den es offiziell verhindern soll. Es garantiert in der Scheinpersonalisierung und Scheinverantwortlichkeit der strafrechtlich Überführten dafür, daß die zentralen Gefährdungen qua ökonomisch-politischer Normalität nicht angetastet werden. | |
|
Wolf-Dieter Narr lehrt Politologie an der FU Berlin und ist Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP. |
|
| Anmerkungen |
|
| (1) | Bachmaier, Hermann, Welchen Beitrag kann das Strafrecht für einen verbesserten Umweltschutz leisten?, in: 15. Strafverteidigertag (Hg.), Die Zukunft des Straf- und Strafprozeßrechts in Deutschland, Berlin 1991, S. 219ff. |
| (2) | Kriminalistik 5/92, S. 274ff. |
| (3) | Vgl. Hoch, Hans, Die Rechtswirklichkeit des Umweltstrafrechts aus der Sicht von Umweltverwaltung und Strafverfolgung, Freiburg/Br. 1994 |
| (4) | Die Polizei 4/92, S. 80; siehe auch: Die Polizei 9/96, S. 225ff. |
| (5) | Rüther, Werner, Die behördliche Praxis bei der Entdeckung und Definition von Umweltstrafsachen. Zusammenfassung des Abschlußberichts (Manuskript), Bonn 1984 |
| (6) | Vgl. Neue Juristische Wochenschrift 20/90, S. 1263ff.; Meinberg, Volker, Mängel und Alternativen des geltenden Umweltstrafrechts. Stellungnahme aus Anlaß der Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion zur Umweltkriminalität (Manuskript), Bonn 1984 |
| (7) | Bürgerrechte & Polizei/CILIP 20/85, S. 31 |
| (8) | Zeitschrift für Rechtspolitik 9/88, S. 323ff. |
| (9) | Müller-Tuckfeld, Jens Christian, Traktat für die Abschaffung des Umweltstrafrechts, in: Institut für Kriminalwissenschaften (Hg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, Frankfurt/M. 1995, S. 461ff. |
![]() | Startseite | Inhaltsverzeichnis |
| © Bürgerrechte & Polizei/CILIP
1997 HTML-Auszeichnung: Martina Kant - 31.12.1997 |