|  | Bürgerrechte & Polizei/CILIP 58 (3/97) | 
| Eine Sicherheitswacht für Sachsen - Politischer Taschenspielertrick nach bayerischem Vorbild | |
|  | |
| von Otto Diederichs | |
|  | |
| In Sachsen möchte man sich in Sachen 'Innere Sicherheit' 
auch von seinen Patenländern Bayern und Baden-Württemberg 
nichts vormachen lassen. Das dortige Polizeigesetz,(1) 
nach seiner Zurückweisung durch das sächsische 
Verfassungsgericht (2) derzeit in der innenministeriellen 
Überarbeitung, gilt als eines der schärfsten 
in der Bundesrepublik. Die sächsische Polizei 
lebt dementsprechend in starkem Maße von dem 
Nimbus, Verbrechen besonders entschieden zu bekämpfen. 
Allem Anschein nach reicht es offenbar nicht, den Landeskindern 
ein hinreichendes Sicherheitsgefühl zu vermitteln. 
In Dresden plant man daher, im Freistaat nach bayerischem 
Vorbild eine 'Sächsische Sicherheitswacht' ins 
Leben zu rufen. In Bayern existiert eine solche Sicherheitswacht bereits seit drei Jahren. Am Neujahrsmorgen 1994 trat dort ein 'Sicherheitswachterprobungsgesetz' (SEG) in Kraft,(3) das zunächst bis Ende 1996 befristet, am 19.12.96 in ein auf Dauer angelegtes Gesetz umgewandelt wurde. Das nun geplante 'Sächsische Sicherheitswachterprobungsgesetz' (SächsSWEG)(4) lehnt sich nicht nur in seinem Titel erkennbar an das bayerische SEG an. Legt man die beiden Gesetze nebeneinander, so zeigt sich, daß den Autoren des SächsSWEG das SEG des Nachbarlandes unübersehbar als Vorlage diente. Alternative zu Bürgerwehren? 
Nach den Worten von Edmund Stoiber, dem geistigen Vater 
der Sicherheitswacht, seinerzeit bayerischer Innenminister 
und heute Ministerpräsident, war "die Naturschutzwacht 
aus dem Umweltbereich das Vorbild für die geplante 
Sicherheitswacht".(5) Demgegenüber 
definiert der Leitende Polizeidirektor Karl-Heinz Spörl, 
1993 Leiter der Projektgruppe im Innenministerium, 
welche die Konzeption der Sicherheitswacht erarbeitete, 
die Beweggründe, die zur Einrichtung der Sicherheitswacht 
führten, eindeutig mit der Sorge vor dem Entstehen 
von Bürgerwehren: "Unter einer Bürgerwehr 
verstehen wir (...) den wildwuchsartigen und unkontrollierten 
Zusammenschluß von Bürgern, die sich vom 
Staat und seiner Polizei im Stich gelassen fühlen 
und daher das Heft selbst in die Hand nehmen wollen. 
Es ist offenkundig, daß der Einsatz von Bürgern 
in einer, der Polizei angegliederten Sicherheitswacht 
einem solchen Wildwuchs ausdrücklich 
entgegenwirkt".(6) 
Daß es sich dabei nicht um seine private Auslegung 
handelte, zeigt eine Mitteilung des bayerischen Innenministeriums 
von 1994, in der betont wurde, daß die Sicherheitswacht 
ausdrücklich keine Bürgerwehr sei, sondern 
"vielmehr die Alternative zu unkontrollierten 
Zusammenschlüssen von Bürgern, die glauben, 
selbst für Recht und Ordnung sorgen zu müssen".(7) 
Dieser Ansatz, tatsächlich oder vermeintlich entstehende 
Bürgerwehren von staatlicher Seite in Sicherheitsaufgaben 
einzubinden, ist auch aus Brandenburg bekannt. Die 
Einführung der dortigen 'Sicherheitspartnerschaften' 
im Frühjahr 1994 beruhte auf der gleichen Absicht. 
Das Innenministerium in Potsdam versprach sich von 
diesem Versuch eine Kontrolle und positive Einflußnahme 
auf die "sogenannten Bürgerwehren".(8) Die 'Bayerische Sicherheitswacht' 
Die in Zivil auftretenden Angehörigen der Sicherheitswacht, 
"unbescholtene, zuverlässige und nach strengen 
Verfahren ausgewählte Männer und Frauen im 
Alter von 18 bis 55 Jahren",(9) sind durch eine 
Ärmel- und Brustkennzeichnung erkennbar und mit 
einem Dienstausweis ausgerüstet. Waffen dürfen 
sie ausdrücklich nicht tragen, führen zur 
Eigensicherung allerdings ein Reizstoffsprühgerät 
mit. Ihre Aufgabe, so Spörl, "ist primär 
das Beobachten und schnelle Herbeiholen von Polizeibeamten 
über ein Sprechfunkgerät zur Hilfeleistung 
oder bei verdächtigen Wahrnehmungen, die bis zum 
Eintreffen der Polizeibeamten in der Rolle eines 'qualifizierten 
Zeugen' festzuhalten sind. Selbst einschreiten sollen 
die Angehörigen der Sicherheitswacht nur ausnahmsweise, 
wenn dies aus Nothilfegründen dringend geboten 
ist und ohne besondere Eigengefährdung möglich 
erscheint. (...) Die Ausübung unmittelbaren Zwanges 
steht den Sicherheitswacht-Angehörigen mit Ausnahme 
von Notwehr und Nothilfe ausdrücklich nicht zu".(10) Was hier so unspektakulär klingt, hat indes Auswirkungen auf den Dienstalltag der Polizei. In erster Linie sind es offenbar Banalitäten, mit denen Sicherheitswächter die ihnen zugeordneten Polizeidienststellen belasten. Besonders Penible melden "jeden Hundehaufen", klagten bayerische Polizisten im Sommer 1995. Politische Befürworter, wie der Münchner Kreisverwaltungsreferent Hans-Peter Uhl (CSU), waren seinerzeit schon froh, "wenn wegen denen nur noch fünf statt zehn Leute im Jahr an das Münchner Rathaus pinkeln". "Es war nicht der große Renner, wie man sich das anfangs vorgestellt hat", resümierte der Leiter der in den Modellversuch eingebundenen Polizeiinspektion Deggendorf die Erfahrungen.(12) Die Aussagen decken sich mit den Erfahrungen des Forschungsprojektes, in dem u.a. festgestellt wurde, es gebe einen "engen Kontakt der SIWAs (Sicherheitswachtangehörige) zu den Polizeibeamten bei jeglichen auftauchenden Problemen. Die SIWAs halten sich nicht nur eng an die bereits gegebenen Vorgaben der Polizei, sie fordern bei neu auftauchenden Problemen sogar neue Instruktionen".(13) Spörl erklärt dies zu bedeutungslosen Startschwierigkeiten: "Einige wenige Ansätze zur Wichtigtuerei oder zur übertriebenen Konzentration auf Bagatellfälle wurden umgehend nachbereitet und konnten weitgehend abgestellt werden".(14) Betrachtet man die Berichte von - zumeist journalistischen - Begleitern bei Streifengängen von Sicherheitswachtangehörigen,(15) so sind an dieser Darstellung allerdings erhebliche Zweifel anzumelden. Sicherheitswacht in Sachsen Am 18.6.97 legte die sächsische Regierung ihren Gesetzentwurf für eine Sicherheitswacht vor.(16) Als Zielsetzung wird darin genannt: "Zur Aufrechterhaltung und weiteren Verbesserung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist es erforderlich, die gesellschaftliche Mitverantwortung stärker auszuprägen und damit einer Beeinträchtigung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bevölkerung entgegenzuwirken. (...) Das Modell einer 'Sächsischen Sicherheitswacht' soll Bestandteil der umfangreichen Anstrengungen der Staatsregierung zur Stärkung der Inneren Sicherheit sein und die bereits in Angriff genommenen Maßnahmen zur Verbesserung der polizeilichen Präsenz, Steigerung der Effektivität im Bereich der Kriminalitäts- und Verkehrsunfallbekämpfung sowie zur Weiterentwicklung der Zusammenarbeit mit den Bürgern in zweckmäßiger Weise ergänzen".(17) In einzelnen Bereichen sind die Kopisten im sächsischen Innenministerium über die Vorlage aus Bayern beträchtlich hinausgegangen. So sollen etwa potentielle Auskunftspersonen in Sachsen künftig nicht nur um freiwillige Auskünfte gegenüber den SicherheitswächterInnen gebeten werden, sondern hierzu verpflichtet sein, "wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- oder Vermögenswerte erforderlich ist".(18) In Bayern ist man hier maßvoller und begnügt sich damit, daß eine solche Verpflichtung nur besteht, wenn für sie, die Auskunftsperson "gesetzliche Handlungspflichten bestehen". Im Gegensatz zu ihrem bayerischen Pendant soll die Sicherheitswacht in Sachsen neben der Gefahrenabwehr zudem auch bei Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einschreiten.(19) Selbst Sicherstellungen (20) und die Anwendung unmittelbaren Zwanges (21) sollen ihr in Sachsen gestattet werden. Folgerichtig wird im sächsischen Gesetzentwurf denn auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Freiheit der Person und auf informationelle Selbstbestimmung entsprechend eingeschränkt.(22) Ansonsten wird auf eine genauere Aufgabenzuweisung bewußt verzichtet, da "eine katalogartige Aufzählung von Aufgaben zur Unübersichtlichkeit des Gesetzes führen und die fortlaufende Notwendigkeit von Folgeänderungen bedingen" würde.(23) Nachbetrachtungen 
Ein tatsächlicher Beitrag zur Schaffung von mehr 
Sicherheit ist mit der Errichtung einer Sicherheitswacht 
weder in Bayern noch in Sachsen zu erwarten und wohl 
auch nicht geplant. Vorgesehen ist vielmehr, "die 
gesellschaftliche Mitverantwortung stärker 
auszuprägen"(24) 
und einer "Unkultur des Wegschauens"(25) zu begegnen. 
Den Angehörigen einer Sicherheitswacht selbst ist 
die weitgehende Konzentration auf einfach zu bewältigende 
Aufgaben - Bagatellen - nur bedingt anzulasten, denn 
zur Vorbereitung auf ihre Streifendienste erhalten 
sie lediglich eine rechtliche Kurzausbildung und eine 
Unterweisung in der Bedienung ihrer Funkgeräte: 
Sie umfaßt in Bayern 40 Unterrichtseinheiten 
à 45 Minuten in den Fächern Strafrecht, 
Eingriffsrecht und Dienstkunde; eine fünfzehnminütige 
mündliche Prüfung schließt die Ausbildungsphase 
ab.(27) Konkrete Angaben zur geplanten Ausbildung der 
'Sächsischen Sicherheitswacht' werden zwar nicht 
gemacht, die Formulierung des Gesetzentwurfes legt 
jedoch nahe, daß an eine ähnliche Ausbildung 
im Schnellverfahren gedacht ist. Bekanntermaßen ist der Glaube jedoch nicht nur in der Lage, Berge zu versetzen. Insbesondere im Bereich der 'Inneren Sicherheit' ist er längst zu einem festen Bestandteil der Politik geworden. Eindrücklich hat dies der Oberbürgermeister der oberfränkischen Kleinstadt Forchheim, die seit zwei Jahren über eine Sicherheitswacht verfügt, dem sächsischen Innenausschuß während seiner Anhörung in Dresden dargelegt: "Letztendlich wurden (...) acht Personen ausgebildet. Von diesen acht Personen sind heute noch fünf Personen aktiv tätig; eine Person ist derzeit berufsbedingt verhindert, so daß tatsächlich nur vier Personen z.Zt. der örtlichen Sicherheit zur Verfügung stehen. Festzustellen bleibt daher, daß bereits nach zwei Jahren nur noch die Hälfte der ursprünglich ausgebildeten Personen der Sicherheitswacht in Forchheim verblieben ist. (...) Zunächst bringt die Sicherheitswacht aus Sicht der Stadt Forchheim vordergründig und aus kriminalistischen Ansatzpunkten nahezu nichts. Die Ergebnisse sind im wesentlichen, daß sie von Bürgern auf liegengebliebene Fahrräder, auf abgemeldete, auf dem Straßengrund abgestellte Autos aufmerksam gemacht werden. Bisher gelang es nur wenige Male, eine Straftat, hier Fahrraddiebstähle, auf frischer Tat zu verfolgen. Wichtig ist aber, daß dem Bürger gezeigt wird, es ist ein anderer Bürger da, der zumindest einen gewissen Schutz und Aufsicht vermittelt. (...) Letztlich liegt es auch an uns Politikern, die Sicherheitswacht positiv darzustellen und ihr vielleicht auch einmal ein kleines Dankeschön zu sagen, wie ich dies vor einigen Monaten in Form einer Einladung in unseren Ratskeller gemacht habe".(28) Amen. | |
| Otto Diederichs ist Redakteur und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP; freier Journalist in Berlin | |
| Anmerkungen | |
| (1) | Polizeigesetz des Freistaates Sachsen (SächsPolG) v. 15.8.94, in: Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 53/1994 v. 19.9.94 | 
| (2) | Vgl. Süddeutsche Zeitung v. 15.5.96 | 
| (3) | Gesetz über die Erprobung einer Sicherheitswacht (Sicherheitswachterprobungsgesetz - SEG) v. 24.12.93, in: Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 33/1993, S. 1049-1051 | 
| (4) | Sächsischer Landtag, Drs. 2/6146 v. 19.6.97 | 
| (5) | Süddeutsche Zeitung v. 17.8.92 | 
| (6) | Polizei-Technik-Verkehr 10/93, S. 316 | 
| (7) | Zit. nach: Kriminalistik 1/96, S. 50 | 
| (8) | Innenministerium Brandenburg, Pressemitteilung Nr. 45/94 v. 2.5.94, siehe auch: Newiger, Griet, Modellversuch 'Sicherheitspartner' in Brandenburg, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 51 (2/95), S. 50-56 | 
| (9) | Spörl, Karl-Heinz, Rede des bayerischen Polizeisachverständigen, Leitender Polizeidirektor Heinz Spörl (Stellvertretender Polizeipräsident Oberbayern), bei der Anhörung des Innenausschusses des Sächsischen Landtages zum Gesetzentwurf der Sächsischen Staatsregierung 'Gesetz zur Erprobung einer Sächsischen Sicherheitswacht' am 2.10.97, S. 4 | 
| (10) | Die Polizei, 2/97, S. 33ff. | 
| (11) | Kriminalistik 1/96, S. 49-54 | 
| (12) | Der Spiegel v. 31.7.95 | 
| (13) | Göschl, Alexandra/Lustig, Sylvia, Die bayerische Sicherheitswacht - ein Modell zur Wahrung des staatlichen Gewaltmonopols ?, in: Hornbostel, Stefan (Hg.), Allgemeine Verunsicherung und Politik der Inneren Sicherheit, Jena 1994, S. 147 | 
| (14) | Die Polizei, 2/97, S. 35 | 
| (15) | Vgl. Süddeutsche Zeitung v. 7.2.94; Die Zeit v. 20.5.94; Zeit-Magazin Nr. 46 v. 11.11.94; Göschl, Alexandra/Lustig, Sylvia, Die bayerische Sicherheitswacht - ein Modell ..., S. 147; Kriminalistik 1/96, S. 51-53; | 
| (16) | Gesetzentwurf der Staatsregierung über Gesetz über die Erprobung einer Sächsischen Sicherheitswacht (Sächsisches Sicherheitswachterprobungsgesetz - SächsSWEG), in: Drs. 2/6146 | 
| (17) | Ebd. | 
| (18) | § 4 SächsSWEG | 
| (19) | § 5 SächsSWEG | 
| (20) | § 7 SächsSWEG | 
| (21) | § 9 SächsSWEG | 
| (22) | § 17 SächsSWEG | 
| (23) | SächsSWEG, Begründung S. 2 | 
| (24) | SächsSWEG, Vorblatt | 
| (25) | Spörl, Karl-Heinz, Rede des bayerischen Polizeisachverständigen ..., S. 2 | 
| (26) | Die Polizei, 2/97, S. 35 | 
| (27) | Göschl, Alexandra/Lustig, Sylvia, Die bayerische Sicherheitswacht ..., S. 145 | 
| (28) | Der Oberbürgermeister der Stadt Forchheim, Stellungnahme zum SächsSWEG am 2.10.97 | 
|  | Startseite | Inhaltsverzeichnis | 
| © Bürgerrechte & Polizei/CILIP 
1997 HTML-Auszeichnung: Martina Kant - 31.12.1997 |