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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 58 (3/97) |
Grüne Vorstellungen zur Umweltkriminalität
- Die Crux liegt im Verwaltungshandeln |
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von Wolfgang Wieland | |
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Der Problemkreis Umweltkriminalität hat offenkundig
keine Konjunktur. Weder die Bundesregierung, noch Bundesinnenminister
Manfred Kanthers sog. 'Sicherheitsnetz', ebensowenig
die seit dem gerade beendeten Hamburger Wahlkampf im
Wettstreit um den 'law and order-Pokal' befindlichen
Parteien finden das Thema bei all ihrer Begeisterung
über den früheren New Yorker Polizeipräsidenten
Bill Bratton,(1) bei all ihrer Sorge
um Jugendbanden, Ausländerkriminalität und extremistischer
Gewalt irgendwie erwähnenswert. Da ist es schon
tröstlich, daß Bündnis 90/Die Grünen
in ihren 'Zehn Eckpunkten für ein alternatives
Sicherheitskonzept' den fünften Eckpunkt der Umwelt
gewidmet haben: "Umweltstrafrecht: Vollzugsdefizite
beseitigen und Zivilrecht nutzen". Zu Recht wird in den Eckpunkten zunächst darauf hingewiesen, daß das Umweltstrafrecht vielfach nur symbolischen Zwecken dient. Der größte Teil der Umweltzerstörung geschieht legal. Der blaue Planet stirbt denn auch nicht an den verbotenen Grenzwertüberschreitungen von Emissionen, sondern an den Emissionen an sich. Der Umweltgipfel von Rio befaßte sich am Rande zwar auch mit kriminellen Aktivitäten, vor allem aber mit dem legalen Wahnsinn des weltweiten CO2-Ausstosses, mit der Notwendigkeit der Energiewende. Umweltverbrechen ganz legal Ähnlich ist das Verhältnis von legaler und illegaler Umweltzerstörung im lokalen Rahmen. Bereits im Jahre 1984 führte ein Rechtsreferent des hessischen 'Ministeriums für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz' in einer Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion aus: "(...) und zwar deswegen, weil heute jeder Großemittent einen Bescheid hat; die Situation, die noch vor vielleicht 5 bis 6 Jahren herrschte, daß die aus irgendwelchen Kanälen Abwasser unbefugt eingeleitet haben, die ist in der Verwaltungswirklichkeit überholt; dieser Tatbestand ist bei den Großemittenten fast nicht mehr anzutreffen. Sie haben ihre Umweltverhältnisse legalisiert - ob gut oder schlecht ist ein anderer Punkt - aber sie haben sie legalisiert. Und die Verwaltungsakzessorität des Strafrechtes führt dazu, daß die sich praktisch gar nicht mehr strafbar machen können". Die Verwaltungsakzessorietät schafft Probleme, seit es das Umweltstrafrecht gibt. Auf der anderen Seite gilt sie allgemein als notwendig und von der Sache her geboten. Im Umweltstrafrecht tritt sie vor allem in drei Formen auf: Erstens als Rechtfertigungsgrund wie in § 324 des Strafgesetzbuches (StGB) (Wer unbefugt ein Gewässer verunreinigt ...). Hier liegt das verwaltungrechtliche "repressive Verbot mit Befreiungsvorbehalt" vor. Zweitens in den Fällen, in denen die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten selbst zur Verbotsmaterie gehört, wie in § 325 StGB (Wer ... unter Verletzung verwaltunsgsrechtlicher Pflichten Veränderungen der Luft verursacht ...). Hier liegt das verwaltungsrechtliche "präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt" vor. Drittens gibt es Fälle, in denen allein die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten den Deliktstatbestand ausmacht wie in § 327 StGB (Wer ohne die erforderliche Genehmigung ... eine kerntechnische Anlage betreibt ...). Jedes Mal kommt es entscheidend auf das vorangegangene Behörenhandeln oder -nichthandeln an. Nach wie vor ist also das Umweltrecht in erster Linie ein Umweltverwaltungsrecht. Das Umweltprivatrecht und das Umweltstrafrecht spielen vorrangig eine flankierende Rolle. Dies gilt immer noch, obwohl gerade die Umweltstrafvorschriften mehrfach - zuletzt im Jahre 1994 - eine Erweiterung, Konkretisierung und Zusammenfassung im StGB erfahren haben. Anzeigepflicht für die Verwaltung Wegen dieses absoluten Vorranges des Verwaltungsrechtes kommt dem Handeln der Umweltbehörden nicht nur in der Frage der Strafbarkeit, sondern auch bei der Möglichkeit der Strafverfolgung die entscheidende Bedeutung zu. Im Gegensatz dazu steht jedoch deren Anzeigefreudigkeit. So wurden nach Auskunft des zuständigen Landeskriminalamtes im Jahre 1994 in Berlin 60% aller Delikte von der Polizei selbst angezeigt, 28% von BürgerInnen und lediglich 12% von den Behörden. 1995 waren es bei der Polizei 52% und bei den BürgerInnen 40%. Der Anteil der Behörden hingegen war auf 8% gesunken.
Die Melde- und Anzeigebereitschaft der Umweltbehörden
gilt in Polizeikreisen denn auch als "notorisch
schlecht".(2)
Die dortigen SachbearbeiterInnen sind
durchweg der Auffassung, daß von diesen generell
zu wenig Mitteilungen im Sinne von Strafanzeigen erstattet
werden, oder daß die Umweltbehörden erst
dann Anzeige erstatten, wenn sich ihr verwaltungsrechtliches
Instrumentarium als nicht erfolgreich erwiesen hat.
'Zusammenarbeitserlasse', wie es sie in beinahe allen
Bundesländern gibt, fordern zwar eine "enge,
verständnis- und vertauensvolle Zusammenarbeit
zwischen den beteiligten Behörden zur wirksamen
Verfolgung besonders gemein- und sozialschädlicher
Umweltstraftaten".(3)
Dies bedeutet aber eben keine
absolute Anzeigepflicht der Behörde, sondern läßt
ihr einen Interpretationsspielraum. Deshalb wird von
allen Polizeipraktikern, auch zur Beseitigung von Unsicherheiten
bei den BehördenmitarbeiterInnen selbst, eine
gesetzlich verankerte Anzeigepflicht gefordert. Einzelne
Bundesländer haben sie auf dem Erlaßwege
bereits angeordnet. Damit soll dem weiten Entscheidungsspielraum
der Behörden begegnet werden. Die "geringe Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung" ist nach Ansicht von Dr. Kemp, dem Leiter des 'Wissenschaftlich-technischen Dienstes' beim 'Referat Umweltkriminalität' des Berliner Landeskriminalamtes, der Hauptgrund, der das Vollzugsdefizit bei den Umweltämtern fördert. Auch er fordert deshalb eine gesetzliche Anzeigepflicht für Umweltverwaltungsbehörden sowie für Betriebsangehörige bei Fällen schwerer Umweltkriminalität.(4) Bessere Ausbildung und Ausstattung der Polizei Die Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden und Umweltbehörden ist insgesamt verbesserungsbedürftig. Auf örtlicher Ebene sollten gemeinsame Besprechungen auf Amtsleiterebene unter Einbindung der Staatsanwaltschaft institutionalisiert werden. Auf Sachbearbeiterebene sollte es gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen geben. Gegenseitiger Informationsaustauch ist notwendig und gegenseitige Inanspruchnahme von Laborkapazitäten ist naheliegend.
Damit die Polizei die durch die Schaffung des Umweltstrafrechtes
geweckten und bei Beseitigung des Vollzugsdefizites
gesteigerten Erwartungen erfüllen kann, muß
sie entsprechend ausgestattet, aus- und fortgebildet
sein. Im Nachbarland Brandenburg sieht es bedeutend schlechter aus. Hier arbeiten vier Personen zentral im LKA in Basdorf und 15 in den fünf Brandenburger Polizeipräsidien. Die wissenschaftliche Abteilung in Johannestal besteht aus 15 WissenschaftlerInnen. Entsprechend ist das Ergebnis: "Wir haben 1995 einen Rückgang von über 22% bei den Umweltstraftaten zu verzeichnen! In allen anderen Bundesländern steigt diese Zahl, und speziell in Brandenburg soll sie zurückgehen? Das bezweifle ich. Skrupellose können ihren Müll in Brandenburg besser verschwinden lassen. Für uns ist es schwieriger, solche Müllkippen zu finden. Die Statistik gaukelt uns eine trügerische Ruhe vor. Aber mit vier Leuten können wir keine großen Sprünge machen," so Horst Kuhn, der Leiter des 'Dezernates Wirtschafts- und Umweltkriminalität' im brandenburgischen Landeskriminalamt.(5) Ebenso notwendig wie bei der Polizei ist die weitere Qualifizierung, personelle Ausstattung und Motivierung der Staatsanwaltschaften. Nach Angaben der Ermittler bei der Polizei stellt die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin fast 80% aller Verfahren ein. Da verwundert es nicht, wenn nach Angaben des LKA "diese Leute Gewinne erzielen wie andere mit Rauschgift oder in der Prostitution. Dazu brauchen sie keine Mafiastrukturen". Möglichkeiten des Zivilrechtes ausbauen Im Zivilrecht ist die Gefährdungshaftung zu verankern. Außerdem sind Beweiserleichterungen zugunsten der Geschädigten zu schaffen und die Kausalitätsanforderungen müssen in den Bereichen abgeschwächt werden, in denen ein Ursachennachweis technisch bedingt schon nach kurzer Zeit nicht mehr möglich ist. Hinderlich für eine effektive Rechts-Verfolgung kann auch hier die Verwaltungsakzessorität sein. Wenn es heißt, "wer Gewässer unbefugt verunreinigt, haftet für die Schäden", liegt das Problem in der Befugnis. Gefordert wird von den Bündnisgrünen hier eine Umkehr der Beweislast, so daß der Verunreiniger nachzuweisen hat, daß er befugt einleitet. Die Polizei verlöre so ihre 'Suchfunktion' zur Vorbereitung von Regressverfahren bei Behörden und Unternehmen. Durch eine gesetzlich festgelegte Ökologisierung des Fehlerbegriffes muß es für den Verbraucher möglich werden, für erlittene Umweltschäden Schadensersatz zu erhalten. Dabei muß daran gedacht werden, die persönliche Haftung der Geschäftsführer oder anderer verantwortlicher Personen für schadensgeneigte Fehlorganisation im Betrieb (Organisationsverschulden) gesetzlich zu verankern. Der Zustand, daß die Auslagerung von Kontrollfunktionen auf unseriöse und erkennbar mit ungeschultem und unzuverlässigem Personal arbeitende Drittfirmen gefahrlos für die eigene Haftung möglich ist, muß beendet werden. Selbstverständlich muß im präventiven Bereich auch mit der Möglichkeit der betrieblichen Selbstbindung durch Öko-Audit oder durch Umwelt-Betriebsbeauftragte gearbeitet werden. Auch in diesem Bereich der Umweltschädigung gilt die Regel, daß Repression und Bestrafung nur die ultima ratio sind, wenn Überzeugung und Beispielgebung nicht gefruchtet haben.
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Wolfgang Wielandist Rechtsanwalt und Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. |
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Anmerkungen |
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(1) | Siehe: Der Spiegel v. 7.7.97; Der Spiegel v. 14.7.97; Bürgerrechte & Polizei/CILIP 57 (2/97), S. 22ff. |
(2) | Die Polizei 9/96, S. 225ff. |
(3) | Ebd. |
(4) | Grünstift 11-12/96, S. 16 |
(5) | Ebd., S. 18 |
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1997 HTML-Auszeichnung: Martina Kant - 31.12.1997 |