Bürgerrechte & Polizei/CILIP 59 (1/98) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Nicht "undurchdringlich"
Kontrolle und Überwachung der Schengener Außengrenze |
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von Jürg Lüdi und Heiner Busch | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Wie schon 1993 hat der Schengener Exekutivausschuß auch im vergangenen Jahr Besuchsteams an die Außengrenzen der Vertragsgemeinschaft entsandt. Das Fazit ihres Berichtes: "Trotz aller Anstrengungen" werde es nicht gelingen, "die absolute Undurchdringlichkeit der Außengrenzen zu gewährleisten". [1] Das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) gibt den Vertragsstaaten in Art. 6 einen Kontrollstandard für die Außengrenzen vor. Alle Personen seien an den zugelassenen Grenzübergängen zumindest einer Paßkontrolle und einer Fahndungsabfrage im SIS und im jeweiligen nationalen Fahndungscomputer zu unterziehen. Ausländer aus Nicht-EU-Staaten müssen zusätzlich eine "eingehende Kontrolle", inkl. Durchsuchung mitgeführter Sachen, über sich ergehen lassen. Darüber hinaus sollen auch die "grüne" bzw. die "blaue" Grenze überwacht werden. Dazu müssen "Kräfte in ausreichender Zahl für die Durchführung der Kontrollen und die Überwachung der Außengrenzen zur Verfügung" gestellt werden (Art. 6 Abs. 4). Der Schengener Standard Die Umsetzung dieses
"gleichmäßigen Überwachungsstandards" war
seit der Unterzeichnung des SDÜ im Juni 1990 ein ständiges
Thema. Schon 1991 verabschiedete der Exekutivausschuß ein
Handbuch für die Kontrolle der Außengrenzen. Die
Inkraftsetzung des SDÜ wurde mehrfach verschoben, u.a. mit der
Begründung, einzelne Staaten würden ihre Grenzen nicht
ausreichend sichern. Mit demselben Argument wurden auch die
Aspiranten für die Aufnahme in den erlauchten Kreis der
Anwender des SDÜ konfrontiert. Mehr Personal, mehr Technik Die Grenzen können nicht abgedichtet werden - und das trotz des hohen personellen Einsatzes der Grenzpolizeien, Zollbehörden oder gar des Militärs. Im Juni 1996 taten 4.685 Bundesgrenzschutz-Beamte Dienst an der deutschen Ostgrenze. Durch die BGS-Neuorganisation kommen weitere 1.500 hinzu. Die Zahl der Hilfspolizisten der "grenzpolizeilichen Unterstützungskräfte" soll bei rund 1.000 bleiben. [2] Für seinen Schengen-Beitritt hat Österreich das Grenz-Personal massiv erhöht. Im Juli 1997 waren an Grenzübergängen zu Lande 2.141 Zollbeamte und Grenzwächter eingesetzt. Die "grüne Grenze" wird ferner von 1.265 Grenzwächtern und 1.950 Soldaten des Bundesheeres überwacht.[3] In Frankreich ist in erster Linie die "Direction du contrôle de l'immigration et de la lutte contre l'emploi des clandestins" (DICCILEC), die frühere "Police de l'air et des frontières" (PAF) für die Überwachung der Grenzen zuständig. Sie wird saisonal verstärkt durch Beamte der Nationalpolizei, insbesondere der geschlossenen Einheiten (CRS). Italien verfügte 1997 über 5.000 Grenzpolizisten, inkl. Zoll und Carabinieri. Die Küsten überwachen Marine und Guardia di Finanza. Enorm ist auch der technische Aufwand. Kaum ein Schengener Grenzübergang, der nicht an ein nationales Fahndungssystem und an das SIS angeschlossen ist. Über das neue EISICS (Europäisches Informationssystem für Einreisekontrollen in Seehäfen), das bereits von Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Deutschland und Spanien eingesetzt wird, liegen derzeit keine weiteren Informationen vor. Daneben bedient man sich diverser anderer informationstechnischer Hilfsmittel wie Photophon ("ein rechnergesteuertes Video- und Telefonsystem, das den Polizekräften ermöglicht, international über gewöhnliche Telefonverbindung verschiedene Festbilddokumente auszutauschen") oder Datenbanken "zur Aufnahme von amtlichen Dokumenten" (in den Niederlanden - EDISON, in Frankreich - SINDBAD). Hinzu kommen Gerätschaften an den Grenzübergängen und an der "grünen" Grenze, die die Überwachung der früheren Grenze zwischen den feindlichen deutschen Brüdern im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen lassen. Wegen ihrer "sehr fortschrittlichen" technischen Ausrüstung loben die Besuchsteams insbesondere die BRD, die an den Ostgrenzen "ein umfassendes Entwicklungsprojekt vorweisen konnte", mit dem allenfalls der Schengen-Neuling Österreich konkurrieren kann. Das Grenz-Arsenal beider Länder umfaßt u.a. Wärmebildgeräte, Infrarot- und Nachtsichtgeräte, CO2-Sonden, mit denen überprüft werden kann, ob sich in einem Container oder in einem geschlossenen Lastwagen auch menschliche Last verbirgt, Wandschichtdickenmeßgeräte, Leucht- und Stereolupen, Retroviewer, UV-Lampen und Detektionsgeräte für gefälschte Papiere etc. Die Kontrolle der Grenzen mit Helikoptern, mit Schnellbooten sowie mit motorisierten mobilen Streifen erscheint heute an allen Schengener Land- oder See-Außengrenzen selbstverständlich. Die falschen Folgerungen Aus der Unerreichbarkeit wirklich dichter Grenzen ziehen die Besuchsteams allerdings nicht den Schluß, die absurde Aufrüstung zu beenden. Im Gegenteil: "Die Anstrengungen, die sowohl auf eine höhere Kontrollebene als auch auf Verbesserungen im Bereich des Materialaufwandes, der Techniken und des Personalaufgebots zielen, müssen fortgesetzt werden." Dringend erforderlich seien Personalaufstockungen "an den Landgrenzen Spaniens und Frankreichs, den internationalen Flughäfen Belgiens, Luxemburgs und in geringerem Maße Spaniens sowie an den Seegrenzen Belgiens, Spaniens, Frankreichs und der Niederlande." Halbjährlich solle der Bedarf analysiert werden. Die Standards des SDÜ und die ständigen Warnungen vor "unkontrollierbaren Wanderungsströmen" zwingen die Schengen-Mitglieder und die Beitrittskandidaten zu permanenten Anpassungen. Statt dem repressiven politischen Ziel wird vor allem eines erreicht: Wer es schafft, die neuen Mauern und Festungsgräben zu überwinden, findet sich im Innern der Festung ohne rechtlichen Status wieder. Die steigende Zahl der "Sans-Papiers", der Illegalisierten, dient wiederum als Rechtfertigung für mehr Kontrolle an den Grenzen und im Inland. Die Spirale dreht sich weiter.
Jürg Lüdi ist
Mitglied der Asylkoordination Schweiz und arbeitet beim Berner
Sekretariat von Amnesty International.
Einreiseverweigerung,
Festnahme, Zurückschiebung -
Quelle: Jahresbericht zur Lage an den Außengrenzen der Staaten, in denen das Schengener Durchführungsübereinkommen in Kraft gesetzt wurde, 1.1.1996-31.12.1996, Sch/I-Front (97) 42, 2. Rev., Brüssel, 20.3.1997 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Anmerkungen |
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(1) | Alle Zitate - soweit nicht anders vermerkt - aus: Synthesebericht der Besuchsteams, Schengen/I-Front-com (97) 1, 2. Rev., Brüssel, 20.3.1997 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(2) | Bundesministerium des Inneren: Zur Neustrukturierung des BGS, Bonn, 3.6.1996 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(3) | Bericht Besuchsteam Österreich - Schengen/I-Front-com (97) , 4. Rev., Brüssel, 12.5.1997 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 1998 HTML-Auszeichnung: Felix Bübl. Zuletzt verändert am 12. Mai 1998. |