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Als die flüchtlings- und
migrationsfeindliche Kampagne in der BRD 1993 u.a. mit der
Drittstaatenregelung und dem deutsch-polnischen
Rückübernahmeabkommen einen Höhepunkt erreichte,
kritisierten zahlreiche Initiativen den voraussehbaren Export des
bundesdeutschen Sicherheitsmodells nach Osteuropa als
"Domino-Effekt".[1] Die östlichen
Anrainerstaaten würden als Auffangbecken für Abge-schobene
und für gestrandete Transitflüchtlinge fungieren. Sie
wür-den zur Übernahme des westlichen Grenzregimes und der
Abschiebepraktiken gezwungen. Die Grenze der Festung Europa
verlagere sich wie in einer Kettenreaktion immer weiter nach
Osten.
Zwar setzte die polnische Regierung die
Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen und
MigrantInnen zunächst nur zögerlich in Gang. Doch
entwickelte sich die grenzüberschreitende polizeiliche
Zusammenarbeit schneller als alle anderen bilateralen Bereiche. Zum
Vehikel dieser Zusammenarbeit wurde neben der
Flüchtlingspolitik der Kampf gegen das Phantom der
"Organisierten Kriminalität". Erster Ausfluß
dieser Kooperation war eine Reihe von Abkommen und
Protokollen:
-
Rückübernahmeabkommen mit den
Schengener Staaten vom 29.3.1991, in Kraft seit 1.5.1991
-
Vertrag über gute Nachbarschaft und
freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17.6.1991
-
Notenwechsel über die Einrichtung einer
Regierungskommission für regionale und grenznahe
Zusammenarbeit, ebenfalls vom 17.6.1991
-
Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der
organisierten Kriminalität vom 6.11.1991, in Kraft seit
14.8.1992[2]
-
Abkommen über die Zusammenarbeit
hinsichtlich der Auswirkungen von Wanderungsbewegungen (Bilaterales
Rückübernahmeabkommen) vom 7.5.1993, in Kraft seit
1.6.1993[3]
-
Staatsvertrag über die Zusammenarbeit
der Polizeibehörden und der Grenzschutzbehörden in den
Grenzgebieten vom 5.4.1995
-
In Vorbereitung
sind Abkommen zur Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen,
Einsatzleitungen, Befehls- und Dienststellen.[4]
Kleine Abkommen - große Folgen
Vor allem die Abkommen zu den
Rückschiebungen und zur Bekämpfung der Organisierten
Kriminalität (OK) hatten immense Folgen für die
Zusammenarbeit. Für die Rückübernahme von ca. 10.000
Flüchtlingen und MigrantInnen pro Jahr erhielt die polnische
Regierung verwendungsgebunden 120 Mio. DM. Zum größten
Teil nutzte sie diese Mittel für die Aufrüstung der
Grenzen - zu 49 Prozent für die Grenzpolizei und zu 38 Prozent
für die Polizei. Da der Vertrag vorschrieb, daß die
anzuschaffenden Waren überwiegend aus deutscher Produktion
stammen müßten, schuf die Angleichung der Ausrüstung
die technischen Voraussetzungen für die
grenzüberschreitende Kommunikation. In der Hälfte aller
Wojwodschafts-Polizeizentralen wurden Arrestzellen mit Geldern aus
diesem Fonds umgewidmet: Es entstanden Abschiebehaftzentren für
400 Personen, die aber bis 1996 aufgrund eines Einspruchs des
polnischen Verfassungsgerichts nicht belegt werden durften. Des
weiteren sind in dem Abkommen "organisatorische und finanzielle
Hilfen" zum "Entgegenwirken" von
"Wanderungsbewegungen", zur "Schaffung eines
zentralen Erfassungssystems von Ausländern" und zur
Ausbildung von polnischen Grenzschutz- und Polizeibeamten
festgeschrieben.
Das Abkommen zur OK-Bekämpfung sieht u.a. die Bildung einer
"Arbeitsgruppe zur gemeinsamen Analyse der mit der
Bekämpfung der unerlaubten Einschleusung von Personen
zusammenhängenden Fragen und zur Ausarbeitung geeigneter
Gegenmaßnahmen" vor. Informationen, die "zur
Bekämpfung von Straftaten und zur Abwehr der unerlaubten
Einschleusung von Personen erforderlich sind", sollen
ausgetauscht werden.
Selbst wenn man die ergänzenden Durchführungs- und
Zusatzprotokolle hinzuzieht, ist die rechtliche Decke für die
deutsch-polnische polizeiliche Zusammenarbeit inhaltlich nach wie
vor dünn, insbesondere was die Rechte der von dieser
Zusammenarbeit Betroffenen angeht. Die Funktion der Abkommen besteht
in erster Linie darin, daß sie einen großen Spielraum
für die informelle Ausgestaltung durch die Polizeien selbst
eröffnen. Die vertraglichen Fixierungen mit Polen
"gestatten somit - kurioserweise - mehr in der polizeilichen
Zusammenarbeit, als die seit Jahrzehnten gewachsenen Verbindungen
mit den meisten westeuropäischen Staaten", so
BKA-Kriminaldirektor J. Wolters.[5] Auch J. Albrecht, Direktor des LKA
Brandenburg, bestätigt, "daß sich die
grenzüberschreitende informelle
polizeiliche Zusammenarbeit mit Polen auf der Arbeitsebene zur
Zufriedenheit beider Seiten entwickelt. Der spontane polizeiliche
Austausch von Informationen zwischen Brandenburg und dem polnischen
Grenzbereich funktioniert teilweise besser als zwischen Brandenburg
und den Schengen-Mitgliedsländern."[6]
Gesellschaftliches Klima
Die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen die Polizei auf
deutscher und auf polnischer Seite arbeitet, unterscheiden sich
beträchtlich, gerade auch in der sogenannten
Ausländerpolitik. Auf deutscher Seite hat das Zusammenspiel der
Kampagnen von Politikern und Medien mit rassistischen
Übergriffen nach und nach zur Kompetenzerweiterung für den
BGS und die Länderpolizei geführt. In Polen dagegen ist
die Flüchtlingssituation und die Transitmigration kein
besonders beachtetes Thema in der Öffentlichkeit. Die
Neuausrichtung der Polizeiapparate auf Kontrollen von
Ausländern, besonders in den Grenzgebieten, ist eher
außenpolitisch bedingt: Die Perspektive des Beitritts zur
Europäischen Union (EU) diktiert die Grenzaufrüstung und
die entsprechende Konditionierung der polnischen Beamten.
Höhere Beamte der staatlichen Institutionen, die mit
Migrations- und Fluchtangelegenheiten befaßt sind und seit
Mitte 1997 im Rahmen des `Strukturierten Dialogs' zwischen den EU-
und den assoziierten MOE-Staaten als Beobachter an Sitzungen der
EU-Gremien CIREA und CIREFI teilnehmen, meinten freilich
kürzlich in einem Gespräch,[7] daß es bis heute völlig
ungewiß sei, was von der EU-Migrations- und
Flüchtlingspolitik als verbindlicher "Besitzstand"
definiert werde, den Polen wie die anderen MOE-Länder für
den Beitritt erreichen müßten. Die Anpassung an das
westeuropäische Grenz- und Migrationsregime verläuft in
Wirklichkeit zum Teil als Vorleistung, zum Teil als unmittelbare,
kurzfristige Reaktion auf konkreten Druck, wie z.B.
anläßlich der Europarats-Konferenz im Sommer 1996. Damals
ordnete die Regierung die umfangreichsten Razzien im Polen der
Nachwendezeit an. Ungefähr 400 Flüchtlinge wurden
verhaftet, alle Abschiebearreste waren schlagartig belegt.[8]
Auf deutscher Seite wandten sich BGS und Polizei in den letzten Jahren
verstärkt der lokalen Bevölkerung in den Grenzregionen
sowie der Überwachung des Grenzraums, der
Durchgangsstraßen und Verkehrsknotenpunkte zu. Ein Grund
dafür mag darin liegen, daß die High-Tech-Aufrüstung
mit Nachtsichtgeräten, CO2-Detektoren und Datenterminals, die den Zugriff auf
bundesweite Personal- und Sachfahndungsdatenbanken mit dem
Schengener Informationssystem (SIS) bündeln nicht zur
völligen Abschottung der Schengener Außengrenze
geführt hat. Jährlich werden 20.000 bis 22.000 heimlich
Eingereiste an den ostdeutschen Grenzen gefaßt und - von
wenigen Ausnahmen abgesehen - sofort nach Polen, in die Tschechische
Republik oder direkt nach Bukarest bzw. Sofia zurückgeschoben.
Dennoch gelingt es jährlich über 100.000 Personen, einen
Asylantrag in der Bundesrepublik zu stellen.[9] Und weitere, die ebenfalls heimlich
eingereist sind, streben aufgrund der Chancenlosigkeit und folgender
Abschiebegefahr nicht mehr ins Asylverfahren. Nach Angaben des BGS
in Frankfurt (Oder) und in Rothenburg erfolgen die meisten
Personenkontrollen - und Festnahmen - nach Hinweisen aus der
Bevölkerung in den Grenzgebieten. Tatsächlich ist in den
letzten Jahren eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit des
BGS zu beobachten, der in manchen Regionen bereits
größter Arbeitgeber geworden ist. Durch die
flächendeckende Einrichtung von Bürgertelefonen, durch die
Vergabe von Kontroll-"Aufträgen" an
Bürgerwehren,[10] durch offensive Zusammenarbeit des BGS mit den
Landespolizeien und Staatsanwaltschaften entstehen regelreche
Fahndungsverbunde und Denunziationsbündnisse. Für die
Einbeziehung kommunaler Körperschaften und Unternehmen in die
Grenzfahndung - jenseits aller gesetzlichen Grundlagen - gibt ein
jüngstes Beispiel beredte Auskunft: Als die Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration
den Fall der Verurteilung eines Taxifahrers wegen der "Beihilfe
zur illegalen Einreise bzw. zum illegalen Aufenthalt" zu einem
Jahr und sechs Monaten Haft ohne Bewährung untersuchte,
stieß sie auf Empfehlungen der Industrie- und Handelskammer
Dresden in Absprache mit dem BGS, der Staatsanwaltschaft Dresden,
dem Landesverband Taxi/Mietwagenverkehr und verschiedenen
staatlichen Ordnungsbehörden. Darin werden die Taxifahrer
aufgefordert, Fahrgäste, deren "äußeres
Erscheidungsbild (...) den Verdacht zuläßt, daß es
sich um Personen handeln könnte, die sich illegal
aufhalten", über ein Codewort der jeweiligen Zentrale und
damit der Polizei bzw. dem BGS zu melden. Für den Fall der
Nichtkooperation wird gedroht: "Erfolgt während der
Beförderung eine Kontrolle der Fahrgäste, und wird eine
Straftat festgestellt, so ist mit einer Ermittlung gegenüber
dem Taxifahrer zu rechnen."[11] Ähnliche Treffen und Absprachen
wurden auch bei der IHK Bautzen durchgeführt. Taxifahrer der
Grenzregionen erklärten in verschiedenen Interviews unisono,
daß sie keine "Ausländer" mehr befördern
würden. Fügt man die zahlreichen Aspekte zusammen, mit
denen heute auf deutscher Seite Behörden,
Bevölkerungsinitiativen und Unternehmen die heimlich
Eingereisten in der Grenzregion aufzuspüren und abzuwehren
versuchen, so fällt nicht nur der korporative
Zusammenschluß auf, sondern auch die phänotypische,
biologisierende Bestimmung des Feindbildes.
Feindlich gesinnte Bevölkerung
Auf polnischer Seite beklagen
hingegen ranghohe Grenzschützer und Polizisten die ihnen
feindlich gesonnene Einstellung der lokalen Bevölkerung ge-rade
in den westpolnischen Grenzgebieten. Zwar haben sie nicht nur die
High-Tech aus der BRD importiert, sondern auch die Institution der
sogenannten Bürgertelefone. Aber die Ergebnisse lassen sich
wohl in keiner Weise vergleichen. M. Kaminiski, Chef der
Grenzschutzkommandantur Lubusko in Krosno Odrzañskie - der
wichtigsten der drei westpolnischen Grenzschutzkommandanturen - ,
spricht gar von "sozialer Abnormität" und
weitverbreiteter "sozialer Pathologie" der
Lokalbevölkerung. Diese habe nach ihrer Ansiedlung ab 1945
keine rechten Wurzeln geschlagen, sondern sei von Mobilität und
Desintegration gekennzeichnet. Die angeblich "kriminogene"
Grenze und der sozialwirtschaftliche Verfall tue ein übriges,
so daß er generalisierend beschreibt: "Zu den kriminellen
Aktivitäten der Grenzbewohner gehört auch ein ganzes
Spektrum von Hilfsmaßnahmen und Leistungen, die dem illegalen
Grenzübertritt dienen. Zu diesen gehören: 1. Die
Vermietung von solchen Räumlichkeiten im Grenzgebiet wie
Zimmer, Kammern, Stübchen, Schuppen u.ä., die den Fremden
die Möglichkeit geben, eine sich zum illegalen
Grenzübertritt bietende Gelegenheit wahrzunehmen. 2. Die
Heranführung der auf Beförderung über die Grenze
wartenden Personen an einen Ort und zu einem Zeitpunkt, der das
Risiko mindert, vom Grenzschutz gefaßt zu werden. 3. Der
Transport von Ausländern aus weit von der Grenze entfernten
Ortschaften und deren Heranführung in die Grenznähe, um
ihnen den illegalen Grenzübertritt zu ermöglichen."[12] Auch der
Schmuggel könne sich ungebremst ausbreiten, "weil sich
unter den Einwohnern des grenznahen Raumes die Bereitschaft
entwickelt hat, die Schmugglerbanden zu unterstützen."[13] Auch
jugendliche Diebesbanden, die sich für Kurztrips nach Berlin
aufmachten, verfügten über "stillschweigende oder
aktive Unterstützung der Grenzbevölkerung".[14]
Obwohl der polnische Grenzschutz an der Westgrenze inzwischen in
ähnlicher Weise wie der BGS aufgerüstet sein soll und
zusätzlich konkrete Fahndungshilfe durch deutsche und andere
EU-Polizeibehörden erhält, nimmt er an der grünen
Grenze zur BRD - auf der polnischen Seite - weniger Personen als der
BGS auf der westlichen Grenzseite fest. 1995 waren es auf polnischer
Seite 8.666 Festnahmen wegen des Versuchs der illegalen
Grenzüberschreitung (in Richtung BRD).[15] Davon waren 80%
AusländerInnen, 20% hingegen polnische
StaatsbürgerInnen.[16] Übrigens hatten die meisten der an der
polnischen Westgrenze Verhafteten legale Aufenthaltstitel, denn
schätzungsweise 70% der heimlich über Polen in die BRD
migrierenden Menschen reisen legal in Polen ein.[17] Allein, es fehlte ihnen an
den Geldvorräten, die Ausländer bei sich zu tragen haben,
oder es reichte schon die Grenznähe
ihres Aufenthalts für die Verhaftung aus: Roma aus
Rumänien sind nicht nur das typische Beispiel der Opfer dieser
Behördenpraxis, sondern bilden auch die größte
Gruppe unter den Verhafteten und Ausgewiesenen.
M. Kaminski bringt in seiner Darstellung die häufigen
Unterstützungsleistungen der lokalen Bevölkerung mit der
entstandenen "Grauzone der Wirtschaft" in Zusammenhang,
die sich besonders stark rund um die westpolnischen Märkte
ausgebreitet habe. Tatsächlich hat die informelle
Armutsökonomie nach 1988 dafür gesorgt, daß
Flüchtlinge und MigrantInnen im Transitland Polen ihre
zeitweiligen Nischen finden konnten. Schattenwirtschaft gilt bis
heute als probates Mittel auch der Neoliberalen, um die regulierten
und tradierten Verhältnisse schöpferisch zu
zerstören.
Das harte Meldewesen und die strenge Unterscheidung zwischen legalem
Aufenthalt und irregulärer Existenz, wie wir sie in der BRD
kennen, sind im Nachbarland Polen bis 1997/98 fast völlig
unbekannt. Auch die Löhne zwischen bevorrechteten
StaatsbürgerInnen und schwarzarbeitenden PendlerInnen aus den
östlichen Nachbarländern unterscheiden sich nicht derart
dramatisch wie in Westeuropa.
Es überrascht daher nicht, wenn man beim Vergleich der deutschen
und polnischen polizeilichen Kriminalstatistiken absolute
Unterschiede feststellt: Die im Westen separat geführte
Statistik zur sogenannten
"Ausländerkriminalität" existiert in Polen
nicht, bzw. wenn sie denn auf Wunsch deutscher Kriminologen erstellt
wird, kommt Marginalität heraus. J. Gemra, seinerzeit
stellvertretender Justizminister und stellvertretender
Generalstaatsanwalt Polens, nannte auf einem Frankfurter
Experten-Hearing folgende Zahlen: 1992 sei gegen 3.575
nichtpolnische Staatsangehörige, 1994 gegen 3.983 und 1995
gegen 6.349 ermittelt worden.[18] Den höchsten Anteil stellt in dieser Statistik
die Straftat des illegalen Grenzübertritts dar.
Informelle Kooperation zur Überwindung
langer Dienstwege
Informelle polizeiliche Zusammenarbeit scheint
die Antwort auf die deutsch-polnischen Disparitäten und auf die
in manchen Bereichen wenig verrechtlichten oder verpolizeilichten
gesellschaftlichen Verhältnisse in Polen zu sein. Mit
informeller Arbeitsweise ist gemeint, daß die Grenzen zwischen
festumrissenen staatlichen Institutionen durch persönliche
Alltagskontakte systematisch aufgeweicht werden. Verbindungsbeamte
der Polizei, die im Nachbarland eingesetzt werden, ermöglichen
die parallele Abfrage in den Fahndungsdateien zweier Länder.
Man schaut sich dabei über die Schulter und umgeht die
datenschutzrechtlichen Fragen, die bei einer formellen
Zusammenarbeit aufgeworfen würden. Mit informeller
Zusammenarbeit ist des weiteren gemeint, daß stillschweigend
oder durch Generalklauseln abgesegnet die langen Dienstwege
über Warschau und Bonn bzw. Wiesbaden (BKA) oder Koblenz
(Grenzschutzdirektion) durch lokale grenzüberschrei-tende
Arbeitsgruppen und Kontakte ersetzt werden. Dazu einige
Beispiele:
-
Im Jahr 1996 lief ein
Modellversuch zwischen deutschem und polnischem Grenzschutz im
südlichen deutsch-polnischen Grenzgebiet. Angehörige
beider Dienste fuhren auf beiden Seiten der Grenze in ihren
jeweiligen Dienstfahrzeugen gemeinsam Streife.[19]
-
Das Grenzschutzamt Frankfurt (Oder), dem bis Ende 1997 die
Überwachung der ostdeutschen Grenze in den neuen
Bundesländern unterstand[20] führt "turnusmäßige
Treffen" mit den Leitern der drei westpolnischen
Grenzschutzabteilungen (Szczecin, Krosno, Luban) durch. Der
Austausch von Verbindungsbeamten sei geplant.[21]
-
Am 19.10.1996 wurde eine ständige Arbeitsgruppe im
westpolnischen Lagow bei Zielona Gora gegründet. Ihr
gehören Vertreter der Staatsanwaltschaft und der
Polizeibehörden aus den polnischen Grenzbezirken Szczecin,
Gorzow Wielkopolski, Zielona Gora und Jelenia Gora sowie aus
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen an. "Die
Arbeitsgruppe will vor allem die Fahndungen besser koordinieren und
den Informationsaustausch zwischen Kriminalbehörden beider
Staaten intensivieren."[22] Am 28./29.10.1996 wurde diese Perspektive mit der
"Entschließung von Lagow zur Verbesserung der
Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften und der Polizeien der
deutschen und polnischen Grenzregion" festgeschrieben.
-
Am 5. Juli 1995 unterzeichneten der
Wojewodschaftskommandant der Polizei Gorzów Wielkopolski und
der Polizeipräsident von Frankfurt (Oder) ein Protokoll
über die lokale polizeiliche Zusammenarbeit, das u.a. die
Bildung von drei Kommissionen vorsieht. Die mit diesen Kommissionen
entstandenen Informationsbeziehungen im brandenburgisch-polnischen
Grenzgebiet nutzen laut LKA-Direktor Albrecht und dem Frankfurter
Polizeipräsidenten H. Lietsch auch einige Altbundesländer:
So werden täglich bis zu sieben Anfragen zu polnischen
Tatverdächtigen in den Altbundesländern über das
Brandenburger LKA und das Polizeipräsidium in Frankfurt (Oder)
an die polnischen Polizeiapperate weitergeleitet. Einen
"prinzipiellen Regelungsbedarf" sieht Albrecht "beim
polizeilichen Informationsaustausch (...) weniger durch fehlende
oder nachbesserungsbedürftige rechtliche Regelungen, sondern
infolge ganz profaner materieller Ursachen" - wie
Kommunikationstechnik, Fremdsprachenschulung usw.[23] Lietsch berichtet,
daß in der "Kommission 2", in der
Kriminalitätsangelegenheiten zur Sprache kommen, die
Vorgehensweise bis hin zur "Festlegung von
Untersuchungshandlungen" gegen Dokumentenfälschung,
"Menschenhandel" und organisierte Grenzüberschreitung
besprochen werde. Auch Staatsanwälte würden hinzugezogen.
Die Ausbildung von polnischen Hundeführern, der gemeinsame
Einsatz von Polizeibeamten beider Länder auf dem Markt in
Slubice und auf dem Weihnachtsmarkt in Frankfurt (Oder) werden auf
dieser Arbeitsgruppen-Grundlage organisiert.[24] Angestrebt werden
gemeinsame Dienststellen in Frankfurt/Slubice, wie auch in
Görlitz/Zgorzelec und Guben/Gubin in Sachsen.
-
Beamte des BGS der sächsischen Landespolizei sowie des
polnischen Zolls und der polnischen Polizei gehen im
sächsischen Grenzgebiet zusammen auf Streife.[25]
-
1997 wurde auf Betreiben der Innenminister Sachsens, Brandenburgs
und Mecklenburg-Vorpommerns eine Arbeitsgemeinschaft für
polizeiliche Zusammenarbeit mit den Staaten Mittel- und Osteuropas
(AG Pol MOE) gegründet. Die letzte bekanntgewordene Tagung
dieser Arbeitsgruppe fand im Juni 1997 in Sofia (Bulgarien) statt.
Schwerpunkte dieser Arbeitsgemeinschaft sind u.a. die schon
erwähnte deutsch-polnische Arbeitsgruppe von Polizei und
Staatsanwaltschaften, Stipendien polnischer Polizisten beim BKA mit
Praktikumsabschnitten in den neuen Bundesländern, gemeinsame
Trainings und Schulungen von Spezialeinheiten sowie die unmittelbare
Zusammenarbeit "am Einzelfall grenzüberschreitender
Kriminalität und OK".[26]
-
1995 wurden
LKA-Koordinierungsstellen (KOST) in Mecklenburg-Vorpommern,
Brandenburg und Sachsen eingerichtet. Hier arbeiten polnisch
sprechende BeamtInnen, u.a. polnische StaatsbürgerInnen, die in
Deutschland verbeamtet wurden. Die KOST in Anklam gilt in ihrer
Zusammenarbeit mit dem sog. Sachgebiet 26 -
grenzüberschreitende Kriminalität - deutschlandweit als
Pilotprojekte.[27] Diese KOST-BeamtInnen verfügten über
"ein paar direkte Drähte zu Ansprechpartnern jenseits der
Grenze", was "die Arbeit effizienter (machte), als es der
bisher übliche Weg über Bundes- und
Landeskriminalämter und Interpol zuließ."[28]
-
Am 29.8.1997 trafen sich die Innenminister
Schleswig-Holsteins, Hamburgs, Mecklenburg-Vorpommerns, Bremens,
Niedersachsens, Brandenburgs, Berlins, Sachsen-Anhalts sowie
Vertreter von BKA und BGS auf dem Gelände des LKA Brandenburg
in Basdorf und verabschiedeten einen Beschluß zur
polizeilichen Zusammenarbeit im Ostseeraum. Als Ziel wurde genannt,
vor allem die "Schleuserkriminalität" "innerhalb
gemeinsamer Ermittlungsgruppen" zu bekämpfen.[29] Angestrebt
wird außerdem die "Öffnung der Sachfahndung nach
einschlägigen Personaldokumenten für die
außerpolizeilichen Behörden oder die Anwendung eines
Rasters zur Feststellung erster Verdachtsmomente für
Schleusungen."[30]
Nachzutragen bleibt der
jüngste Versuch der polnischen Regierung, einigen Schengener
Anforderungen nachzukommen: Am 27.12.1997 trat das neue
Ausländergesetz mit Carrier Sanctions, Einschränkung des
Asylrechts, Neuregelung der Abschiebehaft u.v.a.m. in Kraft, und
seit dem 1.1.1998 gelten verschärfte Einreisebestimmungen -
Visapflicht, zentralkontrollierter Einladungsnachweis - für
BewohnerInnen von Belarus und Rußland. Die Folge war der
Zusammenbruch der lokalen ostpolnischen Ökonomie, die zu einem
großem Teil aus unregistrierten Kleinfabriken und aus
Suitcase-Trade über die Grenzen hinweg besteht. Nun arbeitet
die Regierung in höchster Eile eine neue Einreiseregelung aus,
ein Billigvisum soll für sechs Dollar direkt an der Grenze
ausgegeben werden. Für Flüchtlinge und MigrantInnen wird
es also auch weiterhin in Polen Nischen geben, solange die
Schattenwirtschaft nicht abgeschafft werden kann.
Helmut
Dietrich ist Mitglied der Forschungsgesellschaft Flucht und
Migration und arbeitet beim Hamburger Institut für
Sozialforschung
Dieser
Artikel erscheint auch in einem Heft mit dem Titel
"Deutsches Grenzregime", das der niedersächsiche
Flüchtlingsrat (Lessingstr. 1, 31135 Hildesheim) im April
herausgibt. Einen umfangreicheren Beitrag von Helmut Dietrich, zur
grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und zur
Flüchtlingsthematik, publiziert ferner die vom Hamburger
Institut herausgegebene Zeitschrift "Mittelweg".
Anmerkungen
[1] Initiative gegen das Schengener Abkommen (Hg.):
Materialien zum Export der Politik der Inneren Sicherheit und der
Flüchtlingsabwehr nach Osteuropa. o.J. (1993)
[2] BGBl.,
1992, Teil II, S. 95
[3] Innenpolitik Nr. III 1/1993
[4] BMI, Pressereferat, Warschau 10.4.97
[5] Wolters,
Jörg: Aspekte der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit
in Ost- und Westeuropa, Schriftenreihe der
Polizei-Führungsakademie, 1/1997, S. 33
[6]
Albrecht, Jügen: Grenzüberschreitende Kriminalität
aus der Sicht des Landes Brandenburg (unter besonderer
Berücksichtigung Organisierter Kriminalität), Ms., in:
Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder): Experten-Hearing
"Kriminalität im Grenzgebiet" 24.-27.10.1996, S. 13
(Hervorhebung im Original)
[7] u.a. mit M. Kuczynski, stv.
Leiter der Abteilung für Migrations- und
Flüchtlingsangelegenheiten des polnischen Innenministeriums,
Warschau 23.2.1998
[8] Vgl. Forschungsgesellschaft Flucht und
Migration: Ukraine. Vor den Toren der Festung Europa. Die
Vorverlagerung der Abschottung, Berlin,Göttingen 1997, S.
13ff.
[9] 1997 wurden 104.353 Anträge auf Asyl in der BRD
gestellt.
[10] Im Februar 1998 stellte sich in der an
der Neiße gelegenen Stadt Forst heraus, daß dort mehrere
Bürgerwehren seit ungefähr sechs Jahren eine Art
Fahndungsverbund mit dem BGS und der Polizei bilden. Vertreter der
Bürgerwehren berichteten Details über ihre koordinierten
Einsätze auch gegen heimlich Eingereiste, Vertreter von Polizei
und BGS stritten diese Darstellungen zunächst ab; siehe
Frankfurter Rundschau v. 6.3.1998
[11] Verkehr und
Kommunikation. Zeitschrift der IHK Dresden 5/1997
[12]
Kaminski, Marek: Die Grenzkriminalität im mittleren Bereich der
Westgrenze Polens. Krosno Odrzañskie, 10.7.96, Ms., in:
Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder): Experten-Hearing
a.a.O., S. 10
[13] Ebd., S. 7
[14] Ebd., S.
17f.
[15] Ebd., S. 25. Darüber hinaus hat der polnische
Grenzschutz in dem Jahr 2.000 Personen beim Versuch der illegalen
Grenzüberschreitung in die BRD an den Grenzübergängen
festgenommen, aufgrund gefälschter Papiere etc. (ebd.)
[16] Ebd., S. 27
[17] Ebd., S. 14
[18]
Gemra, Jozef: Die Problematik der grenzüberschreitenden
Kriminalität und ihrer Bekämpfung, Allg. Festnahmen von
Ausländern, illegaler Grenzübertritt u.a., Ms., Warschau
16.10.1996, in: Expertenhearing, a.a.O., S. 11
[19]
Auskunft eines BGS-Offiziers in Ostritz anläßlich eines
Besuches von Teilnehmern der Caritas Fachtagung
"Migrationsarbeit mit Grenzen" 10.3.-13.3.1997
[20] ab 1998 gehört Mecklenburg-Vorpommern zum
Grenzschutzamt Nord
[21] Mitteilung des BGS Frankfurt
(Oder) vom 23.9.97
[22] Süddeutsche Zeitung
20.10.1996
[23] Albrecht, a.a.O., S. 12f.
[24] Lietsch, Hartmut: Bericht, o.T. Ms., in:
Expertenhearing, a.a.O., S. 28ff.
[25]
Sächsisches Staatsministerium des Innern, Pressemitteilung
80/97, 4.8.1997
[26] Ebd.
[27] Nordkurier v.
11.2.1997
[28] Der Spiegel Nr. 8/1997
[29]
Brandenburg, Ministerium des Innern, Pressemitteilung Nr. 63/97 v.
29.8.1997
[30] Ebd.
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