CILIP Bürgerrechte & Polizei/CILIP 59 (1/98)

Memorandum of Understanding (Dokumentation)

 
 
Das Bundesministerium des Innern der Bundesrepublik Deutschland
und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement

bekunden aufgrund der Gemeinsamen Erklärung des Bundesministers des Innern der Bundesrepublik Deutschland und des Vorstehers des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 27. November 1995 sowie der anschließend geführten Gespräche zu ihrer Umsetzung und unbeschadet bestehender Abkommen und Vereinbarungen die Bereitschaft, ein kooperatives Sicherheitssystem an der gemeinsamen Grenze und in den Grenzgebieten im Einvernehmen einerseits mit den Ländern Baden-Württemberg und Bayern sowie andererseits den Kantonen Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aarau, Zürich, Schaffhausen, Thurgau und St. Gallen zu betreiben.

Zu diesem Zweck soll die Zusammenarbeit folgende Bereiche umfassen:

1. Die Polizei-, die Grenzpolizei- sowie die Grenzwacht-, Grenzschutz- und Bahnpolizeibehörden sollen in den Grenzgebieten die Zusammenarbeit verstärken bei der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, vor allem im Bereich der illegalen Zuwanderung, sowie bei der Bekämpfung einschließlich der Verhütung und Verfolgung von Straftaten auf der Grundlage und nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts. Die internationale Kooperation auf dem Gebiet der Kriminalitätsbekämpfung durch nationale Zentralstellen, insbesondere im Rahmen der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (IKPO-Interpol) soll in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften im Sinne dieses Memorandum of Understanding in den Grenzgebieten ergänzt werden,

2. Die Zollverwaltungen sollen im Rahmen ihrer Zuständigkeit in diese Zusammenarbeit auch insoweit einbezogen werden, als sie Aufgaben in Zusammenhang mit Verboten und Beschränkungen des grenzüberschreitenden Verkehrs wahrnehmen. Die Zusammenarbeit der Zollbehörden aufgrund bestehender oder künftiger bi- oder multilateraler Vereinbarungen soll unberührt bleiben.

3. Behörden

Die deutsche Seite weist darauf hin, daß

3.1 in der Bundesrepublik Deutschland

3.1.1 Polizeibehörden in den Grenzgebieten sind,

in Baden-Württemberg

die Landespolizeidirektion Freiburg,

die Landespolizeidirektion Tübingen,

die Wasserschutzpolizeidirektion Mannheim,

und ihre jeweils nachgeordneten Dienststellen

sowie das Landeskriminalamt in Angelegenheiten der Kriminalitätsbekämpfung in den Grenzgebieten, wobei in Fällen von übergeordneter und überregionaler Bedeutung das Bundeskriminalamt nachrichtlich beteiligt werden soll,

in Bayern

das Präsidium der bayerischen Grenzpolizei,

die Grenzpolizeiinspektion Lindau,

das Polizeipräsidium Schwaben,

die Polizeidirektion Kempten

sowie das Landeskriminalamt in Angelegenheiten der Kriminalitätsbekämpfung in den Grenzgebieten, wobei in Fällen von übergeordneter und überregionaler Bedeutung das Bundeskriminalamt nachrichtlich beteiligt werden soll,

3.1.2 Grenzschutz- und Bahnpolizeibehörden in den Grenzgebieten sind:

das Grenzschutzamt Weil am Rhein,

das Grenzschutz- und Bahnpolizeiamt Stuttgart,

3.1.3 die Zollbehörden in den Grenzgebieten, soweit sie grenzpolizeiliche Aufgaben wahrnehmen, sind:

die Hauptzollämter Lörrach, Waldshut, Singen, Konstanz, Friedrichshafen und Lindau,

die Zollbehörden in den Grenzgebieten, soweit sie Aufgaben in Zusammenhang mit Verboten und Beschränkungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs wahrnehmen: die oben genannten Hauptzollämter sowie die Zollfahndungsämter Freiburg, Stuttgart und München.

Die schweizerische Seite weist darauf hin, daß

3.2 in der Schweiz die zuständigen Behörden sind

3.2.1 die Kantonspolizeien und Fremdenpolizeien der im Einleitungsabsatz

genannten Kantone,

3.2.2 die im Grenzgebiet tätigen Polizeibehörden des Bundes

3.2.3 das Grenzwachtkommando Basel und Schaffhausen sowie der Zolluntersuchungsdienst Basel und Schaffhausen.

In Fällen von übergeordneter und überregionaler Bedeutung soll das Bundesamt für Polizeiwesen nachrichtlich beteiligt werden.

4. Beide Seiten erklären ihre Bereitschaft, zur Intensivierung und zum Ausbau der bisherigen Zusammenarbeit folgende Sofortmaßnahmen zu ergreifen:

4.1 Gewährleistung einer einheitlichen Lageanalyse und Einsatzplanung

Beide Seiten

  • wollen regelmäßig die Sicherheitslage in den Grenzgebieten nach gleichen oder vergleichbaren Standards erheben, die Erkenntnisse zusammenführen und sie miteinander bewerten, möglichst in gemeinsamen Sitzungen unter Beteiligung von Vertretern der zuständigen Polizei-, der Grenzpolizei-, der Grenzwacht-, Grenzschutz- und Bahnpolizei- sowie der Zollbehörden,
  • wollen die Grenzgebiete einer sicherheitsgeographischen Analyse als Hilfsmittel bei der Erstellung gemeinsamer oder aufeinander abgestimmter Einsatzpläne und deren Ausführung unterziehen,
  • wollen bei der grenzpolizeilichen Einsatzplanung von einem Konzept ausgehen, das Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen flexibel in stationärer oder mobiler Form an Grenzübergängen oder an sonstigen Stellen im rückwärtigen Grenzraum vorsehen soll,
  • wollen, soweit möglich, die grenzpolizeilichen Kräfte im Sinne einer wirksamen Ressourcennutzung in den gegenüberliegenden Grenzabschnitten koordinieren.

4.2 Erweiterung der Kommunikationsstrukturen und -wege

Beide Seiten erklären ihre Bereitschaft, ihr Kommunikationsnetz auszubauen und

  • ein gemeinsames Verzeichnis mit Angaben über Zuständigkeiten und Erreichbarkeiten zu erstellen,
  • Ansprechpartner für bestimmte Aufgabengebiete bei den in Nrn. 3.1 und 3.2 bezeichneten Behörden sowie Beauftragte dieser Behörden zu benennen, die insbesondere den Erkenntnisaustausch unterstützen und bei der Lageerhebung und der Abstimmung der Einsatzmaßnahmen mitwirken sollen,
  • nach Bedarf Kontaktdienststellen einzurichten, namentlich für den grenz- und bahnpolizeilichen Bereich, zum Zwecke der raschen Informationssteuerung und Einsatzkoordinierung sowie als Stützpunkte mit Führungs- und Leitstellenfunktion, in denen Bedienstete beider Seiten räumlich unmittelbar rund um die Uhr zusammenarbeiten sollen,
  • bis zur Umstellung auf europäisch einheitliche Ausstattung und Frequenzen Funkverbindungen zu halten, soweit möglich, nach vorheriger Einholung der erforderlichen Konzession durch Austausch von Geräten.

4.3 Verbesserung des lnformationsaustauschs

Beide Seiten erklären ihre Bereitschaft,

  • im Einzelfall einander die Personalien von Beteiligten an Straftaten in den Grenzgebieten, namentlich auch von Hinterleuten und Drahtziehern, sowie Informationen über Täterverbindungen, typisches Täterverhalten und über den Sachverhalt mitzuteilen,
  • sich einander über bevorstehende, polizeilich relevante Ereignisse und Aktionen zu unterrichten und einander im Einzelfall Personalien und Erkenntnisse über Personen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mitzuteilen,
  • einander zu festen Meldeterminen sowie anlaßbezogen für die gemeinsame Lageerhebung und Einsatzplanung bedeutsame Daten zuzuleiten,
  • Erfahrungen und Erkenntnisse, vor allem über Methoden der Kriminalität in den Grenzgebieten und neue Formen der Tatbegehung zu übermitteln.

4.4 Verstärkung der Kooperation bei Einsätzen und Ermittlungen sowie bei der Verhütung von Straftaten

Beide Seiten erklären ihre Bereitschaft,

  • bei Bedarf gemeinsame Einsatzleitungen und Befehlsstellen zu bilden,
  • bei Bedarf gemischt besetzte Kontroll-, Observations- und Ermittlungsgruppen einzurichten, in denen die Angehörigen des einen Staates bei Einsätzen im Hoheitsgebiet des anderen Landes Informations- und Beratungsfunktionen versehen sollen,
  • sich nach Maßgabe festgelegter Pläne an grenzüberschreitenden Fahndungsmaßnahmen, z.B. an Ringalarmfahndungen nach flüchtigen Straftätern zu beteiligen,
  • gemeinsam kriminalpolizeiliche Vorbeugeprogramme zu planen und durchzuführen.

4.5 Kooperative Grenzkontrollpraxis

  • Die Grenzpolizei-, Grenzwacht- und Grenzschutzbehörden beider Seiten sollen in nationaler Verantwortung den Ein- und Ausreiseverkehr kontrollieren und ausreisewillige Ausländer, die die für die Einreise in das Hoheitsgebiet der jeweils anderen Seite erforderlichen Dokumente nicht besitzen, darauf hinweisen, daß sie deswegen grundsätzlich mit einer Einreiseverweigerung rechnen müssen.
  • Die zuständige Grenzpolizei-, Grenzwacht- oder Grenzschutzbehörde der einen Seite soll auf Anfrage der anderen Seite mitteilen, ob sie einen namentlich bezeichneten Ausländer aufgrund einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung beim Versuch der Einreise in ihr Hoheitsgebiet zurückweisen wird, worauf die anfragende Seite den Ausländer über diese Auskunft informieren soll.
  • Die deutsche Seite will sich für eine Verständigung der Schengen-Staaten einsetzen, daß schweizerische Staatsangehörige an den Schengen-Außengrenzen nicht dem Kontrollstandard für Drittausländer unterliegen sollen.

4.6 Gemeinsame Bestrebungen zu einer erleichterten Rückführung von Drittausländern

Beide Seiten erklären ihre Bereitschaft,

  • auf der Grundlage des bilateralen Rückübernahmeabkommens vom 20. Dezember 1993 unter Beteiligung des dort vorgesehenen Expertenausschusses Verfahren zur Erleichterung der Überstellung und Rückübernahme von Drittausländern an der deutsch-schweizerischen Grenze zu entwickeln,
  • eine konzertierte Rückführungspraxis, etwa durch Zusammenlegung von Repatriierungskontingenten und Inanspruchnahme gemeinsamer Charterflüge zu prüfen.
  • 4.7 Zusammenarbeit bei der Aus- und Fortbildung
  • Beide Seiten erklären ihre Bereitschaft,
  • die Lehrpläne für die Aus- und Fortbildung auszutauschen und die wechselseitige Übernahme von Ausbildungsinhalten zu erwägen,
  • gemeinsame Aus- und Fortbildungsseminare sowie grenzüberschreitende Übungen durchzuführen,
  • Vertreter des anderen Staates als Beobachter zu nationalen Übungsveranstaltungen und besonderen Einsätzen einzuladen,
  • gegenseitig Beamte zu entsenden, die sich im Nachbarland über polizeiliche Strukturen und Befugnisse informieren sollen.

5. Datenübermittlung

Die Datenübermittlung soll im Rahmen der jeweils geltenden datenschutzrechtlichen nationalen Bestimmungen, bei der Übermittlung von Daten durch Polizeibehörden der Länder nach den landesrechtlichen Datenschutzvorschriften erfolgen.

6. Überprüfung der Realisierung

Eine gemeinsame Arbeitsgruppe beider Seiten soll regelmäßig die Realisierung der Sofortmaßnahmen überprüfen und feststellen, ob Ergänzungsbedarf besteht.

Bonn, den 11. Dezember 1997

in zwei Ausfertigungen

Der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern der Bundesrepublik Deutschland

Der Direktor des Bundesamtes für Ausländerfragen im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement

 


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