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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 59 (1/98) |
Sicherheit und Ordnung in den Städten
Zwischen Sicherheitsnetz und Ordnungspartnerschaften |
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von Martina Kant und Norbert Pütter | |
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Als Bundesinnenminster Manfred Kanther (CDU) im September vergangenen Jahres seinen Länderkollegen die Aktion Sicherheitsnetz vorschlug, waren mehrere deutsche Polizeichefs kurz zuvor von ihren Pilgerfahrten aus den USA zurückgekehrt und hatten von den dortigen Polizeimethoden und den scheinbar großartigen Erfolgen bei der Verbrechensbekämpfung berichtet.[1] Das Modell New York wurde sogleich als Vorbild für die Polizeiarbeit in Deutschlands Großstädten propagiert, galten die sinkenden Kriminalitätszahlen in US-amerikanischen Metropolen doch als Beweis für dessen Wirksamkeit.[2] Beeindruckt waren die Polizeipraktiker und Politiker diesseits des Atlantiks vor allem von der Zero-Tolerance-Strategie der New Yorker Polizei insbesondere gegen die öffentliche Unordnung (public disorder). Kanthers Konzept eines Sicherheitsnetzes nimmt denn auch begierig die US-amerikanischen Ansätze und Erfahrungen auf. Zero Tolerance soll es nun auch in Deutschland heißen.
Um das Sicherheitsnetz möglichst eng zu knüpfen, fordert Kanther unverhohlen trotz leerer öffentlicher Kassen, Bahnpolizei, BGS, Länderpolizeien und Ordnungsbehörden personell zu verstärken; denn: Wer mehr Sicherheit erreichen will, muß daher auch mehr Geld und Personal investieren (...).[4] In ausgewählten Großstädten sollen zunächst Modellversuche zur Aktion Sicherheitsnetz gestartet werden. Für die Anfangsphase will der Bundesinnenminister (BMI) den Ländern BGS-BeamtInnen zur Unterstützung schicken. Nach zähen Verhandlungen formulierte die Innenministerkonferenz (IMK) in einer Sondersitzung am 2. Februar dieses Jahres die Haltung der Länder zu Kanthers Vorschlag. Heraus kam der Beschluß Partnerschaft für mehr Sicherheit in unseren Städten und Gemeinden, der im wesentlichen die Aktion Sicherheitsnetz befürwortet. Der Begriff selbst wird allerdings strikt vermieden, statt dessen ist die Rede von Sicherheits- oder Ordnungspartnerschaften und von partnerschaftlich vernetzter Kooperation. Derartige semantische Variationen können allerdings über die bislang beispiellose Übereinstimmung zwischen den Bundesländern und dem BMI hinsichtlich einer rigiden Politik öffentlicher Ordnung nicht hinwegtäuschen. Der IMK-Beschluß geht sogar über Kanthers Sicherheitsnetz hinaus, wenn ein Test der elektronischen Fußfessel, mehr Haftplätze, geschlossene Heimunterbringung für Jugendliche sowie ein verschärftes Vorgehen gegen nicht legal eingereiste oder sich aufhaltende MigrantInnen wegen des damit vielfach verbundenen Imports von Kriminalität (...) gefordert wird.[5] Mit Zustimmung der Länderinnenminister wird zukünftig die BGS-Bahnpolizei die Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien und kommunalen (Ordnungs-)Behörden verstärken, um in gefährdeten Bahnhöfen und Verkehrsmitteln Straftaten und Ordnungsstörungen bereits im Ansatz zu verhindern. Auch die Abordnung von BGS-Kräften zur Unterstützung der Modellversuche in geeigneten Großstädten und Ballungsräumen wurde von den Länderinnenministern einhellig begrüßt. Bei der Forderung des BMI nach verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen durch den BGS auch außerhalb des Grenzbereichs scherte allein Hamburg aus und lehnte sie für das Hamburger Stadtgebiet ab.[6] Der kleine Unterschied ohne große Folgen Trotz der im IMK-Beschluß dokumentierten Einigkeit der
Bundesländer ist Kanthers Sicherheitsnetz in den Ländern
unterschiedlich aufgenommen worden. Bei weitem nicht alle
Bundesländer sind auch bereit, an dem Modellversuch
teilzunehmen. Nur das Saarland und Brandenburg haben jedoch eine
Beteiligung ausdrücklich abgelehnt.
Die Teilnehmerländer am Modellversuch betrachten das
Sicherheitsnetz als Ergänzung ihrer eigenen bereits
bestehenden Länderkonzepte. So wird es in
Baden-Württemberg in die kommunale Kriminalprävention
integriert, mit der bayerischen Sicherheitswacht und den
Sicherheitsbeiräten verknüpft und in Berlin mit dem
Berliner Modell zu einer Initiative zur Verbesserung der
Sicherheit in Berlin verschmolzen.[12] Hessen betont hingegen, daß die
IMK ausdrücklich keinen Beschluß zum Sicherheitsnetz
gefaßt habe, sondern zur Sicherheitspartnerschaft. Die
hessischen Aktivitäten seien nicht als Masche im
Sicherheitsnetz zu
verstehen.[13]
Daß Berlin als erste Modellregion ausgewählt wurde, liegt u.a. an der seit längerem bestehenden praktischen Zusammenarbeit zwischen dem BGS und der Berliner Polizei. So arbeiteten Ende 1997 bereits drei Gemeinsame Fahndungs- und Ermittlungsgruppen: seit 1994 die beim Landeskriminalamt (LKA) eingerichtete GE Schleuser; seit 1995 beim Landesschutzpolizeiamt die GE Graffiti in Berlin; und seit Dezember 1997 die ebenfalls beim LKA angesiedelte GE zur Bekämpfung der Wertzeichenfälschung im Berliner Personennahverkehr.[15]
Am 11.11.97 wurde in
Berlin die Vereinbarung über die verstärkte
Zusammenarbeit im Rahmen der Aktion Sicherheitsnetz
abgeschlossen. Eine Woche später nahm im Landeskriminalamt
(LKA) eine gemeinsame Koordinierungsstelle der Polizei Berlin und
des Grenzschutzpräsidiums Ost des BGS (Koost BGS/Polizei) die
Arbeit auf.
Auch in der Hauptstadt soll die Aktion Sicherheitsnetz das Sicherheitsgefühl der Bürger erhöhen, das besonders durch Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt werde. Beispielhaft nennen die Hintergrundinformationen der Senatsinnenverwaltung: Müll, Dreck, Autowracks sowie vermeintlich geduldetes Rowdytum einzelner, ungehöriges Verhalten wie Pöbeleien usw..
Für die
Realisierung des Sicherheitsnetzes in Berlin werden die bekannten
Elemente aufgezählt: enge Zusammenarbeit staatlicher und
kommunaler Stellen, die intensive Mitwirkung der
Justiz und die Einbindung engagierter Bürgerinnen
und Bürger sowie für den operativen Einsatz
Um Präsenz zu gewährleisten, sollen vermehrt Innendienstkräfte, die Bereitschaftspolizei und die Freiwillige Polizeireserve eingesetzt werden. Die Polizei werde sich auch für die kleineren und unbedeutenden Verstöße (Ordnungswidrigkeiten) an der Maxime Hinsehen statt Wegschauen orientieren und einschreiten, wann immer es möglich erscheint, ohne die gesetzlichen Prioritäten auszuhebeln. Um den BGS in die Lage zu versetzen, seinen Beitrag zum Sicherheitsnetz zu leisten, wurde die Zahl der zur Verfügung stehenden BGS-BeamtInnen in Berlin von 395 auf über 500 erhöht. Darüber hinaus sagte der Bundesinnenminister weitere Kräfte aus dem BGS-Standort Blumenberg mit zeitlich begrenzten Schwerpunktaufträgen zu.
Erste Aktionen im
Rahmen des Sicherheitsnetzes fanden im Januar und Februar 1998
statt. Am 24.2. wurden bei einer mehr als siebenstündigen
Schwerpunktkontrolle rund um den Bahnhof Zoo 165
Personen überprüft; 78 Personen erhielten Platzverweise.
17 Personen wurden festgenommen wegen Verstößen gegen das
Ausländergesetz, Körperverletzung, Widerstand gegen
Polizeibeamte und Drogenvergehen.[16] Ordnungspartnerschaften in Nordrhein-Westfalen Die seit Mitte des vergangenen Jahres vom NRW-Innenministerium initiierten Ordnungspartnerschaften für mehr Sicherheit und Ordnung in Städten und Gemeinden gehen, so das Ministerium, weit über das von Kanther vorgeschlagene Sicherheitsnetz hinaus.[17] Anfang 1998 hat das Land in sechs Großstädten Modellprojekte eingerichtet, deren Arbeit nach einem Jahr bilanziert werden soll. Gleichzeitig sollen Ordnungspartnerschaften landesweit eingegangen werden, um so auch in ländlichen Gebieten die Sicherheit zu verbessern.[18] Als mögliche Ordnungspartner werden genannt: Polizei- und Ordnungsbehörden, Jugend-, Gesundheits- und Sozialämter, BGS (Bahnpolizei), Verkehrsbetriebe, Bahn AG, Gerichte und Staatsanwaltschaften, Schulen, Drogenberatungsstellen. Auch könnte es sinnvoll sein, z.B. die Industrie- und Handelskammern oder Einzelhandelsverbände mit einzubeziehen.[19] Die Anregungen des Innenministeriums enthalten eine Reihe von Vorschlägen für die Sicherheits- und Ordnungsbehörden, durch die die sichtbare Präsenz von Sicherheitskräften im öffentlichen Raum erhöht werden soll:
Da das Sicherheitsgefühl der Bürger in vielen
Großstadtbahnhöfen und in deren Umfeld sowie in Bahnen
und Haltestellenbereichen des ÖPNV besonders nachhaltig
beeinträchtigt sei, kommt diesen
Problembereichen auch in den Modellstädten eine
herausragende Bedeutung zu. Ausgewählt wurden die Städte
Bielefeld, Dortmund, Hagen, Düsseldorf, Krefeld und Köln,
weil dort bereits erfolgreiche Ansätze für
Ordnungspartnerschaften bestünden.[24] Obgleich in einzelnen Elementen
verschieden, folgen die Modelle in allen Orten derselben Logik: Die
Tätigkeiten einzelner Behörden und von Privaten sollen
koordiniert, die sichtbare Präsenz von Ordnungskräften im
öffentlichen Raum erhöht und die Eingriffsschwellen
allgemein gesenkt werden. Welche Ausrichtung den
Ordnungspartnerschaften zugrundeliegt, zeigen bereits die
Erfahrungen in einigen Modellstädten: Praktischer Konsens Betrachtet man
die gegenwärtigen Versuche lokaler Sicherheits- und
Ordnungspolitik, so zeigen sich insgesamt nur wenig Differenzen.
Graduelle Unterschiede betreffen die Rolle, die der BGS spielen
soll. Naturgemäß betont das BMI dessen Bedeutung. Das
gibt ihm Gelegenheit, mit seiner eigenen Truppe auf das beliebte
Thema alltäglicher Unordnung aufzuspringen. Zugleich kann er
weitere rechtliche Kompetenzen (u.a. verdachts- und
ereignisunabhängige Kontrollen, Verhütung von Straftaten
als BGS-Aufgabe) fordern.[34] Die BGS-Einbindung
Sicherheitsnetz, Sicherheits-
oder Ordnungspartnerschaft zu nennen, macht keinen Unterschied in
der Sache. Im wesentlichen rhetorischer Natur sind auch die
Differenzen in der Außendarstellung der Vorhaben. Während
die CDU/CSU-Innenminister entschlossenes Auftreten der
Sicherheitskräfte an Brennpunkten fordern,[35] verweisen
sozialdemokratische Innenminister stärker auf eine
gerechte Sozial- und Wirtschaftspolitik, die
erforderlich sei, um Sicherheits- und Ordnungsprobleme dauerhaft zu
lösen.[36]
Mit diesen Bekenntnissen mögen sich unterschiedliche
Wählergruppen angesprochen fühlen, für die praktische
Umsetzung sind Unterschiede nicht sichtbar. Denn unabhängig davon, ob ein Sicherheitsnetz gespannt
wird, gehen Bund und Länder von diffusen Überzeugungen
aus, daß ein Zusammenhang zwischen vermeintlichen und
tatsächlichen Ordnungsstörungen, Sicherheitsgefühl
und Kriminalitätsfurcht besteht. Alle Bundesländer wollen
Eingriffsschwellen auch gegen Ordnungsstörungen herabsetzen,
notfalls indem die städtischen Verordnungen erweitert werden;
sie wollen die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Polizei, BGS
und Ordnungsbehörden, größere sichtbare
Polizeipräsenz und damit erhöhte Kontrolldichte,
beschleunigte Verfahren, kommunale Präventionsräte und die
bislang nur ein Lippenbekenntnis gebliebene bürgernahe
Polizei. Martina Kant und Norbert Pütter sind RedakteurInnen von Bürgerrechte & Polizei/CILIP. Anmerkungen [1] Siehe: Der Spiegel Nr. 28/1997 v. 7.7.1997, S. 48-61 | |
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