![]() |
Bürgerrechte & Polizei/CILIP 60 (2/98) |
Audio- und Videoüberwachung
Kontrolltechniken im öffentlichen Raum |
|
| |
von Thilo Weichert | |
| |
Als
in der deutschen Öffentlichkeit über die Zulassung des
Großen Lauschangriffs in Wohnungen diskutiert wurde, war
schon das Feld abgesteckt, auf dem der nächste Grundrechtsabbau
stattfinden soll: Insbesondere Polizisten, aber auch konservative Politiker
meinten, ohne den Spähangriff in Wohnungen das organisierte
Verbrechen nicht hinreichend bekämpfen zu können.[1]
Ist innerhalb von Wohnungen aus technischen Gründen der Lauschangriff
einfacher und ergiebiger und damit auch häufiger, so dominiert
außerhalb von Wohnungen der Spähangriff.
Schutz
vor dem Audio- und Videografieren im öffentlichen Raum bestand dagegen
bisher vor allem dadurch, daß das Aufzeichnen und Auswerten von Wort und
Bild technisch aufwendig war. Die Erhebung von Bildern und Tönen stellt
mittlerweile jedoch technisch kein Problem mehr dar und wird allerorten im
öffentlich zugänglichen Raum praktiziert.
Kleine
Geschichte der öffentlichen Bild- und Tonüberwachung in Deutschland
[2] Die
optische Überwachung von öffentlichen Straßen und Plätzen
hat in Deutschland eine lange Geschichte. 1958 wurde in München eine
Verkehrszentrale eingerichtet, an die von stationären Fernsehkameras
über 17 Verkehrsschwerpunkte bewegte Bilder übertragen wurden. 1959
kam zur Überwachung des Straßenverkehrs zur Industriemesse und zur
Luftfahrtausstellung in Hannover eine Industriefernsehanlage zum Einsatz; ein
Jahr später wurde sie durch mobile, u.a. in Hubschraubern installierte
Kameras ergänzt. Hannover war 1976 auch die erste deutsche Stadt, in der
mit 25 stationären, ferngesteuert schwenkbaren Zoom-Kameras der
Dauereinsatz der Videotechnik praktiziert wurde. Überwacht wurde nicht nur
der Autoverkehr. Auf der Mönckebergstraße in Hamburg, am
Kröpcke in Hannover oder auf dem Münchner Marienplatz richteten sich
die Maßnahmen von Anfang an gegen Rand- und Problemgruppen.
1964 wurde der Münchner Stadtpolizei die erste mobile
Fernsehaufnahme-Anlage übergeben zum Füllen der Lücken
der stationären Beobachtung, z.B. bei größeren
Menschenansammlungen, Aufmärschen, Versammlungen unter freiem Himmel,
evtl. Streiks, Krawallen o.ä.. Die Anlage war damals auf einem
Sechs-Tonnen-LKW-Gestell mit ausfahrbaren Bodenstützen installiert, hatte
einen drei Meter hohen Kameramast und eine sieben Meter hohe Antenne.
Inzwischen
hat sich die Technik weiterentwickelt. Die Kameras wurden kleiner, leichter,
leistungsfähiger und zahlreicher. Schon in den 70er Jahren wurden die
Kameras so billig, daß sie zur flächendeckenden Kontrolle von
Bahnsteigen, Rolltreppen, Tunneln, Kreuzungen, Fußgänger- und
Einkaufszonen, Warenhäusern und Bahnhöfen genutzt werden konnten.
Video wurde zum nicht täuschbaren Gefahrenmelder und, z.B. bei
Verkehrskontrollen, zum unbestechlichen Beweismittel. Die seit 1976
bundeseinheitlich ausgebildeten polizeilichen Beweissicherungs- und
Dokumentations- (BeDo-) Trupps überwachten Demonstrationen mit kleinen
handlichen Videokameras, mit deren Zoom-Technik gestochen scharfe
Porträtaufnahmen gefertigt werden konnten.
Ein
weiterer Meilenstein auf dem Weg zur verdeckten Globalbeobachtung war die
Aktion Paddy. Zur Absicherung vor RAF-Anschlägen
installierte das Bundeskriminalamt mit Unterstützung des BND und des
Bundesamtes für Verfassungsschutz in einem Umkreis von 30 km des
amerikanischen NATO-Hauptquartiers Heidelberg im öffentlichen Raum 13
versteckte Hochleistungskameras. Nach sechs Monaten wurde die Anlage ohne den
erhofften Ermittlungserfolg abgebaut. Kurz danach wurde knapp außerhalb
des Überwachungsbereichs auf den zuvor mitgeschützten
Vier-Sterne-General Kroesen von der RAF ein Anschlag verübt.
Anfang
der 80er Jahre waren von westlicher Seite am eisernen Vorhang
automatische Kameras in Grenzkontrollbereichen installiert worden. Nachdem der
antifaschistische Schutzwall Ende der 80er Jahre von
östlicher Seite aus eingerissen war, wurde weiter im Osten ein neuer
elektronischer Vorhang bzw. Schutzwall aufgebaut. An der deutschen Ostgrenze zu
Tschechien und Polen sollen neben Lichtschranken und Bewegungsmeldern vor allem
Infrarot- und Videokameras unerlaubte Grenzübertritte frühzeitig
anzeigen. Erklärtes Vorbild ist die Überwachung der südlichen
US-Grenze zu Mexiko.
[3] Überwachung
in Innenstädten
Mit
großem publizistischem Trara hat die Polizeidirektion Leipzig Anfang 1996
ein Pilotprojekt zur Videoüberwachung von
Kriminalitätsschwerpunkten gegen Kfz-Aufbrüche,
Taschendiebstähle und Drogenhandel begonnen. Vergleichbare
Aktivitäten gibt es aber auch an anderen Orten.
[4]
Die Polizei ist jedoch schon lange nicht mehr die Institution, die diese
Technik am umfassendsten einsetzt. Die Erfassung erfolgt inzwischen vor allem
durch Kommunen, auf dem Wertstoffsammelplatz ebenso wie auf dem Schulhof.
Öffentliche Einrichtungen bis hin zu den Hochschulen sehen in dieser
Technik eine Möglichkeit, sich selbst ein Stückchen
Sicherheit zu schaffen.
[5] Anders
als von George Orwell in seinem Roman 1984 befürchtet, waren
1984 die Städte und erst recht Feld, Wald und Wiesen tatsächlich noch
frei von versteckten Mikrofonen. Als aber 1986 nach der Atomreaktorkatastrophe
von Tschernobyl über 100 Strommasten umgesägt worden waren, besann
man sich des literarischen Vorbilds und machte sich an die Installierung von
Schalldetektoren, mit denen Sägegeräusche in einem Umkreis von 30
Metern registriert werden konnten.
[6]
Während in Wohngebieten in den USA akustische Überwachungssysteme
schon in der Erprobung und im Einsatz sind, sind in Deutschland vergleichbare
Pläne noch nicht bekannt. In einzelnen US-Städten werden die von
einem Netz von Mikrofonen registrierten Signale automatisiert danach
ausgewertet, ob sie von Gewehr- oder Pistolenschüssen stammen können;
zudem wird der präzise Ausgangsort angezeigt.
[7]
Dagegen gibt es vor allem im privaten Bereich auch in der Bundesrepublik schon
erste Beispiele öffentlicher Lauschangriffe, z.B. im Automatenbereich von
Banken. Hier werden nicht nur Geräusche erfaßt, sondern auch die
gesprochenen Worte der Anwesenden.
Überwachung
des öffentlichen Raums im Ausland
Die
Bundesrepublik ist in Sachen Audio- und Videoüberwachung nicht Vorreiter.
In Großbritannien und in den USA lassen sich Trends feststellen, die auf
uns erst noch zukommen werden. Interessant ist, daß in den genannten
Staaten (oder auch in Frankreich
[8])
große Vorbehalte gegenüber jeder konventionellen direkten
staatlichen Personenkontrolle z.B. mit Hilfe von Ausweisen
bestehen, daß aber die anmaßendere und heimtückischere Form
der technischen Überwachung weitgehend akzeptiert wird. Noch ganz andere
Dimensionen hat die Kontrollpraxis in den asiatischen
Überwachungs-Hochburgen Singapur oder Hongkong.
[9] Schon
Ende 1996 war in Großbritannien in jeder zweiten Kommunalverwaltung eine
öffentlich-rechtliche Videoüberwachung installiert. Die Wunderwaffe
gegen das örtliche Verbrechen heißt Closed Circuit
Television (CCTV). Allein für 1997 und 1998 ist der Aufbau von
20.000 Polizeikameras geplant. Pro Jahr werden dort über 300.000
Sicherheitskameras verkauft. Die hohe Akzeptanz ist sicher mit der Angst vor
nordirischen Terroraktionen erklärbar. Mit Hilfe der Videoüberwachung
konnte der blutige Bombenanschlag auf das Londoner Kaufhaus Harrods von 1983
ebenso aufgeklärt werden wie zehn Jahre später der Mord an dem
kleinen James Bulger in Merseyside durch zwei Heranwachsende.
[10] Die
britische Polizei kontrolliert sämtliche Fahrzeuge im Eurotunnel mit einem
elektronischen Überwachungssystem, dessen Kameras die Kfz-Kennzeichen
aufnehmen und an eine zentrale Polizeidatei in London weitergeben. Diese meldet
innerhalb von vier Sekunden zurück, ob ein verdächtiges bzw.
gesuchtes Kennzeichen erfaßt worden ist.
[11]
Ebenso anlaßunabhängig werden mit dem CCTV der City of London
Police täglich über 100.000 Kraftfahrzeuge an acht
Zufahrtspunkten zur Londoner City erfaßt. Die seit Februar 1997 in
Betrieb befindlichen Kameras arbeiten auch mit dem Automatic Number
Plate Reading, der vollautomatischen Datenerfassung der Kennzeichen und
dem sofortigen Abgleich mit Polizeidatenbanken.
[12] Kriminalpolitische
Gewinn- und Verlustrechnung
Die
Audio- und Videoüberwachung im öffentlichen Raum hat sowohl eine
private wie eine öffentliche Komponente. Nicht nur die Polizei, auch
Privatpersonen setzen diese Überwachungstechniken ein. Anlaß
hierfür kann ein Nachbarstreit sein; zumeist wird aber die
Überwachung von privaten Grundstücken, von Verkehrsanlagen, im Taxi
bis hin zur optischen Kontrolle von Kundenräumen, Geldautomaten,
Warenhäusern und Einkaufspassagen aus allgemeinen Sicherheitsgründen
praktiziert. Inzwischen kann zumindest in städtischen Räumen schon
fast von einer
flächendeckenden
Überwachung
durch eine Vielzahl unterschiedlicher Betreiber gesprochen werden.
Wegen
ihrer Privatnützigkeit erfolgt die Überwachung zumeist nicht
systematisch und in strategischer Absicht. Eine Schnittstelle zwischen
privatem
und öffentlichem Bereich
besteht bei der Bild- und Ton-Erhebung durch private Sicherheitsunternehmen,
die ihr Beweismaterial den Sicherheitsbehörden weitergeben.
[13]
Während der Staat bei der personellen Datenerhebung schon einmal eher
Outsourcing praktiziert, da dieses erheblich billiger ist als die
hoheitliche Lösung, spielt diese Überlegung beim reinen
Technikeinsatz eine geringere Rolle. Um von vornherein und vollständig die
Bestimmungsmöglichkeit über die Beobachtungsoperationen zu behalten,
wird die typische hoheitliche Audio- und Videoüberwachung
regelmäßig nicht aus der Hand gegeben. Doch auch dieser Bereich ist
dem Outsourcing zugänglich, wenn polizeiliche und private
Interessen gleichläufig sind, wie die Nutzung der 3-S-Zentralen der
Deutschen Bahn AG zur Bahnhofsüberwachung durch den Bundesgrenzschutz zeigt.
[14] Kostenprobleme
bestehen heute weniger in der Beschaffung der Überwachungshardware. Teuer
ist derzeit die noch von Menschen vorzunehmende Auswertung der Aufzeichnungen.
Daher erfolgt zumeist nur dann eine Aufzeichnung, wenn hierfür ein
konkreter Anlaß besteht. Die Aufzeichnung wird personell von einer Person
am Bildschirm, aber auch schon durch Bewegungsmelder oder durch einfache
Mustererkennung (z.B. bei besonderen Geräuschen) initialisiert. Statt des
Durchlaufens von Bildern erfolgt oft die technisch etwas aufwendigere
Kurzzeitspeicherung, die nach wenigen Tagen überspielt wird. Dadurch kann
die Entscheidung über die längerfristige Aufbewahrung bestimmter
Aufzeichnungen hinausgezögert werden. Solange aber keine elektronische
Selektion evtl. relevanter Aufnahmen, die derzeit noch sehr teuer ist,
praktiziert wird, werden mit der flächendeckenden Überwachung
vielleicht erwünschte, psychologisch abschreckende Wirkungen erreicht,
noch nicht aber die automatisierte Totalkontrolle. Audio- und
Videoüberwachung hat also die gleichen Vorteile wie sämtliche
sonstigen elektronischen Überwachungsmethoden: Sie ist (zunehmend) billig
und ersetzt kostenintensive personelle Wachtätigkeit.
Während
personelle Kontrolle bestenfalls Zeugenbeweise produziert, liefert die
maschinelle Version den unbestechlichen
Sachbeweis:
Der Sachbeweis ist objektiv, er wertet nicht, er lügt nicht, sein
Erinnerungsvermögen läßt nicht nach, er widerspricht sich
nicht.
[15]
Die menschliche Wahrnehmungsmöglichkeit wird technisch verlängert und
erweitert. Möglich ist nicht nur das Registrieren von üblichem Licht
und Schall, sondern auch z.B. von Wärmestrahlen. Dunkelheits- oder
wetterbedingte Behinderungen können kompensiert werden. Durch Heranzoomen
(Vergrößerung) und elektronische Verstärkung können weit
entfernte, besonders abgeschottete oder menschlich nicht mehr wahrnehmbare
Objekte registriert werden. All dies kann unbeobachtet und unabhängig von
Ort und Zeit erfolgen und für beliebige Beobachter beliebig oft
reproduziert werden.
Sind
sich die technisch Beobachteten der Beobachtung bewußt, so
beeinflußt dies deren Verhalten. Welche
psychologischen
Auswirkungen
dies bei rechtschaffenen Menschen haben kann, erläuterte das
Bundesverfassungsgericht: Wer unsicher ist, ob abweichende
Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Informationen dauerhaft gespeichert,
verwendet und weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche
Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme
an einer Versammlung oder Bürgerinitiative behördlich registriert
wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird
möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte
(Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die
individuellen Entfaltungschancen des einzelnen beeinträchtigen, sondern
auch das Gemeinwohl.
[16]
Dieses zentrale bürgerrechtliche Argument gegen jede Form der
elektronischen Rundum-Überwachung hat angesichts der Konjunktur von
Sicherheitsphrasologie einen schweren Stand.
Die
sicherheitspolitische Bilanz der Technologie ist nicht berauschend. Das
Verhalten von potentiellen Störern und Rechtsbrechern wird sicherlich
durch die Beobachtung in der Form beeinflußt, daß es im
Beobachtungsraum zu erheblich weniger Rechtsverletzungen kommt. Erfolgsquoten
von über 75% Kriminalitätsrückgang werden vermeldet.
[17]
Die abschreckende Wirkung greift aber nur, wenn auf die Überwachung
hingewiesen wird. Sie läßt sich schon dadurch erreichen, daß
glaubwürdig auf eine elektronische Überwachung hingewiesen wird, ohne
daß diese tatsächlich erfolgen müßte. Erreicht wird aber
keine Verringerung von Rechtsverletzungen, sondern durchgängig nur deren
Verdrängung
bzw. Verlagerung. Überwachung bessert keine Übeltäter, sondern
verscheucht diese. Werden bestimmte Gebiete sicherer, so werden andere
dafür zwangsläufig gefährlicher: Überwachen z.B.
polizeiliche BeDo-Trupps ein Fußballstadion, so kommt es eben auf den An-
und Abmarschwegen zu den Ausschreitungen.
Betroffen
vom Verdrängungsprozeß durch optische und akustische
Überwachung ist nicht der raffiniert und organisiert agierende Täter,
der großen materiellen Schaden anrichtet, sondern der
kleine Straßenkriminelle. Verdrängt werden diejenigen,
denen lediglich vorgeworfen werden kann, daß sich andere von ihnen
belästigt fühlen. So wurde etwa auf Sylt Videotechnik gezielt gegen
Punks eingesetzt, die das touristische Treiben in der Fußgängerzone
von Westerland behinderten.
[18]
Verdrängt werden Bettler, Obdachlose und Jugendliche und sonstige ohnehin
sozial
ausgegrenzte Minderheiten
,
unabhängig davon, ob sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten oder nicht.
Den rechtschaffenen Bürgerinnen und Bürgern wird im
Gegenzug eine saubere Stadt geboten, in der diese sich subjektiv sicher
fühlen. Daß dieses Gefühl mit dem objektiven Befund nicht
übereinstimmen muß, steht auf einem anderen Blatt.
Zukünftige
Aussichten
Auch
bei der Weiternutzung des Materials der Audio- und Videoüberwachung
befinden wir uns derzeit mitten in einer rasanten technischen Entwicklung: Die
Mustererkennung von Tonaufnahmen ist so weit ausgereift, daß mit
Sprachdatenbanken massenhaft Abgleiche gefahren werden können. Zu deren
Realisierung fehlen derzeit abgleichfähige hoheitliche Sprach-Datenbanken
für Identifizierungszwecke. Es ist nur eine Frage von Speicher- und
Rechenkapazität, daß auch hinsichtlich sonstiger biometrischer
Merkmale, insbesondere bei der Gesichtserkennung, Abgleiche möglich sind.
Die in Florida beheimatete Firma NeuroMetric hat ein System
entwickelt, das aus einer Menschenmasse pro Sekunde 20 Gesichter herausfiltern
kann. Deren biometrische Daten lassen sich innerhalb von Sekunden in einer
Datenbank mit 50 Mio. Datensätzen abgleichen.
[19] Eine
völlig neue Dimension wird auch dadurch eröffnet, daß Bilder
über das Internet weltweit verbreitet werden können. Die Einspeisung
digitaler Bild- und Tonaufzeichnungen ins Internet erfreut sich einer
gefährlich zunehmenden Beliebtheit. Mehr als eine Mio. Besucher haben z.B.
eine Web-Kamera-Homepage besucht, über die festgestellt werden konnte, wer
an einer Haltestelle in Beverly Hills einen Bus betritt oder
verläßt. Jede Überwachungskamera läßt sich auch als
Web-Cam benutzen, sei sie in einem Supermarkt, auf einem öffentlichen
Platz, in einem Hotelzimmer oder in der Brille eines Internet-Freaks installiert.
[20] Ein
anderer, völlig neuer Blickwinkel im wahrsten Sinne des Wortes
entsteht durch die Luft- und Satellitenüberwachung.
[21]
Inzwischen werden gestochen scharfe Luftbilder, wie aus 25 m Höhe
geknipst, von privat auf dem Markt angeboten. Adressaten dieses Angebots sind
neben öffentlichen Stellen (Grundbuch-, Kataster- und Planungsverwaltung)
z.B. Adressenhändler, die den Grundstücken Bewohnernamen zuordnen.
Zur Überführung von Umweltsündern auf dem Meer wird die
Luftbildüberwachung schon eingesetzt. Der Einsatz der Luftbildtechnik zur
Observation von Grundstücken oder zum Verfolgen von Fahrzeugen ist nur
noch eine Frage der Zeit.
Audio-
und Videotechniken tragen zum unaufhaltsamen Run in die
Informationsgesellschaft bei. Für das Persönlichkeitsrecht besonders
fatal ist bei diesen Techniken, daß die Betroffenen zumeist nicht
bemerken, daß sie überwacht werden. Die Biometrie, die
Mustererkennung und die weltweite Vernetzung eröffnen völlig neue
Überwachungsperspektiven. Neben der qualitativen Aufrüstung erfolgt
vor allem im Namen der Sicherheit eine rasante quantitative
Zunahme der eingesetzten Geräte. Was vordergründig vor allem
individuellem Voyeurismus zu dienen scheint und zweifelsfrei
Rationalisierungseffekte hat, fördert auch Law-and-Order-Denken.
Gegenstrategien zum Schutz von Grundrechten und Privatsphäre sind noch
nicht in Sicht.
Thilo
Weichert ist Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V.
und seit Februar 1998 Stellv. Landesbeauftragter für den Datenschutz in
Schleswig-Holstein.
[1] s. Datenschutz-Nachrichten
1997, H. 3, S. 16f.
[2] zur
Geschichte: Weichert, T.: Praxis und rechtliche Aspekte optischer
Überwachungsmethoden zum Einsatz moderner Videotechnik, in:
Datenschutz-Nachrichten 1988, Sonderheft Videoüberwachung, S. 4-57
(7ff.)
[3] s. Datenschutz-Nachrichten
1997, H. 4, S. 20
[4] ebd.,
S. 20f.
[5] Der
Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz (Hg.):
2. Tätigkeitsbericht. Berichtszeitraum 1.1.1996 bis 31.12.1997,
Erfurt 1998, S. 103ff.
[6] Weichert
a.a.O. (Fn. 2), S. 15
[7] Der
Spiegel 1996, Nr. 34, S. 88 u. 90
[8] Eine
umfassende Darstellung der Entwicklung im Ausland enthält: Sack, F.;
Nogala, D.; Lindenberg, M.: Social Control Technologies, Hamburg 1997 (Ms.),
S. 306ff.
[9] Weichert
a.a.O. (Fn. 2), S. 18
[10] Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 5.11.1996; die tageszeitung v. 4.9.1996
[11] Datenschutz-Nachrichten
1997, H. 3, S. 22
[12] Datenschutz-Nachrichten
1997, H. 4, S. 26f.
[13] Weichert,
T.: Sechs Fragen zu privaten Sicherheitsdiensten, in: Datenschutz-Nachrichten
1997, H. 2, S. 16-20 (18)
[14] s. Jacobs,
W.: BGS nutzt 3-S-Zentralen der Deutschen Bahn AG, in: Zeitschrift des BGS
1998, H. 1/2, S. 8-12
[15] Herold,
H.: Erwartungen von Polizei und Justiz in die Kriminaltechnik, in:
Kriminalistik 1979, H. 1, S. 17-26 (18f.)
[16] Bundesverfassungsgericht:
Volkszählungsurteil v. 15.12.1983, in: Neue Juristische Wochenschrift
1984, H. 8, S. 419-428 (422)
[17] kritisch
dazu Sack; Nogala; Lindenberg a.a.O. (Fn. 8),
S. 315ff.
[18] Landesbeauftragter
für den Datenschutz Schleswig-Holstein: Zwanzigster
Tätigkeitsbericht. Berichtszeitraum: 1997, Kiel 1998, S. 36
[19] die
tageszeitung v. 4.9.1996
[20] die
tageszeitung v. 9.1.1997; zur globalen Nachbarschaftshilfe über das
Internet: Sack; Nogala; Lindenberg a.a.O. (Fn.
8),S. 326f.; zur Übertragung von Bildern des öffentlichen Verkehrs
über einen lokalen Fernsehsender: Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte
(Hg.): 13. Tätigkeitsbericht (Berichtsjahr 1994), Hamburg 1995,
S. 38-41
[21] Weichert
a.a.O. (Fn. 2), S. 17
| |
![]() | Startseite | Inhaltsverzeichnis |
© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 1998 HTML-Auszeichnung: Felix Bübl. Zuletzt verändert am 4. Oktober 1998. |