Bürgerrechte & Polizei/CILIP 60 (2/98) | |
Electronic Monitoring
Die elektronische Überwachung von Straffälligen |
|
| |
von Rita Haverkamp | |
| |
Unter
dem Schlagwort elektronische Fußfessel kursiert in neuerer
Zeit der elektronisch überwachte Hausarrest (oder vereinfacht die
elektronische Überwachung) verstärkt in den Medien. Die Suche nach
preisgünstigen Alternativen zum überfüllten und teuren
Strafvollzug bestimmt seit Jahrzehnten die Kriminalpolitik. Neben der
elektronischen Überwachung gehören hierzu auch andere ambulante
Sanktionen wie die gemeinnützige Arbeit und der
Täter-Opfer-Ausgleich. Als vermeintlich billige Alternative bietet sich
der elektronisch überwachte Hausarrest an. Die aus unterschiedlichen
Lagern kommenden Gegner bringen zahlreiche Bedenken gegen diese Kontrollform
vor. Die Kritik reicht von dem Vorwurf einer zu milden Sanktionierung bis hin
zu einer Totalüberwachung, die ethisch nicht verantwortbar sei und die in
die Menschenwürde erheblich eingreife.
Der
elektronisch überwachte Hausarrest ist eine Freiheitsbeschränkung,
die dem Verurteilten auferlegt, seinen Wohnbereich nicht oder nur zu vorab
festgelegten Zeiten zu verlassen. Die Kontrolle erfolgt mit technischen Mitteln
unter Einsatz von Überwachungspersonal. Solche Programme erschöpfen
sich meist nicht in einer bloßen technischen Aufenthaltskontrolle,
sondern gehen in einem Konzept der Intensivbewährung
bzw. -überwachung auf, das dem Überwachten besonders strenge
Regeln zur Lebensführung auferlegt.
Zur
Entwicklungsgeschichte
Über
den Einsatz
elektronischer
Kontrolltechniken
wurde bereits im Jahre 1919 diskutiert,
[1]
bevor Mitte der sechziger Jahre der Harvardprofessor für Psychiatrie,
Ralph Schwitzgebel,
an Freiwilligen erste Experimente mit einer kiloschweren Apparatur
durchführte.[2]
Er ließ sich dieses Gerät 1969 patentieren und stellte es als
Methode zur Aufenthaltskontrolle von Psychiatriepatienten und Straftätern
vor.
[3]
Jedoch gerieten Schwitzgebels Versuche in Vergessenheit. Das Konzept der
elektronischen Überwachung brachte erst der Bezirksrichter
Jack Love
aus dem US-Bundesstaat New Mexico wieder ins Rollen. Nach einem
dreiwöchigen Selbstversuch verhängte er 1983 die elektronische
Überwachung gegenüber fünf Straftätern, wobei die
Bewährungshilfe die Kontrolle übernahm. Ende 1984 begann das erste
größer angelegte Programm mit elektronisch überwachtem
Hausarrest in Palm Beach, Florida. Das Projekt bildete das Vorbild für die
rasche Verbreitung weiterer Modelle in den USA. Mittlerweile finden sich in
allen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten gesetzliche Regelungen und
Programme zu dieser Kontrollform. Nach Schätzungen wurden 1994 in den USA
insgesamt ca. 67.000 Personen mit elektronisch überwachtem Hausarrest
sanktioniert.
[4] Internationale
Verbreitung
[5] Die
Entwicklung machte in den USA nicht halt und erreichte Ende der achtziger Jahre
auch Europa.
Großbritannien
führte als erster europäischer Staat einen Modellversuch zur
Vermeidung von Untersuchungshaft durch, dessen Resultate als desaströs
eingeschätzt wurden.
[6]
Nichtsdestoweniger fügte der englische Gesetzgeber 1991 und 1994
Bestimmungen über den elektronisch überwachten Hausarrest ins
Strafrecht ein. Auf dieser Grundlage finden seit 1995 erneut Experimente
mit nun zufriedenstellendem Ergebnis statt.
[7]
Später kamen Schweden[8]
(1994) und die
Niederlande[9]
(1995) mit Versuchsprojekten in einzelnen Bezirken hinzu, die als Erfolge
bewertet werden. In Schweden wird die elektronische Überwachung weiterhin
seit 1997 landesweit zur Vermeidung kurzer Gefängnisstrafen bis zu drei
Monaten angewendet. Das Modell in den Niederlanden erfaßt sowohl die
Vermeidung kurzer Freiheitsstrafen als auch die vorzeitige Entlassung. Ende
1997 beschloß die niederländische Justizministerin die Einbeziehung
aller Landesteile in das Versuchsprojekt. Im außereuropäischen
Bereich sammeln unter anderem Kanada, Israel, Australien, Neuseeland und
Singapur Erfahrungen mit dem elektronisch überwachten Hausarrest.
Technik
der elektronischen Fußfessel
Gegenwärtig
kommen zwei technisch verschiedene Überwachungssysteme
[10]
der ersten Generation zum Einsatz. Am verbreitetsten ist das sogenannte
Aktiv-System.
Beim Aktiv-System trägt der Überwachte einen Sender am Bein oder Arm.
Dieser Sender gibt in kurzen Abständen (ca. fünf Sekunden) ein
Signal an einen Empfänger ab, der an die Telefonleitung angeschlossen ist,
um die Verbindung zum Computer in der Aufsichtsstelle herzustellen. Der
Empfangsradius zwischen Sender und Empfänger beträgt gewöhnlich
30 bis 70 Meter. Hält sich der Überwachte außerhalb des
Sendebereiches auf, so erhält der Empfänger kein
Übertragungssignal mehr, eine Weiterleitung an den Computer bleibt aus,
und ein Alarm wird ausgelöst. Um dem Überwachten weiterhin zu
ermöglichen, seiner Arbeit nachzugehen, unaufschiebbare
Behördengänge wahrzunehmen und Einkäufe zu erledigen,
vereinbaren die Aufsichtsstelle und der Überwachte vorab ein Schema
über den Tagesablauf. Entsprechend dem Schema erfolgt die Programmierung
der Abwesenheitszeiten im Empfänger und im Computer.
Das
sogenannte
Passiv-System
findet weitaus seltener Anwendung. Hier stellt der Computer der Aufsichtsstelle
durch einen Telefonanruf nach einem Zufallsprogramm die Anwesenheit des
Überwachten fest. Der Überwachte trägt einen am Körper fest
verbundenen Kodierstreifen, den er dann in ein an das Telefon gekoppeltes
Lesegerät einführt.
Unabdingbare
technische Voraussetzung für den elektronisch überwachten Hausarrest
ist folglich ein Telefonanschluß.
[11]
Bestimmte Tätergruppen wie Obdachlose eignen sich daher von vornherein
nicht als Zielgruppe. Zur Vermeidung sozialer Benachteiligungen bemühen
sich wenige mit der elektronischen Überwachung betraute Einrichtungen,
sozial schwach gestellten Personen ein Telefon für die Dauer des
Hausarrestes zur Verfügung zu stellen. Die finanziellen Kosten für
den Anschluß und die anfallenden Telefonrechnungen tragen jedoch die
Teilnehmer. Die Nichtentrichtung der Telefongebühren bedeutet vielfach
einen Verstoß gegen die Programmrichtlinien und kann zur
Verbüßung der restlichen Freiheitsstrafe in einer
Justizvollzugsanstalt führen. Da die elektronische Überwachung
außerhalb des Wohnraums mit beiden Systemen nicht verwirklicht werden
kann, benutzt das Überwachungspersonal in einigen Programmen mobile
Empfänger mit einer Reichweite von 180 Metern zur Überprüfung
der Anwesenheit des Überwachten am festgelegten Ort, beispielsweise am
Arbeitsplatz. Vielfach enthalten die Regeln der Programme eine Abstinenzauflage
hinsichtlich Alkohol. Deren Einhaltung wird insbesondere in dünn
besiedelten Regionen mittels automatisierten Alkohol-Atemtest-Geräten,
deren Auswertungsdaten ebenfalls über die Telefonleitung übermittelt
werden, kontrolliert. Die Identifizierung erfolgt per Stimmerkennung oder
visueller Kontrolle per Bildschirm.
Seit
geraumer Zeit arbeiten die Hersteller fieberhaft an der Sicherheitstechnik der
zweiten Generation, um eine dauerhafte Aufenthaltskontrolle zu realisieren. Der
US-Bundesstaat New Jersey experimentierte bereits mit dem ursprünglich
militärisch und nun auch zivil-kommerziell genutzten GPS
Satellitensystem
(Global Positioning System).
[12]
Da die Satellitenortung bei den überwachten Straftätern versagte,
wurde das Projekt allerdings vorzeitig abgebrochen: tote Winkel traten auf und
Aufenthalte in Gebäuden behinderten die Peilung. Daneben werden Tests mit
einem lokal begrenzten
Watch-Patrol-System
durchgeführt. Ein Sender am Körper des Überwachten sendet
Radiowellen an verschiedene Empfangsstationen in einem Umkreis von zehn
Quadratkilometern, wobei aus den Übertragungszeiten des Signals der
aktuelle Aufenthaltsort ermittelt werden kann. Die Energieversorgung erweist
sich wegen der Größe der benötigten Batterie noch als
problematisch, ebenso die zu niedrige Sendestärke.
[13]
In den USA finden Pilotprojekte mit einer weiterentwickelten Version des
Passiv-Systems
statt. Anstelle des elektronischen Fußbandes nimmt die Methode eine
Identifizierung durch einen Stimmenvergleich oder sogar durch einen Bildschirm
vor. Außerdem käme eine Nutzung des
mobilen
Telefonnetzes
in Betracht, wobei die Landstriche in Funkzellen unterschiedlichster
Größe aufgeteilt werden. Die genaue Positionierung ist indessen
insbesondere in ländlichen Gebieten problematisch, da die Zellen mehrere
Quadratkilometer umfassen können.
[14] Die
zukünftige dritte Generation der Systeme ermöglicht eine
Totalüberwachung. Überlegungen gehen u.a. dahin, den
Überwachten bei Verstößen gegen auferlegte Verhaltensregeln
mittels leichter Stromstöße zu disziplinieren.
[15] Diskussion
und Anwendungspläne in Deutschland
Mit
dem Hinweis auf die Verletzung der Menschenwürde lehnten Politiker den
elektronisch überwachten Hausarrest während der ersten
publikumswirksamen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1994
relativ einmütig ab.
[16]
Seit 1997 läßt sich ein Stimmungsumschwung ausmachen. Nach einem
Informationsaufenthalt in Schweden im Januar 1997 sah die frühere Berliner
und nun Hamburger Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit das schwedische
Versuchsprojekt als vielversprechende Alternative zum Freiheitsentzug von
Straftätern
[17]
und forcierte die Entwicklung eines Konzeptes zur Umsetzung in Deutschland.
Auf
der Justizministerkonferenz vom 11./12. Juni 1997 nahmen die
Bundesländer abgesehen von Bayern und Sachsen zur Kenntnis,
daß das Bundesland Berlin eine entsprechende Gesetzesinitiative des
Bundesrates vorbereitete.
[18]
Seither ist der elektronisch überwachte Hausarrest aus dem
kriminalpolitischen Tagesgeschehen nicht mehr wegzudenken. Das Land Berlin
brachte am 16.9.1997 einen Gesetzesantrag
[19]
im Bundesrat ein. Der Rechtsausschuß des Bundesrates setzte im November
1997 die Entscheidung aus. Aus diesem Grund konstituierte sich eine
länderübergreifende Arbeitsgruppe, der sieben Bundesländer
[20]
angehören und die sich mit der gesamten Bandbreite möglicher
Anwendungsbereiche des elektronisch überwachten Hausarrests
auseinandersetzt. Nach Erscheinen des Abschlußberichts
voraussichtlich im Frühjahr 1999 wird der Rechtsausschuß des
Bundesrates eine Entscheidung über den Gesetzentwurf fällen. Auf
Bundesebene setzte der Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig Anfang
dieses Jahres eine Fachkommission zur Novellierung des strafrechtlichen
Sanktionensystems ein.
[21]
Im Laufe ihrer Tätigkeit soll auch die elektronische Überwachung auf
der Tagesordnung stehen.
Die
im Bundesrat vorliegende Gesetzesinitiative enthält den Vorschlag, den
elektronisch überwachten Hausarrest als Strafvollzugslockerung in das
Strafvollzugsgesetz einzufügen.
[22]
Die neue Regelung soll eine Ermächtigungsgrundlage für die
Bundesländer schaffen, um auf vier Jahre befristete Rechtsverordnungen
für die Erprobung der elektronischen Überwachung bei Straftätern
mit einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung bzw. Reststrafe bis zu sechs
Monaten zu erlassen. Diese weite Fassung würde den Bundesländern
einen breiten Spielraum für die spezifische Ausgestaltung von eigenen
Programmen gewähren. Um eine gewisse Einheitlichkeit bezüglich der
Aufnahmekriterien herzustellen, soll die neue Vorschrift die
Mindestvoraussetzungen vorgeben. Große Bedeutung wird der Einwilligung
des Gefangenen und auch der im Haushalt lebenden Personen beigemessen. Hinzu
kommt die Prüfung von Flucht- oder Mißbrauchsgefahr durch die
Begehung weiterer Straftaten. Darüber hinaus soll der Straftäter zur
Wiedergutmachung einen Geldbetrag an einen Opferfond leisten, sofern er
finanziell dazu in der Lage ist. Nach dem Stand der laufenden Debatte ist
völlig offen, ob der Entwurf in dieser Fassung den Bundesrat passieren wird.
Die
Urheber der Gesetzesinitiative erhoffen sich von einer Einführung des
elektronisch überwachten Hausarrests im Gegensatz zur Inhaftierung bessere
Perspektiven für eine Resozialisierung der Straftäter, weil die
schädlichen Haftfolgen vermieden werden könnten.
[23]
Ebenso könnte auf Veränderungen in der Gesellschaft reagiert werden.
So beruhe der Freigang auf der nicht mehr zeitgemäßen Annahme einer
entspannten Beschäftigungslage. Die anhaltende Krise auf dem Arbeitsmarkt
erschwere die Chancen von Gefangenen, eine Arbeit zu finden; mangels
Tätigkeit könne ihnen dann der Freigang nicht gestattet werden. Vor
allem geht es den Befürwortern um eine Entlastung der überbelegten
Gefängnisse und damit einhergehend um erhebliche Kosteneinsparungen im
Strafvollzug. Die durchschnittliche Belegung der Justizvollzugsanstalten steigt
seit der Wiedervereinigung kontinuierlich an und erreichte 1996 ihren
vorläufigen Höhepunkt.
[24]
Im Jahr 1995 überschritten die Gefangenenzahlen bei gemeinsamer
Unterbringung die Gesamtzahl der verfügbaren Haftplätze.
[25]
Die Bundesländer stehen folglich unter beträchtlichem Druck, die sich
zuspitzenden Kapazitätsprobleme im Strafvollzug zu lösen. Angesichts
leerer Kassen suchen sie nach Alternativen, anstatt die knappen Ressourcen in
den kostspieligen Neubau von Gefängnissen und deren Betreibung zu
investieren.
[26] Die
Verwirklichung von Pilotprojekten streben die Bundesländer
Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg und Hessen an.
Baden-Württemberg
erwägt einen Modellversuch im Bereich der Ersatzfreiheitsstrafen in
Mannheim. Von den ca. 8.000 Haftplätzen in Baden-Württemberg sind
etwa 500 von Strafgefangenen belegt, die eine uneinbringliche Geldstrafe nicht
bezahlen können.
[27]
Der Kriminologische Dienst des Landes führt eine Untersuchung über
die potentielle Zielgruppe durch, deren Vorergebnisse noch
unveröffentlicht sind. Ursprünglich plante
Berlin
ein Konzept entsprechend der skizzierten Gesetzesinitiative. Die Finanzierung
eines eventuellen Versuchsprojektes für das Jahr 1998 lehnte der
Hauptausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses allerdings zugunsten der
Förderung der freien Straffälligen- und Opferhilfe ab.
[28]
Seit der kurz darauf erfolgten Aussetzung des Entwurfs im Bundesrat verfolgen
die Verantwortlichen zunächst keine näheren Pläne zur
Ausgestaltung weiter, sondern konzentrieren sich auf ihre federführende
Arbeit in der angesprochenen länderübergreifenden Arbeitsgruppe.
[29]
Hessen
will den elektronisch überwachten Hausarrest bereits vor einer
Gesetzesänderung erproben.
[30]
Das Pilotprojekt würde dessen Anwendung im Rahmen der Bewährung sowie
bei der Aussetzung des Vollzuges eines Haftbefehls vorsehen. Gegenwärtig
führen Vertreter des hessischen Ministeriums der Justiz und für
Europaangelegenheiten Gespräche mit Praktikern über ihre Akzeptanz
und Kooperationsbereitschaft hinsichtlich des Vorhabens.
Andere
Bundesländer beschäftigen sich ebenfalls mit der Option des
elektronisch überwachten Hausarrests und verfolgen die Diskussion mit
Interesse, wollen aber zunächst die Erfahrungen der Projekte anderer
Bundesländer abwarten. Dem Argument der Kostenersparnis wird mit Skepsis
begegnet.
[31] Einwände
und Widerstände
Zu
den ausgewiesenen Gegnern zählen die konservativ regierten
Bundesländer Sachsen
[32]
und Bayern
[33].
Sowohl der generalpräventive als auch der spezialpräventive Zweck der
Abschreckung könne mangels hinreichend repressiven Einschlages der
elektronischen Überwachung nicht erfüllt werden. Zudem würde dem
Vergeltungselement nicht Rechnung getragen. Da der elektronische Hausarrest nur
für Delinquenten in einem intakten sozialen Milieu mit festem Wohnsitz und
Telefonanschluß in Betracht käme, wäre eine Benachteiligung
sozial schlechter gestellter Straftäter zu befürchten. Zudem
würde ein Großteil der Gefangenen die eben genannten Bedingungen
nicht erfüllen, so daß weder die Zahl der Inhaftierten noch die
Kosten des Strafvollzugs nennenswert gesenkt werden könnten. Im Gegenteil
ließe die Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests
eine Strafverschärfung einhergehend mit einem höheren Kostenaufwand
erwarten. Entgegen dem anvisierten Ziel, den Anteil der vollstreckten
Freiheitsstrafen zu verringern, würden letztendlich die weniger
eingreifenden Bewährungsstrafen durch den elektronisch überwachten
Hausarrest ersetzt, der mehr Personal erfordere.
Ein
starker Widerstand gegen die elektronische Überwachung ist in der Praxis
insbesondere innerhalb der Bewährungshilfe
[34]
auszumachen.
[35]
Das elektronische Fußband wird als erster Schritt in einen
Überwachungsstaat gesehen. Die notwendige Kooperation mit privaten
Unternehmen beeinträchtige das staatliche Strafmonopol. Die technische
Kontrolle stehe im Vordergrund, die zur Aufgabe des Resozialisierungsgedankens
führe. Der Fußsender stigmatisiere den Überwachten in seinem
sozialen Umfeld, nicht zuletzt begünstige der Arrest im eigenen Wohnraum
innerfamiliäre Spannungen. Das Konzept des elektronisch überwachten
Hausarrests bevorzuge gutsituierte Täter und verstärke bestehende
soziale Ungerechtigkeiten. Zudem wird wie schon erwähnt
eine Strafverschärfung befürchtet.
Innerhalb
der skizzierten rechtspolitischen Diskussion fällt auf, daß sich zum
einen die Parteien nicht in klare Lager aufspalten, sondern erhebliche
Unterschiede zwischen Politikern gleicher Couleur sowie auch zwischen Bundes-
und Landesebene der Parteien zu beobachten sind. Zum anderen überschneiden
sich teilweise die Argumente für und wider trotz konträrer
ideologischer Ausgangspositionen, wobei überraschende
Koalitionen
[36]
auftreten. Dabei verwickeln sich sowohl Gegner als auch Befürworter in
Widersprüche. Als ein Beispiel mag die auch von konservativen Kreisen
befürchtete Strafverschärfung bezüglich der
Bewährungsstrafen dienen, die in einem Atemzug mit den Klagen über zu
milde Bestrafung und dem verminderten Schutz der Bevölkerung vorgebracht
werden.
Hieran
zeigt sich, daß die rechts- bzw. kriminalpolitische
Auseinandersetzung über die elektronische Fußfessel
inzwischen Deutschland mit zeitlicher Verzögerung gegenüber einigen
Nachbarländern erreicht hat. Dementsprechend besteht ein erhöhter
Informationsbedarf über Grundlagen sowie intendierte und nicht-intendierte
praktische Folgen. Die weitere Debatte sollte auf der Basis schon vorliegender
Erfahrungen und Einsichten offen und kontrovers geführt werden.
Rita
Haverkamp ist Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Kriminologie des
Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht
in Freiburg i.Br. und führt gegenwärtig eine empirische
Untersuchung zur elektronischen Überwachung in ausgewählten
Bundesländern und vergleichend in Schweden durch.
[1] Whitfield,
D.: Tackling the tag The electronic monitoring of offenders, Winchester
1997, p. 33
[2] ausführlich
zum Experiment: Lindenberg, M.: Überwindung der Mauern: Das elektronische
Halsband, München 1992, S. 66-71
[3] Whitfield
a.a.O. (Fn. 1), p. 33f.
[4] Offizielle
Zahlen gehen für 1995 von 27.863 Erwachsenen unter elektronischer
Überwachung in den USA aus (Bureau of Justice Statistics: Correctional
Populations in the United States 1995 NCJ-163916, Washington 1997); hinzu
kommen Jugendliche sowie die von Untersuchungshaft verschonten Personen.
[5] Der
Einsatz des elektronisch überwachten Hausarrests im Ausland wird in
Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98) näher betrachtet werden.
[6] s. Lindenberg
a.a.O. (Fn. 2), S. 144-163
[7] s. zuletzt:
Mortimer, E.; May, C.: Electronic monitoring in practise: the second year of
the trials of curfew orders, London 1997, p. 45f.
[8] zur
ersten Phase des Versuchsprojektes: Bishop, N.: Intensive supervision with
electronic monitoring: a Swedish alternative to imprisonment, in: Penological
Information Bulletin December 1994-1995, pp. 8-10
[9] zum
Verlauf des Versuchsprojektes s. Spaans, E.C.; Verwers, C.: Elektronisch
toezicht in Nederland, Wetenschappelijk Onderzoek en Documentatiecentrum 1997
[10] vgl. zur
Technik LT Baden-Württemberg Drs. 12/1043, S. 2; Ostendorf, H.:
Die elektronische Fessel Wunderwaffe im
Kampf gegen die Kriminalität?, in: Zeitschrift für
Rechtspolitik 1997, H. 12, S. 473-476 (474)
[11] In
den meisten Projekten mit elektronisch überwachtem Hausarrest sind
Teilnahmebedingungen ein fester Wohnsitz und zumindest eine
Halbtagsbeschäftigung.
[12] Whitfield
a.a.O. (Fn. 1) p. 112
[13] Bundesarbeitsgemeinschaft
Straffälligenhilfe (Hg.): Elektronisch überwachter Hausarrest
Alternative zum Strafvollzug?, Bonn 1997, S. 3; Whitfield a.a.O.
(Fn. 1), p. 116f.
[14] Krahl,
M.: Der elektronisch überwachte Hausarrest, in: Neue Zeitschrift für
Strafrecht 1997, H. 10, S. 475-461 (458); Lindenberg a.a.O.
(Fn. 2), S. 73ff. Kürzlich entschied das Landgericht Dortmund,
daß Bewegungsdaten von Handies für Fahndungszwecke verwendet werden
dürfen, siehe Focus v. 20.4.1998.
[15] Bundesarbeitsgemeinschaft
Straffälligenhilfe a.a.O. (Fn. 13), S. 3; Whitfield a.a.O.
(Fn. 1), p. 110
[16] vgl. Stern
1994, H. 42, S. 281 mit der Äußerung der damaligen
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger
[17] unveröffentlichtes
Ergebnispapier v. 27.1.1997, S. 7
[18] Top
II.15 des Beschlusses der 68. Konferenz der Justizministerinnen und
-minister vom 11. bis 12. Juni 1997 in Saarbrücken
[19] BR
Drs. 698/97 zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Strafvollzugsgesetzes
[20] Baden-Württemberg,
Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und
Schleswig-Holstein; ein Vertreter des Bundesjustizministeriums nimmt als Gast
teil.
[21] Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 22.1.1998; Handelsblatt v. 22.1.1998
[22] BR
Drs. 698/97, S. 1. Die vorgeschlagene Änderung des
Strafvollzugsgesetzes sieht einen neuen § 11a vor.
[23] ebd.,
S. vor 1,5 u. 6
[24] ebd.,
S. 2: 1991: 54.647; 1992: 57.470; 1993: 63.688; 1994: 67.620; 1995: 68.058
[25] Am
31.12.1995 (1996) standen 27.968 (30.081) Gefangenen lediglich 27.207 (27.314)
gemeinsame Zellenplätze zur Verfügung, Statistisches Bundesamt (Hg.):
Rechtspflege Reihe 1. Ausgewählte Zahlen für die Rechtspflege 1996,
Wiesbaden 1998, S. 45; siehe auch Ostendorf a.a.O. (Fn. 10),
S. 473.
[26] Presseinformation
der Justizbehörden Hamburg v. 12.6.1997: Erweiterung der
gemeinnützigen Arbeit anstelle Verbüßung von
Ersatzfreiheitsstrafen, der Verwarnung mit Strafvorbehalt; Fahrverbot als
eigenständige Sanktion
[27] Badische
Zeitung v. 4.4.1998
[28] Der
Tagesspiegel v. 22.11.1997
[29] mündliche
Mitteilung eines Vertreters der Senatsverwaltung für Justiz in Berlin
[30] mündliche
Mitteilung eines Vertreters des hessischen Ministeriums der Justiz und für
Europaangelegenheiten
[31] Kleine
Anfrage in Niedersachsen, LT Niedersachsen Drs. 13/2859, S. 3
[32] Rheinischer
Merkur v. 27.6.1997
[33] Presseerklärung
von Justizstaatssekretär Sauter v. 1.10.1992; schriftliche Mitteilung
des bayerischen Staatsministeriums der Justiz v. 22.8.1997
[34] vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft
Straffälligenhilfe a.a.O. (Fn. 13); Kawamura, G.: Elektronisch
überwachter Hausarrest Alternative zum Strafvollzug?, in: Neue
Kriminalpolitik 1998, H. 2, S. 10f.
[35] Einen
Überblick verschaffen Lindenberg a.a.O. (Fn. 2), S. 163-172;
jüngst Ostendorf a.a.O. (Fn. 10), S. 473f. u. 476.
[36] Ostendorf
a.a.O. (Fn. 10), S. 473
| |
Startseite | Inhaltsverzeichnis | |
© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 1998 HTML-Auszeichnung: Felix Bübl. Zuletzt verändert am 4. Oktober 1998. |