CILIP Bürgerrechte & Polizei/CILIP 60 (2/98)

‘Electronic Monitoring’

Die elektronische Überwachung von Straffälligen


 
von Rita Haverkamp
 

Unter dem Schlagwort „elektronische Fußfessel“ kursiert in neuerer Zeit der elektronisch überwachte Hausarrest (oder vereinfacht die elektronische Überwachung) verstärkt in den Medien. Die Suche nach preisgünstigen Alternativen zum überfüllten und teuren Strafvollzug bestimmt seit Jahrzehnten die Kriminalpolitik. Neben der elektronischen Überwachung gehören hierzu auch andere ambulante Sanktionen wie die gemeinnützige Arbeit und der Täter-Opfer-Ausgleich. Als vermeintlich billige Alternative bietet sich der elektronisch überwachte Hausarrest an. Die aus unterschiedlichen Lagern kommenden Gegner bringen zahlreiche Bedenken gegen diese Kontrollform vor. Die Kritik reicht von dem Vorwurf einer zu milden Sanktionierung bis hin zu einer Totalüberwachung, die ethisch nicht verantwortbar sei und die in die Menschenwürde erheblich eingreife.

Der elektronisch überwachte Hausarrest ist eine Freiheitsbeschränkung, die dem Verurteilten auferlegt, seinen Wohnbereich nicht oder nur zu vorab festgelegten Zeiten zu verlassen. Die Kontrolle erfolgt mit technischen Mitteln unter Einsatz von Überwachungspersonal. Solche Programme erschöpfen sich meist nicht in einer bloßen technischen Aufenthaltskontrolle, sondern gehen in einem Konzept der Intensivbewährung bzw. -überwachung auf, das dem Überwachten besonders strenge Regeln zur Lebensführung auferlegt.

Zur Entwicklungsgeschichte

Über den Einsatz elektronischer Kontrolltechniken wurde bereits im Jahre 1919 diskutiert, [1] bevor Mitte der sechziger Jahre der Harvardprofessor für Psychiatrie, Ralph Schwitzgebel, an Freiwilligen erste Experimente mit einer kiloschweren Apparatur durchführte.[2] Er ließ sich dieses Gerät 1969 patentieren und stellte es als Methode zur Aufenthaltskontrolle von Psychiatriepatienten und Straftätern vor. [3] Jedoch gerieten Schwitzgebels Versuche in Vergessenheit. Das Konzept der elektronischen Überwachung brachte erst der Bezirksrichter Jack Love aus dem US-Bundesstaat New Mexico wieder ins Rollen. Nach einem dreiwöchigen Selbstversuch verhängte er 1983 die elektronische Überwachung gegenüber fünf Straftätern, wobei die Bewährungshilfe die Kontrolle übernahm. Ende 1984 begann das erste größer angelegte Programm mit elektronisch überwachtem Hausarrest in Palm Beach, Florida. Das Projekt bildete das Vorbild für die rasche Verbreitung weiterer Modelle in den USA. Mittlerweile finden sich in allen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten gesetzliche Regelungen und Programme zu dieser Kontrollform. Nach Schätzungen wurden 1994 in den USA insgesamt ca. 67.000 Personen mit elektronisch überwachtem Hausarrest sanktioniert. [4]

Internationale Verbreitung [5]

Die Entwicklung machte in den USA nicht halt und erreichte Ende der achtziger Jahre auch Europa. Großbritannien führte als erster europäischer Staat einen Modellversuch zur Vermeidung von Untersuchungshaft durch, dessen Resultate als desaströs eingeschätzt wurden. [6] Nichtsdestoweniger fügte der englische Gesetzgeber 1991 und 1994 Bestimmungen über den elektronisch überwachten Hausarrest ins Strafrecht ein. Auf dieser Grundlage finden seit 1995 erneut Experimente – mit nun zufriedenstellendem Ergebnis – statt. [7] Später kamen Schweden[8] (1994) und die Niederlande[9] (1995) mit Versuchsprojekten in einzelnen Bezirken hinzu, die als Erfolge bewertet werden. In Schweden wird die elektronische Überwachung weiterhin seit 1997 landesweit zur Vermeidung kurzer Gefängnisstrafen bis zu drei Monaten angewendet. Das Modell in den Niederlanden erfaßt sowohl die Vermeidung kurzer Freiheitsstrafen als auch die vorzeitige Entlassung. Ende 1997 beschloß die niederländische Justizministerin die Einbeziehung aller Landesteile in das Versuchsprojekt. Im außereuropäischen Bereich sammeln unter anderem Kanada, Israel, Australien, Neuseeland und Singapur Erfahrungen mit dem elektronisch überwachten Hausarrest.

Technik der elektronischen Fußfessel

Gegenwärtig kommen zwei technisch verschiedene Überwachungssysteme [10] der ersten Generation zum Einsatz. Am verbreitetsten ist das sogenannte Aktiv-System. Beim Aktiv-System trägt der Überwachte einen Sender am Bein oder Arm. Dieser Sender gibt in kurzen Abständen (ca. fünf Sekunden) ein Signal an einen Empfänger ab, der an die Telefonleitung angeschlossen ist, um die Verbindung zum Computer in der Aufsichtsstelle herzustellen. Der Empfangsradius zwischen Sender und Empfänger beträgt gewöhnlich 30 bis 70 Meter. Hält sich der Überwachte außerhalb des Sendebereiches auf, so erhält der Empfänger kein Übertragungssignal mehr, eine Weiterleitung an den Computer bleibt aus, und ein Alarm wird ausgelöst. Um dem Überwachten weiterhin zu ermöglichen, seiner Arbeit nachzugehen, unaufschiebbare Behördengänge wahrzunehmen und Einkäufe zu erledigen, vereinbaren die Aufsichtsstelle und der Überwachte vorab ein Schema über den Tagesablauf. Entsprechend dem Schema erfolgt die Programmierung der Abwesenheitszeiten im Empfänger und im Computer.
Das sogenannte Passiv-System findet weitaus seltener Anwendung. Hier stellt der Computer der Aufsichtsstelle durch einen Telefonanruf nach einem Zufallsprogramm die Anwesenheit des Überwachten fest. Der Überwachte trägt einen am Körper fest verbundenen Kodierstreifen, den er dann in ein an das Telefon gekoppeltes Lesegerät einführt.
Unabdingbare technische Voraussetzung für den elektronisch überwachten Hausarrest ist folglich ein Telefonanschluß. [11] Bestimmte Tätergruppen wie Obdachlose eignen sich daher von vornherein nicht als Zielgruppe. Zur Vermeidung sozialer Benachteiligungen bemühen sich wenige mit der elektronischen Überwachung betraute Einrichtungen, sozial schwach gestellten Personen ein Telefon für die Dauer des Hausarrestes zur Verfügung zu stellen. Die finanziellen Kosten für den Anschluß und die anfallenden Telefonrechnungen tragen jedoch die Teilnehmer. Die Nichtentrichtung der Telefongebühren bedeutet vielfach einen Verstoß gegen die Programmrichtlinien und kann zur Verbüßung der restlichen Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt führen. Da die elektronische Überwachung außerhalb des Wohnraums mit beiden Systemen nicht verwirklicht werden kann, benutzt das Überwachungspersonal in einigen Programmen mobile Empfänger mit einer Reichweite von 180 Metern zur Überprüfung der Anwesenheit des Überwachten am festgelegten Ort, beispielsweise am Arbeitsplatz. Vielfach enthalten die Regeln der Programme eine Abstinenzauflage hinsichtlich Alkohol. Deren Einhaltung wird insbesondere in dünn besiedelten Regionen mittels automatisierten Alkohol-Atemtest-Geräten, deren Auswertungsdaten ebenfalls über die Telefonleitung übermittelt werden, kontrolliert. Die Identifizierung erfolgt per Stimmerkennung oder visueller Kontrolle per Bildschirm.
Seit geraumer Zeit arbeiten die Hersteller fieberhaft an der Sicherheitstechnik der zweiten Generation, um eine dauerhafte Aufenthaltskontrolle zu realisieren. Der US-Bundesstaat New Jersey experimentierte bereits mit dem ursprünglich militärisch und nun auch zivil-kommerziell genutzten GPS Satellitensystem (Global Positioning System). [12] Da die Satellitenortung bei den überwachten Straftätern versagte, wurde das Projekt allerdings vorzeitig abgebrochen: tote Winkel traten auf und Aufenthalte in Gebäuden behinderten die Peilung. Daneben werden Tests mit einem lokal begrenzten Watch-Patrol-System durchgeführt. Ein Sender am Körper des Überwachten sendet Radiowellen an verschiedene Empfangsstationen in einem Umkreis von zehn Quadratkilometern, wobei aus den Übertragungszeiten des Signals der aktuelle Aufenthaltsort ermittelt werden kann. Die Energieversorgung erweist sich wegen der Größe der benötigten Batterie noch als problematisch, ebenso die zu niedrige Sendestärke. [13] In den USA finden Pilotprojekte mit einer weiterentwickelten Version des Passiv-Systems statt. Anstelle des elektronischen Fußbandes nimmt die Methode eine Identifizierung durch einen Stimmenvergleich oder sogar durch einen Bildschirm vor. Außerdem käme eine Nutzung des mobilen Telefonnetzes in Betracht, wobei die Landstriche in Funkzellen unterschiedlichster Größe aufgeteilt werden. Die genaue Positionierung ist indessen insbesondere in ländlichen Gebieten problematisch, da die Zellen mehrere Quadratkilometer umfassen können. [14]
Die zukünftige dritte Generation der Systeme ermöglicht eine Totalüberwachung. Überlegungen gehen u.a. dahin, den Überwachten bei Verstößen gegen auferlegte Verhaltensregeln mittels leichter Stromstöße zu disziplinieren. [15]

Diskussion und Anwendungspläne in Deutschland

Mit dem Hinweis auf die Verletzung der Menschenwürde lehnten Politiker den elektronisch überwachten Hausarrest während der ersten publikumswirksamen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1994 relativ einmütig ab. [16] Seit 1997 läßt sich ein Stimmungsumschwung ausmachen. Nach einem Informationsaufenthalt in Schweden im Januar 1997 sah die frühere Berliner und nun Hamburger Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit das schwedische Versuchsprojekt als vielversprechende Alternative zum Freiheitsentzug von Straftätern [17] und forcierte die Entwicklung eines Konzeptes zur Umsetzung in Deutschland.
Auf der Justizministerkonferenz vom 11./12. Juni 1997 „nahmen“ die Bundesländer abgesehen von Bayern und Sachsen „zur Kenntnis“, daß das Bundesland Berlin eine entsprechende Gesetzesinitiative des Bundesrates vorbereitete. [18] Seither ist der elektronisch überwachte Hausarrest aus dem kriminalpolitischen Tagesgeschehen nicht mehr wegzudenken. Das Land Berlin brachte am 16.9.1997 einen Gesetzesantrag [19] im Bundesrat ein. Der Rechtsausschuß des Bundesrates setzte im November 1997 die Entscheidung aus. Aus diesem Grund konstituierte sich eine länderübergreifende Arbeitsgruppe, der sieben Bundesländer [20] angehören und die sich mit der gesamten Bandbreite möglicher Anwendungsbereiche des elektronisch überwachten Hausarrests auseinandersetzt. Nach Erscheinen des Abschlußberichts – voraussichtlich im Frühjahr 1999 – wird der Rechtsausschuß des Bundesrates eine Entscheidung über den Gesetzentwurf fällen. Auf Bundesebene setzte der Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig Anfang dieses Jahres eine Fachkommission zur Novellierung des strafrechtlichen Sanktionensystems ein. [21] Im Laufe ihrer Tätigkeit soll auch die elektronische Überwachung auf der Tagesordnung stehen.
Die im Bundesrat vorliegende Gesetzesinitiative enthält den Vorschlag, den elektronisch überwachten Hausarrest als Strafvollzugslockerung in das Strafvollzugsgesetz einzufügen. [22] Die neue Regelung soll eine Ermächtigungsgrundlage für die Bundesländer schaffen, um auf vier Jahre befristete Rechtsverordnungen für die Erprobung der elektronischen Überwachung bei Straftätern mit einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung bzw. Reststrafe bis zu sechs Monaten zu erlassen. Diese weite Fassung würde den Bundesländern einen breiten Spielraum für die spezifische Ausgestaltung von eigenen Programmen gewähren. Um eine gewisse Einheitlichkeit bezüglich der Aufnahmekriterien herzustellen, soll die neue Vorschrift die Mindestvoraussetzungen vorgeben. Große Bedeutung wird der Einwilligung des Gefangenen und auch der im Haushalt lebenden Personen beigemessen. Hinzu kommt die Prüfung von Flucht- oder Mißbrauchsgefahr durch die Begehung weiterer Straftaten. Darüber hinaus soll der Straftäter zur Wiedergutmachung einen Geldbetrag an einen Opferfond leisten, sofern er finanziell dazu in der Lage ist. Nach dem Stand der laufenden Debatte ist völlig offen, ob der Entwurf in dieser Fassung den Bundesrat passieren wird.
Die Urheber der Gesetzesinitiative erhoffen sich von einer Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests im Gegensatz zur Inhaftierung bessere Perspektiven für eine Resozialisierung der Straftäter, weil die schädlichen Haftfolgen vermieden werden könnten. [23] Ebenso könnte auf Veränderungen in der Gesellschaft reagiert werden. So beruhe der Freigang auf der nicht mehr zeitgemäßen Annahme einer entspannten Beschäftigungslage. Die anhaltende Krise auf dem Arbeitsmarkt erschwere die Chancen von Gefangenen, eine Arbeit zu finden; mangels Tätigkeit könne ihnen dann der Freigang nicht gestattet werden. Vor allem geht es den Befürwortern um eine Entlastung der überbelegten Gefängnisse und damit einhergehend um erhebliche Kosteneinsparungen im Strafvollzug. Die durchschnittliche Belegung der Justizvollzugsanstalten steigt seit der Wiedervereinigung kontinuierlich an und erreichte 1996 ihren vorläufigen Höhepunkt. [24] Im Jahr 1995 überschritten die Gefangenenzahlen bei gemeinsamer Unterbringung die Gesamtzahl der verfügbaren Haftplätze. [25] Die Bundesländer stehen folglich unter beträchtlichem Druck, die sich zuspitzenden Kapazitätsprobleme im Strafvollzug zu lösen. Angesichts leerer Kassen suchen sie nach Alternativen, anstatt die knappen Ressourcen in den kostspieligen Neubau von Gefängnissen und deren Betreibung zu investieren. [26]
Die Verwirklichung von Pilotprojekten streben die Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg und Hessen an. Baden-Württemberg erwägt einen Modellversuch im Bereich der Ersatzfreiheitsstrafen in Mannheim. Von den ca. 8.000 Haftplätzen in Baden-Württemberg sind etwa 500 von Strafgefangenen belegt, die eine uneinbringliche Geldstrafe nicht bezahlen können. [27] Der Kriminologische Dienst des Landes führt eine Untersuchung über die potentielle Zielgruppe durch, deren Vorergebnisse noch unveröffentlicht sind. Ursprünglich plante Berlin ein Konzept entsprechend der skizzierten Gesetzesinitiative. Die Finanzierung eines eventuellen Versuchsprojektes für das Jahr 1998 lehnte der Hauptausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses allerdings zugunsten der Förderung der freien Straffälligen- und Opferhilfe ab. [28] Seit der kurz darauf erfolgten Aussetzung des Entwurfs im Bundesrat verfolgen die Verantwortlichen zunächst keine näheren Pläne zur Ausgestaltung weiter, sondern konzentrieren sich auf ihre federführende Arbeit in der angesprochenen länderübergreifenden Arbeitsgruppe. [29] Hessen will den elektronisch überwachten Hausarrest bereits vor einer Gesetzesänderung erproben. [30] Das Pilotprojekt würde dessen Anwendung im Rahmen der Bewährung sowie bei der Aussetzung des Vollzuges eines Haftbefehls vorsehen. Gegenwärtig führen Vertreter des hessischen Ministeriums der Justiz und für Europaangelegenheiten Gespräche mit Praktikern über ihre Akzeptanz und Kooperationsbereitschaft hinsichtlich des Vorhabens.
Andere Bundesländer beschäftigen sich ebenfalls mit der Option des elektronisch überwachten Hausarrests und verfolgen die Diskussion mit Interesse, wollen aber zunächst die Erfahrungen der Projekte anderer Bundesländer abwarten. Dem Argument der Kostenersparnis wird mit Skepsis begegnet. [31]

Einwände und Widerstände

Zu den ausgewiesenen Gegnern zählen die konservativ regierten Bundesländer Sachsen [32] und Bayern [33]. Sowohl der generalpräventive als auch der spezialpräventive Zweck der Abschreckung könne mangels hinreichend repressiven Einschlages der elektronischen Überwachung nicht erfüllt werden. Zudem würde dem Vergeltungselement nicht Rechnung getragen. Da der elektronische Hausarrest nur für Delinquenten in einem intakten sozialen Milieu mit festem Wohnsitz und Telefonanschluß in Betracht käme, wäre eine Benachteiligung sozial schlechter gestellter Straftäter zu befürchten. Zudem würde ein Großteil der Gefangenen die eben genannten Bedingungen nicht erfüllen, so daß weder die Zahl der Inhaftierten noch die Kosten des Strafvollzugs nennenswert gesenkt werden könnten. Im Gegenteil ließe die Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests eine Strafverschärfung einhergehend mit einem höheren Kostenaufwand erwarten. Entgegen dem anvisierten Ziel, den Anteil der vollstreckten Freiheitsstrafen zu verringern, würden letztendlich die weniger eingreifenden Bewährungsstrafen durch den elektronisch überwachten Hausarrest ersetzt, der mehr Personal erfordere.
Ein starker Widerstand gegen die elektronische Überwachung ist in der Praxis insbesondere innerhalb der Bewährungshilfe [34] auszumachen. [35] Das elektronische Fußband wird als erster Schritt in einen Überwachungsstaat gesehen. Die notwendige Kooperation mit privaten Unternehmen beeinträchtige das staatliche Strafmonopol. Die technische Kontrolle stehe im Vordergrund, die zur Aufgabe des Resozialisierungsgedankens führe. Der Fußsender stigmatisiere den Überwachten in seinem sozialen Umfeld, nicht zuletzt begünstige der Arrest im eigenen Wohnraum innerfamiliäre Spannungen. Das Konzept des elektronisch überwachten Hausarrests bevorzuge gutsituierte Täter und verstärke bestehende soziale Ungerechtigkeiten. Zudem wird – wie schon erwähnt – eine Strafverschärfung befürchtet.
Innerhalb der skizzierten rechtspolitischen Diskussion fällt auf, daß sich zum einen die Parteien nicht in klare Lager aufspalten, sondern erhebliche Unterschiede zwischen Politikern gleicher Couleur sowie auch zwischen Bundes- und Landesebene der Parteien zu beobachten sind. Zum anderen überschneiden sich teilweise die Argumente für und wider trotz konträrer ideologischer Ausgangspositionen, wobei „überraschende Koalitionen“ [36] auftreten. Dabei verwickeln sich sowohl Gegner als auch Befürworter in Widersprüche. Als ein Beispiel mag die auch von konservativen Kreisen befürchtete Strafverschärfung bezüglich der Bewährungsstrafen dienen, die in einem Atemzug mit den Klagen über zu milde Bestrafung und dem verminderten Schutz der Bevölkerung vorgebracht werden.
Hieran zeigt sich, daß die rechts- bzw. kriminalpolitische Auseinandersetzung über die „elektronische Fußfessel“ inzwischen Deutschland mit zeitlicher Verzögerung gegenüber einigen Nachbarländern erreicht hat. Dementsprechend besteht ein erhöhter Informationsbedarf über Grundlagen sowie intendierte und nicht-intendierte praktische Folgen. Die weitere Debatte sollte auf der Basis schon vorliegender Erfahrungen und Einsichten offen und kontrovers geführt werden.


Rita Haverkamp ist Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i.Br. und führt gegenwärtig eine empirische Untersuchung zur elektronischen Überwachung in ausgewählten Bundesländern und vergleichend in Schweden durch.

[1] Whitfield, D.: Tackling the tag – The electronic monitoring of offenders, Winchester 1997, p. 33
[2] ausführlich zum Experiment: Lindenberg, M.: Überwindung der Mauern: Das elektronische Halsband, München 1992, S. 66-71
[3] Whitfield a.a.O. (Fn. 1), p. 33f.
[4] Offizielle Zahlen gehen für 1995 von 27.863 Erwachsenen unter elektronischer Überwachung in den USA aus (Bureau of Justice Statistics: Correctional Populations in the United States 1995 NCJ-163916, Washington 1997); hinzu kommen Jugendliche sowie die von Untersuchungshaft verschonten Personen.
[5] Der Einsatz des elektronisch überwachten Hausarrests im Ausland wird in Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98) näher betrachtet werden.
[6] s. Lindenberg a.a.O. (Fn. 2), S. 144-163
[7] s. zuletzt: Mortimer, E.; May, C.: Electronic monitoring in practise: the second year of the trials of curfew orders, London 1997, p. 45f.
[8] zur ersten Phase des Versuchsprojektes: Bishop, N.: Intensive supervision with electronic monitoring: a Swedish alternative to imprisonment, in: Penological Information Bulletin December 1994-1995, pp. 8-10
[9] zum Verlauf des Versuchsprojektes s. Spaans, E.C.; Verwers, C.: Elektronisch toezicht in Nederland, Wetenschappelijk Onderzoek en Documentatiecentrum 1997
[10] vgl. zur Technik LT Baden-Württemberg Drs. 12/1043, S. 2; Ostendorf, H.: Die „elektronische Fessel“ – Wunderwaffe im „Kampf“ gegen die Kriminalität?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 1997, H. 12, S. 473-476 (474)
[11] In den meisten Projekten mit elektronisch überwachtem Hausarrest sind Teilnahmebedingungen ein fester Wohnsitz und zumindest eine Halbtagsbeschäftigung.
[12] Whitfield a.a.O. (Fn. 1) p. 112
[13] Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (Hg.): Elektronisch überwachter Hausarrest – Alternative zum Strafvollzug?, Bonn 1997, S. 3; Whitfield a.a.O. (Fn. 1), p. 116f.
[14] Krahl, M.: Der elektronisch überwachte Hausarrest, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht 1997, H. 10, S. 475-461 (458); Lindenberg a.a.O. (Fn. 2), S. 73ff. Kürzlich entschied das Landgericht Dortmund, daß Bewegungsdaten von Handies für Fahndungszwecke verwendet werden dürfen, siehe Focus v. 20.4.1998.
[15] Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe a.a.O. (Fn. 13), S. 3; Whitfield a.a.O. (Fn. 1), p. 110
[16] vgl. Stern 1994, H. 42, S. 281 mit der Äußerung der damaligen Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger
[17] unveröffentlichtes Ergebnispapier v. 27.1.1997, S. 7
[18] Top II.15 des Beschlusses der 68. Konferenz der Justizministerinnen und -minister vom 11. bis 12. Juni 1997 in Saarbrücken
[19] BR Drs. 698/97 zum „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes“
[20] Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein; ein Vertreter des Bundesjustizministeriums nimmt als Gast teil.
[21] Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22.1.1998; Handelsblatt v. 22.1.1998
[22] BR Drs. 698/97, S. 1. Die vorgeschlagene Änderung des Strafvollzugsgesetzes sieht einen neuen § 11a vor.
[23] ebd., S. vor 1,5 u. 6
[24] ebd., S. 2: 1991: 54.647; 1992: 57.470; 1993: 63.688; 1994: 67.620; 1995: 68.058
[25] Am 31.12.1995 (1996) standen 27.968 (30.081) Gefangenen lediglich 27.207 (27.314) gemeinsame Zellenplätze zur Verfügung, Statistisches Bundesamt (Hg.): Rechtspflege Reihe 1. Ausgewählte Zahlen für die Rechtspflege 1996, Wiesbaden 1998, S. 45; siehe auch Ostendorf a.a.O. (Fn. 10), S. 473.
[26] Presseinformation der Justizbehörden Hamburg v. 12.6.1997: Erweiterung der gemeinnützigen Arbeit anstelle Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen, der Verwarnung mit Strafvorbehalt; Fahrverbot als eigenständige Sanktion
[27] Badische Zeitung v. 4.4.1998
[28] Der Tagesspiegel v. 22.11.1997
[29] mündliche Mitteilung eines Vertreters der Senatsverwaltung für Justiz in Berlin
[30] mündliche Mitteilung eines Vertreters des hessischen Ministeriums der Justiz und für Europaangelegenheiten
[31] Kleine Anfrage in Niedersachsen, LT Niedersachsen Drs. 13/2859, S. 3
[32] Rheinischer Merkur v. 27.6.1997
[33] Presseerklärung von Justizstaatssekretär Sauter v. 1.10.1992; schriftliche Mitteilung des bayerischen Staatsministeriums der Justiz v. 22.8.1997
[34] vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe a.a.O. (Fn. 13); Kawamura, G.: Elektronisch überwachter Hausarrest – Alternative zum Strafvollzug?, in: Neue Kriminalpolitik 1998, H. 2, S. 10f.
[35] Einen Überblick verschaffen Lindenberg a.a.O. (Fn. 2), S. 163-172; jüngst Ostendorf a.a.O. (Fn. 10), S. 473f. u. 476.
[36] Ostendorf a.a.O. (Fn. 10), S. 473

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HTML-Auszeichnung: Felix Bübl. Zuletzt verändert am 4. Oktober 1998.