Bürgerrechte & Polizei/CILIP 60 (2/98) | |
Moderne Überwachungstechnologien
Zum Stand der Kunst |
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von Detlef Nogala | |
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Ob
Lauschangriff, DNA-Datenbanken, Videoüberwachung
öffentlichen Raums u.ä.m. wie die Debatten um neuere
polizeiliche Initiativen und entsprechende gesetzliche Befugniserweiterungen in
den vergangenen Monaten und Jahren zeigen, ist organisierte soziale Kontrolle
in der spätmodernen Gesellschaft zunehmend zur Angelegenheit von
Indienstnahme technologischen Potentials geworden. Nicht allein aus aktuellen
Anlässen befaßt sich dieser Themenschwerpunkt daher (wiedereinmal)
mit dem technischen Stand der Überwachungskunst und den damit verbundenen
bürgerrechtlichen Konsequenzen.
Es
ist in bürgerrechtlicher Hinsicht zweifellos bemerkenswert, daß im
laufenden Jahr ein rundes Jubiläum bisher von der Publizistik nicht
nennenswert aufgegriffen wurde, wo die Feuilletons doch sonst jede Gelegenheit
zur Erinnerung an mehr oder weniger bedeutende kulturelle Ereignisse ergreifen:
vor 50 Jahren, im Jahre 1948, wurde George Orwells Roman 1984
veröffentlicht. Der Große Bruder als Allegorie auf
eine nicht zuletzt mit technischen Mitteln verwirklichte
Überwachungsdiktatur war im Orwelljahr 1984 noch
gängige Münze in der politischen Diskussion heute, an der
Schwelle des 21. Jahrhunderts und nach einer neoliberalen Welle der
ideologischen Entstaatlichung des Staates, scheint diese negative
Utopie an normativer Orientierungskraft das es
so
nicht werden sollte zu verlieren. Dies ist um so erstaunlicher, da die
gegenwärtig eingesetzte und praktisch verfügbare
Überwachungstechnologie die Orwellschen Visionen als vom technischen Stand
her längst überholte Vorstudien erscheinen läßt.
Schließlich zählen neben den schon seit vielen Jahren thematisierten
polizeilichen Datenbanken und Informationsnetzen mittlerweile Begriffe wie
Videoüberwachung,
Lauschangriff(mittels diverser Abhörgeräte),
Wärmesichtgeräte,Fingerabdruckscanner,
DNA-Analysen und Gen-Datenbanken sowie Drogentests
in industriellen Größenordnungen zum gängigen
Beschreibungsrepertoire der (internationalen) Medien. Mehr noch: Die
Funktionsweise und der Erlebnisraum spätmoderner
Gesellschaften werden nicht zuletzt im Bereich sozialer Kontrolle durch einen
technischen Fortschritt und Entwicklungsstand bestimmt, dem das hochentwickelte
Rüstzeug für eine permanente Überwachung schon längst
zuhanden und zur Normalität geworden ist. Allein, auf den erwarteten
Großen Bruder Orwellscher Vision hat man bisher,
hierzulande vergeblich gewartet.
Diese
im Prinzip zu begrüßende Fehlprognose kritischer Kommentatoren der
Diskussion aus den 70er und 80er Jahren rührt möglicherweise daher,
daß man sich eine Überwachungsdiktatur ausschließlich als
staatliches, zudem zentralhierarchisch organisiertes Gebilde vorstellen wollte.
Die Entwicklung in der westlichen Welt legt aber den Gedanken nahe, nicht
allein von Überwachungsstaaten,sondern vielmehr auch konzeptionell von
Überwachungsgesellschaftenauszugehen,
in denen das zur Verfügung stehende technologische Kontrollpotential
dezentral und in unterschiedlicher Intensität über Netzwerke von
Macht und Herrschaft hinweg aktiviert und genutzt wird. Der amerikanische
Soziologe Gary T. Marx, der sich als einer der ersten mit der technologisch
bedingten new surveillance
als
sozialer Tatsache
auseinandergesetzt hat, spricht in diesem Zusammenhang auch von der
maximum-security-Gesellschaft, als einer Gesellschaft, die sich
unbefangen von historischen Erfahrungen und rechtsstaatlichen Überlegungen
aller möglichen Instrumente und Mittel bedient, um angesichts einer
Vielzahl von individuellen und sozialen Konflikten einen Zustand von
Sicherheit zu erzeugen und zu gewährleisten.[1]
Moderne Überwachungstechnologien werden eben nicht mehr nur
ausschließlich von staatlichen Institutionen genutzt, sondern sind z.B.
als Videoüberwachung, biometrische Zugangskontrollsysteme oder
Drogentestverfahren in die Unternehmenswelt und die
Zivilgesellschaft gleichermaßen eingewandert. Diesem Faktum
gilt es gewärtig zu sein, auch wenn es immer noch die staatlichen Stellen
sind, die die Betreiber umfassender und komplexer Überwachungssysteme
darstellen.
Ein transnationaler Trend
Wenn
man sich mit der Anwendung und den Optionen von avancierter Technik im Bereich
der sozialen Kontrolle beschäftigt, so wie der Autor dies im Rahmen eines
längeren Forschungsprojektes getan hat,[2] so wird schnell deutlich, daß es sich dabei um eine mit anderen
wirtschaftlichen, technischen und politisch-sozialen Globalisierungstendenzen
verbundene Entwicklung handelt. Dies hat zur Konsequenz, daß
überwachungstechnologische Innovationen heutzutage auf einem globalen
Markt angeboten werden und sich, jeweils nationalstaatlich variiert und
kulturell adaptiert, rapide verbreiten. Die
These
einer überwachungstechnologischen Proliferation,
die teils durch die Funktionslogik der Kontrollapparate, teils durch die
Marketinginitiativen der Sicherheitsindustrie befördert ist,
läßt sich vielfältig belegen. So findet die elektronische
Fußfessel ihre Anwendung nun in vielen europäischen Ländern,
nachdem sich zuvor in den USA und anderen Überseeländern die
Marktgängigkeit und Profitabiltät dieser Überwachungstechnik
erwiesen hatte. Auch der Genetische Fingerabdruck, inklusive der
Einrichtung forensischer DNA-Datenbanken, automatisierte
Fingerabdruckidentifierungssysteme (AFIS) oder die Implementation lokaler wie
übergreifender Lauschmaschinerien sind Beispiele dafür, daß
fortgeschrittene Überwachungstechnologien als gängiger Teil der
Infrastruktur Sozialsysteme im transnationalen Maßstab anzusehen sind.
Kontrollkrise
und technical fix
Aus
der Sicht von Kontrollinstanzen wie der Polizei stellt sich avancierte
Überwachungstechnik vornehmlich als Ressource dar, ihrer reklamierten
Funktionskrise (die darin bestünde, den politischen, medialen und
privatbürgerlichen Erwartungen an ihre Schutz- und Stabilisierungsfunktion
nicht (mehr) adäquat entsprechen zu können) durch
Effektivierung
(per Informatisierung
der Prozeßabläufe) zu begegnen. Der sich um die Kontrolltechnologien
zuspitzende technokratische Diskurs im Bereich von law and order
könnte dann auf eine tief in den modernen Industriegesellschaften
verankerte Resonanz für den technical fix, die technische
Lösung sozialer Probleme zählen. Die Technikgeschichte
der Polizei ließe sich aus dieser Perspektive als eine
technisch-organisatorische Abfolge von Reaktionen auf Funktionskrisen
schildern, die immer neue und komplexere
technisierte Kontrollarrangements
zur Folge hatten: Der Einsatz der Streifenwagen löste die Fußstreife
ab, die Benutzung von Funkgeräten die Trillerpfeife, das Computernetz das
Fahndungsbuch etc.
Aus
der instrumentellen Sicht von Kontrollinstanzen liegt es also nahe, auf die
Technik als universelles Rationalisierungs- und Erschließungsmittel
zurückzukommen und zu versuchen, deren Potentiale für die
Organisationszwecke (bei der Polizei sind das je nach
Interpretationsperspektive Verfolgung von Straftaten, Gefahrenabwehr,
Gewährleistung öffentlicher Ordnung) nutzbar zu machen. In diesem
Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die Entfaltung der von Sack
als neue Prävention[3]
bezeichneten generellen ordnungs- und kriminalpolitischen Tendenzen in
vielfältiger Weise auf die technologisch erst ermöglichten bzw.
ökonomisch erzielbaren erweiterten Informations- und Zugriffspotentiale
angewiesen ist, also ein logischer Konnex zwischen polizeilichem
Kontrollentwurf und Technikverfügung besteht.
Technik
als Machtverstärker im Prozeß sozialer Kontrolle
Wenn
hier von Überwachungstechnologien die Rede ist, dann muß man auch
eine Vorstellung davon formulieren, was eigentlich unter
Überwachung zu verstehen ist. In unserem thematischen
Zusammenhang ist darunter in erster Linie eine bestimmte Konfiguration sozialer
Kontrolle zu fassen, in der in einer Interaktion von mit unterschiedlichen
Machtressourcen ausgestatteten Akteuren das Verhalten einer Seite einem mehr
oder weniger dauerhaften Abgleich auf die Übereinstimmung von Soll- und
Ist-Wert durch die sanktionsmächtige andere Seite unterliegt.
Überwachung als sozialer Austausch ist also in einen Kontext von Konflikt
und Disziplinierung bzw. Macht und Herrschaft gestellt.
Überwachungstechnologien
sind im Foucaultschen Sinne[4]
auch direktElemente
der Mikrophysik von Macht
.
Die mit den technologischen Potentialen einhergehenden (bzw. unterstellten)
Erweiterungen
von Informations- und Handlungsmacht
der Instanzen sozialer Kontrolle verändern zweifellos die traditionellen
Spielregeln und Aktionsbedingungen im Austausch von
Kontrollierten und Kontrollierenden: vormals durch Raum, Zeit sowie
Informationsaufnahme und -verarbeitungskapazität gesetzte Schranken
verlieren
in
der Tendenz
ihre Sperrigkeit und unterhöhlen durch politische Bürgerrechte bzw.
kulturelle Privatheitskonzepte gesetzte Barrieren des Zugriffs. Auf den Punkt
gebracht und gegen eine schlicht instrumentell gewendete Interpretation
gerichtet kann formuliert werden, daß Technik in erster Linie als
Machtverstärker
verstanden werden muß.
Neben
diesem allgemeinen Hinweis auf die Machtaffiziertheit von
Technik, macht es aber analytischen Sinn, Überwachungstechnologien entlang
von Kernfunktionen sozialer Kontrolle zu differenzieren. So ist z.B. die
Wahrnehmung und Entdeckung des Faktums, daß normativer Ist- und Soll-Wert
auseinanderfallen, eine zwingende Voraussetzung dafür, um Kontrolle
überhaupt erst prozeßhaft in Gang zu setzen. Technologien, die diese
Funktion unterstützen, erweitern oder erst ermöglichen, können
als Detektionstechnologien bezeichnet werden. Die Sensorik von Alarmsystemen
wäre hier das klassische Beispiel. Daneben ist die Identifizierung, also
die Namhaftmachung bzw. die Wiedererkennung im Rahmen eines sozialen
Ordnungssystems eine wichtige eigenständige Unterfunktion: Alles was zu
erkennungsdienstlichen Verfahren taugt, wäre hier dazuzuzählen. Eng
verknüpft damit ist das Element der Lokalisierung: Technologien, die die
räumliche Ortung von Personen oder Sachen unterstützen, fallen in
diesen Bereich. Da Kontrolle erst dadurch zu Kontrolle wird, daß sie bei
Nichteinhalten der Vorgaben mit Sanktionen drohen kann, kommt den Optionen der
Intervention eine besondere Bedeutung hinzu. Auch hier bietet avancierte
Technik neue Möglichkeiten. Nicht zuletzt sind Erfassung, Austausch und
Distribution von Information sowohl eigenständige, als auch
übergreifende Funktionen sozialer Kontrollprozesse. Es ist von daher
evident, daß insbesondere Informationstechnologie (Computer,
Datenkommunikation) eine enorme Bedeutung für Institutionen sozialer
Kontrolle gewinnt.
Überwachungstechnologie
als Politikum
Wie
man an der politischen Auseinandersetzung um die Legalisierung des staatlichen
Lauschangriffs (nun auch zu Zwecken der Strafverfolgung) ablesen
kann, sind nicht nur die eigentlichen (Strafrechts-)Normen, sondern auch die
Normen ihrer Durchsetzung (bzw. Ahndung bei Überschreitung) Gegenstand von
Definitionsprozessen, in denen unterschiedliche Interessen, Perspektiven und
Durchsetzungschancen zum Tragen kommen. Insofern sind konkrete
Kontrolltechniken, wenn es um deren praktische Einführung bzw. Anwendung
geht, stets Kristallisationspunkte von Debatten, in denen es jenseits von
Effektivität und Effizienz um die politische Frage geht, welche
Prioritäten nach Vorrang welcher Interessen gelten sollen, wer jeweils in
welcher Konstellation Vor- bzw. Nachteile hinzunehmen hat. Insofern sind die
meist unter der Rhetorik von ermittlungstaktischen Notwendigkeiten bzw.
zustimmungsheischend Sich-um-die-Sicherheit-Sorgen-machend vorgebrachten
Implementationsvorschläge und -forderungen im Kern veritable und
tiefgreifende politische Herrschaftsentwürfe über das Verhältnis
von Bürger und Staat, Individuum und Gesellschaft, Regierte und Regierende.
In
dem Maße wie der Faktor Technik (per Änderung der Handlungsoptionen)
die Konzeptionen, Strategien und Praktiken der Kontrollinstanzen bis hin zum
Selbstverständnis umformt, ergeben sich näher zu untersuchende
und nach wünschbar bzw. verwerflich zu
differenzierende Konsequenzen, die, je nach Fall, unterschiedlich
tiefgreifend für den einzelnen rechtsbetroffenen Bürger
einerseits sowie die Gesellschaft als ganze andererseits
ausfallen können. Z.B. ließe sich fragen, wie sich der in der
kriminologischen Diskussion gehandelte situational man, der
rational kalkulierende Täter, der auf veränderte
Tatgelegenheitsstrukturen und erhöhte Entdeckungswahrscheinlichkeiten mit
konformem Verhalten reagieren soll, zum politisch mündigen
Bürger verhält, der sich regelmäßig mit diversen
Kontrollprozeduren einer übermächtigen und allgegenwärtig
erscheinenden Sicherheitsbürokratie konfrontiert sieht. Oder auf eine
soziologische Ebene transformiert: Wie kompatibel sind die Blaupausen der
maximum-security-Gesellschaft, der surveillance
society[5]
bzw. der Sicherheitsgesellschaft[6]
mit den bürgerrechtlichen und rechtsstaatlichen Qualitäten moderner
Verfassungsdemokratien? Die Antwort kann vorläufig soweit nicht
politisch neue institutionelle Balancen hergestellt werden nur
pessimistisch ausfallen.
Detlef
Nogala ist Kriminologe und arbeitet zur Zeit am Max-Planck-Institut für
internationales und ausländisches Strafrecht in Freiburg und am Aufbau-
und Kontaktstudiengang Kriminologie der Universität Hamburg.
[1] Marx,
G.T.: Undercover: Police Surveillance in America, Berkely u.a. 1988;
insbesondere Kapitel 10: The New Surveillance
[2] Nogala,
D.: Social Control Technologies. Verwendungsgrammatiken, Systematisierung und
Problemfelder technisierter sozialer Kontrollarrangements, Dissertation
FU-Berlin 1998. Siehe auch: Ders.: Polizei, avancierte Technik und soziale
Kontrolle, Pfaffenweiler 1989
[3] Sack,
F.: Prävention ein alter Gedanke im neuen Gewand, in:
Gössner, R. (Hg.): Mythos Sicherheit. Baden-Baden 1995, S. 429-456
[4] Foucault,
M.: Überwachen und Strafen, Frankfurt/Main 1977
[5] Lyon,
D.: The Electronic Eye. The Rise of surveillance Society, Oxford 1994
[6] Legnaro,
A.: Konturen der Sicherheitsgesellschaft, in: Leviathan 1997, H. 2,
S. 271-284
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© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 1998 HTML-Auszeichnung: Felix Bübl. Zuletzt verändert am 4. Oktober 1998. |