CILIP Bürgerrechte & Polizei/CILIP 60 (2/98)

Redaktionelle Vorbemerkung

 
von Norbert Pütter und Martina Kant
 
Unser aller Alltag ist ohne ‘Technik’ nicht mehr vorstellbar. Vom Aufwachen durch den funkgeeichten Wecker über die verschiedendsten Computeranwendungen am Arbeitsplatz bis zum Fersehangebot, das über Satellit zu uns kommt. ‘Technik’ ist unser ständiger Begleiter; wir nutzen sie nicht nur selbstverständlich, ihr Gebrauch wird auch einfacher, ‘komfortabler’ – paradoxerweise umso mehr, je größer der technische Aufwand und die Komplexität der technischen Vorgänge wird.
Den Instanzen Innerer Sicherheit ist die Technisierung, d.h. heute vor allem Computerisierung und Digitalisierung, suspekt. Neue Bedrohungen und Gefahren werden diagnostiziert: Internet-Kriminalität, ungestörte Kommunikationsmöglichkeiten für Kriminelle, computergestützte Betrugsformen oder verbesserter Schutz gegen Strafverfolgung ... Die Schlußfolgerungen aus diesem Gefahren-Gemälde sind klar: Auch in technischer Hinsicht müssen die Strafverfolgungsbehörden, d.h. insbesondere die Polizei, mit ihrem Gegenüber gleichziehen. Damit die Straftäter, so die Argumentation, der Strafverfolgung nicht technisch davonlaufen, sind die technische Aus- und Aufrüstung einschließlich der Ausbildung und Rekrutierung des entsprechenden Personals das Gebot der Stunde.
Die technologische Aufrüstungsspirale ist gegenwärtig in vollem Gange. Zumindest zeigt das der Blick auf die vermeintliche Re-Aktion, auf den Technikeinsatz bei den Polizeien. Dabei verläßt die polizeiliche Praxis quasi automatisch den Bezug zu den aus Legitimationszwecken vorgeschobenen Straftätern. Denn moderne Techniken zeichnen sich gerade dadurch aus, daß sie potentiell alle erfassen – sei es der Lauschangriff oder der genetische Massentest. Die Sicherheitsapparate nutzen moderne Techniken systematisch, und ihre Wirkungen sind (dem Anspruch nach) flächendeckend. Technik wird in bestehende Routinen eingebunden, verändert sie und schafft neue strategische und taktische Optionen. Daß Technik auch dazu verwandt werden kann, strafbare Handlungen zu begehen, dient als willkommener Anlaß technischer und technikveranlaßter Modernisierung der Polizeiarbeit. Wie schnell die Bedrohungsbilder zu mehr polizeilicher Überwachung mutieren können, illustriert das Beispiel des Mobilfunks: Anfangs vehement beklagt, weil dessen Abhören technisch zu aufwendig und gesetzlich nicht geregelt sei, sind mittlerweile nicht nur die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden, sondern die Technik erlaubt neben der Überwachung der Kommunikation auch die der räumlichen Bewegung des Telefonierenden. Der technische Rückstand verwandelte sich binnen kurzer Zeit in eine neue Überwachungschance.
Wie sehr die Technik die Polizei verändert, wurde seit den 70er Jahren an der Nutzung der Elektronischen Datenverarbeitung sichtbar. In den 90er Jahren wird Technik vermehrt zum Instrument, um mehr und andere Daten zu ‘erheben’. Und das heißt vor allem: Technik wird genutzt zur gezielten Überwachung von Personen, Objekten und (öffentlichen wie privaten) Räumen – sei es zur Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr oder zur ‘vorbeugenden Verbrechensbekämpfung’.
Die modernen Überwachungstechnologien und ihre Anwendung befinden sich in einem rasanten Wandel. Welche operativen Möglichkeiten die neuen Technologien bieten und was bereits von wem praktiziert wird, bleibt der Öffentlichkeit weitgehend verborgen. Um dieser technischen Ignoranz (auch) in der kritischen Auseinandersetzung mit der Polizei entgegenzuwirken, hat die Redaktion beschlossen, diese und die nächste Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei/CILIP dem Schwerpunktthema „Überwachungstechnologien“ zu widmen. Während die Beiträge des vorliegenden Heftes sich auf die Situation in der Bundesrepublik konzentrieren, wird sich CILIP 61 mit den ausländischen und internationalen Aspekten von Überwachungstechnologien beschäftigen. Zu unserer fachlichen Unterstützung hat Detlef Nogala die Redaktion der beiden Schwerpunkte übernommen. Nogala ist Kriminologe und arbeitet seit vielen Jahren über Überwachungstechnologien. Er hat im letzten Jahr (unter Leitung von Fritz Sack und gemeinsam mit Michael Lindenberg ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Social Control Technologies“ abgeschlossen und zum selben Thema promoviert.

Noch zwei Bemerkungen in eigener Sache: Seit 1991 hat Otto Diederichs Bürgerrechte & Polizei/CILIP redaktionell betreut. Bekanntlich ist unsere finanzielle Lage in den letzten Jahren schlechter geworden, so daß wir im letzten Jahr nur noch beschränkte Werkverträge für die Redaktionsarbeit vergeben konnten. Zu unserem Bedauern hat Otto Diederichs Anfang des Jahres die CILIP-Redaktion verlassen und arbeitet nun als freier Journalist. Er wird unseren LeserInnen jedoch als Autor auch in Zukunft erhalten bleiben. Bis wieder eine dauerhafte Lösung gefunden ist, werden wir die Redaktion kommissarisch übernehmen.
Die Zukunft von CILIP ist nach wie vor nicht gesichert. Es fehlt weiterhin an der notwendigen Basisfinanzierung. Gleichwohl wird Bürgerrechte & Polizei/CILIP auch im nächsten Jahr erscheinen.


Norbert Pütter und Martina Kant sind RedakteurInnen von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.

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HTML-Auszeichnung: Felix Bübl. Zuletzt verändert am 4. Oktober 1998.