Bürgerrechte & Polizei/CILIP 60 (2/98) | |
Ausweitung der Generalklauselanwendung durch die Polizei
Aktuelle Beispiele aus Bremen und Hamburg |
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von Fredrik Roggan | |
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Die
Generalklauseln in den Polizeigesetzen, mitunter auch als
Generalermächtigungen bezeichnet,[1]
sind sprachlich weit gefaßte Eingriffsnormen, die der Polizei allerdings
nur auf den ersten Blick ebenso weite Eingriffsbefugnisse verschaffen. Stellten
die Generalklauseln der Polizei tatsächlich solch umfassende Befugnisse
aus, so wären nicht nur die meisten Regelungen der Standardmaßnahmen
schlicht überflüssig,[2]
sondern sie machten die Polizeibehörden auch zu einem Machtapparat, der
bei jeglicher Gefahr unbegrenzt in die Rechte der BürgerInnen eingreifen
dürfte.
Die
Polizei greift immer wieder auf die Generalklausel zurück, wenn die
speziellen Normen in den Polizeigesetzen die gewünschten polizeilichen
Eingriffe nicht decken. Wenn etwa die Videoüberwachung von Wohnungen nicht
mit den ohnehin schwer eingrenzbaren Regelungen über polizeirechtliche
große Lauschangriffe erfaßt wird, so könnte der
Rückgriff auf die Generalklausel diese dennoch erlauben. Die Anwendung der
Generalklauseln ist also auf bestimmte Bereiche zu beschränken, soll die
Polizei nicht eine unbegrenzte Machtfülle erhalten.
Die
praktische Funktion der polizeirechtlichen Generalklauseln liegt insbesondere
darin, generelle Verbote (etwa aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht) zu
konkretisieren, störendes Verhalten zu untersagen oder auch bestimmte
Handlungen anzuordnen, z.B. ein verbotswidrig geparktes Kraftfahrzeug zu
entfernen. Da die Generalklauseln grundsätzlich subsidiären Charakter
besitzen
[3],
also hinter spezielle Eingriffsnormen zurücktreten und damit als Grundlage
für polizeiliches Einschreiten ausgeschlossen werden (Sperrwirkung),
dürfen sie nur dann herangezogen werden, wenn die beabsichtigte
Maßnahme nicht auf spezielle Regelungen mit abschließendem
Charakter gestützt werden kann. Von diesem abschließenden Charakter
ist bereits im Zweifelsfall auszugehen.
[4]
Solche Konstellationen bestehen nicht nur bei Verstößen gegen
Verhaltensgebote ohne gesetzliche Grundlage für ihre Durchsetzung (sog.
normvollziehende Verfügungen), sondern auch bei sog.
atypischen Maßnahmen,
bei denen die speziellen Regelwerke keine abschließenden Grundlagen
geschaffen haben.[5]
Daraus folgt, daß die Generalklauseln keinesfalls für all diejenigen
Maßnahmen herangezogen werden können, die keine ausdrückliche
gesetzliche Grundlage in den speziellen Eingriffstatbeständen finden,
sondern nur dort, wo die Eingriffsintensität der vergleichbaren
Standardmaßnahmen (typischen Maßnahmen) nicht überstiegen
wird. Lassen die polizeilichen Standardbefugnisse also beispielsweise nur unter
bestimmten Voraussetzungen die Ingewahrsamnahme von Personen zu, so ist
hinsichtlich von präventiven Freiheitsentziehungen generell anzunehmen,
daß sie als abschließend im genannten Sinne zu
betrachten sind.
Der
Wortlaut der Generalklauseln ist notwendigerweise sehr unspezifisch und damit
weit gefaßt. Um aber der Polizei keine ebenso umfassende
Ermächtigungsgrundlage zuzugestehen, nach der sie auch alles das darf, was
in den (speziellen) Standardregelungen nicht ausdrücklich geregelt ist,
ist die strikte Einhaltung der beschriebenen Grundsätze unabdingbar.
Die
Vielzahl der polizeilichen Spezialgesetze hat dazu geführt, daß die
Generalklauseln ihre überragende Bedeutung als Eingriffsermächtigung
weitgehend verloren haben.
[6]
Praktisch alle früheren Anwendungsfälle können sich heute auf
spezielle Regelungen in den Polizeigesetzen stützen. Es hat allerdings den
Anschein, daß in einer Zeit, in der zunehmend nach neuen und immer
weitergehenden Eingriffsbefugnissen für Präventions- und
Repressionsorgane gerufen wird, die Bedeutung der Generalklauseln wieder
steigt. Denn sofern es (noch) keine spezialgesetzlichen Normen für
bestimmte (Grundrechts-)Eingriffe gibt, werden sie von der Polizei als
Ermächtigungsgrundlage für ihr Handeln in Betracht gezogen. Auf diese
Versuche der vermehrten Ausweitung der polizeilichen Macht durch die
Generalklauseln soll im folgenden anhand ausgewählter Beispiele aus Bremen
und Hamburg eingegangen werden. Dabei handelt es sich keinesfalls um Aus- oder
Einzelfälle polizeilichen Verhaltens, sondern die Auswahl der Beispiele
orientiert sich an Gesichtspunkten der Aktualität.
Bremer
Aufenthaltsverbote
Bremen
besitzt eine relativ offene Drogenszene, die seit langer Zeit für immer
wiederkehrende Diskussionen über ihre Beseitigung sorgt. Dabei hat die
Polizei auch zu sog. Aufenthaltsverboten gegriffen, die DrogennutzerInnen das
Betreten von Gegenden untersagte, in denen die bevorzugten Umschlagplätze
für illegalisierte Rauschmittel liegen oder vermutet werden. Diese
Aufenthaltsverbote verwehrten unter Bußgeldandrohung einschlägig
bekannten Personen das Betreten von ganzen Stadtteilen für einen
mehrmonatigen Zeitraum. Diese Verfügungen wurden auf die Generalklausel
des Bremer Polizeigesetzes (BremPolG) gestützt, die der Polizei die
notwendigen Maßnahmen erlaubt, um eine im einzelnen Fall bestehende
Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren, sofern die
Standardbefugnisse keine besonderen Regelungen vorsehen (§ 10 I
BremPolG).
Das
Aufenthaltsverbot ist im Bremer Polizeigesetz nicht geregelt. Es enthält
wie die anderen Polizeigesetze auch das Instrument des
Platzverweises. Richtigerweise ging die Polizei davon aus, daß sie ihre
Maßnahme nicht auf diese Vorschrift stützen konnte, da Gefahren, die
von einem ständigen Aufenthalt von Personen ausgehen, nicht mittels einer
Platzverweisung, also einer
per
definitionem
kurzfristigen Maßnahme,
[7]
bewältigt werden können. Es blieb daher nur der Rückgriff auf
die polizeiliche Generalklausel des § 10 BremPolG,
[8]
um die unmittelbar bevorstehende Begehung von Straftaten nach dem
Betäubungsmittelgesetz zu verhindern.
[9] Damit
ein Aufenthaltsverbot rechtlich zulässig ist, muß es geeignet sein,
den angestrebten Zweck zu erreichen. Das Dealen mit
illegalisierten Drogen ist grundsätzlich örtlich nicht gebunden. Die
Drogenabhängigen sollen jedoch nach der Begründung durch das
Aufenthaltsverbot daran gehindert werden, Straftaten zu verabreden und zu
begehen. Wenn sich aber die Tatorte bei einer Beachtung der Verfügungen
durch die Abhängigen allenfalls verlagern,
[10]
so werden damit die unmittelbar bevorstehenden Gefahren nicht verhindert.
[11]
Da tatbestandliche Voraussetzung der Generalklausel ist, daß die
Entstehung der Gefahr verhindert wird, ist bereits fraglich, ob die
Generalklausel überhaupt anwendbar ist. Die bloße Behauptung einer
Gefährdung von besonders wichtigen Rechtsgütern Leib, Leben
und Gesundheit durch den Aufenthalt einer Person in einem bestimmten
Bereich
[12]
vermag diese Zweifel kaum auszuräumen.
Doch
selbst wenn man davon ausgeht, daß ein Aufenthaltsverbot geeignet ist,
Drogenhandel und sog. offenen Szenen zu verhindern,
[13]
stellt sich die Frage nach der Sperrwirkung des Platzverweises hinsichtlich
weitergehender und auf die polizeiliche Generalklausel gestützter
Aufenthaltsbeschränkungen.
Von
einer fehlenden Sperrwirkung, und damit der Zulässigkeit der
Generalklauselanwendung, kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Regelung
über die Platzverweisung keinen abschließenden Charakter
besäße. Das wird vereinzelt mit der Begründung angenommen,
daß der Gesetzgeber bei der Einführung des Platzverweises vor vielen
Jahren nicht erkannt habe, daß es heute die Notwendigkeit zur Regelung
eines auf einen längeren Zeitraum angelegten befristeten Platzverweises
gibt.
[14]
Diese Auffassung kann jedoch nicht überzeugen. Denn es ist von einer
permanenten Möglichkeit des Gesetzgebers auszugehen,
[15]
solche Regelungen, würden sie für notwendig gehalten, in die
Polizeigesetze einzufügen.[16]
Macht der Gesetzgeber keinen Gebrauch von seiner Möglichkeit zur
Normsetzung, stellt dies seinerseits die gesetzgeberische Wertung dar,
daß er von einer solchen Erforderlichkeit nicht ausgeht und es bei der
lediglich vorübergehenden Aufenthaltsbeschränkung in Form des
Platzverweises bleiben soll. Schon nach der Wesentlichkeitstheorie hat der
Gesetzgeber alle Eingriffsmöglichkeiten der Polizei selbst zu regeln,
[17]
daher kann nicht der Polizei die Einschätzung der generellen und damit vom
Landesgesetzgeber zu beantwortenden Frage der Aufenthaltsgebote, z.B. gegen die
offene Drogenszene, überlassen werden.
[18]
Es muß demnach von der Sperrwirkung der Norm über den Platzverweis
ausgegangen werden.
Nicht
vertretbar erscheint dann allerdings, das Aufenthaltsverbot auf die
polizeiliche Generalklausel zu stützen. Denn die Regelung über die
Verweisung einer Person von einem Ort (§ 14 BremPolG) ist
abschließend. Das ergibt sich aus der Bestimmung des Platzverweises als
kurzfristige Maßnahme, die der Polizeigesetzgeber regeln wollte. Das
Aufenthaltsverbot dagegen ist von längerfristiger Natur.
[19]
Seine Eingriffsintensität ist weitergehender als die der Platzverweisung.
Eine spezialgesetzliche, längerfristige Eingriffsnorm hinsichtlich des
Verbotes, bestimmte Stadtteile zu betreten, ist nicht ersichtlich. Nach den
oben skizzierten Grundsätzen ist dann ein Rückgriff auf die
Generalklausel aber nicht zulässig,
[20]
da der Platzverweis mit seiner kurzfristigen Ausgestaltung die
Aufenthaltsbeschränkungen abschließend geregelt hat. Nach der
gesetzlichen Systematik, also der Subsidiarität der Generalklausel, ist
das Aufenthaltsverbot der Polizei rechtswidrig.
Das
Ergebnis dieser Erörterung ist indessen wenig überraschend, in der
Literatur besteht darüber eine soweit ersichtlich
uneingeschränkte Einigkeit. Die Versuche von Polizeipraktikern, die
Subsidiarität der Generalklausel mittels der Annahme eines
mehrjährigen gesetzgeberischen Tiefschlafes zu umgehen, vermögen kaum
zu überzeugen.
Mitunter
kann die Polizei auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung bauen. Von
dieser wird zum einen die polizeirechtliche Systematik verkannt und die
Rechtswidrigkeit der Aufenthaltsverbote erst wegen Verstoßes gegen
Art. 11 GG für gegeben gehalten.
[21]
Zum anderen wird selbst die Einschlägigkeit dieses Grundrechts verneint,
[22]
sofern diese überhaupt in Erwägung gezogen wird.
[23]
Daß die Gerichte sich zu Fragen der Subsidiarität von polizeilichen
Generalklauseln überhaupt nicht äußern, ist zu kritisieren und
trägt mit dazu bei, daß die Begrenzungen, die im Polizeirecht
vorgesehen sind, geschwächt werden.
Das
gilt umso mehr, da die Rechtsprechung neuerdings und entgegen der hier
vertretenen Auffassung die Sperrwirkung der Regelung über den Platzverweis
verneint. Begründet wird dies mit dem qualitativen Unterschied der
Maßnahmen, da mit einem Platzverweis und einem längerfristigen
Aufenthaltsverbot jeweils auf nach Art und Ausmaß nicht vergleichbare
Gefahrenlagen reagiert würde.
[24]
Die Notwendigkeit eines Auffangtatbestandes sei hinsichtlich von
Aufenthaltsverboten etwa bei Unglücksfällen und Naturkatastrophen
anzunehmen. Diese Auffassung verkennt in nicht nachvollziehbarer Weise die
Unterschiedlichkeit von seit langer Zeit bekannten Verhältnissen (etwa bei
bestimmten Kriminalitätsformen) und unvorhersehbaren Ereignissen, bei
denen unzweifelhaft eine spontane Verweisung von Personen auch über einen
längeren Zeitraum erforderlich sein mag. Während im ersten Fall eine
gesetzliche Regelung durchaus möglich ist, wenn sie denn gesetzgeberisch
gewollt wäre, scheidet sie im zweiten naturgemäß aus. Diese
Gleichsetzung verkennt daher die nicht vergleichbare Möglichkeit
und damit die Notwendigkeit zur Normsetzung. Ein Rückgriff auf die
subsidiäre Generalklausel erscheint also auch bei dieser Rechtsauffassung
kaum nachvollziehbar.
Hamburger
Gefahrerforschungen
Ein
weiterer Fall, in dem sich die Polizei auf die Generalklausel stützte und
sich damit jenseits der Rechtmäßigkeit begab, ereignete sich in
Hamburg.
Die
Hamburger Polizei, Abteilung Staatsschutz, hatte einen verdeckt operierenden
Polizeibeamten in verschiedene politisch arbeitende Gruppen in der Hansestadt
eingeschleust. Betroffen von dessen Datenerhebungen waren insbesondere
antirassistisch arbeitende Gruppen wie etwa das Hamburger Bündnis
zum Lübecker Brandanschlag. Aufgabe dieses Polizeibeamten war es,
Gefahrerforschung
zu betreiben. Nach Auffassung des Hamburger Senats handelt es sich trotz der
Verwendung einer Legende nicht um einen Verdeckten Ermittler (VE), sondern um
einen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten (NoeP). Die Voraussetzungen zum
Einsatz eines VE (§ 12 PolDVG)
[25]
hätten nicht vorgelegen. Die Anordnung des LKA zum Einsatz des NoeP
erfolgte im Rahmen der Gefahrenabwehr. Gesetzliche Grundlage sei in soweit die
Generalklausel für die Datenerhebung in
§ 2 III S. 3 PolDVG.
[26] Nach
Auskunft des Hamburger Senats handelte es sich bei den Datenerhebungen des NoeP
um Gefahrerforschungen. Ein solcher Eingriff setzt nicht notwendigerweise das
tatsächliche Vorliegen einer (unmittelbar bevorstehenden) Gefahr voraus,
[27]
denn ob eine Gefahr tatsächlich vorliegt oder nicht, kann zum Zeitpunkt
eines polizeilichen Tätigwerdens nicht immer mit hinreichender
Bestimmtheit festgestellt werden.
[28]
Maßnahmen zur Gefahrerforschung sind aber nur dann zulässig, wenn
ein konkreter Gefahrenverdacht vorliegt, der aufgeklärt bzw.
vorläufig bewältigt
[29]
werden soll.
[30]
Dieser muß seinerseits darlegungsfähig sein und den Unterschied
zwischen bloßer Möglichkeit und hinreichender Wahrscheinlichkeit
einer Gefahr erkennen lassen.
[31] Nach
Auffassung des Hamburger Senats (bzw. der Polizei) müsse die Polizei in
die Lage versetzt werden, Analysen über sog. Problemfelder zu erstellen,
die es ihr ermöglichen, in der Zukunft sinnvolle Einsatzplanungen zu
treffen. U.a. die auch gewaltsamen Proteste gegen die Asyl- und
Abschiebepolitik seien Auslöser für die Tätigkeit des NoeP
gewesen. Der NoeP habe neben seiner Arbeit in den genannten Gruppen
Informationen auch an Orten sammeln sollen, an denen sich Gruppen träfen,
von denen nach polizeilicher Erfahrung die Gefahr von Gewalttaten ausgehe.
Grundsätzlich hänge die Dauer des Einsatzes eines NoeP von den
Erkenntnissen über die Gefahren ab, die von der (hier wohl autonomen)
Szene ausgehen.
[32] Daraus
ergibt sich, daß ein konkreter Gefahrenverdacht als Voraussetzung
für Gefahrerforschungen selbst nach Kenntnis der Polizei nicht vorlag.
Denn eine Verdachtslage, bei der im einzelnen Fall eine hinreichende
Wahrscheinlichkeit besteht, daß in absehbarer Zeit ein Schaden für
die öffentliche Sicherheit eintreten wird,
[33]
wird nicht belegt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr schien es der
Polizei darum zu gehen, sich gefahr
unabhängig
von einer bestimmten Szene ein Bild zu machen, um diese Erkenntnisse bei
irgendwelchen Gelegenheiten berücksichtigen zu können.
Selbst
wenn man von der Zulässigkeit der Generalklauselanwendung zur
Gefahrerforschung ausginge,
[34]
so konnte sich die Hamburger Polizei in diesem Fall nicht darauf berufen. Statt
einen konkreten Gefahrenverdacht darzulegen, erschöpften sich ihre
Begründungen vielmehr in Spekulationen über
gefahrenträchtige Problemfelder und Erwägungen
hinsichtlich eines sinnvollen und angemessenen Ressourceneinsatzes.
[35] Zusammenfassend
soll hier zunächst festgestellt werden, daß sich die
Gefahrerforschungen der Hamburger Polizei allenfalls in
irgendeinem
Vorfeld von
irgendeiner
Gefahr abspielten. Dieses kann mit einem Gefahrenverdacht jedoch nicht
verwechselt werden. Der Hamburger NoeP-Einsatz stellt somit eine polizeiliche
Vorfeldermittlung ohne gesetzliche Grundlage dar und ist rechtswidrig.
Die
datenverarbeitungsrechtliche Generalklausel
Nach
der Vorschrift des § 2 III S. 3 PolDVG ist eine
verdeckte Datenerhebung neben den ausdrücklich geregelten Fällen nur
zulässig, wenn die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe
bei anderem Handeln aussichtslos wäre. Es handelt sich bei ihr um die
speziellere Generalklausel im Verhältnis zu § 3 HambSOG,
[36]
da sie sich ausschließlich auf die Datenverarbeitung der Hamburger
Polizei bezieht.
Die
Anwendbarkeit der Generalklausel ist hier ebenfalls zu verneinen, da die
Regelung über die verdeckte Datenerhebung durch VE (§ 12 PolDVG)
als abschließend zu betrachten ist. § 12 PolDVG knüpft an
eine unmittelbar bevorstehende Gefahr an, bzw. an Tatsachen, die die Annahme
rechtfertigen, daß Strafaten von erheblicher Bedeutung in der From
organisierter Kriminalität begangen werden sollen
[37]
(§ 12 I PolDVG). Die Vorschrift begrenzt damit den VE-Einsatz
vergleichsweise eng.
[38] Nach
diesen Bestimmungen sind VE-Einsätze zur Erforschung von Gefahren nicht
zulässig. Raum für verdeckte Datenerhebungen bei polizeilichen
Vorfeldermittlungen läßt § 12 I PolDVG nicht. Die
Regelung über Datenerhebungen durch VE ist damit als abschließend zu
qualifizieren. Stützt die Hamburger Polizei den NoeP-Einsatz auf die
Generalklausel des § 2 III S. 3 PolDVG, erweitert sie
damit die Einsatzvoraussetzungen von verdeckten Datenerhebungen in den
gefahrunabhängigen Bereich. Das ist aber nach der Sperrwirkung der
speziellen Norm des § 12 PolDVG nicht zulässig.
Es
zeigt sich, daß der Einsatz des NoeP bei Beachtung von Grundregeln des
Polizeirechts kaum als rechtmäßig betrachtet werden kann. Dagegen
spicht nicht nur das Fehlen eines Gefahrenverdachts, sondern auch die
Sperrwirkung der Norm über Verdeckte Ermittler. Auch auf die
Generalklausel konnte die verdeckte Datenerhebung nicht gestützt werden.
Das Ausweichen auf die Begrifflichkeit des NoeP für alle VE,
bei denen die entsprechenden Voraussetzungen nicht vorliegen, kann darüber
nicht hinwegtäuschen.
[39] Fazit Die
Bremer Aufenthaltsverbote wie auch die Hamburger Gefahrenerforschungen
können nicht auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden. In
beiden Fällen wird die polizeirechtliche Systematik verlassen, da
abschließende Eingriffsregelungen eine Anwendung der Generalklausel
ausschließen. Bei Zweifeln darüber hätte ein flüchtiger
Blick in ein Lehrbuch oder einen einschlägigen Kommentar bei der Hamburger
und Bremer Polizei für Sicherheit in der rechtlichen Beurteilung sorgen
können.
Will
man der Polizei nicht unterstellen, daß sie ihre rechtlichen Grundlagen
nicht kennt, entsteht die Frage nach den Motiven für ihr offenkundig
rechtswidriges Handeln.
Die
jeweils angestrebten polizeilichen Zwecke stehen im Einklang mit der aktuellen
politischen Stimmungslage. Für die sog. innere Sicherheit gehört dazu
der Ausschluß von ganzen Personengruppen (etwa DrogennutzerInnen) aus
bestimmten Stadtteilen genauso wie die effektive Kontrolle von politisch
oppositionell arbeitenden Gruppen. Die Polizei kann sich auf entsprechende
Rückendeckung von politischer Seite verlassen. Die Argumentation des
Hamburger Senats belegt dies gleichermaßen wie die Absicht des Bremer
Innenresorts, an der beschriebenen Polizeipraxis festhalten zu wollen. Der
Verdacht liegt nahe, daß dem Polizeirecht von politischer Seite eine
zunehmende Kompetenz zur Bewältigung von sozialen und
politischen Konfliktfeldern zugeschrieben werden soll.
Der
rechtswidrige Rückgriff auf die Generalklausel resultiert zudem aus den
präventiven Bedürfnissen der Polizei. Für diese wird das
Polizeirecht als zu einschränkend empfunden, und die Polizei versucht,
sich aus den engen tatbestandlichen Normen zu lösen und sich illegale
Befugnisse zu verschaffen.
Insofern
wird im Mißbrauch der Generalklausel das Eigeninteresse der Polizei
sichtbar, bestimmte Konfliktbereiche in der Gesellschaft zu verpolizeilichen
bzw. das Polizeirecht zu diesem Zweck immer weiter zu entgrenzen.
[40] Fredrik
Roggan ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Rechtswissenschaft der
Universität Bremen.
[1] Götz,
V.: Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Göttingen 1995, S. 73
[2] Knemeyer,
F.-L.: Polizei- und Ordnungsrecht, München 1995, S. 87
[3] vgl.
zur mehrfachen Subsidiarität ausführlich Gusy, Ch.: Polizeirecht,
Tübingen 1996, S. 156f.
[4] Alberts,
H.W.; Merten, K.; Rogosch, K.J.: Gesetz zum Schutz der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung (SOG) Hamburg, Stuttgart 1996, Vorbem.
§§ 3 ff., Rdnr. 7
[5] Rachor,
F.: Polizeihandeln, in: Lisken, H.; Denninger, E. (Hg.): Handbuch des
Polizeirechts, München 1996, S. 225-441 (396f).
[6] Gusy
a.a.O. (Fn. 3),
S. 157
[7] Rachor
a.a.O. (Fn. 5),
S. 332
[8] zit.
nach VG Bremen, Urt. v. 29.5.1997, Az.: 2 A 149/96, S. 3
(unveröffentlicht)
[9] So
die Begründung zu der Verfügung, die den Betroffenen
ausgehändigt wurde.
[10] Rachor
a.a.O. (Fn. 5),
S. 254
[11] Nach
zutreffender Rechtsprechung bestehen schon Zweifel an der Erfüllung des
Tatbestandes der
unmittelbar
bevorstehenden Gefahr
durch die bloße Existenz einer Person an einem bestimmten Ort: AG Bremen,
Beschl. v. 23.9.1991, Az.: 92 XIIIa 132/91 und dem folgend LG Bremen, Beschl.
v. 7.10.1991, Az.: 7-T-637/91
[12] So
aber die Begründung der o.g. Verfügung.
[13] Latzel,
D.; Lustina, J.: Aufenthaltsverbot Eine neue Standardmaßnahme
neben der Platzverweisung?, in: Die Polizei 1995, H. 5, S. 131-139
(136)
[14] ebd.,
S. 135
[15] VG
Bremen, Urt. v. 29.5.1997, Az.: 2 A 149/96 (unveröffentlicht), S. 11
[16] Niedersachsen
etwa hat die Standardmaßnahmen um das auch unter
Bestimmtheitsgesichtspunkten verunglückte Aufenthaltsverbot
erweitert (§ 17 II NGefAG); Alberts, H.W.:
Freizügigkeit als polizeiliches Problem, in: NVwZ 1997, H. 1,
S. 45-48 (48)
[17] BVerfGE
40, 237 (249), ausführl. dazu auch Lisken, H.; Denninger, E.:
Rechtsstaatliche Grundlagen, in: DieS. (Hg.) a.a.O. (Fn. 5),
S. 107-130 (113)
[18] VG
Bremen, Urt. v. 29.5.1997, Az.: 2 A 149/96, S. 12
[19] Rachor
a.a.O. (Fn. 5),
S. 332
[20] Gusy
a.a.O. (Fn. 3),
S. 159; Rachor a.a.O. (Fn. 5),
S. 398; Alberts; Merten; Rogosch a.a.O. (Fn.
4),
Vorbem. §§ 3 ff., Rdnr. 7
[21] So
z.B. VG Bremen, Urt. v. 29.5.1997, Az.: 2 A 149/96, da die polizeirechtliche
Generalklausel nicht dem sog. Kriminalvorbehalt des Art 11 II GG
genüge. Leider nimmt es im übrigen keinen Bezug auf die
polizeirechtliche Systematik. Vgl. dazu auch Alberts a.a.O (Fn.
16),
S. 46 ff.
[22] VG
Sigmaringen, in: NVwZ-RR 1995, H. 6, S. 327-329 (328); VG
Gelsenkirchen, Beschl. v. 13.12.1993, Az.: 16 L 2281/93
[23] VG
Hamburg, Beschl. v. 20.3.1996, Az.: 13 VG 1215/96. Kritisch zur
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Alberts a.a.O. (Fn.
16), S. 46
[24] so
das OVG Bremen, Urt. v. 24.3.1998, Az.: 1 BA 27/97, S. 10
[25] Gesetz
über die Datenverarbeitung bei der Polizei
[26] vgl.
zum Sachverhalt im übrigen: Bürgerschaft Hamburg Drs. 16/380
(13.2.1998)
[27] Denninger,
E.: Polizeiaufgaben, in: Lisken; Denninger (Hg.) a.a.O. (Fn. 5),
S. 131-224 (147 ff.)
[28] zum
Gefahrenbegriff ausführlich ebd., S. 143 ff.
[29] dazu
ausführlich Di Fabio, U.: Vorläufiger Verwaltungsakt bei ungewissem
Sachverhalt Gefahrerforschung als Anwendungsfall vorläufiger
Regelungen, in: DÖV 1991, H. 15, S. 629-637 (629 ff.)
[30] Weßlau,
E.: Vorfeldermittlungen, Berlin 1989, S. 31
[31] Ring,
W.-M.: Die Befugnis der Polizei zur verdeckten Ermittlung, in: Strafverteidiger
1990, H. 8, S. 372-379 (379)
[32] vgl.
zu den Sachverhaltsdarstellungen i.E.: Bürgerschaft Hamburg Drs. 16/380
[33] vgl.
zur Legaldefinition der Gefahr § 2 Nr. 3a BremPolG
[34] So
Götz a.a.O. (Fn. 1),
S. 63
[35] Bürgerschaft
Hamburg Drs. 16/380
[36] Alberts;
Merten; Rogosch a.a.O. (Fn. 4),
Vorbem. §§ 3 ff. Rdnr. 8.
[37] Die
entsprechende Legaldefinition findet sich insoweit in § 1 VII
PolDVG. Zur Kritik an der Begrifflichkeit siehe Alberts, H.W.; Merten, K.:
Gesetz üver die Datenverarbeitung der Polizei, Hamburg 1995,
§ 1 Rdnr. 26; Siehe auch Gössner, R.: Waffengleichheit
mit dem Organisierten Verbrechen? Kritik der Gesetze zur
Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, in: Ders.
(Hg.): Mythos Sicherheit, Baden-Baden 1995, S. 65-78 (66f.)
[38] Andere
Polizeigesetze haben die Voraussetzungen für den VE-Einsatz wesentlich
weiter gefaßt, so etwa das sächsische Polizeigesetz,
vgl. §§ 41, 39 und 40 SächsPolG.
[39] Auch
der Hamburger Datenschutzbeauftragte hält die mittlerweile
verdeckte Aufklärung genannte Datenerhebung für
unzulässig, vgl. Frankfurter Rundschau v. 1.7.1998.
[40] Zur
Nutzbarkeit der OK für solche Zwecke siehe Alberts; Merten
a.a.O. (Fn. 37),
§ 1 Rdnr. 26.
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