Bürgerrechte & Polizei/CILIP 60 (2/98) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Fernmeldeüberwachung
Über die Verhinderung von Wissen mit statistischen Mitteln |
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von Norbert Pütter | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Das
Abhören von Telefongesprächen ist die älteste der
technikgestützten heimlichen Überwachungsmethoden. Seit die
Strafprozeßordnung vor genau 30 Jahren um die §§ 100a
und
100b erweitert wurde, dürfen die Polizeien der Bundesrepublik im
Rahmen
der Strafverfolgung den Telefonverkehr überwachen. Trotz der langen
Erfahrungen mit dieser Methode fehlen nach wie vor genaue Angaben
darüber,
in welchem Umfang überwacht wird. Der Grundrechtseingriff wird von den
Behörden offensichtlich als so belanglos angesehen, daß selbst
einfache statistische Daten nicht erhoben werden.
Die
Fragen, die eine demokratische Öffentlichkeit an diejenigen Apparate
stellt, die gesetzlich ermächtigt sind, in das Fernmeldegeheimnis
einzugreifen, sind schlicht. Sie betreffen das Ausmaß der
Überwachung des Fernmeldeverkehrs, deren Anlässe und den
Personenkreis, der von ihr betroffen ist. Obwohl die Kontrolle der
Telefonüberwachung im Zusammenhang mit der Legalisierung des
Großen Lauschangriffs stärker in die
öffentliche
Diskussion gekommen war, hat die Qualität der veröffentlichten
Zahlen
eher abgenommen. In früheren Jahren gab es zwei Erfassungsprobleme:
Erhebungswirrwar
Seit
1993 sah sich die Bundesregierung nicht mehr in der Lage, die
Fernmeldeüberwachungen einzelnen Bundesländern zuzuordnen. Statt
dessen verwies sie auf die Zahlen der Telekom. Diese sind nach
Telekom-Direktionen aufgeschlüsselt, die nicht mit den Grenzen der
Bundesländer identisch sind.
[5]
Den
Aufstellungen kann man zwar entnehmen, daß die meisten Anordnungen
in der
Direktion Frankfurt/Main getroffen wurden (1994: 501) und daß die
Anordnungen in der Direktion Berlin von 82 im Jahr 1993 auf 156 im Jahr
1994
stiegen, die Zuordnung zu den Ländern und damit der zeitliche
Vergleich
werden jedoch erheblich erschwert. Gleichzeitig erlaubt dieses
Berichtswesen
die generelle Auskunftsverweigerung, die z.B. der Berliner Innensenator
praktiziert.
[6]
Wie
das Beispiel Baden-Württemberg zeigt, muß es wohl zunächst
zu
Skandalen kommen, damit Berichtspflichten eingeführt werden.
Nach
längeren Beratungen hat sich die Justizministerkonferenz auf die
einheitliche statistische Erhebung der Fernmeldeüberwachungen
geeinigt,
die seit dem 1.1.1996 stattfindet.
[7]
Damit sind neue Schwierigkeiten aufgetreten.
Daß
die neue Zählweise mehr Verwirrung als Klarheit bringt, zeigt die Bilanz
von 1996. Die Länder meldeten 1.798 Verfahren mit 3.172 Betroffenen,
während die Bundesregierung aufgrund der Zahlen der
Telefongesellschaften
6.428 Anordnungen nannte. Im Sommer 1997 beschloß die
Justizministerkonferenz, die Ursachen für diese Abweichungen
klären zu wollen![10] Delikte
und Zielpersonen
Hinsichtlich
der Delikte, zu deren Aufklärung die Fernmeldeüberwachung
eingesetzt
wird, bestätigen die neuen Zahlen, was man aus Bruchstücken schon
vorher wußte. Der überwiegende Teil der Anordnungen/ Verfahren
betrifft den illegalen Drogenhandel. Z.B. betrafen 833 der im Jahre 1996
bundesweit gezählten 1.798 Verfahren Straftaten nach dem
Betäubungsmittelgesetz.
[11]1.086
der 3.964 Anordnungen von 1993 bezogen sich auf Drogendelikte.
[12]
Und 1991 galten 285 der 526 baden-württembergischen Anordnungen
Drogenverfahren.
[13] Interessanter
als die deliktische Verteilung ist der Blick auf die von der
Überwachung
(direkt) Betroffenen. Überwacht werden können Anschlüsse von
Beschuldigten oder von deren Kontaktpersonen, aber auch öffentliche
Telefonzellen oder die Apparate in Hotels oder Gaststätten. Angaben
hierzu
liegen nur bruchstückhaft vor. 1993 wurden z.B. in
Baden-Württemberg
14, in Hamburg fünf und in Hessen 29 Telefonzellen überwacht. Im
selben Jahr ergingen in Hessen 280 Anordnungen gegen Beschuldigte und 253
gegen
Kontaktpersonen; in Brandenburg ergingen 20 Anordnungen gegen
Kontaktpersonen
und nur 17 gegen Beschuldigte.
[14]
1996 standen den 16 Anordnungen, die in Verfahren des Generalbundesanwalts
auf
Beschuldigte zielten, 86 Anordnungen für Kontaktpersonen
gegenüber.
[15]
Angesichts dieser Streubreite der Fernmeldeüberwachung wundern deren
Erfolge wenig. In Baden-Württemberg z.B. wurde 1986 in
359
Verfahren abgehört. Bis zum 1.3.1997 waren 200 dieser Verfahren
abgeschlossen in 64 Fällen mit einer Einstellung. Gleichzeitig
wurden nach Angaben der Landesregierung in 135 Fällen sonstige
verfahrensrelevante Erkenntnisse oder neue Ermittlungsansätze
gewonnen.
[16]
Ausweislich
dieser Zahlen darf man wohl vermuten, daß einerseits zu viel
überwacht wird, andererseits der polizeiliche Nutzen des
Abhörens in
weit mehr besteht als in der Aufklärung eines bestimmten Verdachts.
Ungekannte
Dimensionen
Mehr
als die Zahl der Anordnungen und Anschlüsse, mehr als die der
Betroffenen ist für eine Einschätzung des
Ausmaßes der Fernmeldeüberwachung von Interesse, wie viele
Gespräche von wie vielen Personen überwacht werden. In dieser
Hinsicht schweigen alle Statistiken. Entsprechende parlamentarische
Anfragen
werden seit Jahren mit dem Hinweis beantwortet, daß jene Daten nur
mit
unverhältnismäßigem Aufwand erhoben werden könnten.
Das
Argument ist in der Sache wenig überzeugend, wenn etwa der
Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt auf den Pfennig genau ihre
Überwachungskosten angeben können.
[17]
Politisch
kennzeichnet es die Innere Sicherheitspolitik, der
Grundrechte so
wenig zählen, daß sie deren Verletzung noch nicht einmal genau
zu
quantifizieren bereit ist. So wird die Öffentlichkeit auch weiterhin
auf
Einzelfälle
[18]
angewiesen sein, wenn sie das tatsächliche Ausmaß polizeilicher
Fernmeldeüberwachung abschätzen will.
Tabelle 1:Richterliche und staatsanwaltschaftliche Anordnungen zur Fernmeldeüberwachung gem. §§ 100a, 100b StPODie Tabelle ist in zwei Teile geteilt, damit sie leichter ausgedruckt werden kann.
Legende: Normalschrift = Anordnungen; einfache Unterstreichung = Telefonanschlüsse; fett = Verfahren; kursiv = Betroffene Quellen zur Tabelle:
Norbert Pütter ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP. [1] Wohl nur in NRW wurde durchgängig immer die Zahl der Anschlüsse erfaßt, s. Dinkel, A.: Überwachungspraxis in Deutschland, in: Kriminalistik 1994, H. 2, S. 87-91 [2] BT Drs. 13/437, S. 9 [3] BT Drs. 13/7341, S. 6 [4] LT Sachsen-Anhalt Drs. 1/3628, S. 3 u. 5 [5] BT Drs. 12/8306, S. 2, 13/555, S. 2, 13/3618, S. 2 [6] s. zuletzt: Landespressedienst Berlin v. 16.3.98, S. 15 [7] s. zum Erfassungssystem: BT Drs. 13/341, S. 12-14 [8] BT Drs. 13/7341, S. 6 [9] Bürgerschaft Hamburg Drs. 14/1482, S. 1 [10] LT Niedersachsen Drs. 13/3112, S. 4 [11] Pressemitteilung MdB Manfred Such v. 12.4.1996 [12] BT Drs. 12/8306, S. 4 [13] LT Baden-Württemberg Drs. 11/95, S. 2; 1996 betrug der Drogenanteil 56,4% aller Anordnungen, s. LT Baden-Württemberg Drs. 12/1811. [14] BT Drs. 12/8306, S. 5-7 [15] BT Drs. 13/7341, S. 5 [16] LT Baden-Württemberg Drs. 12/1811, S. 4 [17] BT Drs. 13/7341, S. 8 [18] Etwa den berühmten Fall der Göttinger Antifa M: neun Anschlüsse mit insgesamt 13.929 Gesprächen, s. LT Niedersachsen Drs. 13/1255, S. 15 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 1998 HTML-Auszeichnung: Felix Bübl & Martina Kant. Zuletzt verändert am 4. Oktober 1998. |