Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98) | |
Beweissicherungs-
und Festnahmeeinheit Thüringen
"Ein wichtiger Faktor zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit"[1] |
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von Christoph Ellinghaus | |
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Demonstrationen
sind zunehmend mit polizeilichen Spezialeinheiten konfrontiert. Seit einigen
Jahren hat auch Thüringen eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit
(BFE). Zuletzt fiel sie AntifaschistInnen auf, die am 6. Juni 1998 in Kassel
versuchten, einen Aufmarsch von Neonazis zu verhindern. Die Einheit
schützte die Neonazis vor, während und nach ihrer Kundgebung und nahm
linke DemonstrantInnen zum Teil auf brutale Weise fest.
In
den Blick einer kritischen Öffentlichkeit war die thüringische BFE
erstmals beim Großen Zapfenstreich der Bundeswehr auf dem Erfurter
Domplatz am 9. November 1995 geraten. Bei dieser Gelegenheit räumte sie
die GegendemonstrantInnen vom Platz vor der Absperrung. Zwar war es in den
Jahren nach der Wende immer wieder zu polizeilicher Gewalt gegen
DemonstrantInnen gekommen. Neu war bei diesem Einsatz jedoch, mit welcher
Geschlossenheit diese Einheit auftrat. Ihre Ausstattung und ihr Vorgehen waren
bisher nur vom bayerischen Unterstützungskommando (USK) bekannt. In der
Folgezeit sollten DemonstrantInnen noch öfters mit der thüringischen
BFE Bekanntschaft machen - bei den Protesten gegen den ersten Spatenstich
zur Thüringer Waldautobahn, bei den Baumbesetzungen im Thüringer
Wald, bei den Protesten gegen den Castor-Transport im Wendland sowie zuletzt
bei den antifaschistischen Demonstrationen in Saalfeld. Die Einheit wurde
zwischen 1992 und Mitte 1997 519 mal in Thüringen und in elf anderen
Bundesländern eingesetzt. Dabei wurden 564 Personen in Gewahrsam und 331
festgenommen.[2] BF-Einheiten
werden bei Anlässen eingesetzt, bei denen die polizeiliche Einsatzleitung
ein hohes "Störerpotential" erwartet. Das sind in
Thüringen insbesondere Demonstrationen von Neonazis, antifaschistische
(Gegen-) Kundgebungen sowie Fußballspiele. Hinzu kommen Einsätze
für die Landespolizei, das LKA sowie Anforderungen anderer
Bundesländer.
Das
Konzept: isolieren und beweissicher festnehmen
Der
Einsatz von Spezialeinheiten bei Demonstrationen ist nicht neu; er ist eine
direkte Reaktion auf die Wandlungen des sozialen Protests in Deutschland. Die
Widerstandsbewegungen gegen den Bau von Atomkraftwerken und anderen
Großprojekten seit den 70er Jahren gaben sich angesichts ihrer Breite und
ihrer berechtigten Anliegen nicht mehr mit symbolischem Protest zufrieden,
sondern gingen über zu direkten, auch militanten Aktionen.
Bauplatzbesetzungen, Entzäunungen, Hausbesetzungen fanden Sympathie und
Unterstützung in Teilen der Bevölkerung.
Die
Polizei setzte dabei anfangs regelmäßig auf eine massive
Konfrontation mit nahezu allen DemonstrantInnen und provozierte so einen
Solidarisierungseffekt einerseits zwischen den unterschiedlichen Gruppen und
andererseits zumindest mit Teilen der anwohnenden Bevölkerung. Aufgrund
der massiven öffentlichen Kritik begann in den polizeilichen
Führungsetagen die Suche nach neuen Wegen. Zunächst waren es die auf
sog. Anti-Terror-Kampf trainierten Sondereinsatzkommandos (SEK), die auf die
DemonstrantInnen losgelassen wurden. Das BFE-Konzept stellt eine
Weiterentwicklung dieser Einsätze dar.
Die
"Mitwirkung der Bürger" - sprich die Wahrnehmung des
Demonstrationsrechtes - wird in der Theorie als legitim verkauft. Aber
'Gewalttäter und Störer' sollen isoliert und beweissicher
festgenommen werden. Ein BFE-Trupp besteht in der Regel aus fünf
BeamtInnen, die mit einem Beweissicherungs- und Dokumentationstrupp (BESI bzw.
BEDO) zusammenarbeiten. Die BFE ist mittels ihrer Technik in der Lage, die vom
BEDO-Trupp aufgenommenen Bilder auszuwerten und noch vor Ort in Fahndungsfotos
umzuwandeln. Wird eine Person auf diesen Fotos identifiziert, so wird sie
gezielt und gewaltsam aus der Mitte der Demonstration herausgegriffen. Der
Zugriff soll koordiniert, auf ein Codewort hin und erst nach der
Beweissicherung und nach Lokalisierung des Betroffenen durch alle Mitglieder
des Trupps erfolgen.
[3] Eine
erste BFE wurde 1985 in Hessen aufgebaut. Wenn auch teilweise unter anderem
Namen haben andere Bundesländer vergleichbare Spezialeinheiten. Die
bayerischen USK entstanden 1987.
[4]
Niedersachsen schuf Zivile Streifenkommandos (ZSK) und Zivile
Nachtstreifenkommandos (ZNSK). Die E-Schichten aus Hamburg, die wegen ihrer
besonderen Brutalität auch Gegenstand des Untersuchungsausschusses
über die Hamburger Polizei waren, sind nunmehr in P-(Präsenz-)
Schichten umbenannt.
[5]
Die
Berliner "Einheit für besondere Lagen und einsatzbezogenes
Training" (EbLT) war aus dem gleichen Grund 1989 in der kurzen Phase der
rot-grünen Koalition aufgelöst worden. 1995 empfahl die
Innenministerkonferenz allen Bundesländern den Aufbau von BF-Einheiten.
Zusammengenommen verfügten die Bereitschaftspolizeien aller Länder
1997 über 2.120 PolizeivollzugsbeamtInnen in Beweissicherungs- und
Festnahmeeinheiten, die für länderübergreifende Einsätze
herangezogen werden können.
[6] Glaubt
man dem Thüringer Innenminister, so wurde mit dem Aufbau einer eigenen BFE
der genannte Beschluß der Innenministerkonferenz umgesetzt.
Tatsächlich begann der Aufbau bereits mit einem Erlaß des
Thüringer Innenministeriums vom 15.7.1992.
[7]
Die
Idee dazu soll vom Aufbaustab der Bereitschaftspolizeiabteilung (BPA)
Thüringen gekommen sein. Von März bis April 1992 nahmen vier Beamte
der BPA an einer Spezialgrundausbildung - kurz SGA - der Hessischen
BFE in Wiesbaden teil. Vom Juni bis Juli 92 durchliefen 35 junge Polizeibeamte
die erste derartige Grundausbildung in Thüringen. Bereits im Juli 1992
wurde dieser Einsatzzug beim Weltwirtschaftsgipfel in München aufgeboten.
Bis März 1994 wurden insgesamt sechs SGAs durchgeführt, an denen 187
Polizeibeamte teilnahmen. Im Sommer 1994 verfügte die Thüringer BFE
dann über drei Einsatzzüge.
[8] Ausbildung Nach
ihrer allgemeinen polizeilichen Ausbildung können sich die PolizistInnen
für die BFE bewerben, in der sie nicht länger als fünf Jahre
bleiben sollen. Von 1992 bis Mitte 1997 bewarben sich 275 BeamtInnen, von denen
aber nur 173 übernommen wurden. 102 haben die Eignungsvoraussetzungen
nicht erfüllt.
Die
Spezialgrundausbildung umfaßt insgesamt 352 Unterrichtseinheiten (UE)
à 45 Minuten. Unterrichtet werden dabei
Der
Schwerpunkt der Ausbildung liegt also eindeutig auf dem Training von Gewalt.
Einzelne Beamte erhalten eine spezielle Fortbildung für den Umgang mit
Foto-, Video- und Tontechnik sowie über Drogenkriminalität.
[10]
Die hessische Bereitschaftspolizei verpaßt ihren BFE-Beamten eine zweite
SGA, einen vierwöchigen Lehrgang, der auf den Einsatz in ziviler Kleidung
vorbereitet.
[11]
Mitglieder von BF-Einheiten erhalten dadurch aber nicht den Status von
Verdeckten Ermittlern. In Zivil treten sie nur "einsatzbezogen"
auf. Wie der Thüringer Innenminister gegenüber der innenpolitischen
Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen, Astrid Rothe, erklärte,
kann die BFE sowohl während der Demonstration als auch in einem Zeitraum
von zwölf Stunden davor und danach in Zivil observieren.
Ausrüstung Die
Ausstattung der Einheiten ist so angelegt, daß sie auch als
Einsatzzüge der Bereitsschaftspolizei Verwendung finden können.
[12]
Sie geht aber weit über das übliche Maß der
Bereitschaftspolizei hinaus. Ein besonderer Schlagschutz, schußsichere
Westen, in den Helm eingebaute Funkeinrichtungen, asiatische
Nahkampfstöcke (sog. Tonfas bzw. Mehrzweckeinsatzstöcke) gehören
zur Ausrüstung jedes Mitglieds einer BFE. Die BFE ist zudem nicht nur mit
den Mehrzweckpistolen zum Abschießen von Gummischrot und Gasgranaten
ausgestattet, sondern führt in ihrem Arsenal auch Maschinenpistolen: Von
13 im September 1995 stieg deren Zahl bis August 1998 auf 40.
Der
Fahrzeugpark der Einheit umfaßt nicht nur die üblichen
"Wannen", sondern auch "neutrale" PKWs und
Motorräder für den Einsatz in Zivil. Hinzu kommen Videogeräte,
Photoausrüstung, ein Nachtsicht- und ein Metallsuchgerät. Die BFE ist
in der Lage, den gesamten Mobilfunkverkehr im "Einsatzbereich"
innerhalb von 5-10 Minuten unter Kontrolle zu haben.
Organisation
und Gliederung der BFE, so erklärt das Thüringer Innenministerium,
würden ihrer "besonderen Aufgabenstellung gerecht, unter Anwendung
spezieller Beweissicherungs und Zugriffstechniken und -taktiken insbesondere
das Vorgehen gegen gewalttätige Störer zu unterstützen, (und)
beweiskräftige Festnahmen an den Brennpunkten unfriedlichen Geschehens
durchzuführen."
Abschaffen ist besser
DemonstrantInnen
und DemonstrationsamelderInnen haben ein Interesse an einer durch die Polizei
ungestört ablaufenden Demonstration. Sie müssen sich deshalb gegen
martialische Polizeiaufgebote wehren, die ihrem Anliegen durch ihre
Außenwirkung schaden und die Demonstrationsfreiheit begrenzen. Nach dem
Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 ist allenthalben von
Deeskalation die Rede. Dies kann nur heißen, daß so wenig Polizei
wie möglich eingesetzt wird und daß kleinere
Gesetzesverstöße hingenommen werden, wenn es die Lage erfordert.
Aufbau und Einsatz von Spezialeinheiten entsprechen dem nicht, denn:
Christoph
Ellinghaus ist zur Zeit Jugendbildungsreferent bei ran e.V. - DGB Jugend
in Erfurt. Ohne die Aufmerksamkeit einiger Mitglieder von PDS. Bündnis 90/
Die Grünen und Gewerkschaften wäre dieser Artikel so nicht
möglich gewesen.
[1] LT
Thüringen Drs. 2/2144 (29.7.1997)
[2] ebd. [3] Korell,
J.: Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten, in: Unbequem H. 19, Sept. 1994,
S. 8
[4] Herzog,
D.: Das Unterstützungskommando der bayerischen Polizei, in: Unbequem H.
30, Juni 1997, S. 28-34; siehe auch unter http://kriegste.de/usk
[5] Mahr,
M.: Mehr als nur Papier, in: Unbequem Nr. 30, Sept. 1997, S. 22
[6] Bericht
des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien, Entwurf des Ausstattungsnachweises
für die Bereitschaftspolizeien des Landes, Stand: 18.09.1995
[7] LT
Thüringen Drs. 2/2144 (29.7.1997)
[8] Reiche,
B.: BFE Thüringen, in: Bereitschaftspolizei-heute 1994, H. 3, S. 133-136
[9] LT
Thüringen Drs. 2/ 2135 (17.07.1997)
[10] LT
Thüringen Drs. 2/ 2178 (22.04.1997)
[11] Korell
a.a.O.
[12] Ausstattung
1995: Bericht des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien, a.a.O; LT
Thüringen Drs. 2/3082 (27.08.1998)
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