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Literatur zum Schwerpunkt
Seit Horst Herold als BKA-Präsident in den 70er Jahren der Polizei der alten
BRD einen Modernisierungs- und Computerisierungsschub verordnete, waren die
neuen, der Technik abgerungenen Möglichkeiten wegen der damit
verknüpften bürgerrechtlichen Folgen Gegenstand politischer Debatten.
Diese Auseinandersetzungen haben sich auch in vielfältiger Weise
publizistisch niedergeschlagen, vor allem von Ende der 70er bis etwa Mitte der
80er Jahre. Neben einer Vielzahl von Beiträgen in Magazinen und
Fachjournalen gab es eine Reihe von Buchveröffentlichungen, die auch heute
noch lesenswert sind: Zum einen, weil sich die darin verwendeten Argumente noch
keinesfalls in ihrer Gänze verbraucht oder überlebt hätten; zum
anderen, weil sie im historischen Rückblick belegen, mit welcher Emphase
noch vor einer Generation gegen einen durch die Technik ermöglichten
(mutmaßlichen) präventivpolizeilichen Zugriff auf Personen und
soziale Strukturen gestritten wurde. Heute wird dies von einer breiten
bürgerlichen Mehrheit mehr oder weniger klaglos hingenommen, wenn nicht
gar befürwortet. Der verdatete Bürger, der
gläserne Mensch das waren damals gängige
semantische Münzen der öffentlichen Diskussion. Hier seien nur einige
bekanntere der vielen Publikationen beispielhaft in Erinnerung gerufen:
Bölsche, Jochen:
Der Weg in den Überwachungsstaat, Reinbek 1979 (Rowohlt), 193 S.
Das
Buch basiert auf einer SPIEGEL-Serie zum Thema und ist mit kritischen
Stellungnahmen von prominenten Datenschützern und Politikern angereichert.
Gruppe, Torsten:
Der
gespeicherte Bürger. Auf dem Weg in den Computer-Staat, München 1979
(Wirtschaftsverlag Langen-Müller/Herbig), 237 S.
Der
Autor verbindet die digitalisierten Fahndungsvisionen Herolds mit dem Verfall
der Vorstellung von Privatsphäre und einer damals durchaus
salonfähigen allgemeinen Technikskepsis.
Meyer-Larsen, Werner (Hg.):
Der Orwell-Staat 1984. Vision und Wirklichkeit, Reinbek 1983 (Rowohlt), 189 S.
Die Artikelsammlung des SPIEGEL-Mitarbeiters enthält u.a. einen Beitrag zur
Möglichkeit der Videofahndung, die damals unter der Bezeichnung
Aktion Paddy geprobt wurde.
Pötzl, Norbert F.:
Total
unter Kontrolle. Computerausweis, Volkszählung, Verkabelung, Reinbek 1985
(Rowohlt), 188 S.
Kutscha, Martin; Paech, Norman (Hg.):
Totalerfassung. Sicherheitsgesetze, Volkszählung, Neuer Personalausweis,
Möglichkeiten der Gegenwehr, Köln 1986 (Pahl-Rugenstein), 230 S.
Die
Autoren beider Bände zeigten sich von der unmittelbar bevorstehenden
Realisation des Überwachungsstaates überzeugt.
Eine Quelle, bei der man sich über die jüngere Entwicklung der
Überwachungstechnologien kundig machen kann, ist die Polizei selbst, z.B.
in Veröffentlichungen des Bundeskriminalamts:
Bundeskriminalamt
(Hg.):
Technik
im Dienste der Straftatenbekämpfung (BKA-Vortragsreihe, Bd. 35), Wiesbaden
1990, 292 S.
Das
Bundeskriminalamt hat im Laufe der Zeit immer wieder die Technik zum Thema
ihrer Fachtagungen gemacht. Im November 1989 lautete das Motto Technik
im Dienste der Straftatenbekämpfung. Der Tagungsband enthält
eine Reihe interessanter Beiträge von polizeioffiziellen (Zachert) bzw.
quasi regierungsamtlichen (Schäuble) Stellungnahmen zu gegenwärtiger
Nützlichkeit und geplanter Verwendung avancierter Polizeitechnik bis zu
kritischen Beiträgen mit datenschutz- bzw. bürgerrechtlicher Relevanz
(z.B. von Roßnagel). Bemerkenswert ist auch der Artikel von Helmut
Brandt, der sich mit dem durch die Technisierung ausgelösten
Kulturschock innerhalb der Polizeiränge beschäftigt und
dem Mythos der High-Tech-Truppe die banalen, aber nachhaltigen
Widrigkeiten des (Organisations-)Alltags gegenüberstellt.
Bundeskriminalamt
(Hg.):
Aktuelle
Methoden der Kriminaltechnik und Kriminalistik (BKA-Forschungsreihe, Bd. 32),
Wiesbaden 1995, 307 S.
Dieser
Band stellt eine Fortsetzung der Bestandsaufnahme polizeilich verfügbarer
Technik dar. Präsentiert werden sowohl die Plenumsbeiträge der
BKA-Herbsttagung von 1994 als auch Kurzbeschreibungen kriminaltechnischer
Vorzeigeprojekte wie technische Detektion von Rauschgiften, forensische
Sprechererkennung, Mustererkennung durch künstliche
Intelligenz usw. Die Vorträge beschäftigen sich im
großen und ganzen mit dem Umbruch in der Kriminaltechnik, die gleichsam
ihre manufakturielle Episode hinter sich läßt und in
die Phase der industriellen Automation eintritt. So wird auch in
den Beiträgen von Schmitz und Hauptmann zumindest implizit die Frage
aufgeworfen, wo bei aller Perfektionierung des kriminaltechnischen Sachbeweises
am Ende die Intuition des Kommissars bleibt. Mit dem Beitrag von Nogala und
Sack zu den Folgerungen für die polizeiliche Arbeit aus der
Technikausstattung ist auch diesmal wieder eine (kritikgeneigte)
polizeiexterne Perspektive in dem Band vorhanden.
Gwodzek,
Michael:
Lexikon
der Video-Überwachungstechnik, Heidelberg 1997 (Hüthig), 326 S.,
DM 98,
Ein
Beispiel dafür, wie ausdifferenziert inzwischen das vor allem
praxisbezogene Wissen über bestimmte Kontrolltechnologien ist,
stellt dieses stark technisch orientierte Lexikon zu
Videoüberwachungsanlagen dar. Vom Verleger plaziert als ein
unentbehrliches Hilfsmittel bei Planung, Beratung und Installation
entsprechender Systeme für alle Einsteiger, Fachleute und Anwender im
Bereich der Sicherungstechnik, erläutert der Autor im lexikalischen
Teil vor allem Stichworte aus Optik, Elektronik und Datenverarbeitung und
befriedigt damit in erster Linie (und auf hohem, aber noch verständlichen
Niveau) den Wissensbedarf von IngenieurInnen und professionellen BastlerInnen.
Nur ganz vereinzelt kommen Stichworte, wie Bankensicherheit,
Tankstellensicherheit oder Videobewegungsmelder
vor, die auch für Nicht-TechnikerInnen von Interesse sind, da sie Einblick
in die Logik alltäglich werdender Kontrollstrategien und
Sicherheitskonzepte bieten wobei auch beim sorgfältigen Lesen die
prinzipiellen präventiven wie technisch-organisatorischen Grenzen deutlich
werden. Das Buch enthält eine Vielzahl von Bildern, Grafiken,
Illustrationen und Tableaus, die veranschaulichen helfen, was sich hinter den
Anglizismen und technischen Abkürzungen eigentlich verbirgt. Auch das
kleine deutsch/englische Wörterbuch der Fachbegriffe ist ganz
nützlich. Allerdings stößt man öfter auf eingestreute
Werbeseiten, was dem seriös-soliden Eindruck, den die Aufmachung insgesamt
macht, entgegenwirkt und auf das Zielpublikum des Verlages verweist, in dem
auch die Fachzeitschrift Wirtschaftsschutz &
Sicherheitstechnik (W&S) erscheint. Zwar darf man von einem Lexikon
der Videoüberwachungstechnik nicht allzuviel kritische Reflexion der
Anwendungskonsequenzen des dargelegten technischen Know-hows erwarten. Aber der
gelegentliche Hinweis auf Akzeptanzfragen und die Abhandlung Rechtlicher
Aspekte bei der Video-Überwachung auf faktisch einer Seite sind
doch etwas zu spärlich das Stichwort Datenschutz sucht man im
lexikalischen Teil vergeblich. Insgesamt ist dieses Lexikon wohl nur für
SpezialistInnen eine lohnende Lektüre.
Backslash;
Hack-Tic; Jansen & Janssen; AutorInnenkollektiv Keine Panik (Hg.):
Der
kleine Abhörratgeber. Computernetze, Telefone, Kameras, Richtmikrofone
(incl. Diskette), Berlin 1996 (Edition ID-Archiv), 143 S., DM 20,
Ganz
anders hingegen diese kleine, praxisorientierte Publikation mit subversivem
Flair, die sich an die (potentiell) Überwachten richtet. Es ist die
deutsche Übersetzung und Adaptation eines zuerst 1994 in den Niederlanden
erschienenen, der Hackerkultur verpflichteten Bändchens, das sich an all
jene wendet, die sich das Recht herausnehmen wollen, unzensiert und
unbeobachtet vom Großen Bruder zu kommunizieren. Das
AutorInnenkollektiv will statt Verschwörungstheorie und
Technikfeindlichkeit zu bedienen, Wissen über verschiedene moderne
Überwachungstechniken und Tips zum (individuellen) Schutz dagegen
vermitteln. Behandelt werden in anschaulicher und verständlicher Art
Funktionsweise und Abhöranfälligkeiten von Kommunikation in
Räumen (Wanzen), drahtgebundene und mobile Telefone und
Funkempfänger sowie Computer und Datennetze. Darüber hinaus werden
Verschlüsselungsverfahren für Sprache und Daten sowie
Überwachungskameras behandelt. In einem interessanten Nachwort skizziert
Otto Diederichs die staatliche Verwendung der verschiedenen Lauschoptionen. Den
AutorInnen gelingt es, die komplexe Materie auch für LaiInnen
nachvollziehbar zu erläutern, und sie vergessen auch nicht, auf die
zwangsläufige Halbwertszeit ihrer Ausführungen
angesichts des rapiden technischen Fortschritts hinzuweisen. Obwohl dieser
Ratgeber eindeutig aus der und für die Szene
geschrieben ist, hält er sich nicht mit politischen Reflexionen über
das Abhören auf. Er ist in der Schwemme der
Ratgeberliteratur vielleicht einer der aufgeklärtesten und daher zu
empfehlen.
Tinnefeld,
Marie-Theres; Philipps, Lothar; Weis, Kurt (Hg.):
Die
dunkle Seite des Chips. Herrschaft und Beherrschbarkeit neuer Technologien
(Neue Techniken und Recht, Bd. 1), München, Wien 1993 (Oldenbourg), 180
S., DM 58,
Akademischer,
philosophisch tiefschürfender und (politisch) ausgewogener
sind die Beiträge, die in diesem, auf eine Veranstaltung der
Thomas-Dehler-Stiftung im Oktober 1992 zurückgehenden Band versammelt
sind. Im Vordergrund nahezu aller Aufsätze stehen Überlegungen, wie
die neuen, durch Technik ermöglichten Handlungsoptionen sozial- und
rechtsverträglich beherrscht werden könnten. Zu den
erwähnenswerten Beiträgen gehören unter anderem der knappe aber
informative Einleitungstext von Philipps über die datenschutzrechtliche
Wende in der deutschen Rechtsinformatik, ein gelehrter Essay von Weis, der der
Frage nachgeht, ob die Chips als Wegbereiter neuer sozialer
Kontrolle aufzufassen sind, eine kriminologische Abhandlung von Kaiser
über durch Technik geschaffene neue Tatgelegenheiten und
neue Tätertypen sowie ein Statement der damaligen Justizministerin
Leutheusser-Schnarrenberger zum Thema Abhören in Wohnungen.
Leuthardt,
Beat:
Leben
online. Von der Chipkarte bis zum Europol-Netz: Der Mensch unter ständigem
Verdacht. Reinbek 1996 (Rowohlt), 223 S., DM 14,90
Weniger
wissenschaftlich als journalistisch-kritisch behandelt der Schweizer Jurist und
Publizist Beat Leuthardt die Thematik moderner Überwachungstechniken.
Obwohl der Haupttitel zuerst an eine der zuhauf erscheinenden Anleitungen, wie
man mit dem Computer ins Internet kommt, denken läßt, legt der Autor
eine tour dhorizon der aktuellen Anwendungsfälle von
Überwachungstechnologie im westlichen Europa vor. Er behandelt dabei in
erster Linie die staatlichen Kontrollregimes, widmet sich aber auch den
überwachungstechnisch aufgerüsteten Privatmanagements.
Zur Sprache kommen die meisten Überwachungstechnologien, die jeweils in
ihrem politisch-sozialen Kontext erläutert werden. Man gewinnt dadurch
einerseits einen realitätsnahen Eindruck von der Vielfalt und
Allgegenwärtigkeit dieser Systeme in unserem Alltag, erfährt
andererseits auch eine Menge über die in dieser Entwicklung involvierten
Interessen. Weil es im Reportagestil geschrieben und aufgemacht ist, ist dieses
Büchlein eingängig lesbar, obwohl dadurch ein systematischerer
Überblick etwas zu kurz kommt. In gewisser Weise setzt Leuthardt mit
diesem durchaus informativen Buch die Tradition der eingangs skizzierten
Warn- und Alarmierungsliteratur der späten 70er Jahre fort.
Allerdings mit dem Unterschied, daß nicht mehr so sehr auf das Bild des
Big Brother abgehoben wird, sondern durchaus auf der
Höhe der Diskussion die Erkenntnis verarbeitet wird, daß
sich die Überwachungsprozeduren längst zwanglos in den
Alltag eingepaßt haben. Abgesehen von dezidiert wissenschaftlichen
Arbeiten stellt Leuthardts Buch gegenwärtig den informiertesten
deutschsprachigen monographischen Überblick zum Stand und zur Anwendung
von Überwachungstechnologien dar.
Die deutschsprachige Diskussion über Funktion, Optionen und politisch-soziale
Folgen der staatlichen wie nicht-staatlichen Anwendung von modernen
Überwachungstechnologien wurde bislang vor allem national geführt.
Importe von außerhalb blieben sehr selten. Dies
stößt aber in Zeiten verschärfter Internationalisierung, gar
Globalisierung sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen an ihre Grenzen: Nicht
nur, daß Überwachungstechnologien auch in anderen Ländern zur
normalen Infrastruktur avancieren und die Sicherheitsindustrie seit langem
schon international operiert auch die Kontrollsysteme selbst gewinnen
globusumspannende Dimensionen, wenn man nur an Satellitennutzung sowie Daten-
und Bildübertragungen denkt. Insofern kann die Rezeption vor allem
englischsprachiger Literatur von großem Nutzen für lokale oder
nationale Diskussionszusammenhänge sein. Im folgenden werden dazu einige
Empfehlungen gegeben.
Marx,
Gary T.:
Undercover.
Police Surveillance in America. Berkeley etc., 1988 (University of California
Press), 283 p., $ 15.95 (Paperback)
Gary
Marx zählt in den USA zu den bekanntesten bürgerrechtlich
orientierten Sozialwissenschaftlern, der sich im Laufe seiner Forschung
über Polizei eingehend mit dem durch die Technik beförderten
Phänomen der von ihm so genannten New
Surveillance beschäftigt hat. Dieses Buch befaßt sich in der
Hauptsache empirisch mit polizeilichen Undercover-Praktiken in den USA. In
seinem abschließenden Kapitel werden Bedeutung und Konsequenzen der neuen
technischen Optionen für Polizeistrategien und für soziale Kontrolle
im allgemeinen diskutiert. Der Autor erläutert die spezifischen
Eigenschaften von Überwachungstechnologien und warnt vor dem Entstehen
einer maximum-security society. G. Marx hat in einer Reihe
weiterer Veröffentlichungen die in diesem Buch dargelegten Grundgedanken
zum Charakter der Überwachungstechnik erläutert, vertieft und
für bestimmte Bereiche konkretisiert. Aus meiner Sicht gehört dieses
Buch nicht zuletzt unter bürgerrechtlichem Aspekt zu den (internationalen)
Klassikern der Thematik.
Lyon,
David:
The
Electronic Eye. The Rise of the Surveillance Society, Minneapolis, London 1994
(University of Minnesota Press), 270 p. $ 18.95 (Paperback)
Der
Autor (Soziologieprofessor in Kanada) versucht vor allem die soziologischen
Aspekte der neuen technikgestützten Überwachung auf dem
Hintergrund einer Theorie der Moderne herauszuarbeiten. Die Praxis der
Überwachung wird von ihm im historischen Kontext verortet, wobei die neuen
Technologien letztlich als Konsequenz einer entwickelten Moderne erscheinen.
Nach einer (kritischen) Diskussion der Szenarien vom Großen Bruder
(Orwell) und der Gesellschaft als Panopticon (Foucault) widmet sich Lyon
einzelnen Entwicklungen in den gegenwärtig relevanten
Überwachungsbereichen: Überwachungsstaat, Transparenz der
Arbeit(erInnen), VerbraucherInnen im Visier. Im dritten Teil wird es
theoretisch sehr interessant: Lyon relativiert die unausweichliche
Bedrohlichkeit von Überwachung in der Gegenwartsgesellschaft und
argumentiert vor allem gegen den paranoiden Affekt, mit dem
Kontrolltechnologien oftmals analytisch abgehandelt worden sind. Aus seiner
Sicht bilden sowohl Datenschutzgesetzgebung als auch soziale Bewegungen
Gegengewichte zur Inszenierung einer total überwachten Gesellschaft. Lyon
sieht und problematisiert zwar die Relevanz und die sozialen Konsequenzen von
Überwachungspraktiken, er wendet sich aber unter Hinweis auf die
zwei Gesichter der Überwachung (man könnte auch von
deren Dialektik sprechen) gegen einseitig negative Analysen und
Interpretationen. Mit der Ausrufung der Totalüberwachung wird nach seiner
Auffassung nur Paranoia genährt und politische Opposition dagegen entmutigt.
Lyon,
David; Zureik, Elia (eds.):
Computers,
Surveillance, and Privacy, Minneapolis, London 1996 (University of Minnesota
Press), 285 p., $ 18.95 (Paperback)
Dieser
Sammelband präsentiert die Beiträge zu einem strategic
research workshop, der an der Queens University, Ontario, 1993
unter Beteiligung fast aller namhaften, auf diesem Gebiet ausgewiesenen
ExpertInnen des nordamerikanischen Kontinents stattfand. Die insgesamt 12
Artikel thematisieren neben der Einleitung die Bereiche Arbeitsplatz, Markt,
Kultur und Regelungsverfahren. Es geht dabei u.a. um genetische Tests am
Arbeitsplatz (Regan), datentechnische Ausbeutung von VerbraucherInnendaten
(Gandy) und um einen internationalen Vergleich von Datenschutzregelungen
(Bennett). Die beiden herausragenden Beiträge kommen von Marc Poster und
dem schon erwähnten Gary Marx. Poster entwickelt die interessante These,
daß in postmodernen Gesellschaften sich die Identitätsbildung bzw.
-zuschreibung von den direkten Interaktionen weg zur Zirkulation der
gespeicherten Personendaten verlagert: wer jemand ist (bzw. als wer er/sie
gilt), werde nun stärker vom Datenschatten als von der lebendigen Person
bestimmt. Ein Lesevergnügen ist die Abhandlung von Marx über die
Spiegelung zeitgenössischer Überwachungstechniken und -praktiken in
verschiedenen Zweigen der Popkultur wie Musik, Karikaturen, Anzeigen u.ä.
Hoffman,
Lance J. (ed.):
Building
in Big Brother. The Cryptographic Policy Debate, New York etc. 1995 (Springer),
560 p., $ 39.95 (Paperback)
Wer
sich ein präzises Bild über Anfang, Verlauf und Diskussionsstand der
(US-amerikanischen) Kryptographiedebatte machen will, kann mit dieser
Zusammenstellung auf eine erstklassige Dokumentation zurückgreifen, die
viele der zentralen Artikel und Texte zum Thema Überwachung von
Telekommunikation bündelt. Manche der Beiträge sind allerdings
auch über das Internet verfügbar. Grundlagenliteratur für
AbhörgegnerInnen und VerschlüsselungsenthusiastInnen!
Davies,
Simon:
Big
Brother. Britains Web of Surveillance and the New Technological Order,
London 1996 (Pan Books), 294 p., £ 5,99
Simon
Davies ist ein inzwischen international bekannter Datenschutz-Aktivist und
Gründer sowie Direktor von Privacy International, einer
Organisation, die sich internationalen Bürgerrechtskampagnen in bezug auf
Überwachungstechnologien widmet. Somit kann Davies für seine
journalistische Abhandlung aus einer sprudelnden Informationsquelle
schöpfen und die aktuellen Anwendungen avancierter
Überwachungstechnologien Revue passieren lassen. Vorgestellt werden in
lockerem Journalstil u.a. Videoüberwachung, biometrische
Identifizierungsverfahren, Abhörsysteme und die Verbreitung von
Chipkarten. So gut wie keine relevante Kontrolltechnik wird ausgelassen. Die
Publikation ähnelt stark dem Buch von Leuthardt. Was der für den
westeuropäischen Raum zustande gebracht hat, leistet Davies für den
internationalen anglo-amerikanischen Horizont: eine aktuelle und kritische
Bestandsaufnahme avancierter Kontrolltechniken.
Wright,
Steve:
An
Appraisal of Technologies of Political Control. Working Document, Luxemburg
1998 (European Parliament, Scientific and Technological Options, Working
Document PE 166499; http://jya.com/stoa-atpc.htm)
Das
aktuellste und für den unmittelbaren politischen Gebrauch
geschriebene Übersichtsdokument zur Entwicklung diverser
Überwachungstechnologien ist das schon in seinem Heftbeitrag skizzierte
Papier für den STOA-Ausschuß des europäischen Parlaments. Das
komplette Dokument kann auch im Internet abgerufen werden.
Norris,
Clive; Moran, Jade; Amstrong, Gary (eds.):
Surveillance,
Closed Circuit Television and Social Control, London etc. 1998 (Aldershot), 304
p., £ 67,95
Der
Band bilanziert die Erfolge und die Konsequenzen der Videoüberwachung des
öffentlichen Raumes aus sozialwissenschaftlicher Perspektive.
Weitere umfangreiche Literaturhinweise zum Thema finden sich auch in den Arbeiten des
Rezensenten, auf die abschließend hingewiesen wird:
Nogala, Detlef:
Polizei,
avancierte Technik und soziale Kontrolle. Funktion und Ideologie
technikbesetzter Kontrollstrategien im Prozeß der Rationalisierung von
Herrschaft. Pfaffenweiler 1989 (Centaurus Verlagsgesellschaft), 203 S.
Ders.:
Social
Control Technologies. Verwendungsgrammatiken, Systematisierung und
Problemfelder technisierter sozialer Kontrollarrangements. Berlin 1998
(Dissertation, FU-Berlin), 519 S.
(sämtlich:
Detlef Nogala)
Sonstige
Neuerscheinungen
Hübner,
Klaus:
Einsatz.
Erinnerungen des Berliner Polizeipräsidenten 1969-1987, Berlin 1997 (Jaron
Verlag), 440 S., DM 44,
Klaus
Hübner hat seine Autobiographie vorgelegt. Autor und Buch versprechen
spannende Lektüre. Berlin in den 70er und 80er Jahren, das waren
Studentenbewegung und Demonstrationen, Terrorismus und Anti-Terrorismus,
Hausbesetzungen und Friedensbewegung. Und Klaus Hübner war ein
Polizeipräsident mit einer eigenen Handschrift, der sich nicht von jeder
Politik vor den Karren spannen ließ, sondern ein eigenes Konzept von der
Rolle der Polizei in der bundesrepublikanischen Gesellschaft verfocht.
Tatsächlich liefert Hübner eine Berliner Polizeigeschichte aus der
spezifischen Sicht eines führenden Insiders. Wer allerdings gehofft hat,
mehr oder neues über die Berliner Polizei zu erfahren, wird
enttäuscht. Auch wer auf die kritische Reflexion eines der bekanntesten
Polizisten der Republik spekulierte, sucht auf den mehr als vierhundert Seiten
vergeblich. Klaus Hübner bleibt sich in diesem Buch treu: Er stellt sich
als einer jener typischen sozialdemokratischen Polizeireformer der 70er dar,
die den Polizeimuff der Nachkriegsjahre beseitigten, eine modern organisierte
und geführte Polizei schaffen wollten. Kooperativen Führungsstil
eingeführt zu haben, rechnet sich Hübner deshalb ebenso als
bleibendes Verdienst an, wie sein frühes Plädoyer für Strategien
der Deeskalation gegenüber Protestaktionen oder der Patenschaft für
die Berliner Linie gegenüber den Hausbesetzungen. Insofern
war Hübner weder politisch beliebig biegbar, noch ein
Hardliner, was ihm schließlich den Job gekostet hat. Je
länger man in den Hübnerschen Erinnerung liest, desto mehr
verstärkt sich jedoch der Eindruck: Auch ein aufgeklärter Polizist
bleibt Polizist. Die Verrechtlichung des polizeilichen Todesschusses wird
gefordert (S. 258); mit Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der BeamtInnen
wird deren Kennzeichnung abgelehnt (S. 324); gegenüber Demonstrationen
vertritt er die Devise der Szene ihre Helden nehmen (S. 315);
HausbesetzerInnen seien ähnlich organisiert gewesen wie organisierte
Kriminalität (S. 345). Als Indizien für die eigenen Erfolge werden
beliebige Daten herangezogen: etwa die rapide gesunkene Zahl unfriedlich
verlaufender Demonstrationen (S. 96) oder gesteigerte Aufklärungsquoten
durch die Polizeireform (S. 242). Obwohl Hübner seit zehn Jahren den
Ruhestand genießt, läßt er jede Distanz zu seinem
früheren Amt vermissen. Was damals richtig erschien, ist für ihn
heute nicht weniger richtig. Daß die Modernisierung der Polizeien deren
Eingriffsmöglichkeiten erhöhte, daß die moderne Polizei zum
Feindbild-Lieferant für die Politik geworden ist, daß die
organisatorische Zentralisierung jene Bürgerferne
beförderte, die gegenwärtig mühevoll abgebaut werden soll, das
darf die Hübnersche Erfolgsbilanz nicht verdunkeln. Schade.
Velten,
Petra:
Transparenz
staatlichen Handelns und Demokratie. Zur Zulässigkeit verdeckter
Polizeitätigkeit, Pfaffenweiler 1996 (Centaurus-Verlagsgesellschaft), 215
S., DM 78,
Bei
der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um eine staatsrechtliche
Abhandlung, die nachzuweisen sucht, daß so der Schlußsatz
die Ermächtigungen zum Einsatz nachrichtendienstlicher
Mittel im Rahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung (...) in ihrer
jetzigen Ausprägung verfassungswidrig sind. Gegenstand der
Untersuchung sind die demokratietheoretischen und verfassungsrechtlichen
Anforderungen, die an staatliches Handeln zu stellen sind. Den Zentralbegriffen
moderner Staatlichkeit gelten die analysierenden Kapitel des Buches:
Öffentliche und nicht-öffentliche Staatsgewalt, demokratische
Legitimation, Repräsentation, Minderheitenrechte. Verdeckte polizeiliche
Handlungen werden in diesen Zusammenhängen als extremes Beispiel
demokratieexempter Tätigkeit betrachtet, die mit dem in Art.
20 Abs. 2 des Grundgesetzes postulierten Demokratieprinzip in Konflikt stehe.
Das eingangs zitierte Fazit begründet die Autorin insbesondere durch die
fehlende Öffentlichkeit als Voraussetzung demokratischer Kontrolle (S.
92). Als Minimum fordert sie eine nachträgliche Informationspflicht
über verdeckt erhobene Daten. Diese dürfe nicht durch die bekannten
Klauseln durchlöchert werden. Im Strafverfahren ergebe sich hieraus die
Pflicht zu Aktenvollständigkeit, d.h. es dürfe von
keiner Information offenbleiben, woher sie stammt (S. 192f.).
Velten
versucht, staatsrechtliche Pflöcke gegen die weitere
Vergeheimdienstlichung der Polizeien zu setzen. Ob dieser Weg erfolgreich ist,
darf bezweifelt werden. Ihrer juristischen Argumentation werden
herrschende Meinung und herrschende Staatspraxis nicht folgen.
Ihre Behauptung, daß geheime Polizeitätigkeit (...) nicht zu
den Traditionen demokratischer Staaten gehört (S. 177), ist mehr
Wunschdenken als Wirklichkeitsbeschreibung. Der von ihr geforderte
lückenlose Quellennachweis ist zudem allenfalls geeignet, die
bürgerrechtlichen Folgen verdeckter Polizeiarbeit zu mildern. Denn die
Begrenzung gilt nur, sofern es zum Strafprozeß kommt. Das
Demokratieprinzip erstreckt sich auch auf die polizeiliche Datenverarbeitung,
der Grundrechtseingriff findet bereits durch den Verdeckten Ermittler in meiner
Wohnung statt und nicht erst durch den späteren Prozeß, und die
Sanktionen können andere als strafrechtliche Formen annehmen. Die
Demokratieprobleme beginnen nicht erst bei der Verwertung verdeckt erhobener
Daten, sondern bereits bei deren Erhebung.
(beide:
Norbert Pütter)
Lange,
Hans-Jürgen u.a.:
Memorandum
zur Entwicklung der Inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland,
Regensburg 1998 (Verlag S. Roderer), 71 S., DM 19,80
Die
in diesem Memorandum formulierten Gestaltungsempfehlungen, so
formulieren die kompetenten und renommierten Autoren dieses Memorandums gegen
Ende (S. 55), sind durchweg ohne Grundgesetzänderungen
realisierbar. Im Kern geht es also darum, auf der Grundlage der bewährten
bundesstaatlichen Strukturen eine inhaltlich anders ausgerichtete Politik der
Inneren Sicherheit zu erreichen. Diese Politik legt ein bürgerrechtliches
Verständnis zugrunde. In dieser eigenen Zusammenfassung ihrer
Absichten und Prämissen bezeichnet die Memorandumsgruppe die Vorzüge
und gleichfalls die Grenzen dessen, was sie zur Inneren
Sicherheit vorgelegt haben.
Zum
ersten: Schon in der Vorbemerkung verheißen sie sympathisch eine
bürgerrechtliche Stellungnahme, die aus der
wissenschaftlichen Arbeit hervorgegangen sei. Freilich: diese
bürgerrechtliche Qualität bzw. Grundlage wird an keiner
Stelle präzisiert. Also bleibt es weithin bei einer wohlgefälligen
Attitüde, einem Maßstab, der nicht ausgepackt wird, dessen
Markierungen nur geahnt werden können. Nur ab und an sind die Markierungen
klar und deutlich erkenntlich. Auch dort, wo sie dies sind, etwa dann, wenn
grundrechtlich einschlägige Verfassungsgerichtsentscheidungen emphatisch
hervorgehoben werden, wie beispielsweise das
Volkszählungsurteil oder das Brokdorfurteil,
werden diese Bürgerrechte nur apostrophiert. Sie werden weder analytisch,
noch durchsichtig in den Vorschlägen der Verfasser angewandt. So fehlt
etwa im Zusammenhang der Kür des informationellen
Selbstbestimmungsrechts durch das Bundesverfassungsgericht jeder Hinweis
auf die harten Grenzen dieses neuen Grundrechts. Es hapert auch an aller
Erörterung der nach 1983 im Lichte des informationellen
Selbststimmungsrechts geradezu systematisch gegen dasselbe renovierten
Gesetze, die die Institutionen der Inneren Sicherheit betreffen.
Angefangen vom Bundesverfassungsschutzgesetz, über das MAD-Gesetz bis hin
zum BGS-Gesetz.
Zum
zweiten: Wie das Eingangszitat ausweist, setzen die Autoren das gegebene
Sicherheitssystem voraus. Demgemäß gebrauchen sie auch distanzlos
den 1972 in die deutsche Sprache als Eigennamen eingeführten Begriff
Innere Sicherheit bzw. des Systems Innerer Sicherheit. Vorausgesetzt wird die
etatistische, wenn auch föderale Organisation der Polizei; vorausgesetzt
werden das gesamte Geflecht der Institutionen und Prozeduren der
sicherheitspolitisch zuständigen Organe: die bewährten
bundesstaatlichen Strukturen. Demgemäß konzentriert sich das
Memorandum auf eine inhaltlich anders ausgerichtete Politik, ohne
auch nur einen Augenblick lang zu bedenken, was mit ihren meist
zartfühlend neu formulierten Inhalten geschieht, wenn die
bestehenden Formen bleiben, wie sie sind. Seltsam, daß reformwillige
Sozialwissenschaftler und kenntnisreiche Juristen so einäugig sein
können. Hätten die Vorschläge eine Chance, die offizielle
Politik zu beeinflussen, wäre das Beste, was allenfalls passieren
könnte, ein anderer symbolic use of good intentions and purposes.
Zum
dritten: Vielem von dem, was wertend und vorschlagend im Memorandum gesagt
wird, ist zuzustimmen. Daß die bisherige Entwicklung der
Europäischen Inneren Sicherheit den bürgerrechtlichen
Aspekt nahezu vollständig ausgeblendet habe (S. 9); daß die
Flexbilisierung der sicherheitspolitischen Instanzen und
Verfahren infolge des Amsterdamer Vertrags die bürgerliche
Rechtssicherheit gefährde und dem demokratischen Verfassungsauftrag
entgegenstehe; daß in europäische Polizeibehörden die
Rahmenbedingungen freilich nicht nur, wie die Autoren vorschlagen, die
rechtlichen zu berücksichtigen sind; daß die Leitungs- und
Kontrollfunktionen der politischen gegenüber den polizeilichen
Gremien hervorzuheben und zu stärken sind. Usw. usf.
Nur, das, was die geschätzten Autoren vorbringen, um diese Absichten in
Kritik und Vorschlag umzusetzen, ist, ich bitte um Verzeihung, reichlich
dürftig. Diese Qualifizierung gilt für das europäische
Lieblingskind des Memorandums, das Modell eines
trisektoralen Förderalismus mit dem üblichen,
nahezu konsequenzlosen Subsidiaritätsprinzip garniert ebenso, wie, um aus
Platzgründen zu springen, mit der im V. Abschnitt vorgeschlagenen
verbesserten Kontrolle der Inneren Sicherheit. Außer
Vorschlägen, die das gegenwärtig systematisch überforderte
Parlament zusätzlich überfordern, und einer schwächlichen,
sozusagen extraterritorialen Institutionalisierung von
Polizeibeauftragten fällt den Reformern nichts ein.
Verständlicherweise, denn sie setzen zu viele Prämissen, zu viel als
so gegeben, so hinzunehmen, ja so gut voraus. Auch die reichlich summarische
und trotz ihrer thesenhaften Bezifferung eher diskursiv konturlose Kritik der
Sicherheitsbehörden des Bundes (S. 21) wirkt wie mit
eingezogenen kritischen und das heißt zugleich bürgerrechtlichen
Krallen geschrieben. Dort, wo sich die Autoren kritisch und vorschlagshaft den
etablierten Institutionen und Praktiken zuwenden, tun sie dies in einem um der
Sache halber zuweilen schwer erträglichen betulichen Stil. Da
ließe sich der BGS, der nur halbstark kritisiert wird, so
und so modifizieren; beim BKA sollte im Sinne klarer
Aufgabenabgrenzungen eine Vermischung mit dem BGS
unterbleiben. Beim Verfassungsschutz, den die Autoren trotz
anfänglich richtig angesetzter Kritik nicht als abschaffungsbedürftig
zu bezeichnen wagen, werden mit der Formel es wäre denkbar
halbgare Reformvorschläge aufgetischt. In Sachen
Sicherheitsbehörden der Länder (S. 29) wird jeder
bürgerrechtlich angemessenen Kritik schon dadurch ein Riegel vorgeschoben,
daß pauschal festgestellt wird: Die Polizeihoheit der Länder
ist gerade im Zuge des forcierten Prozesses der Europäisierung zu
erhalten, weil die dezentrale Organisation in landespolitisch verantwortliche
Polizeien am ehesten die Gewähr bietet, eine Exekutivgewalt mit
bürgerrechtlichen Ansprüchen und demokratischen Kontrollverfahren zu
vereinbaren.
Die
Memorandumsgruppe hat zu viel und zu wenig auf einmal gewollt. Zu viel, indem
sie das gesamte europäisch erweiterte Spektrum innerer Sicherheit behanden
wollte und so unvermeidlich viel zu oberflächlich, viel zu punktuell
bleiben mußte. Ein, zwei, drei durchgespielte Beispiele wären mehr
gewesen. Zu wenig haben die Autoren gewollt, weil sie ohne ihre eigenen
Kriterien zureichend darzulegen und zuzuspitzen, mit ihrer
bürgerrechtlichen Kritik und sacht erwogenen isolierten Vorschlägen
das Muster des inneren Sicherheits-Spiels nur zart mit einem
Reformsahnehäubchen versahen.
Schade.
Daß Sozialwissenschaftler und Politikwissenschaftler endlich das
staatliche Gewaltmonopol im Innern als ihr Thema entdecken und sich hierbei mit
Juristen zusammentun, die über den Tellerrand ihres Fachs hinauszuschauen
vermögen, hätte eine prächtige Chance eröffnet. Wenn diese
Wissenschaftler die für jede Erkenntnis notwendige Distanz eingehalten,
wenn diese Bürgerrechtler sich zu einem prägnanteren Verständnis
der Bürgerrechte hätten durchringen, hätten trauen können.
Lindenberger,
Thomas:
Straßenpolitik.
Zur Sozialgeschichte der öffentlichen Ordnung in Berlin 1900 bis 1914,
Bonn 1995 (Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger),
431
S., DM 62,
Seitdem
jüngst der Kölner Oberstadtdirektor die Würde des
Platzes polizeilich großzügig um den Kölner Dom herum
hat sichern lassen, wird man die Aktualität von Thomas Lindenbergers alles
in allem ausgezeichnete Dissertation kaum abstreiten können (vgl. dazu im
einzelnen und mit Belegen: W.-D. Narr: Die Herrschaft der kommunalen
Exekutive(n). Mit dem Mittel zweckentfremdeten Rechts und polizeilicher Gewalt
gegen die mobilen Wagenburgen, in: Komitee für Grundrechte und Demokratie
(Hrsg.): Auf zur grundrechtlichen Verteidigung der Wagenburgen, Köln 1998,
S. 29-41). Steht doch die Verteidigung der herrschenden Raumwürde gegen
die Menschenwürde ungezogener Jugendlicher in einem dichten Zusammenhang
mit gerade in den letzten Jahren zunehmenden städtischen Verordnungen und
gefahrenabwehrenden Gesetzen. Letztere sollen nicht genehme Menschengruppen vor
allem aus den Innenstädten hinaussäubern lassen. Gewiß: von
einem Steinzeitalter der Polizeitaktik kann man heute nicht mehr
sprechen. Heute hat die Polizei längst Dialogkommandos
eingerichtet und vermag ihr Mittel der Gewalt ungleich differenzierter
einzusetzen. Sie kennt selbst im Zweifelsfalle mehr als
blankziehen und einhauen (S. 15). Und doch ist
neben der nicht zu übersehenden Diskontinuität des Verhältnisses
Polizei und Öffentlichkeit heute und damals die
Kontinuität überraschend stark.
Thomas
Lindenberger, der vor allem daran interessiert ist, herauszufinden, inwieweit
die Straßenpolitik neben oder sogar an die Stelle von Aktionen in
den überlieferten Politikarenen der Arbeiterbewegung getreten ist
(S. 23), behandelt im 3. Kapitel vor allem die Straßen-Polizei und deren
Versuch, Ordnung aufrechtzuerhalten, vielmehr herzustellen. Hierbei sind
Straße und Straßenpolitik männlich dominiert. Von der
Beteiligung her gesehen, war Straßenpolitik also im wesentlichen
Männersache, in der zwar immer wieder die Legitimität
des staatlichen Gewaltmonopols und seiner bürokratisch-militärischen
Ausübung, nie aber dessen Funktion für die Aufrechterhaltung der
gesellschaftlichen Vormachtstellung der Männer in Frage gestellt
wurde (S. 71). Erst allmählich entstand eine eigenartige
Straßenpolizei, die einerseits militärisch organisiert war, im
Verhältnis zum Publikum aber andererseits Ermessensspielräume
ermöglichte (S. 77).
Im
4. Kapitel beschreibt Lindenberger den Kleinkrieg zwischen Publikum und
Polizei, im 5. gibt er einen Überblick über die Nutzung der
Straße durch Streiks und die allgemeinen polizeilichen Reaktionen. Noch
im Zusammenhang der alltäglichen Querelen faßt Linderberger
zusammen: Die Unterschichten stellten nicht nur absolut gesehen ca. zwei
Drittel der erfaßten Zivilpersonen, die in Straßenereignisse
verwickelt waren, sie waren in den gewaltsamen Auseinandersetzungen vor allem
mit Polizisten deutlich überrepräsentiert, an den gewaltlosen
Interaktionen hingegen unterrepräsentiert. Das gewerbliche
Kleinbürgertum wurde in überdurchschnittlichem Ausmaß Opfer
gewalttätiger Menschenmengen (S. 119). Hierbei wäre es,
Lindenbergers auch quantitativ soweit wie möglich erhärtetem
Überblick gemäß falsch, nur einseitige Konfrontationen
Unterschichten Polizei wahrzunehmen. Vielmehr wurde die
Polizei je nach Situation und Handlungsrichtung von diversen Gruppierungen
unterstützt. Nicht daran,
ob
Ordnung wünschenswert und zu gewährleisten sei, entzündeten sich
die Konflikte, sondern welche Ordnung und
wie
diese herzustellen sei (S. 133).
Das
6. Kapitel, das am anschaulichsten geraten ist, gilt den Moabiter Unruhen von
1910. Bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen beherrschten die Szene. Die
Gerichte spielten in all ihrer Ambivalenz eine gewisse eigenständige
Rolle, die organisierte Arbeiterbewegung in Form der Sozialdemokratie agierte
furchtsam im Sinne ihrer organisatorischen Logik. Sie orientierte und agierte
vor allem wahlpolitisch. Bevor Thomas Lindenberger im 8. Kapitel eine Summe
seiner Arbeit zieht und über die Straße als Ort des
Klassenhandelns räsoniert, gibt er im 7. Kapitel einen
Überblick über die Straßendemonstrationen, der bei den
nationalistisch kriegsbegeisterten Demonstrationen 1913 und 1914 endet. Dieses
Ende seines historischen Überblicks belegt schon in der
Frühgeschichte der Demonstrationen den inhaltlich allemal je nach Kontext
ambivalenten Charakter dieser urdemokratischen Form.
Thomas
Lindenbergers geschichtswissenschaftliche Wiederentdeckung der
Straßenpolitik ist unter mehrfacher Perspektive spannend zu lesen. Sein
Fallbeispiel Berlin und in seinem Fallbeispiel das Exempel Moabiter
Unruhen reizen außerdem dazu, seine spezifische Studie in
vergleichender Perspektive zu nutzen. Zusammenfassen ließe sich die
materialreiche, ihre Informationen zuverlässig präsentierende und
interpretierende Arbeit mit dem Schlagwort: Der Kampf um die Ordnung im
Übergang zur Massengesellschaft, zum Massenstaat. Und in diesem Kampf
spielt die Auseinandersetzung zwischen einer nötigenfalls
rücksichtslos eingesetzten Polizei und einer organisiert-unorganisierten
Masse aus ihrerseits diversen Angehörigen der Unterschichten
die entscheidende Rolle. In diesem letztlich einseitigen Kampf entscheidet sich
nicht nur die soziale und politische Qualität der betreffenden Ordnung.
Dieser Kampf zeigt auch, welche klassenpolitische oder soziale Definitionsmacht
das Gewaltmonopol im Innern besaß und besitzt. Vor allem belegt der Kampf
in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, welche enorme Wirkung dasselbe
auch noch zu Zeiten besitzt, da sich so viel quantitativ und qualitativ
soziökonomisch und politisch verändert hat. Wirkungen in Richtung des
institutionellen Musters der Polizei und ihres Orts in der Öffentlichkeit,
ja siehe das Demonstrationsrecht und seine Praxis bis heute
gegen die Öffentlichkeit; Wirkungen in Richtung der habituellen
Prägung der Bürgerinnen und Bürger.
(beide:
Wolf-Dieter Narr)
Diedrich,
Thorsten; Ehlert, Hans; Wenzke, Rüdiger (Hg.):
Im Dienste
der
Partei. Handbuch der bewaffneten Organe der DDR, Berlin 1998 (Christoph
Links
Verlag), 720 S., DM 48,
An
seiner Gewaltfähigkeit und -bereitschaft entscheidet sich das
Verhältnis eines Staates sowohl zu seinen Nachbarn wie zu den eigenen
BürgerInnen. Die stets international zur Schau gestellte Bereitschaft der
DDR-Führung zu einer Politik der Abrüstung und Entspannung hatte
somit schon angesichts der Situation an ihren Grenzen immer einen schalen
Beigeschmack. Sie ging zudem einher mit steten Bemühungen, die innere
Überwachung und Repression zu vervollkommnen. Daß sich diese
Aufgaben nicht allein auf die Staatssicherheit beschränken würden,
ließ sich zumindest erahnen. Aussagekräftige Belege waren hingegen
eher rar. Selbst während der Wende und nach der deutschen Vereinigung war
es im wesentlichen die Stasi, auf die sich die Aufmerksamkeit konzentrierte.
Die Polizei zog lediglich während der Demonstrationen im Herbst 1989
aufgrund ihres brutalen Vorgehens kurzfristige Blicke auf sich. Mit der
Übertragung des westdeutschen Polizeisystems auf die neuen
Bundesländer verschwand die Deutsche Volkspolizei so nachhaltig aus dem
öffentlichen Bewußtsein, als habe es sie nie gegeben.
Das
vorliegende Buch widmet dem Ministerium für Staatssicherheit lediglich
rund 50 von 720 Seiten. Die übrigen gelten der Nationalen Volksarmee/NVA
(S. 423-536), der Zivilverteidigung (S. 153-200, 282-338, 551-576) und in
überwiegendem Maße dem Polizeisystem der DDR (S. 69-152, 201-280,
339-370, 537-550). Das ist gut so. Das Ausgangsmaterial für ihr Handbuch
fanden die Autoren des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam
hauptsächlich im Koblenzer Bundesarchiv; entstanden ist daraus ein
voluminöses Werk mit einer Vielzahl bisher unbekannter Details zu
Personalfragen, Einsatzprinzipien, Strukturen, Bewaffnung und Ausrüstung
der DDR-Sicherheitsorgane. Möglich wird damit erstmals auch ein direkter
Vergleich zwischen den beiden deutschen Nachkriegspolizeien und der
weist, bei aller Unterschiedlichkeit der (politischen) Systeme, eine Menge
Parallelen auf. Gaben in der DDR der 50er Jahre aus Westdeutschland
eingesickerte bewaffnete Banden die Bedrohungsmuster und Übungsszenarien
der Bereitschaftspolizei ab, so waren es auf BRD-Seite kommunistisch
infiltrierte Arbeiteraufstände. Häuserkämpfe hatten so auf
beiden Seiten bei der Ausbildung ihren festen Platz. 1956 wurde die NVA aus der
Kasernierten Volkspolizei rekrutiert, im Westen die Bundeswehr aus dem
Bundesgrenzschutz; wird im Osten die Deutsche Grenzpolizei schrittweise
Bestandteil der Grenztruppen, spiegelt sich das im Westen im Kombattantenstatus
des Bundesgrenzschutzes im Kriegsfalle wider (bis 1994). Die Beispiele
ließen sich fortsetzen, die verfeindeten beiden deutschen Systeme waren
bei aller Unterschiedlichkeit an diesem Punkt so verschieden eben doch nicht.
Damit keine Mißverständnisse aufkommen, mit Gleichsetzung hat ein
solcher Vergleich nichts zu tun. Die polizeiliche und (paramilitärische)
Durchdringung des Alltags in der DDR war ohne Zweifel erheblich umfassender und
spielte bei der Sozialisation und Integration insbesondere der männlichen
Bürger eine zentrale Rolle. Doch gerade an den Polizeien der beiden
ungleichen Brüder zeigt sich, wie ähnlich die Regierungen im Umgang
mit der Machtabsicherung im Innern dennoch waren.
Im
Dienste der Partei ist ein längst überfälliges Buch, das
seinem Charakter als Handbuch auf allen Ebenen gerecht wird. Die notwendigen
Rahmendaten liegen damit vor und warten auf ihre weitere Aufarbeitung und
Interpretation. Vielleicht ließe sich diesem neuen Buch des
Christoph-Links-Verlages über einen solchen Umweg dann eine breitere
öffentliche Wahrnehmung bescheren, die ihm derzeit wohl wegen seiner
spezialisierten Thematik und der wissenschaftlichen Darstellung versagt bleibt.
(Otto
Diederichs)
Kube,
Edwin; Schneider, Hans; Stock, Jürgen (Hg.):
Vereint
gegen Kriminalität. Wege der kommunalen Kriminalprävention in
Deutschland, Lübeck, Berlin, Essen, Wiesbaden 1996 (Schmidt-Römhild),
331 S., DM 49,
Präventionsräte
auf kommunaler Ebene schießen seit einigen Jahren wie Pilze aus dem
Boden. 150 derartiger Gremien hat das Bundeskriminalamt mittlerweile
gezählt. Die Renaissance der Präventionsidee erklären die
Herausgeber des Sammelbandes mit der sich zunehmend durchsetzenden
Überzeugung, daß der Kriminalitätsentwicklung mit
herkömmlichen, eher repressiv ausgerichteten Strategien nicht beizukommen
sei (S. 7). Als Wegweiser für Polizei,
Ordnungsbehörden, soziale Dienste, KommunalpolitikerInnen,
BürgerInnen und WissenschaftlerInnen will der vorliegende Band vor allem
an konkreten Projekten zeigen, wie sich kommunale Kriminalprävention vor
Ort umsetzen läßt. In vier Kapiteln zu (1) Grundfragen der
kommunalen Prävention, (2) vier Projekten mit jeweils verschiedenen
Ansätzen (Solingen, Baden-Württemberg, Gießen und
Osnabrück), (3) Einzelstrategien der Prävention (Nutzung von EDV,
Städteplanung, Integration von MigrantInnen) sowie (4) zur Privatisierung
von Sicherheitsaufgaben beschreiben an den verschiedenen Projekten Beteiligte
ihr Vorgehen und ihre Erfahrungen.
Hierin
zeigt sich bereits das Dilemma, in dem viele Veröffentlichungen über
kommunale Kriminalprävention in Deutschland stecken: Ausschließlich
die AkteurInnen der Präventions-Projekte selbst bestimmen die
öffentliche Diskussion. Auch die Herausgeber Schneider und Stock sind
Gründungsmitglieder des Vereins Kriminalprävention Gießen e.V.
Vom Präventions-Paradigma durchdrungen, ist es ihr Anliegen, die
kommunalen Strategien eher zu fördern, als sie kritisch zu beleuchten.
Probleme, seien es bislang fehlende Erfolge oder unerwünschte Nebenfolgen,
werden überwiegend ausgeklammert. Eine Ausnahme bildet der Aufsatz von
Becker/Boers/Kurz: Die AutorInnen sehen durch Präventionsräte die
Gefahr des Netwidening mit der Folge verstärkter sozialer
Kontrolle und polizeilicher Überwachung (S. 101). Probleme sieht auch
Koetzsche (Kommunale Kriminalprävention im Ausland) bei der Forderung nach
einer möglichst breiten Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen.
Erfahrungen aus dem Ausland zeigten, daß aufgrund von Sachzwängen
ethnische und geschlechtsspezifische Probleme meist nicht berücksichtigt
und auch die Betroffenen nicht beteiligt würden (S. 52f.).
Um
sich zu einzelnen Projekten, ihren Strategien und Maßnahmen umfassend zu
informieren, ist der Sammelband nur bedingt geeignet. Die Beiträge bleiben
zumeist auf der programmatischen Ebene, wollen für ihr Projekt oder die
Präventionsidee auf kommunaler Ebene als solche werben und kommen eher wie
eine PR-Schrift daher. Leider zeigt sich dies nicht im Layout.
Überfüllte Seiten und willkürlich gesetzte Absätze
verleiden das Lesen.
(Martina Kant)
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