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Aus Protest gegen die Verschleppung Abdullah Öcalans aus Kenia und
seine Inhaftierung in der Türkei haben KurdInnen am 17. Februar 1999
versucht, das israelische Konsulat in Berlin zu besetzen. Vier TeilnehmerInnen
dieser Aktion wurden dabei von israelischen Sicherheitsbeamten erschossen.
Obwohl die Ereignisse selbst nach wie vor nur in Umrissen bekannt sind,
muß sich auch ein Informationsdienst wie Bürgerrechte & Polizei
in dieser Sache zu Wort melden. Wir können dabei nur Fragen stellen
- allerdings sehr dringliche und Konsequenzen anmahnende.
Eine Kurdin und drei Kurden kamen am 17. Februar 1999 ums Leben. Sie wurden
von zwei israelischen Sicherheitsbeamten erschossen. Deutsche Polizeibeamtinnen
und -beamte waren primär beobachtend zugegen. Das Ereignis ist nur
in den Bruta facta geklärt, nicht in seinem Hergang. Trotz vieler richtiger
Fragen in der seriösen Presse und trotz der Fragen, die vor allem die
Anwälte der inhaftierten KurdInnen gestellt haben, besteht die Gefahr,
daß bald anläßlich neuer Ereignisse die nötige Aufklärung
und die nötigen Konsequenzen bestenfalls auf die lange Bank geschoben
werden - bis sich nur noch ExpertInnen darum kümmern und sich der Ereignisse
erinnern. Im schlimmeren, aber nicht unwahrscheinlichen Falle wird die mögliche
Aufklärung versäumt und bestehen die Konsequenzen allein darin,
kurdische Flüchtlinge hinfort noch schneller abzuschieben, Demonstrationen
möglichst nicht zuzulassen, das Polizeirecht zu veschärfen oder
- da dieses de lege lata vollkommen ausreicht - verschärft zu interpretieren
u.ä.m.
Die andere Gefahr besteht darin, daß das Kurdenproblem, soweit es
in nicht unerheblichem Maße die BRD und andere Länder der EU
angeht, weiterhin vor allem als Polizei- und Abschiebeproblem behandelt
wird, überall dort jedenfalls, wo Kurdinnen und Kurden als ArbeitsmigrantInnen
oder Asylsuchende in irgendeiner Weise politisch und/oder kriminell auffällig
werden. Dieser politische Mißbrauch der Polizei, ihr Gebrauch an Stelle
von erforderlicher Politik, kurzum als Ersatzpolitik, ist im Zusammenhang
der Ereignisse rund um die Verschleppung und Verhaftung von Herrn Öcalan
durch den türkischen Geheimdienst klar und deutlich festzuhalten.
Im folgenden kann aus Platzgründen nur auf das tödliche Ereignis
am 17.2.1999 in Berlin eingegangen werden. Das ist der Sache nach falsch.
Auch wir erwecken damit den Anschein, als könne dieses Ereignis, als
könne vor allem die jeweils genau zu bezeichnende und zu differenzierende
Gewalt mancher KurdInnen unmittelbar erklärt werden. Obwohl (physische)
Gewaltakte aller Art fast immer zur unmittelbaren Reaktion reizen, sind
sie in aller Regel hochgradig vermittelt. Das heißt, sie werden von
Bedingungen produziert, die sich dem direkt hinsehenden Auge und der unmittelbaren
Beurteilung entziehen. Diese allgemeine Feststellung gilt insbesondere für
Gewaltakte, so sie von Kurden individuell oder kollektiv ausgehen. Will
man formell privater Gewalt nicht mit neuer, diesmal formell öffentlich-staatlicher
Gewalt begegnen, will man einerseits verstehen, wie es zu solchen gewalthaften
Eruptionen beispielsweise nach der Entführung und Verhaftung Abdullah
Öcalans gekommen ist, und will man andererseits zukünftige Gewalt,
nicht zuletzt auch gegen Kurdinnen und Kurden vermeiden, dann muß
man den türkischen, den internationalen und nicht zuletzt den deutschen
Kontext der Kurdenfrage als Frage an viele Staaten und deren Regierungen
analysieren. Erst vor dem Hintergrund solcher rücksichtslosen Analysen,
die keine staatlichen Interessen vorab akzeptieren und darum einäugig
erfolgen, lassen sich politische, statt gewalttätiger Lösungen
anstreben. Letztere bestehen auch und vor allem darin, daß die menschenrechtlich
legitimen Interessen der KurdInnen gewaltförmig negiert und notfalls
gewalthaft unterdrückt werden.
Die Ereignisse in und um das Konsulat - Feststehendes
Von dem, was am 17.2.1999 im und um das israelische Konsulat in Berlin geschah,
stehen nur die gröbsten Fakten und die unmittelbaren Folgen - der Tod
von vier Menschen - wirklich fest.
Die Obduktionen ergaben, daß Ahmet Acar (24) durch einen Beckensteckschuß
starb, Mustafa Kurt (28) wurde von einem Projektil in die rechte hintere
Brustseite getroffen. Die 18jährige Sema Alp wurde zweimal getroffen:
im Hinterkopf und unterhalb des linken Schulterblatts. Siman Karakus (26)
starb erst am vergangenen Samstag an einem Querschläger, der ihn in
den Nacken traf.[1]
Fest stehen weiter die unmittelbaren Täter - zwei israelische Sicherheitsbeamte
des Konsulats - sowie Ort und Zeit, das israelische Generalkonsulat in Berlin
am 17.2.1999 zwischen 13.30 und 14.00 Uhr.[2]
Konfusion und Widersprüche
Sonst ist nahezu alles offen; teils konfus, teils widersprüchlich.
Daß dem so ist, liegt nicht primär daran, daß gewalttätige
Auseinandersetzungen gerade die unmittelbar Beteiligten hochgradig uninformiert
lassen bzw. zu panischen Projektionen, ja Erfindungen aller Art motivieren.
Daß dem so ist, rührt vielmehr vor allem daher, daß die
aktiv und passiv am Ort des Geschehens Beteiligten, der an und für
sich vergleichsweise übersichtlich ist, hochgradig an ihrer eigenen
Wahrnehmung samt Interpretation, an ihrer Interpretation samt Wahrnehmung
interessiert sind.
Insbesondere spielen die jeweils höherrangigen Interessen der hintergründig
beteiligten Institutionen eine maßgebliche Rolle. Als da sind:
- die Angehörigen des israelischen Konsulats, insbesondere die
beiden Sicherheitsbeamten - hintergründig: der Staat Israel;
- die am Ort befindlichen Berliner Polizeibeamten - hintergründig:
die Berliner Polizei insgesamt; der Innensenator und die Berliner Landesregierung
samt ihren Parteien; schließlich der Bundesinnenminister und die
Bundesregierung;
- die an der versuchten Besetzung des Konsulats beteiligten Kurdinnen
und Kurden - hintergründig: ihre Verteidiger; diverse kurdische
Gruppen; die Sache der Kurden.
Darum ist selbst die an sich leicht zu klärende Frage offen, wer
von der bundesdeutschen Polizei und wer von den Kurden verletzt worden
ist.
Fragen über Fragen
Fragen über Fragen im unmittelbaren Kontext und im Kern des Ereignisses
(Fragen die noch unterzudifferenzieren sind):[3]
- Wer von israelischer, wer von Berliner Seite (Innensenat/Polizei)
wußte wann, daß ein Sturm kurdischer Gruppen auf das Konsulat
anstehe? Und wer hat wen wann informiert? Immerhin hat der Berliner
Innensenator Eckart Werthebach vor dem Abgeordnetenhaus einräumen
müssen, daß er zwei schriftliche Hinweise aus dem Bundeskriminalamt
falsch eingeschätzt habe. Er habe darin ,abstrakte Sicherheitsanalysen`
und keine ,konkreten Gefährdungszuweisungen` gesehen.[4]
- Wann kamen Berliner Polzeibeamte in welchen Abständen und in
welcher Zahl an den Ort des Geschehens?
- Wann sind KurdInnen wie in welcher Zahl mit welchen Mitteln aufgetreten,
in welcher Weise und in welcher Folge sind sie ins Konsulatsgebäude
eingedrungen, wo sind sie in welcher Zahl eventuell mit welchen Droh-
oder eingesetzten Mitteln hingegangen?
- Wie haben welche Angehörige des israelischen Konsulats auf die
ankommenden, die andrängenden (?), die anstürmenden (?) Kurden
reagiert?
- Vor allem und für eine Kurdin und drei Kurden lebensentscheidend:
wer von den zwei Sicherheitskräften hat wann, in welcher Situation
und in welcher Weise, wie viele Schüsse in welcher Folge abgegeben?
Gab es einen Warnschuß? Wurden Schüsse nur innerhalb des
Gebäudes abgegeben? Waren die beiden Sicherheitskräfte unmittelbar
bedroht (oder einer von ihnen)? Hat ein Kurde oder haben mehrere um
die Waffe eines der Sicherheitsbeamten gerungen? Wie waren die Sicherheitskräfte
ausgebildet; wie lautete ihr Auftrag?
- Gab es zwischen den beteiligten Gruppen - Konsulatsangehörigen,
Sicherheitskräften, Berliner PolizeibeamtInnen und KurdInnen -
eine Art Ereignisdynamik, derart etwa, wie sie von kurdischer Seite
behauptet wird: Die anwesenden Kurden seien schnell und ohne andere
eigene Möglichkeit, sich zu verhalten, zwischen die israelischen
Sicherheitskräfte und die nachdrängende Berliner Polizei eingeklemmt
worden?
Es liegt eine Fülle zitabler Evidenz vor. Indes, all die Offenkundigkeiten
widersprechen sich, je nach Augeninteressenquelle. Solche Widersprüchlichkeiten
heben an mit der Zahl der abgefeuerten Schüsse. Sie enden bei den
drei am meisten bohrenden Fragen:
- Handelten die israelischen Sicherheitskräfte in einer vergleichsweise
eindeutigen Notwehrsituation? Wenn diese gegeben gewesen sein sollte:
waren die Art ihrer Schüsse (Warnschüsse oder nicht), war
deren Zahl und war deren Richtung (Brusthöhe, Kopf oder Beine)
notwendig?
- Ist das israelische Konsulat von der Berliner Polizei unzureichend
geschützt worden? Schon bevor das Ereignis begann und dann trotz
der Unterzahl der Polizeibeamten während desselben? Haben sich
die Polizeibeamten am Ort möglicherweise Konflikt verschärfend
und nicht entschärfend verhalten? Liegt ein schuldhaftes Versäumnis
vor, da vorher zuhandene Informationen fahrlässig oberflächlich
interpretiert worden sind und nicht sofort gefahrangemessen gehandelt
worden ist?
- Wie ist die Gruppe der Kurdinnen und Kurden einzuschätzen, die
die Botschaft bedrängte und in sie hineindrängte? Waren diese
Leute zu allem entschlossene Gewalttäter? Welche Absicht verfolgten
sie eventuell mit ihrer Gewalt? Oder wäre es denkbar gewesen, von
deutscher Polizeiseite aus zuerst, gewaltfreie Auswege aus dem sich
anbahnenden Konflikt zu finden, bevor sich derselbe mörderisch
zugespitzt hatte?
Berliner und Überberliner: die bundespolitischen Folgen
Die Kommentatorin der Süddeutschen Zeitung (eve) hat Recht: Die
Öffentlichkeit (vor allem die Angehörigen der Toten im engeren
und weiteren Sinne, WDN) hat ein Recht darauf, so genau wie möglich
zu erfahren, was wirklich am 17. Februar im Bereich des israelischen
Generalkonsulats in Berlin geschehen ist. Auch wenn die Aussagen der am
Einsatz beteiligten Polizeibeamten in den entscheidenden Punkten der Darstellung
der israelischen Sicherheitsbeamten widersprechen. Auch wenn nach diesen
Berichten und Obduktionsbefunden von einer Notwehrsituation der israelischen
Sicherheitsbeamten nicht mehr gesprochen werden kann. Auch wenn die Sicherheitskräfte
durch ihren diplomatischen Status vor weiteren Ermittlungen und vor einem
Verfahren geschützt sind. Auch wenn man in diesem Land mit Israel
(aus guten, meist durchschlagenden Gründen, WDN) nur sehr ungern
einen Konflikt hat. Und auch wenn die Berliner Polizei, möglicherweise
wegen der rätselhaften Informationspolitik der Israelis, mit viel
zu wenig Beamten am Einsatzort war.[5]
Um solcher notwendiger Ermittlungen willen ist ein Doppeltes erforderlich.
Zum ersten müssen die Voraussetzungen aufdeckender, nicht vertuschender
Ermittlungen dadurch geschaffen werden, daß deren erstrangige politische
Bedeutung anerkannt wird. Die Voraussetzungen müssen Bundeskanzler,
Außenminister und Regierender Bürgermeister von Berlin zusammen
mit dem Ministerpräsidenten Israels in aller Offenheit, mit allem
möglichen Entgegenkommen und einschließlich des Risikos begrenzter
Konflikte suchen. Hierbei ist klar und eindeutig, daß israelische
Konsulate und ähnliche Einrichtungen samt ihrer Angehörigen
eines besonderen Schutzes sicher sein müssen - eines Schutzes, der
bundesdeutsch zu gewährleisten ist. Dann können und müssen
sich auch Konsulate und Botschaften an bundesdeutsche Rechtsstandards
halten. Die Bundesrepublik muß nachdrücklich deutlich machen,
daß Konsulate und Botschaften trotz ihres Sonderschutzes und der
Sonderstellung ihrer Angehörigen keine rechtsfreien Räume darstellen.
Zum anderen ist ein möglichst unabhängiger Untersuchungsausschuß
einzurichten, von bundesdeutscher Seite initiiert, der binnen eines halben
Jahres einen umfassenden Bericht vorzulegen hat. In diesem Bericht müssen
alle Quellen, alle Informationsverweigerungen, alle eindeutigen und alle
mehrdeutig bleibenden Ereignisverhalte u.ä.m. klar und deutlich publiziert
werden. Mitglieder des möglichst kleinen Ausschusses sollten aus
allen drei hauptsächlich beteiligten Gruppen gewählt werden.
Wenigstens vier weitere Mitglieder samt Vorsitzender/Vorsitzendem sollten
kompetente KriminologInnen, JuristInnen oder PolizeiforscherInnen sein.
Auch bei diesen ist darauf zu achten, daß sowohl Personen kurdischer,
israelischer und deutscher Provenienz beteiligt sind, ohne eine staatliche
Seite zu vertreten.
Ein Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses könnte
zu einer notwendigen Klärung nicht zureichend beitragen. Wenn dieser
Ausschuß - wie die Fraktionsspitze der Berliner Grünen fordert
- die Frage klären soll, ob die Berliner Polizei hauptstadtfähig
sei,[6] bewegt er sich bereits auf der falschen Untersuchungsfährte.
PS.:
Die vielfältigen demonstrativen Ereignisse in der Bundesrepublik
nach der Entführung Abdullah Öcalans demonstrieren ihrerseits
zwei Sachverhalte. Zum einen, daß die Art der Demonstrationen -
in diesem Fall kurdischer - und die Frage, ob sie zu gewalttätigen
Akten führen, in hohem Maße vom Verhalten der zuständigen
politischen und polizeilichen Vertreter abhängen. Jede Kurdendemonstration
ist anders, schreibt Martin Klingst zu Recht.[7]
Die oft befolgte Devise des Wiesbadener CDU-Abgeordneten A. Klein
- Wenn der Staat sich wie in Wiesbaden als starker Staat darstellt, ufert
das nicht so aus[8] - ist eindeutig empirisch
falsch, von der menschenrechtlich demokratischen Verfehlung ganz zu schweigen.
Zum anderen belegt der Umstand, daß politisch-polizeiliche RepräsentantInnen
in Frankfurt, Düsseldorf und anderwärts nicht nach Kleins Devise
verfuhren, daß die Kurdenfrage innerbundesrepublikanisch systematisch
falsch als Polizei- und Abschiebefrage behandelt und damit Gewalt in mehrfacherweise
staatlicherseits mitproduziert wird. Dadurch drücken sich die Regierungen
der Länder und des Bundes auch außerhalb der Bundesrepublik
um die Kurdenfrage herum. Sie schieben dieselbe als innertürkische
Frage ab. Sie sind sogar bereit, die Garantien der türkischen Regierung
zu akzeptieren, Gerichtsverfahren gegen Kurden einschließlich des
gegen Abdullah Öcalan würden fair verlaufen. Wie können
bundesdeutsche, verfassungsgebundene Regierungen nur sich und die eigene
Bevölkerung so täuschen (wollen).
Wolf-Dieter Narr ist Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP
und lehrt Politologie an der FU Berlin.
[1] Süddeutsche Zeitung v. 5.3.1999
[2] vgl. zu den zeitlichen Details:
Tagesspiegel v. 22.2.1999
[3] tageszeitung v. 27.2.1999
[4] Süddeutsche Zeitung v. 5.3.1999
[5] ebd.
[6] ebd.
[7] Die Zeit v. 25.2.1999
[8] Frankfurter Rundschau v. 19.2.1999
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