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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 63 (2/1999)

abstand

Meldungen aus Europa


Neue Organisation des Rats für Inneres und Justiz

Der Amsterdamer Vertrag ist am 1. Mai in Kraft getreten. Damit erfolgte auch eine Veränderung der bisherigen organisatorischen Strukturen der innen- und justizpolitischen Kooperation der EU. Fragen der Asyl- und Migrationspolitik, der Außen- und Binnengrenzen, der Visumspolitik sowie der Zusammenarbeit im Zivilrecht gehören nun zur Ersten Säule. Polizei-, Zoll- und strafrechtliche Kooperation verbleiben in der Dritten. Die Schengen-Kooperation wurde unter die gemeinschaftliche Erste und die intergouvernementale Dritte aufgeteilt, wobei das Schengener Informationssystem (SIS) als ganzes der letzteren zugeordnet wurde. Unter dem (Minister-) Rat wird es daher formell zwei Ausschüsse Ständiger Vertreter (COREPER) geben.

In der Dritten Säule ersetzt der „Artikel 36-Ausschuß“ den bisherigen K4-Ausschuß. Ihm sind diverse Arbeitsgruppen unterstellt: die AG Informationssysteme und Datenschutz, die SIS-Arbeitsgruppe, die AG Polizeikooperation (Untergruppen Telekommunikation und Polizeitechnologie), die Europol-Arbeitsgruppe, die AGs Drogenhandel, Terrorismus, Zollkooperation sowie Strafrechtliche Zusammenarbeit I (Führerscheine), II (Rechtshilfe) und III (Materielles Strafrecht).

In den neuen Bereichen der Ersten Säule hat die Kommission nun ein volles Initiativrecht. Die Spitze der neuen Verwaltungsstruktur bilden hier ein Ausschuß für Zivilrechtsfragen und ein Strategischer Ausschuß „Einwanderung, Grenzen und Asyl“. Unter letzterem finden sich folgende Arbeitsgruppen: Migration I (Aufnahme), II (Entfernung), Asyl (Untergruppen Eurodac und Dubliner Übereinkommen), Visa, Außengrenzen (Untergruppe: gefälschte Dokumente) sowie die „Frühwarnsysteme“ für Asyl (CIREA) und Einwanderung (CIREFI).

Zusätzlich wird es weiterhin „hochrangige“ und „horizontale“ Arbeitsgruppen geben: Multidisziplinäre Gruppe Organisierte Kriminalität, Kollektive Evaluation (für die Begutachtung der Beitrittsländer), Schengen-Ausschuß, Horizontale Drogen-Gruppe, Hochrangige Gruppe Einwanderung und Asyl, Gemischte Arbeitsgruppe (mit den zu Schengen assoziierten Nicht-EU-Staaten Norwegen und Island) sowie die Horizontalen Gruppen Datenverarbeitung, Information und Außenbeziehungen.


Eurodac: Verordnungsentwurf der Kommission

In einem wesentlichen Punkt hat die Kommission bereits ihr Initiativrecht wahrgenommen. Am 26. Mai legte sie einen Vorschlag für eine Eurodac-Verordnung vor.[1] Dieser reproduziert im wesentlichen die Inhalte der vom Rat noch unter dem Maastrichter Vertrag ausgehandelten Entwürfe eines Eurodac-Übereinkommens und eines zugehörigen Protokolls, die Anfang des Jahres in Erwartung der neuen Amsterdamer Möglichkeiten auf Eis gelegt worden waren. Danach sollen alle Asylsuchenden in der EU ab einem Alter von 14 Jahren daktyloskopiert und in dem Informationssystem erfaßt werden. Das gleiche gilt für Personen, die bei einem illegalen Grenzübertritt oder Aufenthalt angetroffen werden. Diese Regelung aus dem Protokoll war vom Europäischen Parlament (EP) abgelehnt worden.

Das neue Datensystem wird von der Kommission betrieben werden und unterliegt als Teil der Ersten Säule auch der Europäischen Datenschutzrichtlinie. Das EP wird nun Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Der Rat ist daran aber nicht gebunden.


Tampere-Gipfel

Das am 15. und 16. Oktober stattfindende Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs sowie Außenminister im finnischen Tampere wird auch für die Innen- und Justizpolitik zentrale Bedeutung haben. Wie einem Kurzbericht des Bundesinnenministeriums vom 31. Mai über die zwei Tage vorher stattgefundene Ratstagung zu entnehmen ist, beträfen die inhaltlichen Schwerpunkte des Tampere-Gipfels „die Bereiche Asyl/ Migration, Kriminalitätsbekämpfung und Angleichung von Rechtsvorschriften.“ Unter diesen Allgemeinplätzen verbirgt sich z.B. folgendes:

  • Der 1997 angenommene Aktionsplan zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität wird erweitert, das Mandat der Multidisziplinären Gruppe (MDG) OK erneuert.
  • Die im Amsterdamer Vertrag vorgesehene Ausweitung der Europol-Kompetenzen auf den operativen Bereich wird zumindest im Grundsatz diskutiert werden.
  • Der Bericht der Hochrangigen Gruppe Asyl und Migration soll angenommen werden. Aktionspläne über vier oder fünf Regionen (Marokko, Somalia, Sri Lanka, Afghanistan/ Pakistan, Irak/ Türkei) sollen beschlossen werden.
  • Damit im Zusammenhang steht die Strategie der Union in Sachen Asyl und Migration. Dazu hatte sich bereits die österreichische Präsidentschaft in einem Grundsatzpapier vom Juni 1998 geäußert, das seinerzeit wegen der geforderten Aufkündigung der Genfer Konvention viel Aufregung erzeugt hatte. Der Rat erklärte das Papier für erledigt, die deutsche Präsidentschaft wählte allerdings 48 der 116 Empfehlungen aus, die von den diversen Arbeitsgruppen (den AGs Asyl, Einwanderung, Visa sowie der MDG Organisierte Kriminalität) weiter aufbereitet werden sollten.

Die Vorbereitung des Gipfels wird wenig Zeit für eine Debatte des EP lassen. Die Arbeits- und Expertengruppen sollen ihre Berichte bis Anfang September präsentieren. In der zweiten Septemberwoche werden die neuen Spitzenausschüsse (Art. 36-Ausschuß und Strategischer Ausschuß Asyl/ Migration) sowie COREPER tagen. Für den 16./17. September ist ein informelles Ratstreffen in Turku und für den 4./5. Oktober ein formelles in Luxemburg angesetzt. Erst am 6. Oktober – neun Tage vor dem Gipfel – wird COREPER die letzten Differenzen ausräumen. Zum Vergleich: Der zuständige Innen- und Bürgerrechtsausschuß des neugewählten EP konstituiert sich erst Ende September.


Schweiz: Über den Seiteneingang nach Schengen

Ohne eine Verbindung zu Schengen und zu Europol werde die Schweiz zu einer „Insel der Unsicherheit“, so lautet seit Jahren das Credo des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, des schweizerischen Justizministeriums. Die Schweiz wird zwar auch mittelfristig nicht der EU beitreten. Dem polizeipolitischen Ziel ist man jedoch einiges näher gekommen. Polizeikooperations- und Rückübernahmeabkommen mit Frankreich und Italien wurden 1998 geschlossen und vom schweizerischen Parlament im Frühjahr ohne viel Federlesen ratifiziert. Die am 27. April 1999 unterzeichneten Polizei-Verträge mit Deutschland und Österreich schließen vorerst den Reigen der bilateralen Abkommen mit den EU-Nachbarstaaten.[2]

Anders als mit Frankreich und Italien einigte man sich mit Deutschland und Österreich auf Formen des automatisierten Datenaustauschs, die denen des Schengener Informationssystems (SIS) sehr nahe kommen. Das BKA sowie die zuständige Stelle im österreichischen Inneministerium einerseits sowie andererseits das schweizerische Bundesamt für Polizeiwesen liefern sich gegenseitig Daten, die sie über ihre nationalen Fahndungssysteme auch nachgeordneten Polizeibehörden zur Verfügung stellen können. Die Fahndungszwecke entsprechen denen des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ): Festnahme mit dem Ziel der Auslieferung, Ermittlung des Aufenthaltes von Vermißten, ZeugInnen und Personen, die wegen geringfügiger Straftaten von den Justizbehörden gesucht werden, polizeiliche Beobachtung und Sachfahndung. Daten von abzuschiebenden oder zurückzuweisenden DrittausländerInnen werden zwischen Österreich und der Schweiz nur konventionell ausgetauscht. Im Vertrag mit Deutschland ist eine einseitige automatisierte Lieferung von deutscher Seite vorgesehen. Die Schweiz erhält damit Zugang zu rund 50% der SIS-Daten.

Was die grenzüberschreitende Zusammenarbeit betrifft, gehen die Vereinbarungen mit Deutschland und Österreich selbst über das SDÜ hinaus. Weder die grenzüberschreitende Nacheile noch die Observation werden an zeitliche oder räumliche Begrenzungen gebunden. Die Observation soll – anders als im SDÜ – auch zu präventiven Zwecken erlaubt sein. Kontrollierte Lieferungen soll es nicht nur bei Drogen, sondern auch bei einer Reihe anderer Waren geben. Mit Deutschland wurde schließlich der Einsatz verdeckter Ermittler (VE) im Territorium des jeweils anderen Staates – auch bei Vorfeldermittlungen – vereinbart. Deutsche VE werden sich nicht nur in der Schweiz tummeln dürfen, wenn deutsche Ermittlungen in die Schweiz hineinreichen. Vielmehr kann die schweizerische Seite künftig auf deutsche VE für Verfahren zurückgreifen, die nicht den geringsten Bezug zum Nachbarland haben. Gleiches gilt umgekehrt. Eine derartige Regelung gibt es bisher in keinem anderen internationalen Vertrag.



[1] Kom (1999) 260
[2] vgl. detaillierter: Stiftung Archiv Schnüffelstaat Schweiz (ASS): Über die Hintertür ins Europäische Polizeihaus, Bern Juni 1999 (für 30 DM erhältlich bei ASS, Postfach 6948, CH-3001 Bern)

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© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 1999, 2000
HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 04.05.2000 – letzte Änderung am 07.06.2000