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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 63 (2/1999)

abstand

Kontrolle ist vorgesehen?

Erfahrungen mit der Geheimdienstkontrolle


von Manfred Such


Auf Bundesebene sind die Grünen lange mit der Begründung, potentielle Geheimnisverräter zu sein, aus der Geheimdienstkontrolle ferngehalten worden. Erst nach öffentlichen Bekundungen, sich an die Spielregeln halten zu wollen, konnte der Autor des folgenden Erfahrungsberichtes damit rechnen, von der Bundestagsmehrheit in die Parlamentarische Kontrollkommission für die Geheimdienste (PKK) gewählt zu werden. Gerade wegen dieser Spielregeln – insbesondere der strikten Geheimhaltung – ist die Bilanz seiner vierjährigen Kontrolltätigkeit eher mager.

Der BND ist seit langem nicht nur für die geringe Tauglichkeit seiner außenpolitischen Analysen, sondern auch für seine Skandale bekannt, ob es sich nun um veranlaßte oder geduldete Transfers von Waffen und Dual-use-Gütern (Erntemaschinen-Skandal), um fragwürdige Auslandskontakte und -operationen oder auch nur um interne Affären handelt. Im April 1995, nach nur zwei Sitzungen, setzte ein neuer BND-Skandal meiner Eingewöhnungsphase in der PKK ein Ende. Durch eine Veröffentlichung des „Spiegel“ wurde offenbar, daß der BND im August 1994 – mitten im Bundestagswahlkampf – die Lieferung von 560 Gramm schwerem Plutoniumgemischs aus Rußland nach München veranlaßt hatte.[1] Die Aktion fand ohne ausreichende Koordinierung mit den Polizeibehörden statt. Sie war nach Aussagen von BND-Zeugen ein „Pilotprojekt“ für die neuen Tätigkeitsfelder des Dienstes.

Im August 1994, nach der Festnahme der Täter und der Sicherstellung des heißen Materials, hatte die Bundesregierung die Operation in den Medien als gelungenen Schlag gegen das Organisierte Verbrechen feiern lassen. Dies dürfte auch die Version gewesen sein, die sie in den nachfolgenden PKK-Sitzungen verbreitet hatte.

Erst der „Spiegel“ machte öffentlich, wo die Hintergründe des Münchener Plutoniumdeals zu suchen waren, wer die Täter und die Anstifter waren und wo die Mitwisser saßen. Erste Vermutungen wurden laut, der Plutoniumschmuggel sei vom BND inszeniert worden. Wie auch bei anderen Geheimdienstskandalen konnte die PKK zunächst nur das hinnehmen, was ihr durch Bundesregierung und BND-Führung „vorgesetzt“ worden war. Erst Journalismus hatte es wieder mal erreicht, daß überhaupt ein Ansatzpunkt für die parlamentarische Kontrolle gefunden wurde.

Den Fall in der PKK aufklären?

In den ersten (Sonder-) Sitzungen der PKK zum Münchener Fall wurde sehr schnell klar, daß eine Aufklärung in diesem Gremium scheitern mußte. Die Ursachen für dieses programmierte Scheitern liegen in den Strukturen der Kommission. Die Zusammensetzung der Mitglieder führt zu den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie im übrigen parlamentarischen Raum. Das Parlament mit seinen Fraktionen versteht sich immer weniger als gemeinsames Kontrollorgan der Regierung. Die Regierungsfraktionen stehen an der Seite ihrer Regierung, und nur die Oppositionsminderheit nimmt in dieser schwächeren Position das Kontrollrecht wahr. Nicht anders sind die Verhältnisse in der PKK.

Hinzu kommt ein – gelinde gesagt – unausgewogenes Verhältnis zwischen Regierung und PKK-Mitgliedern: Die Bundesregierung nimmt in der PKK eine herausragende Stellung ein. Sie bestimmt die Tagesordnung dessen, was sie der Kommission zu berichten gedenkt. Im Falle des Plutonium-Deals hatte sie bereits im August 1994, also vor meinem Eintritt in die Kommission, vermutlich zu deren Zufriedenheit über ihren „Erfolg“ berichtet.

Die PKK-Mitglieder andererseits üben ihre Kontrollfunktion im „Nebenamt“ aus. Der Zeitaufwand für die Kontrolltätigkeit kommt zur allgemeinen Parlaments-, Wahlkreis- und Funktionsträgerarbeit hinzu, was die Effizienz der Kontrolle von vornherein beeinträchtigt. Intensive Vorbereitungen sind allerdings für eine PKK-Sitzung auch kaum möglich, da es außer Presseberichten keine schriftlichen Unterlagen über die Berichtspunkte der Bundesregierung gibt. Auch die 1992 beschlossene dürftige Erweiterung der Kontrollbefugnisse – um ein Akteneinsichts- und ein Recht zur Vernehmung von Bediensteten – kann keine Verbesserung der Kontrolle nach sich ziehen, da die Abgeordneten keine Kapazitäten haben, dies in erforderlichem Maße zu praktizieren. „Die Häuptlinge“ – so ein einsichtiges und erfahrenes Mitglied der Kommission – „haben zu wenig Indianer zum Spurensuchen.“

Zudem sind die PKK-Mitglieder an die Geheimhaltung gebunden. Daß auch der Versuch, den Plutoniumdeal in der PKK aufzuklären, im Dickicht des Geheimen zu versacken drohte, war bereits nach den ersten Sitzungen zu dieser Affäre klar. Diese verliefen so turbulent, wie ich sie anschließend nicht mehr erlebt habe. Der Höhepunkt der Turbulenzen war erreicht, als ich, während die PKK tagte, die Sitzung verließ und vor JournalistInnen forderte, zur Aufklärung des Falles einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Bereits dieser öffentliche Auftritt trug mir den Vorwurf des Geheimnisverrats ein. Man forderte meinen Rücktritt und drohte sogar, mich gegebenenfalls aus der PKK abzuwählen.

Mein Versuch, auch nur etwas mehr Öffentlichkeit in die Geheimdienstkontrolle zu bringen, wurde, auch nachdem der Bundestag den Untersuchungsausschuß eingerichtet hatte, mißtrauisch verfolgt. Daß ich sowohl in der PKK als auch im Untersuchungsausschuß saß, wurde in beiden Gremien kritisiert. Aus meiner Tätigkeit in der PKK, so hieß es, habe ich einen Wissensvorsprung gegenüber den „normalen“ Ausschußmitgliedern – eine Vorstellung, die auf Unkenntnis der Kontrolltätigkeit der PKK-Mitglieder beruht. Diesen wird – zu unrecht – schon wegen der vielen Geheimnisse, die sie tragen müssen, eine hohe Verantwortung und ein großes Wissen unterstellt.

Der Untersuchungsausschuß

Ein Verbleiben des Plutoniumfalls in der PKK hätte aufgrund der Geheimhaltungspflicht zu einer Situation geführt, die schon nach dem „Celler Loch“ zu beobachten war. Die Mitglieder der niedersächsischen PKK hatten von dem 1978 amtlich verübten Bombenanschlag auf die JVA Celle bereits Anfang der 80er Jahre erfahren. Sie hielten sich jedoch bis zu der entsprechenden Presseveröffentlichung 1986 an ihre Schweigepflicht. Erst danach konnte ein Untersuchungsausschuß weiteres Licht in die Affäre bringen.

Zwar leiden auch Untersuchungsausschüsse ähnlich wie die PKK an der Regierungsloyalität der Mehrheit und dem fehlenden Kontrollwillen des Parlaments als ganzem. Da hier jedoch im Unterschied zur PKK die Öffentlichkeit weitgehend zugelassen ist, bietet der Untersuchungsausschuß generell mehr Hoffnung auf ein besseres Ergebnis.

Der Plutoniumuntersuchungsausschuß hat hinsichtlich der Aufklärung zu den üblichen Voten geführt: einem Mehrheitsvotum der Regierungsparteien und einem Minderheitenvotum aus der Opposition.[2] Letztere stellte fest, daß der Münchener Plutonium-Deal von Mitarbeitern des BND und einem Beamten des Bayerischen Landeskriminalamtes provoziert wurde. Ohne deren tatkräftige und finanzielle Unterstützung wäre der Deal nie möglich gewesen, die Bedrohung ist also künstlich herbeigeführt worden.

Wer nichts weiß, kann auch keine Fragen stellen!

Viele Geheimdienstskandale haben sich in der PKK zunächst als ganz normale Vorgänge dargestellt. Hinterfragen war möglich, oft aber erst, nachdem die Presse berichtet hatte. Die Kontrolleure können oft nur das weiter erfragen, was sie ohnehin schon aus anderen Quellen erfahren haben. Ein kritisches Nachfragen kann jedoch auch ins Leere laufen. Wenn auf wiederholte Nachfragen wiederum allgemein und ausschweifend geantwortet wird, sinkt die Motivation zum Instistieren. Wenn es ganz kritisch kommt, besteht ferner die Möglichkeit, die Frage nicht zuzulassen; sei es, weil sie die Mehrheit (Regierungsfraktionen) angeblich nicht interessiert, oder weil sie in das „operative Vorgehen“ der Dienste eingreift. Darüber, so lautet hier die Antwort, dürfe gar nicht berichtet werden.

Über diese unzureichenden Erkenntnismöglichkeiten und regelmäßig zu spät erfolgende Informationen haben sich PKK-Mitglieder – von Friedrich Zimmermann (CSU) über Burkhard Hirsch (F.D.P.) bis Gerhard Jahn und Peter Struck (SPD) – immer wieder beklagt. Jahn und Struck haben deshalb sogar die PKK verlassen.

Dabei sind die Dienste nicht einmal das größte Hindernis in der Kontrollarbeit. Erst wenn die Regierung, vertreten durch den Geheimdienstkoordinator, in Gefahr gerät, Verantwortung übernehmen zu müssen, wird es kritisch. Jeder noch so offene und berichtsfreudige Präsident des BND wird zum Schweigen verurteilt werden, wenn ein politischer Skandal drohen könnte.

Auch Präsidenten sind nicht sicher!

Der Münchener Plutonium-Deal ist ein weiteres Beispiel dafür, wie mit sogenannten Bedrohungslagen Politik gemacht wird und wie Sicherheitsorgane, hier der BND, dazu ge- bzw. mißbraucht werden – zur Not, auch ohne deren Leitung ausreichend zu informieren.

Bereits Ende 1993 begann in den Medien eine große Diskussion über die Bedrohung durch „vagabundierendes Nuklearmaterial“ aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Das Organisierte Verbrechen, hier die „Nuklear-Mafia“, sei eine ernstzunehmende Bedrohung für Westeuropa. Dringendes gesetzgeberisches Handeln wurde eingefordert. Insbesondere sollte Akzeptanz für das Verbrechensbekämpfungsgesetz geschaffen werden, welches dem BND Kompetenzen in der Verbrechensbekämpfung zuweist. Der Geheimdienst, der nach dem Ende des Kalten Krieges seine alten Aufgaben der Aufklärung im Osten verloren hatte, sollte nicht abgeschafft, sondern neu orientiert werden.

Das den Wahlkampf beherrschende Paket „Kriminalität = Angst“ mußte mit „Fakten“ unterlegt, das Gesetz untermauert werden. Also ließ man die Lufthansamaschine am 10. August 1994 mit Plutonium an Bord in München landen. Der V-Mann des BND, ein Spanier, der weder mit der deutschen Sprache noch mit den politischen Verhältnissen vertraut war, sagte später vor dem Untersuchungsausschuß aus, der BND habe ihn bedrängt, der Deal sei zügig und unbedingt in München abzuwickeln, da eine Partei im Wahlkampf noch ein paar „Pünktchen“ machen müsse.

Das Handeln des BND dürfte weitgehend an seinem damaligen Präsidenten, Konrad Porzner, vorbeigegangen sein. Immer wieder wurde im Untersuchungsausschuß der Eindruck vorgetragen, der eigentliche (politische) Drahtzieher der Affäre könnte der Koordinator für die Geheimdienste, Kanzleramtsminister Bernd („008“) Schmidbauer gewesen sein. Er regiere in den Dienst hinein und am Präsidenten vorbei. Die Plutonium-Affäre war der Anfang von Porzners Rücktritt, der wenige Monate später erfolgte.

Neue Regierung, neues Gremium – aber ohne die PDS

Basierend auf Empfehlungen des Untersuchungsausschusses hat die PKK noch in der letzten Legislaturperiode ein Konzept erarbeitet, wie die Kontrolle der Geheimdienste zu verbessern und effizienter zu gestalten sei. Dieses Konzept wurde während der Beratungen immer weiter abgespeckt, hätte aber letztlich doch Verbesserungen enthalten: Das Konzept sah u.a. vor, alle Geheimdienstausschüsse des Bundestags (PKK, G 10-Gremium, G 10-Kommission, Vertrauensmänner-Gremium des Haushaltsauschusses) zusammenzulegen, den Datenschutzbeauftragten und die Öffentlichkeit stärker an der Kontrolle zu beteiligen und das Akteneinsichtsrecht zu verbessern. Das neue Gremium sollte nach den Vorstellungen der PKK über einen größeren MitarbeiterInnenstab verfügen und zusätzlich Sachverständige für Kontrollaufgaben benennen können. Die Personalräte der Geheimdienste wären gestärkt worden, und die Bediensteten hätten das Recht erhalten, sich an Abgeordnete und an das Kontrollgremium zu wenden. Diese Vorschläge gingen in der letzten Legislaturperiode unter. Im Innenausschuß sorgte die CDU/CSU-Mehrheit immer wieder dafür, daß das Thema von der Tagesordnung genommen wurde – und das, obwohl die CDU/CSU-Mitglieder der PKK das Konzept miterarbeitet und mitgetragen hatten. Geheimdienstkoordinator Schmidbauer, so wurde kolportiert, habe sich gesperrt. Selbst der Hinweis an „008“, seine Partei könne sich nach den Wahlen in der Opposition wiederfinden und würde dann von einer verbesserten Kontrolle profitieren, wurden mit einem müden Lächeln abgetan.

Das neue Gesetz zur Änderung von Vorschriften über parlamentarische Gremien wurde erst ein dreiviertel Jahr nach der Bundestagswahl verabschiedet.[3] Es wurde nicht nur verzögert, sondern auch verwässert. Was in der vergangenen Legislaturperiode gemeinsame Vorschläge der PKK-Mitglieder aller Parteien waren, wollten die neuen Regierungsfraktionen offensichtlich nicht mehr mittragen. Statt alle einschlägigen Gremien zusammenzulegen, übertrug man lediglich die Aufgaben des G-10-Gremiums auf das neue Parlamentarische Kontrollgremium (PKG statt PKK, um Verwechselungen mit der kurdischen Arbeiterpartei zu vermeiden). Beschlüsse über die Zulassung der Öffentlichkeit, die Hinzuziehung von Sachverständigen und das Akteneinsichtsrecht werden an eine Zwei-Drittel-Mehrheit gebunden. Die Bundesregierung kann sich weiterhin um eine Berichterstattung gegenüber dem PKG drücken. Sie muß ihre Ablehnung nur begründen. Fazit: In Geheimdienstfragen läßt sich die Regierung auch in Zukunft nicht in die Karten schauen. Die neue Opposition aus CDU/CSU und FDP dürfte sich heute die PKK-Vorschläge der letzten Legislaturperiode als Kontrollmodell wünschen. Herr Schmidbauer mag sein müdes Lächeln bedauern.

Die PDS, die nach den letzten Wahlen auf Fraktionsstärke gewachsen ist, wird auch in dem neuen PKG nicht vertreten sein. Die Partei sei „noch nicht in unserer Demokratie angekommen“, lautet die Begründung. Der Ausschluß der PDS von der Geheimdienstkontrolle ist insbesondere für jene Teile der Grünen-Fraktion beschämend, die sich dem Urteil der etablierten Parteien angeschlossen haben. Schließlich haben sie die Geschichte der Geheimdienstkontrolle wieder auf jenen Stand zurückgesetzt, der für die Grünen bis 1995 galt.

Der PDS sei im Vertrauen gesagt, daß sie nicht viel verpassen wird. Außerhalb dieses Gremiums, dessen Mitglieder zum Schweigen verpflichtet sind, kann die Kontrolle der Dienste viel effizienter sein. Diese Chance sollte die PDS ergreifen!

Manfred Such, Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen, war in der letzten Legislaturperiode für die Grünen im Bundestag.



[1] Der Spiegel, Nr. 15, 10.4.1995
[2] BT-Drs. 13/10800
[3] Bundesgesetzblatt I (21.6.1999), S. 1334

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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 04.05.2000 – letzte Änderung am 07.06.2000