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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 63 (2/1999)

abstand

Sozialarbeit und Polizei

Neue Aufgaben, Gemeinsamkeiten und notwendige Grenzen


von Titus Simon


Moderne Gesellschaften, die sich in einem fortwährenden Wandlungsprozeß befinden, weisen fast zwangsläufig Bruchstellen auf, an denen Konflikte entstehen, aus denen Gewalt, Gesetzesverstöße oder einfach nur „Ordnungsstörungen“ resultieren. Individualisierungsprozesse, der Rückgang von verbindlichen Beziehungsmustern, Migration, Armut, die Veränderungen der Arbeitsgesellschaft und nicht zuletzt die mediale Berichterstattung verstärken den Ruf nach Instanzen, die „regulierend“ eingreifen. Klassischerweise waren dies in den letzten Jahrzehnten Sozialarbeit und Polizei, die immer mehr Berührungspunkte entwickelt haben.

Diese „Berührungen“ stammen nicht so sehr aus reflektierten und abgestimmten Strategien zur Annäherung der beiden Berufsgruppen, sondern sind im wesentlichen das Produkt dreier Entwicklungslinien:

Erstens gibt es immer mehr Ziel- und Problemgruppen, denen sich Polizei und Sozialarbeit gleichermaßen zuwenden: Jugendliche im öffentlichen Raum, StraftäterInnen aller Altersgruppen, Wohnungslose, Stricher, Prostituierte, DrogengebraucherInnen, Fußballfans, politisch motivierte Jugendszenen aus dem linken und rechten Spektrum. Hinzu kommen sehr viele einzelfallbezogene Interventionen, die vom Umgang mit psychisch Kranken bis zum Krisenmanagement in familialen Kontexten reichen.

Zu „Berührungen“ führten zweitens veränderte methodische Herangehensweisen. Sozialarbeit und Polizei unterscheiden sich zwar weiterhin in ihren Arbeitsaufträgen und ihrer Rechtsposition. Das Kriterium, das polizeiliche Arbeit bestimmt, ist nach wie vor der Strafverfolgungsauftrag. Vor allem im Umgang mit Jugendlichen hat Polizei aber stärker auf prophylaktische Ansätze gesetzt. In einigen Orten entstanden Projekte, die entweder als Ausgründung oder sogar unter polizeilicher Regie sozialpädagogische Konturen aufweisen. Auf der anderen Seite hat soziale Arbeit durch unterschiedliche Formen aufsuchender und mobiler Arbeit neue Zielgruppen erreicht, mit denen sie früher nur vereinzelt zu tun hatte.

Noch entscheidender sind drittens die zunehmenden Kontrollinteressen, welche aus den gewachsenen Sicherheitsbedürfnissen vieler BürgerInnen resultieren. Hier agieren Sozialarbeit und Polizei als die „rechte und die linke Hand des Staates“[1], als die „harten und die weichen Kontrolleure“. Steigende Krimininalitätsfurcht, ständige Horrorszenarien über „Ausländerkriminaliät“, „steigende Kinder- und Jugendkriminalität“ und „steigende Gewaltdelikte“ führen dazu, daß unter dem Stichwort „community policing“ über neue Strategien kommunaler Regulation nachgedacht wird. Polizei und Sozialarbeit finden sich immer öfter an „runden Tischen“ oder in „kriminalpräventiven“ (Bei-)Räten, deren Sprachregelungen allerdings vorwiegend ordnungspolitisch gefärbt sind. Der Präventionsbedarf verlagert sich in der öffentlichen Debatte zunehmend von der Kriminalität zur Ordnung. Polizei und Sozialarbeit werden zunehmend dafür instrumentalisiert, „unangenehmen Belästigungen des öffentlichen Raumes“ zu begegnen. Die mangelnde Bereitschaft, ja Feigheit, vieler BürgerInnen, sich selbt mit den „Störern“ auseinanderzusetzen, schiebt den Regulierungsinstanzen neue Aufgaben zu. Das Gewaltmonopol der Polizei wird um ein „Sicherheitsmonopol“ erweitert.[2] Soziale Arbeit, die sich insbesondere in ihren jugend- und szeneorientierten Ansätzen traditionell einem „parteilichen Ansatz“ verpflichtet sah, läuft Gefahr, dem öffentlichen Druck „runder Tische“ nachgeben und die Rolle des „kreativen Ordnungskaspers“ annehmen zu müssen. Dieser Vorgang ist gerade in den neuen Ländern vielerorts zu erleben, wobei der Umstand, daß hier immer noch sehr viele KollegInnen ohne entsprechende berufliche Ausbildung tätig sind, sicherlich eine verstärkende Rolle spielt.

Mittlerweile hat die Polizei in der durchaus richtigen Einschätzung, daß bloße Abschreckung und Verfolgung speziell mit dem Blick auf Jugendliche zu wenig sei, Grenzüberschreitungen in Richtung Sozialarbeit vorgenommen. Gelobt und angefeuert von Kommunalpolitikern bietet in Wiesbaden die „AG Jaguar“ „Hilfe statt Handschellen“ durch Besuche in Schulen und Elterhäusern, durch Gemeinwesen- und Bildungsarbeit.

Magdeburg, eine Stadt, die immer wieder mit „rechter Gewalt“ in die Schlagzeilen kommt, verzeichnet ein ganzes Bündel an sozialpädagogischen Ausgründungen der örtlichen Polizeidienststellen: In einem Projekt „Gegen Angst in belastenden Lebenslagen“ (GAIL) wird mit mehr als einem Dutzend vorwiegend zeitlich befristet angestellten MitarbeiterInnen Krisenintervention, Weitervermittlung und Telefonberatung geleistet. „Graffitikunst gegen Farbschmierereien“ (GRAFFA) soll prophylaktische Arbeit mit SprayerInnen leisten. Rund 30, ebenfalls mehrheitlich zeitlich befristet angestellte Kräfte – meist ohne sozialpädagogische Ausbildung – arbeiten in einem „Alternativen freizeitpädagogischen Sofortprogramm“ (ALSO) und sollen durch Sportveranstaltungen, Mitternachtsturniere und andere pädagogische Maßnahmen vorrangig auf Jugendgewalt reagieren.

Als „Relaisstation“ fungiert JUMP, die „Jugendberatungsstelle bei der Polizei“. Diese kooperiert mit den stadtteilbezogenen Ermittlungsgruppen der Polizei. Mit Einwilligung der jugendlichen Verdächtigen „übernehmen“ sie diese nach dem polizeilichen Handlungsvollzug.[3] Zudem hat JUMP auch eine Vernetzungsfunktion für die anderen genannten Projekte. Nicht realisiert werden konnte bislang ein Projekt „ANPFIFF“, das dem bestehenden Magdeburger Fanprojekt unmittelbare Konkurrenz gemacht hätte. Die genannten Maßnahmen sind dem „Programm zur Erhöhung der inneren Sicherheit in Magdeburg“ (PRISMA) subsummiert, das noch weitere, meist konventionelle polizeiliche Maßnahmen umfaßt.

Vier zentrale Probleme sind insbesondere bei den Magdeburger Maßnahmen offensichtlich: 1. Die Grenzen zwischen polizeilicher und sozialarbeiterischer Tätigkeit werden verwischt. 2. Die Mehrzahl der FachkollegInnen aus anderen Arbeitszusammenhängen steht den Projekten kritisch bis ablehnend gegenüber, was – insbesondere aufgrund der Vorgaben aus Verwaltungspitze und Politik – zu wenig in offenen Diskursen problematisiert wird. 3. Kontraproduktiv für eine erfolgsorientierte Arbeit ist der hohe Anteil an zeitlich befristeten Stellen, die zudem überwiegend von fachlich nicht qualifizierten Personen besetzt sind. 4. Einige der übernommenen Aufgaben könnten mit Sicherheit besser von anderen Akteuren der Sozial- und Jugendarbeit erledigt werden.

Polizei gegen „auffällige“ Jugendkulturen

Eine gemeinsame Eigenschaft sozialarbeiterischer und polizeilicher Intervention ist, daß beide Berufsgruppen in ihrem Alltagshandeln gegenüber „jugendlichen Störern“ nicht nur durch reflektierte eigene Handlungsstragien bestimmt sind, sondern in vielen Fällen auch auf die Aufforderungen zu reagieren haben, die in der öffentlichen Debatte formuliert werden. Hierbei hat die Medienberichterstattung einen zunehmenden Einfluß. Am Beispiel der „historischen Jugendkultur“ der Rockergruppen konnte die interaktive Beziehung zwischen polizeilicher und sozialarbeiterischer Strategieentwicklung und Medienberichterstattung exemplarisch rekonstruiert werden.

Polizeistrategische Maßnahmen, die gezielt im Kontext realer oder vermeintlicher Jugendgewalt entstanden, sind seit den 50er Jahren überliefert. Sie waren eine der Konsequenzen des Umstandes, daß die Polizei im Zusammenhang der Halbstarkenkrawalle vorwiegend als „hilflos“ bezeichnet wurde. Die westdeutsche Schutzpolizei wurde von den Entwicklungen überrascht, reagierte entweder gar nicht oder im Übermaß.

Die Entwicklung von auf Jugend gerichteten Konzepten vollzog sich flächendeckend mit den Jugend- und Studentenunruhen der 60er Jahre. Vorwiegend auf den großstädtischen Raum bezogen waren Maßnahmen gegen „Rockergruppenkriminalität“.[4] Betrachtet man die öffentlichen Reaktionen auf das Rockertum, so sind – vergröbert – drei Epochen auszumachen:

  • Während der „Rockerwelle“ zwischen 1967 und 1973 dominierten Sensationsberichterstattung und vermittelte Bedrohungsängste.
  • In den restlichen 70er Jahren wurden Rocker kaum noch öffentlich wahrgenommen.
  • Seit Beginn der 80er entwickelte sich eine differenzierte Darstellung, in der Rocker sowohl als harmlose Freizeit-Biker als auch als Angehörige krimineller Vereinigungen erschienen.

Die Reaktionen der Strafverfolgungsbehörden korrespondieren in auffälliger Weise mit der in der jeweiligen Phase vorherrschenden Grundstimmung. Das in der öffentlichen Auseinandersetzung vorherrschende Bild schafft Legitimationsdruck und Sachzwänge oder – in den Phasen der „Entwarnung“ – die Möglichkeit, alternative Strategien einzuüben. So können die Maßnahmen in enger Beziehung zur zeitlichen Abfolge der jeweils unterschiedlichen Beurteilung durch Öffentlichkeit und Medien unterschieden werden in:

  • Strategien zur Eindämmung und Zerschlagung des Rockerwesens, die während der „Rockerwelle“ dominierten.
  • Die seit Mitte der 70er Jahre zu beobachtende Strategie der „flexible response“, die durch den Einsatz staatsanwaltschaftlicher Sonderdezernate und spezialisierter Polizeieinheiten sowohl eine effektivere Strafverfolgung als auch eine prophylaktische Vorfeldarbeit ermöglichte. Teilweise überwog der Gedanke der Prävention das Aufklärungsinteresse.
  • Eine deutlich erkennbare „Doppelstrategie“ seit Anfang der 80er Jahre: zum einen wurden die auf Prävention und Kontaktpflege ausgerichteten Maßnahmen weitergeführt, zum anderen zog die Definition bestimmter Gruppen als „kriminelle Vereinigungen“ neben der Intensivierung kriminalistischer Verfolgungsmaßnahmen auch Aktivitäten von Staatsschutzabteilungen nach sich.

In den 80er Jahren wurde eine Reihe von Sonderdezernaten, die sich in den ersten Jahren nach ihrer Einrichtung ausschließlich mit Rockerangelegenheiten zu befassen hatten, in „Dezernate für jugendliche Gewalttäter“ umgewidmet, bzw. es wurden reine Jugenddezernate gebildet, deren Aufgabe neben der repressiven Polizeiarbeit auch in der Durchführung präventiver Maßnahmen bestand. Der Einrichtung der Jugenddezernate kam in erster Linie die Funktion zu, den traditionellen Aufgabenbereich der Strafverfolgung um präventive Maßnahmen zu erweitern.[5] Dem sollten auch „täterorientierte Zuständigkeitsregelungen“ dienen, im Rahmen derer präventive Hilfe dadurch vermittelt wurde, daß ein der Delinquenz Verdächtigter immer auf gleiche Jugendsachbearbeiter traf.

Polizeiarbeit hat außer in der Rockerszene auch im Fußballumfeld bereits eine lange Tradition. Bereits zu Beginn der 80er Jahre wurden – so etwa in Frankfurt – Sonderkommissionen gegründet, die neben der zunehmenden Überwachung der Fans inner- und außerhalb der Stadien auch einzelne der „Härtegruppen“ zerschlugen. Traditionelle Kutten-Fans wurden in das Konzept polizeilicher Ermittlung eingebunden, um die berüchtigte Frankfurter „Adlerfront“ systematisch aus dem Stadionbereich zu verdrängen bzw. zu zerschlagen.[6]

Polizeiliche Strategien im Umgang mit auffälligen Gruppen von Jugendlichen stellen sich zunehmend uneinheitlicher dar. Dies zeigt sich in jüngster Zeit besonders deutlich an der Auseinandersetzung um den Umgang mit Drogen- und RauschmittelbenutzerInnen. Auch gegenüber „gewaltbereiten und aggressiven Szenen“ gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Strategien und Konzepte. Jugendbeamte, „kriminal, drogen- oder gewaltpräventive runde Tische“ sind hier ebenso zu nennen wie Sondereinheiten, Sonderkommissionen, der Einsatz verdeckter Ermittler und die verstärkte Durchführung von Razzien und Kontrollen an sogenannten „Szene-Treffpunkten“. Wo Sozialarbeit und Sozialpädagogik methodische Probleme haben, in der Gesellschaft auftretende Effekte monokausal auf Handeln oder Unterlassen von Angehörigen der sozialen Berufe zurückzuführen, gibt sich die Polizeiführung betont selbstbewußt. So zitiert die Berliner Morgenpost an 27.10.1994 das Eigenlob der brandenburgischen Polizei: „Die Sondermaßnahmen der brandenburgischen Polizei gegen rechte Gewalt zeigen offenbar Wirkung. (...) Während die allgemeine Bereitschaft unter Jugendlichen zugenommen habe, seien die schweren Gewaltdelikte inzwischen stark zurückgegangen.“

„Linke“ Kritik an der vor allem gegen Jugendliche und junge Erwachsene gerichteten Aufrüstung von Staatsschutz und Polizei blieb weitgehend aus. Observation von (Jugend-)Szenen, verdeckte Fahndung und andere auf Intervention gerichtete Polizeimaßnahmen werden unter den Schockwirkungen „rechter Gewalt“ geradezu duldsam in Kauf genommen.

Daß die neu gebildeten oder aus Umstrukturierungen hervorgehenden Sonderdezernate neben ihrem ausgeprägten Repressionsansatz auch präventive Arbeitsschwerpunkte umfassen, zeigt das Beispiel Rheinland-Pfalz. Das Konzept der 1996 eingerichteten „Arbeitsgruppen fremdenfeinliche Straftaten“ (AG FFS) beim Landeskriminalamt und allen fünf Polizeipräsidien beinhaltet deutliche „präventivpolitische“ Eckpfeiler in Form von Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, Mitwirkung an „runden Tischen“ und verstärkter opferbezogener Tätigkeit. Die BeamtInnen der AGs und eine Pädagogin führten dabei zahlreiche Veranstaltungen auf der Basis eines „informatorisch-präventiven“ Ansatzes durch. Man rückt dabei zunehmend von starrer Vortragstätigkeit ab, setzt – wie Jugendarbeit auch – auf die Förderung von Prozessen des sozialen Lernens, Stärkung der Empathiefähigkeit, die Entwicklung von Konfliktlösungstrategien sowie von Rollen- und Normbewußtsein.[7] Diese „Dualität“ polizeilicher Reaktionen hat – wie dargestellt – Geschichte und weist zugleich unübersehbare Parallelen zur pädagogischen Praxis des Umgangs mit „gewaltverstrickten“ Jugendlichen auf.

Was Sozialarbeiter und Polizisten eint

Der beschleunigte Wandel gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und daraus resultierender sozialer Probleme mit ihren unerwünschten „Störungen“ schaffen den Bedarf, sowohl innerhalb polizeilicher und strafverfolgender Tätigkeit als auch innerhalb sozialer Arbeit neue Wege zu suchen, offen zu sein für neue Überlegungen und kreative Fallarbeit. Doch gerade vor dem Hintergrund neuer Unübersichtlichkeiten sollte darauf geachtet werden, daß unverantwortbare Vermengungen in den Aufgaben und Handlungsstrategien vermieden werden.

Sieht man einmal von althergebrachten Vorurteilsbildungen und notwendigen Abgrenzungen ab – etwa daß Polizei primär fallorientiert arbeitet, Sozialarbeit eher darauf ausgerichtet ist, Jugendliche in ihren Erfahrungsräumen und Entwicklungen längerfristig zu unterstützen – so gibt es in den Handlungsbezügen von Sozialarbeit und Polizei auch Berührungspunkte: Beide Professionen haben es nicht selten mit identischen Zielgruppen zu tun, Grundlagen des beruflichen Handelns sind gesellschaftliche Defizite, die von den Akteuren nicht verursacht wurden. In beiden Zugängen wird vielfach nur an den Symptomen gearbeitet. Beide Berufsgruppen sind einem öffentlich produzierten Erfolgs- und Erwartungsdruck ausgesetzt. Sie arbeiten vielfach unter streßbelasteten Arbeitsbedingungen und sind last but not least beide eher schlecht bezahlt.

Beiden Berufsgruppen ist ferner gemein, daß sie eine Vielzahl von Einstellungen und Vorurteilen über die jeweils „andere Seite“ gebildet haben. Polizei sieht Jugendarbeit zu stark täterorientiert. Institutionen der Jugendarbeit werden als nur begrenzt geeignet für die Prophylaxe angesehen. Ferner kursiert in Polizeikreisen ein Bild von Jugendarbeit, die keine, auf jeden Fall aber zu wenig Grenzen setze.

Umgekehrt sieht Sozialarbeit in zahlreichen Formen polizeilicher (Ermittlungs-)Tätigkeit eskalierende Momente. Sie setzt sich kritisch mit den stigmatisierenden Potentialen auseinander und sieht nicht selten negative Entwicklungsfolgen im Falle polizeilichen Handelns.

Thesen zum Begriff „Sicherheitspartnerschaft“

Vor dem Hintergrund verstärkter Bedrohungsängste verschiedener Bevölkerungsgruppen kam es in der jüngeren Vergangenheit zu unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit von Polizei mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, die zum Teil auch unter dem Begriff „Sicherheitspartnerschaft“ firmieren. Beispielhaft seien genannt: die Aktion „wachsamer Nachbar“ in Baden-Württemberg, das Berliner Projekt „Nachbarn schützen Nachbarn“, die Aktion „Sicherheitsberatung für Senioren“ im Einzugsbereich von Friedberg/Hessen, die auf die Zielgruppe älterer Menschen ausgerichtete Maßnahme „Thüringer Landespräventionspreis“. Dabei ist zu beachten, daß einmalige Aktionen eher verunsichern und in der Regel keine nachhaltige Wirkung haben. Sinnvolle Formen führen zur Aktivierung von BürgerInnen, die guten Willens sind, die nicht nur den „zuständigen“ Berufsgruppen der PfarrerInnen, PolitikerInnen, SozialarbeiterInnen und PolizistInnen angehören. Wesentliches Ziel ist die Schaffung von Nachbarschaft und wachem Entwicklungsinteresse am Leben und Geschehen eines Stadtteils. Gesucht werden also länger anhaltende Formen bürgerlichen Engagements, das unter Umständen professionell – durch Polizei und/oder Sozialarbeit – unterstützt und begleitet wird.

Wesentlich ist Vernetzung, wobei darauf zu achten ist, daß dieser häufig genannte Begriff keine inflationäre Verwendung findet. Nicht jedes massenhafte Zusammentreffen handelnder AkteurInnen und InstitutionenverteterInnen ist Vernetzung! Vernetzung bedeutet konkret: bessere Erschließung der vorhandenen Ressourcen im Stadtteil, stadtteilbezogene Problemanalyse, die bewußte, nicht in erster Linie aus Kostengründen vorgenommene Einbeziehung von LaienhelferInnen, die Mitwirkung an kommunaler Sozial- und Jugendhilfeplanung, die Überwindung von Hierarchie- und Arbeitsfeldgrenzen, die bewußte Einbindung von Gruppen und Initiativen, die nicht in jeder Frage mit der Kommunalpolitik, der Ordnungspolitik oder der offiziellen Jugendpolitik konform gehen.

Im hier angesprochenen Diskussionszusammenhang bedeutet Vernetzung schließlich: das schrittweise Herauslösen der unterschiedlichen Jugendszenen aus ihren Ghettos. Nur so kann sukzessive Verhaltensvariabilität entstehen, was bedeutet, daß die einzelnen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen Stück um Stück in einem oftmals mühevollen Prozeß für sich erkennen, daß sie nicht immer wieder in die gleichen Fallen vermeintlich unausweichlicher Handlungszwänge geraten müssen, etwa dergestalt, daß eine „Glatze“ dem ihm begegnenden „Iro“ „eines auf 'n Kopp“ geben muß!

Wichtig ist ferner, daß in einem Gemeinwesen, in welchem Gewalt ausgeprägt ist, auch möglichst viele NichtpädagogInnen und NichtpolizistInnen in Methoden und Techniken des Konfliktmanagements, der Mediation und der gezielten Intervention geschult werden. Auf dieser präzise bestimmbaren Ebene können Sozialarbeit und Polizei sinnvoll zusammenarbeiten.

Voraussetzungen für eine begrenzte Zusammenarbeit

Sozialarbeit und Polizei sind beides gesellschaftlich legitimierte Interventionsformen, die ausgeprägte Unterschiede im Auftrag und in den Handlungsformen aufweisen. Eine weitergehende Versachlichung der Beziehung scheint insbesondere vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Gewalt in dieser Gesellschaft geboten.

Damit dies gelingt, müssen Sozialarbeit und Polizei ihre jeweils unterschiedlichen Aufträge und Rechtspositionen gegenseitig akzeptieren. Personen- und gruppenbezogener Informationsaustausch muß vermieden werden. Die Polizei hat zu beachten, daß das Vertrauensverhältnis zwischen JugendarbeiterIn und Jugendlichen rechtlich nach wie vor unzureichend geschützt ist, und darf diese Schwächerstellung sozialer Arbeit nicht ausnutzen. Von seiten der Polizei wird ein fairer Umgang mit dem Risiko verlangt, das aus dem strukturellen Ungleichgewicht zwischen dem für die Polizei gültigen Legalitätsprinzip und dem nicht vorhandenen strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrecht von SozialarbeiterInnen resultiert. Begrenzte Kooperation bedeutet auch, klare und eindeutige Zuständigkeiten nicht zu verwischen.

Für beide Seiten sollte gelten: „pädagogische Prävention vor polizeilicher Prävention“. Mücke[8] hat hierfür sinnvolle Abgrenzungen formuliert:

  • Während Sozialarbeit sich personenbezogen an den komplexen Lebenszusammenhängen ihrer Klientel zu orientieren hat, agiert die Polizei vorrangig fallorientiert. Diese Fallorientierung macht polizeiliche Arbeit in der Regel zu einer kurzfristig wirksam werdenden Intervention, während Sozialarbeit sich am Leitbild vom Aufbau langfristig wirksamer Settings zu orientieren hat.
  • Auch wenn Teile sozialer Arbeit unverändert eingriffsorientiert sind, basieren insbesondere offene und aufsuchende Formen auf der Basis von Vertrauensbildung und Freiwilligkeit. Der aus dem Legalitätsprinzip resultierende Strafverfolgungsauftrag der Polizei steht einer Freiwilligkeit entgegen.
  • Wenn man die jeweils situativ formulierten Handlungsaufforderungen aus dem Raum öffentlicher Empörung einmal beiseite läßt, haben Polizei und Sozialarbeit ganz unterschiedliche Erfolgskriterien. Während erstere Ermittlungserfolg und Verhinderung konkreter Straftaten als Ziele formuliert, kann es innerhalb sozialer Arbeit um die Schaffung von Entwicklungschancen, Identitätsbildung, die Entwicklung von Konflikt- und Handlungsfähigkeit oder auch um die Stabilisierung von Gruppen gehen, welche die Polizei aufgrund ihrer möglichen „kriminogenen Wirkungen“ gerne zerschlagen hätte.

Titus Simon ist seit Ende 1996 Professor an der FH Magdeburg mit dem Lehrgebiet Jugendarbeit und Jugendhilfeplanung. Er war zuvor Professor an der FH Wiesbaden. Seine jüngste Buchveröffentlichung ist ein Krimi („Mord im Abseits“, Elefanten Press Berlin 1998).



[1] Rothschuh, M.; Schön, B.: Die rechte und die linke Hand des Staates. Über die Verwandtschaft von Sozialarbeit und Polizei, in: extra Sozialarbeit 1982, H. 12, S. 14-23
[2] Frehsee, D.: Kriminalität als Metasymbol für eine neue Ordnung der Stadt, in: Breyvogel, W. (Hg.): Stadt, Jugendkulturen und Kriminalität, Bonn 1998, S. 130-152 (142)
[3] Bode, R.: Konzept zur sozialarbeiterischen/sozialpädagogischen Beratung und Betreuung von jungen Menschen. JUMP, Magdeburg 1998 (unveröffentlicht)
[4] Simon, T.: Raufhändel und Randale. Sozialgeschichte aggressiver Jugendkulturen und pädagogischer Bemühungen vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Weinheim und Stuttgart 1996, S. 315
[5] Vermander, E.: Die Bekämpfung jugendspezifischer Kriminalität. Dargestellt an Beispielen der Landeshauptstadt Stuttgart, in: Kriminologisches Bulletin 1985, H. 1, S. 27-47
[6] Matthesius, B.: Anti-Sozial-Front. Vom Fußball-Fan zum Hooligan, Opladen 1992
[7] Schreiben des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz vom 8.2.1996
[8] Mücke, T.: Verschiedene Wege – gemeinsames Ziel?! Die Polizei, die Jugendarbeit und ihre gemeinsame Klientel, in: Sozialmagazin 1996, H. 5, S. 15-19

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© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 1999, 2000
HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 04.05.2000 – letzte Änderung am 07.06.2000