Bürgerrechte & Polizei/CILIP 64 (3/1999) |
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Kommunale Kriminalpolitik in DeutschlandAkteure, Themen und Projekte kriminalpräventiver Gremien |
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von Christine Hohmeyer[1] |
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Kommunale Kriminalprävention ist in Deutschland durch einen großen rhetorischen "Überbau" gekennzeichnet, der mit beachtlichen Versprechen lockt. Gesellschaftliche Gruppen, ja die BürgerInnen selbst sollen sich an der Sicherheitspolitik ihres Wohnortes beteiligen können. Diese Sicherheitspolitik beruhe auf mehr Prävention, mehr Kooperation, mehr Gemeinsinn. Zudem sei es im lokalen Kontext möglich, schnell und effektiv auf jeweils entstehende Probleme zu reagieren. Angesichts dieses beglückenden Szenarios stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise die neue Kriminalpolitik in den verschiedenen Gemeinden tatsächlich umgesetzt wird. Um sich der Wirklichkeit kriminalpräventiver Aktivitäten anzunähern, gibt die Datensammlung des BKA zur Zeit die umfangreichste Übersicht.[2] Dort sind im "Infopool Prävention" 1.380 kriminalpräventive Gremien, Präventionsräte, Sicherheitspartnerschaften und ähnliche Initiativen aufgeführt. Für diese Liste, die u.a. Teilnehmende, Themen und Projekte dokumentiert, griff das BKA auf Angaben der Landeskriminalämter oder der Landespräventionsräte zurück. Durch die unterschiedlichen Erhebungsmodi in den Ländern ist die Datenquelle mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten: In manchen Fällen wurde übertrieben weitreichend erfaßt, manchmal blieben die Angaben sporadisch und lückenhaft.[3] Doch obwohl die Auswertung des Infopools nur ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit wiederzugeben vermag, werden selbst bei vorsichtiger Interpretation einzelne Tendenzen der "Präventionsbewegung" sichtbar. Zum einen scheint die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger in der Praxis nicht annähernd so ausgeprägt, wie es die Theorie verheißt. Zum anderen scheint das Repertoire der Aktivitäten darauf hinzuweisen, daß die Möglichkeiten lokalen Handelns beschränkt sind - vor allem dann, wenn es sich um präventive Maßnahmen handeln soll. BürgerInnen und Polizei: Beteiligung vor OrtWer sich in kriminalpräventiven Gremien beteiligt, wird im "Infopool" durch die Kategorien "Federführung/Vorsitz" sowie "vertretene Institutionen" dokumentiert. Hier sind die Angaben nicht standardisiert, meist weder vollständig noch eindeutig. Vor allem drei Faktoren verzerren das Bild:
Hinzu kommt, daß nur von neun Bundesländern[4] Angaben gemacht wurden. Insgesamt sind in der Datensammlung 1.105 Gremien mit Teilnehmenden genannt. Die Fülle unterschiedlichster Akteure, die im Infopool aufgelistet werden, scheint zunächst auf eine breite gesellschaftliche Beteiligung hinzuweisen: Vom Tiefbauamt bis zum Rotary Club, vom Technischen Hilfswerk bis zur lokalen Presse, von Fahrradhändlern bis zum Bundesverwaltungsamt, von der Volkshochschule bis zum Werkschutz sind zahlreiche gesellschaftliche und staatliche Gruppen vertreten. Betrachtet man aber, in wie vielen lokalen Präventionsgremien einzelne Institutionen, Gruppen oder "Bereiche" vertreten sind, ergibt sich schon eine anderes Bild:
Auch wenn hier noch einmal betont werden muß, daß die analysierten Zahlen nur scheinbar konkret sind und einer genaueren Überprüfung bedürfen, so ergibt sich doch ein Bild, welches das zentrale Versprechen der Partizipation relativiert. Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht die hauptsächlichen Akteure, vielmehr treten unterschiedliche Behörden miteinander in Kontakt. Auch die Betroffenen, die oben genannten Zielgruppen kriminalpräventiven Engagements, sind kaum vertreten. Dagegen ist die Bedeutung der Polizei rein quantitativ so groß, daß gefragt werden muß, welche Politik in den Präventionsgremien durchgesetzt wird. Anders gefragt: was wird in diesen Gremien konkret getan? AktivitätenÜber das lokale Engagement geben im Infopool die Kategorien "Themen" und "Projekte" Auskunft. Von den 1.380 Gremien, die dokumentiert sind, haben nur 1.349 überhaupt Themen genannt.[5] Manche nennen ausgefallenere Themen, etwa Schwarzarbeit, Ruhestörung, Schuleschwänzen oder sogar Suizide. Es lassen sich aber Schwerpunkte erkennen:
ProjekteIm Infopool Prävention sind 1.380 Gremien, aber nur 1.000 Projekte dokumentiert. Das ist vergleichsweise wenig, da Gremien eine Vielzahl von Projekten realisieren können (und dies häufig auch tun). Die niedrige Zahl mag als Indiz auf eine Bewegung hinweisen, die eher rhetorisch denn handelnd in Erscheinung tritt. Sehr aussagekräftig ist dieses Indiz allerdings nicht, da die Datenquelle wiederum sehr lückenhaft ist.[6] Zudem wurden bei unserer Analyse bestimmte Angaben nicht als "Projekte" gewertet, die einzig die Organisation eines neuen Gremiums als Ziel benannten. Stichworte wie: "Gründung einer AG", "Netzwerk herstellen" oder "Kontakte zu Jugendämtern" verraten über das Gremium allenfalls, daß es sich im Anfangsstadium befindet, nicht aber, welche Ziele es mit welchen Strategien verfolgt. Noch stärker als bei den Themen läßt sich bei den Projekten, Strategien und Maßnahmen der Gremien ein sehr großes Spektrum erkennen. Auch hier finden sich örtliche Spezialitäten - z.B. ein Projekt "Schulbusbegleitung", eine Studie über den Ecstasy-Konsum bei Jugendlichen, Schuldnerberatung oder Wohncontainer für Obdachlose. Auch thematisch eher abseitige Projekte, wie etwa Gesundheitsaufklärung über Milchtrinken oder Osteoporose sind im Infopool erwähnt. Das Gros dagegen bilden Projekte wie z.B. Öffentlichkeitsarbeit, Sport für Jugendliche, die Einrichtung eines Jugendhauses bzw. Cafés. Auffällig ist, daß entgegen der häufigen Nennung des Themas Fremdenfeindlichkeit bundesweit kein einziges Projekt zu dieser Problematik angegeben wurde. Betrachtet man diese Aktivitäten der kommunalen Gremien vor dem Hintergrund ihres eigenen Anspruchs, nämlich präventiv zu wirken gegenüber Kriminalität und Unsicherheit, so fällt zunächst auf, daß es eine große Anzahl von Projekten gibt, die sich als unspezifisch bezeichnen lassen. Diese Projekte weisen keinen unmittelbaren Zusammenhang mit Kriminalität auf, wie etwa Sport oder Disco-Veranstaltungen, Theateraufführungen, Bildungsangebote. Sie erfüllen auch dann noch einen Zweck, wenn sie nicht im Rahmen der Kriminalitätsprävention betrachtet werden, d.h. sie sind ursprünglich eigenständig, vom Politikfeld "Innere Sicherheit" unabhängig. Knapp ein Drittel (ca. 32%) aller Projekte sind in diesem Sinn unspezifisch. Auch hier gibt es bestimmte Schwerpunkte:
Insgesamt besteht knapp ein Drittel lokaler Aktivitäten aus Maßnahmen, die ohnehin zum kommunalpolitischen Angebot gehören - unabhängig von Sicherheitslage oder subjektiver Kriminalitätsfurcht. Neu ist daran nur, daß Freizeitmaßnahmen, Jugendhilfeleistungen und soziale Angebote in den Dienst der inneren Sicherheit gestellt werden. Spezifisch auf Kriminalität bezogene ProjekteDie restlichen zwei Drittel der lokalen Aktivitäten sind unmittelbar auf Kriminalität bezogen. Dadurch unterscheiden sie sich von den unspezifischen Projekten. Während ein Jugendcafé neben seiner möglicherweise kriminalpräventiven Funktion vor allem Treffpunkt und Aufenthaltsort für Jugendliche sein kann, hat die Fahrradcodierung keinen anderen Sinn als den, Diebstahl zu vereiteln. Auch die Beratung an Schulen zum Thema "Gewalt" oder Informationsbroschüren über Schutzmaßnahmen für SeniorInnen dienen in der Hauptsache dazu, Kriminalität zu vermeiden. Diese Maßnahmen wurden von uns spezifisch genannt. Auch hier differiert die Art und Weise der Intervention:
Im Hinblick auf die Ausgangsfrage, was denn die kriminalpräventiven Gremien eigentlich tun, ist also festzustellen, daß der überwiegende Teil (zusammen gut 70%) der spezifischen Projekte auf Bewußtseinsänderung oder Informationsaustausch zielt. Strukturelle Veränderungen, Verhinderung von Tatgelegenheiten, sichtbare räumliche Veränderungen und ähnliches bringen diese Projekte nicht hervor - sie sind daher nicht unmittelbar gestaltend. Dagegen lassen sich die übrigen Projekte, also knapp ein Drittel aller, als tatsächlich gestaltend bezeichnen; sie bringen räumliche oder strukturelle Veränderungen mit sich:
Tendenzen kommunaler KriminalpräventionDie Analyse des Infopool Prävention ergibt nur ein grobes Bild darüber, was Präventionsräte oder ähnliche Gremien tun. Doch selbst in dieser holzschnittartigen Darstellung werden einzelne Tendenzen sichtbar, die den verkündeten Wechsel zu einer neuen, besseren lokalen Sicherheitspolitik fraglich werden lassen.
Die Auswertung des BKA-Infopools verrät nichts über Wirkungen und Nebenfolgen der angestrebten Projekte; und auch nichts über die Gründe, warum bestimmte Maßnahmen bevorzugt werden, andere dagegen fehlen. Dennoch lassen sich einige vorsichtige Schlüsse ziehen. Daß Projekte nur selten tatsächlich gestaltend in die örtlichen Strukturen eingreifen, verweist auf die begrenzten Möglichkeiten lokalen Handelns. Möglicherweise werden Information und Aufklärung gerade deswegen favorisiert, weil sie auch ohne große Interessenkonflikte realisiert werden können. Auch das Repertoire der verwendeten Mittel - von der Aufklärungsbroschüre bis hin zur Fahrradcodierung - zeugt weder von neuer Qualität noch von besonderer Reichweite. Tendenziell neu ist dagegen die umfassende Einbindung sozialer Dienste und Freizeitaktivitäten in ein Gesamtkonzept der Kriminalprävention. Dadurch entsteht die Gefahr, daß soziale Dienste oder Leistungen der Jugendhilfe nicht nur ihr Selbstverständnis verändern, sondern auch von Anforderungen und finanziellen Zuwendungen einer - möglicherweise nur kurzlebigen - Bewegung abhängig werden. Nicht zuletzt ergibt sich die Frage, welche Interessen im Zusammenspiel der unterschiedlichen Kräfte lokal durchgesetzt werden können und welche Rolle die Polizei als allgegenwärtige Behörde dabei übernimmt. Christine Hohmeyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin und Redakteurin von Bürgerrechte & Polizei/CILIP. [1] Der Artikel fußt auf einer gemeinsam mit Martina Kant und Norbert Pütter vorgenommenen Auswertung. [2] Bundeskriminalamt, Infopool Prävention: Kriminalprävention in Deutschland. Kommunale Präventionsgremien. Wiesbaden, 3. Auflage 1999 (Datenbank) [3] Baden-Württemberg hat z.B. viele lokale Gremien gemeldet, die sich erst in Vorbereitung befanden; Nordrhein-Westfalen meldete auch Jugendhilfeausschüsse, die zum gesetzlich vorgeschriebenen kommunalen Instrumentarium gehören. Dagegen ist Berlin z.B. nur mit einer als Verein organisierten Initiative vertreten, während es in der Stadt eine Vielzahl kriminalpräventiver Initiativen bis hin zu Präventionsräten gibt. [4] Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen. [5] Aus den Ländern Bayern, Bremen, Hamburg und Sachsen-Anhalt liegen keine Angaben vor. [6] Wieder wurden von Bayern, Bremen, Hamburg und Sachsen-Anhalt, aber auch von vielen Einzelgremien keine Angaben gemacht. |
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