Bürgerrechte & Polizei/CILIP 64 (3/1999) |
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Münchner PolizeiskandaleUnheimliche Ordnungshüter in der heimlichen Hauptstadt |
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von Siegfried Krempl |
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Hamburger Kessel - Münchner Kessel. Hamburger Polizeiskandale - Münchner Polizeiskandale: Zwei Städte und die gleichen Vorfälle! Die Polizeien unserer Großstädte entwickeln offenkundig eigene Handlungsdynamiken und unkontrollierbare Eigenarten. Die bayerische Metropole war im letzten Jahr ein unrühmliches Beispiel für Polizeigewalt und Polizeiskandale. München steht mit dieser Entwicklung nicht allein. Auch die Polizeien in anderen Städten und in anderen Bundesländern sorgten und sorgen immer wieder für negative Schlagzeilen. Aber in München kam es in der jüngeren Vergangenheit zu einer seltsamen Häufung derartiger Vorkommnisse. Chronik des SchreckensZur Erinnerung möchte ich das letzte Jahr der Münchner Polizei rekapitulieren. Es begann mit dem Oktoberfest 1998.
Bis Mitte März listete das Polizeipräsidium in dem Rundschreiben "Vorkommnisse bei der Münchner Polizei" innerhalb eines Zeitraumes von 16 Monaten 18 Fälle auf, die die Polizei in Verruf gebracht hatten. Nach der Sommerpause setzte sich die Serie fort.
Die Antwort des InnenministeriumsDer bayerische Innenminister Günther Beckstein kündigte an, hart durchzugreifen. Als Sofortmaßnahme erließ das Polizeipräsidium ein absolutes Alkoholverbot für alle Dienststellen. Der Innenminister stellte ein "9-Punkte-Programm" für die Münchner Polizei vor.[14] Danach sollen neue Polizisten stärker nach sozialer Kompetenz ausgewählt werden, die Integration von Frauen soll deutlich verbessert werden, eine Umfrage soll die spezifischen Probleme bei der Münchner Polizei aufdecken. Weiterhin soll die gesamte "wasserköpfige" Verwaltung des Präsidiums untersucht und "verschlankt" werden. Es sollen berufserfahrene PolizistInnen im Wach- und Streifendienst eingesetzt werden. Die Aufstiegsmöglichkeiten für StreifenbeamtInnen sollen attraktiver gestaltet, und durch Versetzungen soll die Altersstruktur bei der Münchner Polizei verändert werden. Ergänzend werde man sich um mehr Ortsansässige in der Münchner Polizei bemühen und den Schichtdienst bedarfsgerechter gestalten. Damit, so Beckstein, solle auch falsch verstandener Kameraderie und Abschottungstendenzen, die zum Suizid der gemobbten Polizistin geführt haben, entgegengewirkt werden. Als sichtbares Zeichen seiner Aktivitäten setzte Beckstein seinen Staatssekretär Hermann Regensburger an die Seite des Polizeipräsidenten. Regensburger soll in Zusammenarbeit mit Koller bei der Umsetzung des "9-Punkte-Programms" helfen und alle wichtigen Sitzungen beobachten. Der Vorsitzende des Münchner Bezirkspersonalrats forderte in diesem Zusammenhang zur Konfliktlösung mehr "gstandene Mannsbilder" bei der Polizei, weil es nicht funktionieren könne, wenn jemand "aus einem Bauerndorf in eine Millionenstadt versetzt wird".[15] Eine Polizistin fand diese Äußerung unannehmbar. In einem Leserbrief[16] schrieb sie, "daß diese Meinung an Überheblichkeit und Borniertheit nicht zu überbieten ist". Sie zeuge "doch nur von Hilflosigkeit und Abwälzungsversuchen im Umgang mit dem tragischen Selbstmord meiner Polizeikollegin". Zur Situation in der Münchner Polizei führte sie aus, "wir haben es z.T. mit Vorgesetzten zu tun, denen Engagement, Zivilcourage, Menschlichkeit und Anstand fremd sind." Die Ehrlichkeit der Polizistin wurde nicht belohnt. Der Bezirkspersonalrat drohte ihr eine Unterlassungsklage an. Bei Wiederholung ihrer Meinung forderte er 5.000,- DM. Das Polizeipräsidium verfügte eine Verwaltungsanhörung, die Vorstufe zu einer Disziplinarstrafe, gegen die Polizistin.[17] Unabhängige Peinelt-UmfrageDie vom bayerischen Innenministerium angekündigte Befragung Münchner Polizistinnen und Polizisten fand im Sommer 1999 statt. Eingesetzt wurde ein anonymisierter mehrseitiger Fragebogen. Das persönliche und allgemeine Empfinden sowie die Bewertung der verschiedenen Hierarchieebenen stand im Vordergrund der Erhebung, die von einem unabhängigen Umfrageinstitut durchgeführt wurde. Noch vor der offiziellen Veröffentlichung der Studie wurde bekannt, daß nach Meinung von 17% der Polizistinnen sexuelle Belästigungen häufig vorkommen. 9% der Beamtinnen gaben an, selbst mehrfach Opfer sexueller Belästigung geworden zu sein. Ein Viertel der Männer und 33% der Frauen gaben an, schon einmal am Arbeitsplatz gemobbt worden zu sein. Zugleich nahm die Mehrzahl der Befragten jedoch in ihrer gegenwärtigen Dienststelle kaum oder gar keine Spannungen wahr.[18] In seiner Bewertung der Studie sah Polizeipräsident Koller erfreulich positive Aspekte. Nur 50% der PolizistInnen hatten sich an der Befragung beteiligt. "Die Annahme", so Koller, "daß der große Rest im großen und ganzen zufrieden ist, ist sicher nicht abwegig. Der Effizienzparameter der Polizei ist die Sicherheitslage in München, und die ist ausgezeichnet. Dies beinhaltet auch, daß sich die Polizei primär mit ihren wirklichen Sicherheitsproblemen beschäftigen muß und nicht mit Nebenkriegsschauplätzen."[19] Auch die Polizeigewerkschaften (Gewerkschaft der Polizei und Deutsche Polizeigewerkschaft) trugen nicht zur Aufklärung der Vorfälle bei. Die wenigen Reformvorschläge gingen in gegenseitigen Anschuldigungen und "Schaukämpfen an den Schwarzen Brettern" unter. MobbingViele Skandale bei der Münchner Polizei waren die Folge von Mobbing. Dies wird von Betroffenen geäußert; und dies wurde in der schriftlichen Befragung der Beschäftigten des Polizeipräsidiums bestätigt. Doch die Polizeiführung weigert sich, dieses Problem konsequent aufzugreifen. Es gibt Opferbetreuungsstellen, Frauenbeauftragte, in einigen Städten Beauftragte für Homosexuelle und Suchtberater bei der Polizei. Ombudsstellen für Mobbing existieren nicht. Im Unterschied zu den Genannten wäre eine Voraussetzung für Mobbing-Beauftragte allerdings, daß sie nicht aus dem "Apparat" selbst kommen. Das mangelnde Vertrauen Betroffener in betriebsinterne Instanzen resultiert aus deren Besetzung mit Polizisten und Polizistinnen. Viele Polizeiangehörige, und dies gilt auch für die vorher genannten Beauftragten, identifizieren sich häufig eher mit ihrer Behörde. Die nötige Distanz, als Voraussetzung für effektive Hilfe, fehlt. Auch die gemobbte Polizistin Silvia Braun wandte sich an Vorgesetzte, Personalvertreter und Frauenbeauftragte. Keine Stelle gab ihr das Vertrauen und die Hoffnung auf Besserung. Insgesamt sind Selbsttötungen in einer männlich und oft martialisch geprägten Polizei keine Seltenheit. Mobbing, traumatische Erlebnisse, Belastungen im Schichtdienst, fehlende Supervision und die damit verbundenen psychischen und familiären Probleme sowie die Verfügbarkeit der Dienstwaffe können zu fatalen Handlungszwängen führen. Die kausalen Zusammenhänge sind einleuchtend, durch persönliche Schicksale belegt und durch Mobbingforscher bewiesen.[20] In einer nicht repräsentativen Untersuchung hat Dieter Hartwig, ein Polizist aus Nordrhein-Westfalen, die erhöhte Suizidrate innerhalb der Polizei skizziert.[21] Danach entfielen auf die Allgemeinbevölkerung statistisch 12,7 Selbsttötungen auf 100.000 Einwohner, von 100.000 Polizeiangehörigen begingen jedoch 19,6 Suizid. 87% benutzten hierbei die Dienstwaffe. Die Mehrzahl der Betroffenen befand sich in den Altersgruppen der 20-30jährigen sowie der 50-60jährigen. Untersuchungen aus den USA belegen, daß bei New Yorker PolizistInnen die Suizidrate doppelt so hoch ist.[22] Im Zusammenspiel mit Kontrollinstanzen könnten sogenannte Dienstvereinbarungen zur Mobbingabwehr und -prävention zwischen öffentlichen Arbeitgebern und jeweiligen Personalvertretungen geschlossen werden. Derartige Übereinkünfte bestehen bereits in Hamburg und in Berlin. Das Regelwerk verpflichtet die Vertragsparteien, mit allen Mitteln aktiv gegen Mobbing vorzugehen. Auch die Vorgesetzten in der Polizei haben eine besondere Verpflichtung zum Schutz ihrer "Untergebenen". Mit § 357 Strafgesetzbuch sind sie auch strafrechtlich verantwortlich. Dieser Paragraph besagt u.a., daß "ein Vorgesetzter, welcher seine Untergebenen zu einer rechtswidrigen Tat im Amt verleitet oder zu verleiten unternimmt oder eine solche rechtswidrige Tat seiner Untergebenen geschehen läßt" sich strafbar macht (Hervorhebung S.K.). Mobbing geht oft einher mit Beleidigung, Verleumdung, übler Nachrede, Nötigung. Vorgesetzte, die in Kenntnis des Problems untätig sind, könnten damit zur Rechenschaft gezogen werden. Lösungen!?Dieser "Scherbenhaufen" (so ein SPD-Abgeordneter), die Skandale der Münchner Polizei beschäftigten auch den Landtag. SPD und Grüne/Bündnis 90 forderten im März 1999 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß sowie die externe Kontrolle der Polizei.[23] In beiden Fragen konnten sich die Oppositionsparteien nicht durchsetzen. Die Münchner Vorfälle belegen jedoch nachdrücklich, daß die dienstinternen Kontrollmechanismen (Vorgesetzte und Dezernate für Amtsdelikte) nicht oder nur mangelhaft funktionieren und externe Kontrollen der Polizei erforderlich sind. Sowohl von Teilen der bayerischen Politik als auch von den "Kritischen PolizistInnen" wurden verschiedene Vorschläge zur Diskussion gestellt:
In den Führungsetagen bayerischer Polizeipolitik stoßen solche Überlegungen jedoch auf taube Ohren. Nach Ansicht des bayerischen Staatssekretärs des Innern, Regensburger, bestehen die Probleme offensichtlich in der Parteizugehörigkeit der PolizistInnen: "Ein Polizeibeamter, der nicht bei der CSU ist, hinter den muß man ein Fragezeichen machen".[26] Diese Aussage spricht Bände! Siegfried Krempl ist Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten und arbeitet als Polizeibeamter in München. [1] Der Spiegel 1998, Nr. 44, S. 112 [2] Süddeutsche Zeitung v. 12.1.1999 [3] Süddeutsche Zeitung v. 30.11.1998 [4] Süddeutsche Zeitung v. 22.7.1999 [5] Süddeutsche Zeitung v. 9./10.1.1999 [6] zit. nach Süddeutsche Zeitung v. 6.4.1999 [7] Süddeutsche Zeitung v. 9.4.1999 [8] Süddeutsche Zeitung v. 18.3.1999 [9] Süddeutsche Zeitung v. 4.11.1999 [10] Der Tagesspiegel v. 16.3.1999 [11] Süddeutsche Zeitung v. 26.3.1999 [12] die tageszeitung v. 18.8.1999 [13] Süddeutsche Zeitung v. 17.8.1999 [14] Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern v. 17.3.1999 [15] Münchener Merkur v. 17.2.1999 [16] Münchener Merkur v. 3.3.1999 [17] Münchener Merkur v. 24.3.1999 [18] Süddeutsche Zeitung v. 28.10.1999 [19] Statement des Münchner Polizeipräsidenten an alle Beschäftigten v. 21.10.1999 [20] Dieter Groeblinghoff, Mobbingforscher aus Hamburg [21] Hartwig, D.: Suizide von Polizeibeamten, in: Kriminalistik 1998, H. 3, S. 186-190 [22] ebd., S. 187 [23] Süddeutsche Zeitung v. 27./28.3.1999 [24] siehe im Internet unter http://www.hamburg.de/Behoerden/PK [25] General-Anzeiger (Bonn) v. 19.7.1995 [26] TV-München, Sendung am 23.3.1999 |
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1999-2002 HTML-Auszeichnung: Martina Kant Erstellt am 22.01.2000 - letzte Änderung am 01.10.2002 |