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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 65 (1/2000)

abstand

Kriminelle Organisation?

Die schweizerischen Behörden gegen die Tamil Tigers


von Johannes Wartenweiler


Nadarajah Muralitharan, seinerzeit Chef der Tamil Tigers in der Schweiz, war im April 1996 unter dem Verdacht der Schutzgelderpressung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation verhaftet worden und hatte mehrere Monate in Untersuchungshaft verbracht. Vier Jahre nach der spektakulären Polizeiaktion ist das Verfahren immer noch nicht offiziell eingestellt. Das Vorgehen der Behörden dürfte vor allem dazu gedient haben, sich gegenüber der Regierung Sri Lankas erkenntlich zu zeigen. Diese hatte kurz zuvor ein Rückübernahmeabkommen mit der Schweiz unterzeichnet.

Seit Beginn der 90er Jahre war die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) die stärkste politische Kraft innerhalb der tamilischen Gemeinschaft in der Schweiz. Ihre herausragende Stellung war auf den andauernden Bürgerkrieg in Sri Lanka zurückzuführen sowie auf die veränderte soziale Zusammensetzung der in der Schweiz ansässigen TamilInnen. Vermehrt waren Ende der 80er Jahre Flüchtlinge aus unteren sozialen Schichten eingereist, die für die PR-Arbeit der LTTE empfänglicher waren als die früheren ImmigrantInnen.

Berichte über Geldsammlungen der LTTE tauchten ab Mitte der 80er Jahre auf. In den Medien wurde darüber spekuliert, ob dabei auch unrechtmäßige Mittel angewendet würden. 1991 schrieb die NZZ: "Anzeichen für solche Erpressungen bestehen schon länger, erhärteten sich bisher aber nicht."[1] Am 14. Januar 1996 machte die "SonntagsZeitung" die LTTE und ihre Spendenkampagnen zur Titelstory: "Gewalt, Tote: Tamilen erpressen Schutzgelder." Anlass war eine Schießerei unter Tamilen in Dagmarsellen (Kanton Luzern), die einen Toten gefordert hatte. Zitiert wurde in dem Artikel unter anderem Marcel Bebié, Chef der Kripo der Stadt Zürich, mit der Behauptung, die Tamilen seien "aktiv in der Entführung und Misshandlung von Landsleuten um Schutz- und Spendengelder zu erpressen." Als "Kopf der Bande" wurde Nadarajah Muralitharan, genannt Murali, bezeichnet. Der Filmemacher Erich Schmid ging in der Folge den Vorwürfen der "SonntagsZeitung" nach und kam zu dem Schluss, dass die LTTE nichts mit den ihr zur Last gelegten Verbrechen zu tun habe: Einmal sei es um die Ehre der Töchter gegangen, einmal um Abrechnungen im Milieu der Konkurrenz-Organisation PLOTE (People Liberation Organisation of Tamil Eelam), einmal sei das Opfer gar ein LTTE-Geldsammler gewesen.[2]

Eine große Polizeiaktion mit Fragezeichen

Ungeachtet der insgesamt dürftigen Beweislage war 1996 der Druck auf die LTTE groß. Die Regierung Sri Lankas wollte die ausländischen Verbindungen der LTTE kappen. Die schweizerischen Behörden hatten ihrerseits ein großes Interesse, mit Sri Lanka ein neues Rückübernahmeabkommen abzuschließen. Am 2. April 1996 kam ein Abkommen zustande. Nur wenige Tage später, am 10. April, folgte die groß angelegte Verhaftungsaktion. Murali selbst wurde kurz nach Mitternacht in Zürich verhaftet. Einige Stunden später stürmte eine Antiterror-Einheit im Kanton Graubünden seine Wohnung. Dabei war auch eine Kameraequipe von "10 vor 10", der Spätausgabe der schweizerischen Fernsehnachrichten. Muralis Frau Sathijasri schilderte im August 1996 auf einer Pressekonferenz die Polizeiaktion: "Um 6 Uhr 15 hörte ich plötzlich, dass jemand mit einem Gegenstand die Wohnungstür aufbrach. Durch diesen Lärm erwachten auch die Kinder. Wir erschraken und schrien vor Angst (...) Im nächsten Moment drangen viele schwarzvermummte Gestalten mit Pistolen in der Hand in die Wohnung ein (...) Ich wusste nicht, wer sie waren und weshalb sie unsere Wohnung aufgebrochen hatten. Sie sagten uns nicht, wer sie sind. Sie durchsuchten die ganze Wohnung und fotografierten sie aus allen Richtungen (...) Wegen der fortgeschrittenen Schwangerschaft fiel es mir schwer, während so langer Zeit ruhig und unbeweglich zu verharren. Ebenso den Kindern."

Insgesamt 15 Tamilen wurden in fünf Kantonen wegen des Verdachts auf Zugehörigkeit zu einer Kriminellen Organisation und wegen Schutzgelderpressung festgenommen. Während die meisten von ihnen nach zwei Monaten wieder in Freiheit waren, blieb Murali inhaftiert.

Via NZZ[3] sickerte durch, dass sich die Ermittlungsbehörden mit der Untersuchung schwer taten. Belastungszeugen seien aus Furcht vor Repressalien untergetaucht. Der zuständige Bezirksanwalt (Untersuchungsrichter im Kanton Zürich) rechne aber damit, dass die Ermittlungen bis Ende 1996 abgeschlossen würden. Am 16. September 1996 erklärte Bezirksanwalt Leins gegenüber dem "Bund", eine Freilassung Muralis komme nicht in Frage, sie könnte die komplizierten Untersuchungen behindern. Zu diesem Zeitpunkt war Leins bereits heftig unter Druck.

Schon im August hatte Muralis Anwalt, Marcel Bosonnet, auf einer Pressekonferenz die Untersuchungsbehörden scharf kritisiert und eine Verbindung zwischen der Verhaftung und dem Rückschaffungsabkommen mit Sri Lanka hergestellt; einen Zusammenhang, den das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) bereits kurz nach Muralis Verhaftung in Abrede gestellt hatte. Auf diese Verknüpfung wies jedoch ein internes Gesprächsprotokoll der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 29. Januar 1996 hin, das Bosonnet präsentierte: "Laut BFF sei die Zumutbarkeit der Rückkehr gegeben, die Möglichkeit jedoch nicht, weil Sri Lanka die Verlängerung des Abkommens mit der Schweiz noch nicht unterzeichnet habe. Diese stehe noch aus, weil bei Sri Lanka offenbar der Eindruck entsteht, dass die Schweiz zuwenig gegen die LTTE in der Schweiz unternehme."

Auch die Untersuchung selbst gab Anlass zu Zweifeln. Die Bezirksanwaltschaft ließ es offensichtlich an Sachkompetenz und Sorgfalt fehlen. Bosonnet lieferte dafür zahlreiche Indizien:

  • Zeugen und Auskunftspersonen gegen Murali stammen ausschließlich aus dem Umfeld der "Bahnhofgang" bzw. der "Snake"-Gruppe, zweier krimineller exil-srilankischer Gruppen, die auch für Dritte strafbare Handlungen begehen. Gegen verschiedene Mitglieder dieser beiden Gruppen sind in mehreren Städten Verfahren im Gang.
  • Mitglieder der "Bahnhofgang" werden von der LTTE feindlich gesinnten Kräften zu falschen Aussagen angestiftet. Dieses Eingeständnis machte ein Zeuge in einer Gegenüberstellung. Bezirksanwalt Leins hat das entsprechende Protokoll aber nicht dem Haftrichter vorgelegt. (Ende April 1997 verurteilt die Bezirksanwaltschaft Zürich einen Tamilen wegen mehrfacher falscher Anschuldigung gegen Murali zu 42 Tagen Gefängnis auf Bewährung.)
  • Die Anschuldigungen stammen von Personen, die selbst in Strafverfahren verwickelt sind und sich mit Aussagen gegenüber den Behörden Vorteile verschaffen wollen. Eine anonyme Person, die selbst in eine Mordgeschichte verwickelt sei, beschuldigt Murali und die Tamil Tigers, die Namen von zahlungsunwilligen Tamilen per Fax nach Sri Lanka zu schicken. Es gibt darüber weder ein vollständiges Protokoll noch wird der Name des Belastungszeugen bekannt gegeben. Der Fax-Verkehr wird zwar überwacht, doch Leins weigert sich, diesen zugänglich zu machen.
  • Der Haftrichter hat Haftverlängerung wegen Konfrontationsbefragungen gewährt. Doch die meisten Termine fielen einfach aus.
  • Ein Mitglied der "Bahnhofgang" ist nicht zur Vernehmung erschienen. Die Polizei hat erklärt, er sei untergetaucht, was jedoch nicht stimmt.
  • Bedenklich findet Bosonnet schließlich, dass der Bezirksanwalt via NZZ verlauten lässt, dass sich für Belastungszeugen, die von der Ausschaffung bedroht sind, ein Arrangement finden lasse. Dies sei eine gemäß prozessualen Regeln verbotene Beeinflussung von Zeugenaussagen und eine Motivation für Falschaussagen.

Leins hingegen war zu diesem Zeitpunkt noch davon überzeugt, belastendes Material gegen Murali und die LTTE zu finden. In der Begründung zur Verlängerung der U-Haft schreibt er: "Die anlässlich der zahlreichen Hausdurchsuchungen sichergestellten Unterlagen müssen ausgewertet werden, was erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Ermittlungen zweifellos weitere belastende Momente ergeben werden, welche ebenfalls durch Einvernahmen von Zeugen und Auskunftspersonen abgesichert werden müssen." Punkt.

Nachdem im August 1996 ein drittes Haftentlassungsgesuch für Murali abgelehnt worden war, wandte sich Bosonnet mit einer staatsrechtlichen Beschwerde ans Bundesgericht. Im Wesentlichen wiederholte er die bekannten Vorwürfe. Die 1. Öffentlichrechtliche Abteilung nahm am 13. November Stellung. Murali war zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits seit zwei Wochen wieder auf freiem Fuß - der Fall hatte sich somit erledigt. Doch das Gericht ließ es sich nicht nehmen, das Vorgehen des Bezirksanwaltes zu rügen: "Der Bezirksanwalt begründet die Entlassung des Beschwerdeführers damit, dass keine Kollusionsgefahr (Verdunklungsgefahr, d. Red.) mehr bestehe. Er führt keine Gründe dafür an, dass sie erst nach Ergehen des angefochtenen Entscheides weggefallen sei, und solche sind auch nicht ersichtlich; die Beschwerde hätte daher wohl gutgeheißen und der angefochtene Entscheid aufgehoben werden müssen."

Bald war klar, dass Murali und der LTTE keine gravierenden widerrechtlichen Aktivitäten nachzuweisen waren. Die LTTE erhielt den größten Teil des beschlagnahmten Geldes zurück. Ende 1997 reiste Murali nach Kanada aus. Auch dort versuchten die Behörden einen großen Terroristen aus ihm zu machen. Auch dort blieb am Schluss nichts übrig.

Schutzgelderpressung - ein vager Vorwurf

Doch trotz weitgehender Entlastung bleibt der Vorwurf der Schutzgelderpressung im Raum stehen. Er wurde nicht nur gegen die Tamil Tigers erhoben. Auch andere ausländische politische Organisationen wie die PKK oder Devrimci Sol sahen sich schon damit konfrontiert. Bei der PKK führte bis heute keine Anschuldigung und keine Anklage zu einem gerichtlichen Schuldspruch - im Gegenteil: zwei PKK-Mitglieder wurden 1998 im Kanton Aargau freigesprochen. Hingegen sah das Berner Amtsgericht 1993 im "Mücadele-Prozess" gegen fünf Mitglieder der türkischen Organisation Devrimci Sol die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft bestätigt und verhängte mehrmonatige Haftstrafen. Allerdings stand das Urteil auf wackeligen Füßen. Der Belastungszeuge hatte vor Gericht seine Aussagen zurückgezogen und war im Gerichtssaal wegen Falschaussage festgenommen worden.

Die LTTE hat Vorwürfe stets bestritten, dass sie bei der Sammlung von Spendengeldern Gewalt anwende. Ihre Gegner behaupten, niemand getraue sich, gegen die Organisation auszusagen. In den 80er Jahren kursierten - nie bestätigte - Gerüchte, wonach die LTTE mit kriminellen Machenschaften, insbesondere Drogenhandel, ihren Unabhängigkeitskampf finanziere. Doch erst 1991 geriet sie ins Blickfeld der Ermittlungsbehörden, als nach einem Zwischenfall in Baar (Kanton Zug), das Opfer behauptete, man habe von ihm 1.000 Franken für die Unterstützung des Befreiungskampfes in Sri Lanka verlangt. Zu einer Anklage kam es jedoch nie. Abklärungen hatten lediglich ergeben, dass große Geldströme zwischen der Schweiz und Sri Lanka flossen.

Auch die Bundespolizei verdächtigte die LTTE krimineller Machenschaften bei der Spendengeldbeschaffung. In ihrem Staatsschutzbericht 1995/96 schrieb sie: "Die große Menge sichergestellter Quittungen für 'Spenden' und der markante Anstieg der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Tamilen war ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Tamil Tigers von den hier lebenden Tamilen große Geldsummen zur Finanzierung ihres Kampfes benötigen."[4] Von Drohungen, Freiheitsberaubungen, Entführungen sowie Körperverletzungen ist auch in späteren Berichten zu lesen.

Die Vorwürfe lassen sich nicht belegen. Unbestritten ist allein, dass die LTTE von den Exil-TamilInnen finanziell unterstützt wird, allerdings freiwillig: Der Zürcher Ethnologe Christoph Mathis erklärt, dass etwa 80% aller in der Schweiz lebenden erwachsenen Tamilen zu den regelmäßigen Spendern für die LTTE zu zählen seien. Der Betrag belaufe sich dabei auf 50 bis 100 Franken pro Monat.[5]

Auch der britische Ethnologe Christopher MacDowell, der sich eingehend mit der tamilischen Gemeinschaft in der Schweiz befasst hat, kam zu ähnlichen Ergebnissen.[6] Er schätzte die Einnahmen der LTTE auf etwa 7 Mio. Franken. Die LTTE habe außerdem eine Art "clearing-house" geführt, über welches Zahlungen mit Sri Lanka rasch abgewickelt werden konnten. Der Vorteil war beiderseitig. Ein Anteil des überwiesenen Geldes ging in die Kassen der LTTE. Im Gegenzug konnten die Zahlungen quasi über Nacht abgewickelt werden. Eine normale Banküberweisung dauerte mindestens zwei Wochen.

Weder Mathis noch MacDowell sehen Gewalt bei der Spendenbeschaffung im Spiel. Mathis begegnete einem einzigen Tamilen, der sich durch die Geldeintreiber belästigt fühlte. Im allgemeinen wird ihnen aber Fingerspitzengefühl nachgesagt. Das ambivalente Verhältnis der tamilischen Diaspora zur LTTE beschrieb Mathis folgendermaßen: "Die LTTE ist die dominante, aber nicht die einzige politische Kraft der Tamilen in der Schweiz. Sie trägt zur Stabilisierung der Diaspora bei. Kulturelle und sportliche Veranstaltungen, Rechtshilfe und das Gefühl der Gemeinschaft wirken identitätsstiftend. Gleichzeitig verlangt sie den Tamilen hier einiges ab. Dies in Form von Geldsammlungen und hoher sozialer Kontrolle. Zudem soll die Utopie eines unabhängigen tamilischen Staates übernommen werden, ohne hinterfragt zu werden."[7]

MacDowell stellte fest, dass die Tamilen in der Schweiz oft den Weg des geringsten Widerstandes gingen. Solange sie nicht unvernünftig seien, widersetze man sich nicht der LTTE und ihren Forderungen. Es bestehe ein gewisser gesellschaftlicher Druck, physische Einschüchterung bei der Spendensammlung sei aber selten.

Undurchsichtige Intrigen

Beim Versuch etwas auf einen simplen Straftatbestand zu reduzieren, gibt es viele Hindernisse. Die Zürcher Behörden ignorierten diese. Dies führte nicht nur zum Vorwurf, eine politische Organisation zu kriminalisieren, sondern zeigte auch, dass sie mit den Verhältnissen in der tamilischen Gemeinschaft nicht vertraut sind.

Die Verhältnisse in der Diaspora wurden kompliziert durch undurchsichtige Machtkämpfe zwischen verschiedenen Gruppen. Gegen die LTTE stand die PLOTE. Dazu übte auch die Regierung in Colombo Druck auf die verschiedenen Aufnahmeländer aus. Viele hielten es für ausgemacht, dass auch der Geheimdienst Sri Lankas seine Finger im Spiel hatte. Verdächtigungen in diese Richtung tauchten etwa im Zusammenhang mit anonymen Briefen auf, die Anfang 1996 an verschiedene tamilische Geschäfte und Reisebüros versandt wurden. Unter dem Signet der Tamil Tigers wurden die Adressaten aufgefordert, ihre Kontakte zu Sri Lanka einzustellen. Drohungen wurden ausgesprochen für den Fall, dass den Forderungen nicht entsprochen werde. Ein tamilischer Geschäftsmann wandte sich daraufhin direkt an die LTTE: "Sehr geehrter Herr, bitte teilen Sie mir mit, ob der beiliegende Brief (...) von Ihnen stammt. Wenn ja, sehe ich mich zur Bewahrung meiner Unabhängigkeit und Freiheit gezwungen, die nötigen Schritte einzuleiten."

Die Besitzerin eines Reisebüros, die ebenfalls ein derartiges Schreiben erhalten hatte, äußerte Zweifel an dessen Echtheit: "Ich habe noch mit dem Agenten in Colombo gesprochen und meinte, dass die Formulierung im Brief sehr direkt sei und dies nicht unbedingt den Tamil Tigers ähnlich sehe, diese würden die Drohungen nicht so konkret ausdrücken", hielt sie in ihrer Anzeige bei der Zürcher Polizei fest.

Am 9. März 1996 erhob Bosonnet im Namen von Murali wegen dieser anonymen Schreiben Strafanzeige gegen Unbekannt. Im Urkundenlabor wurden die Briefe analysiert; minutiös aber ohne Ergebnisse. Am 9. April 1996 wandte sich Bezirksanwalt P.M. Müller mit Zweifeln an der Authentizität der Urheberschaft an Bosonnet: "Ausserdem ersuchte ich den Geschädigtenvertreter abzuklären, ob Hinweise dafür bestünden, dass die Drohschreiben von einer mit der LTTE konkurrenzierenden Gruppierung (PLOTE, Bahnhofsgruppe) stammen könnten."

Bereits am 14. März kursierten im Gratisanzeiger "Züri Woche" verschiedene Theorien über die Hintergründe der Drohbriefe: "Möglich ist aber auch, dass die Täterschaft auf der Gegenseite, in regierungsnahen Kreisen zu finden ist. Es kommt oft vor, dass die Gegner auf diese Weise diffamiert werden."

Der Umgang mit dem Geld

Eine weitere Schwierigkeit, die die Untersuchungsbehörden zu Fehleinschätzungen verführen konnte, ist der Umgang mit Geld und Schulden in der tamilischen Gemeinschaft. Dabei wird weitgehend darauf verzichtet, die Abmachungen schriftlich festzuhalten. Dieses Vorgehen ist in Sri Lanka üblich, weil die Geschäfte innerhalb einer traditionellen Gesellschaftsstruktur abgeschlossen werden. Hierzulande werden die Praktiken weitergeführt, allerdings fallen die Sicherungen weg. Streit ist programmiert. Dazu kommt, dass einer bunten und verführerischen Warenwelt ein restriktives Bankenwesen gegenübersteht, das immigrierten Tamilen kaum Kredit gewährt. Bleibt für die Geldbeschaffung also nur die traditionelle Methode.

So etwa geschehen beim Aufbau von People's Shops wie sie von der LTTE zu Beginn der 90er Jahre gegründet wurden. MacDowell beschreibt ihre Finanzierung wie folgt: "Es funktioniert wie beim Kooperative-System in den Dörfern. Das System wird Sittu genannt. Eine Gruppe von Männern beteiligt sich mit 2.000 bis 3.000 Franken pro Monat. Am Ende des Monats wird das Einkommen zusammengetragen und ein Teil davon geht an einen der Investoren. So ist es in Jaffna üblich. Alle sechs Monate werden die Profite zusammengerechnet und zwischen der LTTE und der Tamil Rehabilitation Organisation aufgeteilt."[8]

Was passiert, wenn die Erwartungen der Geschäftspartner nicht erfüllt werden, zeigt der Fall, der in Zürich Aufsehen erregte. Mathis gibt die Hintergründe wieder: "Ende Oktober kam es zu Schüssen auf dem Helvetiaplatz in Zürich. Die Presse vermutete, es handle sich um Schutzgelderpressung. Ein Informant berichtete mir, es handle sich nur entfernt um die Tigers. Eine Gruppe von Tamilen hätte Geld zusammengelegt, das einer von ihnen in England gewinnbringend anlegen sollte. Es soll sich um eine sehr große Summe gehandelt haben. Das Geschäft platzte jedoch und als der Tamile ohne Geld wieder in die Schweiz zurückkehrte, fürchtete er die Konfrontation mit seinen Gläubigern. Er sprach bei der LTTE vor, um Rechtshilfe zu erhalten. Zwei Tigers begleiteten ihn anschließend in der Nacht nach Hause. Seine Geschäftskollegen wollten ihn auf dem Heimweg zur Rede stellen. Sie waren jetzt doppelt verärgert, erstens wegen des verlorenen Geldes und zweitens weil er bei einer noch stärkeren Partei, der LTTE, Schutz suchte. Es kam zum Wortgefecht, dann zum Handgemenge und plötzlich fielen Schüsse. Zwei Männer wurden verletzt und vier festgenommen. Wie schon in früheren Fällen erhob niemand Anzeige."[9]

Im Oktober 1996 schrieb Bosonnet einen Brief an die Bezirksanwaltschaft Zürich, in dem er einen weiteren Fall von Propaganda zu Lasten der LTTE anzeigte, diesmal im Zusammenhang mit Sittu: "Zudem habe ich von Herrn X., 8004 Zürich, ein anonymes Schreiben bekommen, welches ihm Anfang April zugestellt wurde. In diesem Schreiben geht es um das Sitospiel. Spieler werden hier eingeschüchtert und es werden Todesstrafen für Spieler angedroht. Mit diesem Schreiben soll nach Aussagen von Herrn Muralitharan Nadarajah der Eindruck erweckt werden, die Tamil Tigers würden Leute, die sich an solchen Spielen beteiligen, drastisch bestrafen. Tatsache ist, dass die Tamil Tigers dieses Schreiben nicht verfasst haben, und dass sie dieses ebenfalls in den Zusammenhang einer gegen sie gerichteten Desinformationskampagne stellen."

Auch die Behörden hatten Kenntnis vom Sittu-Spiel und seinen unberechenbaren Auswirkungen. Ein Bericht der Stadtpolizei Zürich vom Mai 1995 fasste die bekannten Tatsachen zusammen. Der Verfasser unterschied zwischen zwei Arten von Sittu-Spielen, dem gebräuchlicheren "Kulukku Siddu" und dem riskanteren "Kelvi Siddu".

Das Frühjahr 1996 war eine wichtige Zeit für die Beziehungen zwischen der Schweiz und Sri Lanka. Die Schweizer Behörden wollten aus innenpolitischen Gründen unbedingt ein neues Abkommen mit Sri Lanka; die Ausschaffungen mussten weitergehen. Die Regierung in Colombo wollte im Gegenzug die Macht der Tigers im Ausland brechen - und machte entsprechend Druck. Es wird kaum zu beweisen sein, dass es zwischen der Schweiz und Sri Lanka eine Vereinbarung gab, die das Vorgehen gegen die LTTE einschloss. Hat sich die Justiz zu einem Gegengeschäft hinreißen lassen? Immerhin, die Indizien sprechen gegen ein sorgfältig eingeleitetes Verfahren. Die Verdachtsmomente gegen die LTTE waren schwach, die Glaubwürdigkeit der Zeugen höchst bedenklich. Spuren, die von der LTTE wegwiesen, wurden ignoriert, die komplizierten Verhältnisse in der tamilischen Gesellschaft ausgeblendet. Gleichzeitig war die Öffentlichkeit aber auf eine härtere Gangart gegenüber der LTTE vorbereitet - die "SonntagsZeitung" hatte entsprechende Vorarbeiten geleistet. Die groß aufgezogene Aktion erwies sich als Flop, die Ermittlungen wurden beiseite gelegt. Die Behörden können bis heute den Vorwurf, die LTTE sei eine "kriminelle Organisation", nicht erhärten. Das hindert sie aber nicht, darüber Vermutungen anzustellen.

Johannes Wartenweiler lebt in Bern und ist Redakteur der in Zürich erscheinenden Wochenzeitung (WoZ).



[1] Neue Zürcher Zeitung v. 10.8.1991
[2] Komitee zur Verteidigung von Muralidaran Nadarajah: Recherche-Bericht in Zusammenhang der in der SonntagsZeitung von 14.1.1996 erhobenen Vorwürfe, Zürich 1996
[3] Neue Zürcher Zeitung v. 21.6.1996
[4] Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement: Staatsschutzbericht 1995/96, Bern 1996, S. 77
[5] Mathis, C.: Die Geschichte der Tamilen in der Schweiz 1981-1996, Lizenziatsarbeit, Zürich 1997, S. 99
[6] MacDowell, C.: A Tamil asylum diaspora - Sri Lankan migration, settlement and politics in Switzerland, Providence, Oxford 1996, p. 262
[7] Mathis a.a.O. (Fn. 5), S. 97
[8] MacDowell a.a.O. (Fn. 6), p. 263
[9] Mathis a.a.O. (Fn. 5), S. 96

Bibliographische Angaben: Wartenweiler, Johannes: Kriminelle Organisation? Die schweizerischen Behörden gegen die Tamil Tigers, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 65 (1/2000), S. 52-61

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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 28.04.2000 - letzte Änderung am 26.09.2002