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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 66 (2/2000)

abstand

Inland aktuell



Prozess gegen Beamte der Münchner Wies'n-Wache

Am 18. Juli 2000 wurde der Polizeiobermeister Thomas W. zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Das Amtsgericht München sprach ihn der Verfolgung Unschuldiger, der fünffachen gefährlichen Körperverletzung im Amt sowie der vierfachen Freiheitsberaubung schuldig. Der Gruppenleiter hatte, zusammen mit drei weiteren Kollegen, während des Oktoberfestes 1998 sechs Menschen ohne triftigen Grund festgenommen. Auf der Wache hatte er diese mit Fausthieben, Stockschlägen und Fußtritten misshandelt. Ein Opfer erlitt eine Gehirnerschütterung und einen Innenohrschaden. Der Angeklagte hatte nach anfänglichem Leugnen "äußerst ungünstiges Ausflippen"[1] eingeräumt und sich bei seinem Opfer entschuldigt. Die drei mitangeklagten Kollegen wurden wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt zu Bewährungsstrafen von neun, elf und vierzehn Monaten verurteilt.

Schockiert zeigte sich Richterin Benesch in ihrer Urteilsbegründung. Angesichts der Vorfälle sei ihr bisheriger "Glaube an den Rechtsstaat" erschüttert: "Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Unschuldige ich verurteilt habe, nur weil Beamte Anzeige erstattet haben, um eigene Übergriffe zu vertuschen."[2] Besonders kritisierte sie "falsch verstandene Kameraderie" und Corpsgeist. Das schweigende Zusehen der Kollegen habe sie "an ungute Zeiten der deutschen Vergangenheit" erinnert.[3]

Um mehr Transparenz in die Skandalserie bei der bayerischen Polizei zu bringen, hatten die Grünen zuvor im Landtag eine Anfrage an die bayerische Staatsregierung gestellt. Diese erbrachte, dass von 1997-1999 2.400 Strafermittlungs- und 545 Disziplinarverfahren gegen bayerische Polizeibeamte eingeleitet worden waren. Innenminister Günther Beckstein kritisierte diesen "politisch motivierten Aktionismus zu Lasten der Polizei" und verwies auf seinen 9-Punkte-Maßnahmen-Katalog, der bereits letztes Jahr erstellt worden war. Auch das Münchner Polizeipräsidium sprach anlässlich des Urteils von einem "Fehlverhalten einzelner". Darüber hinaus verspreche man sich Besserung durch das geplante EDV-System zur Früherkennung problematischer Entwicklungen.

(Christine Hohmeyer)


Bedrohung durch "Organisierte Kriminalität"

Am 3.7.2000 stellte Bundesinnenminister Otto Schily das "Lagebild 'Organisierte Kriminalität 1999'" vor. Unter dem seit Jahren bei der Präsentation der Lagebilder genutzten Motto "Stagnation auf hohem Niveau"[4] wurden die neuesten Zahlen über das Ausmaß von Organisierter Kriminalität (OK) in Deutschland präsentiert. Trotz der leicht rückläufigen Zahlen, so der Innenminister, stelle OK "weiterhin eine ernstzunehmende Gefahr für die Innere Sicherheit in unserem Land" dar.[5] Statt auf "Stagnation" deuten die Angaben jedoch eher darauf hin, dass die OK-Bedrohungsszenarien, mit denen im vergangenen Jahrzehnt Politik betrieben wurde, maßlos an der Wirklichkeit vorbeigingen: Im vierten Jahr in Folge ging die Zahl der geführten OK-Ermittlungsverfahren auf 816 zurück.

Seit 1992 (vorher gab es keine jährlichen Lagebilder) wurde noch nie gegen weniger Personen wegen OK-Verdacht ermittelt (7.777). Mit 5,6% waren auch noch nie so wenig OK-Verdächtige bewaffnet. Der geschätzte Gewinn sank auf 1,4 Mrd. DM - das waren immerhin 400 Mio. DM weniger als im Vorjahr und über 2 Mrd. DM weniger als 1994. Eine Steigerung verzeichnet das Lagebild allein bei der vagsten aller Angaben: Die geschätzten OK-Gewinne verdoppelten sich auf fast 2 Mrd. DM. Aus dem Lagebild erfährt man zudem, dass die Zahl der polizeilichen OK-Ermittler um 138 auf 2.743 gestiegen ist. Angesichts des vermehrten Personals und angesichts der in den letzten Jahren erweiterten polizeilichen Befugnisse scheint offenkundig mehr an "Organisierter Kriminalität" in Deutschland einfach nicht vorhanden zu sein.

(Norbert Pütter)


Ausreiseverbote (nicht nur) für Hooligans

Nach den gewalttätigen Ausschreitungen bei der Fußball-WM 1998 in Frankreich hatte die Innenministerkonferenz beschlossen, Sanktionen gegen gewaltbereite Hooligans zu verschärfen. Mit der Änderung des Passgesetzes, die am 11.5.2000 - rechtzeitig vor der Fußball-EM - in Kraft trat, können Verstöße gegen Ausreiseverbote nun als Straftaten mit Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder Geldstrafe geahndet werden. Um Ausreiseverbote durchsetzen zu können, dürfen die Betroffenen auch im Grenzfahndungsbestand der Polizei gespeichert werden.

Wenn eine "erhebliche Gefährdung der Belange der Bundesrepublik Deutschland" vorliege, was beim Auftreten gewaltbereiter deutscher Hooligans im Ausland der Fall sei, könnten zeitlich und räumlich befristete Passbeschränkungen ausgesprochen werden. Zudem, so heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, müssen "Tatsachen vorliegen, die auf eine Gefährlichkeit des Betroffenen schließen lassen und aufgrund derer damit zu rechnen ist, dass er bei dem bevorstehenden Anlass erneut gewalttätig wird. Der Betroffene muss als gewaltbereiter Hooligan bekannt sein und in jüngerer Zeit, d.h. innerhalb der letzten zwölf Monate im Zusammenhang mit Gewalttaten oder als Teilnehmer an gewalttätigen Ausschreitungen aufgefallen sein."[6] In einem Gerichtsurteil stellte das Oberverwaltungsgericht Bremen auf die Klage eines Fußballfans fest, dass es unerheblich sei, ob der Betroffene bereits strafrechtlich verurteilt wurde, sondern es genüge, wenn er sich nicht von der gewalttätigen Hooliganszene fernhält.[7]

Vor und während der Fußball-EM im Juni des Jahres wurden bundesweit 285 Passbeschränkungen gegen Hooligans ausgesprochen, davon entfielen allein 125 auf Nordrhein-Westfalen und 67 auf Baden-Württemberg. In 230 Fällen wurden die Ausreiseverbote mit Meldeauflagen verknüpft, d.h. die Betroffenen mußten sich täglich auf ihrem Polizeirevier melden. In fünf Fällen wurden Hooligans in Gewahrsam genommen, um sie an der Ausreise zu hindern.[8]

Der Anwendungsbereich passbeschränkender Maßnahmen, stellte das Innenministerium auf eine Anfrage klar, sei im übrigen nicht auf Fußballhooligans begrenzt.[9] Auch TeilnehmerInnen von Demonstrationen im Ausland, bspw. anlässlich der Jubiläumssitzung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Prag im September, könnten davon betroffen sein.

(Martina Kant)


JungdemokratInnen im Verfassungsschutzbericht 1999

Welche "Bestrebung" zum Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) oder der Landesämter (LfV) wird, ist das Ergebnis einer politischen Entscheidung, die die Amtsleiter in Abstimmung mit dem Bundesminister des Inneren treffen. Eine Konsequenz dieser Entscheidung kann darin bestehen, dass die betreffende Organisation auch im Verfassungsschutzbericht erwähnt und "analysiert" wird.

Der neueste Verfassungsschutzbericht des Bundes bietet tatsächlich etwas Neues. Erstmals werden die JungdemokratInnen/Junge Linke (JD/JL) unter der Rubrik Linksextremismus eigens aufgeführt. "Die nach eigener Einschätzung 'radikaldemokratische' Organisation", so heißt es da, habe sich "zu einem ständigen Partner von Linksextremisten in Aktionsbündnissen, aber auch bei militanten Störungen staatlicher Veranstaltungen" entwickelt. Was das nunmehr von einem sozialdemokratischen Innenminister kontrollierte Schlapphut-Bundesamt dazu bewegt hat, die JD/JL in seinem Bericht aufzuführen, können wir nur erahnen. Eine politische Richtungsänderung - und das spricht durchaus für die Organisation - ist bei den jungen Linken nicht zu erkennen. Dem BfV dürfte vor allem die Störung einer ganz bestimmten, hochnotpeinlichen "staatlichen Veranstaltung", nämlich des Rekrutengelöbnisses am 20. Juli 1999 im Berliner Bendlerblock, aufgestoßen sein. Die zum Schwure angetretenen Jungsoldaten wurden seinerzeit nicht nur mit Transparenten, sondern mit der Nacktheit ihrer TrägerInnen überrascht.

Den konfusen und mit Zitaten wirr bestückten BfV-Bericht könnte man belächeln, wenn er nicht habhafte Konsequenzen für die Organisation hätte. Dieser drohen nach der Verrufserklärung der Entzug von Fördergeldern und damit massive finanzielle Einbrüche.

(Heiner Busch)


[1] Die Welt v. 19.7.2000
[2] Nürnberger Nachrichten online v. 21.7.2000
[3] Süddeutsche Zeitung v. 19.7.2000
[4] Frankfurter Rundschau v. 4.7.2000
[5] Bundesministerium des Innern: Pressemitteilung v. 3.7.2000
[6] BT-Drs. 14/2726 v. 18.2.2000, S. 6
[7] Bremen, Der Senator für Inneres: Pressemitteilung v. 29.6.2000
[8] Nordrhein-Westfalen, Innenministerium: Pressemitteilung v. 25.6.2000
[9] BT-Drs. 14/2661 v. 11.2.2000, S. 9

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HTML-Auszeichnung: Felix Bübl, Martina Kant
Erstellt am 3. September 2000 - letzte Änderung am 26.09.2002