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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 67 (3/2000)

abstand

Meldungen aus Europa


EU-weite Kriminalisierung humanitärer Fluchthilfe?

Mitte Juni starben 58 chinesische MigrantInnen in Dover in einem niederländischen LKW einen grausamen Erstickungstod. Als Reaktion darauf präsentierte die französische EU-Präsidentschaft zwei Wochen später zwei Vorschläge, die die Strafvorschriften gegen die professionelle Fluchthilfe EU-weit angleichen sollen. Zwar konnten die Verhandlungen unter Pariser Leitung nicht abgeschlossen werden. Die Einigung der EU-Innen- und JustizministerInnen ist in Grundzügen allerdings absehbar.

Die französische Präsidentschaft hatte zunächst eine Richtlinie zur Definition der "illegalen Einreise und zum unerlaubten Aufenthalt" vorgeschlagen.[1] Danach hätten die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass jede Person, die - und sei es auch nur versuchsweise - einem Drittstaatsangehörigen dabei hilft, unerlaubt in die EU einzureisen bzw. sich hier ohne Genehmigung aufzuhalten, zu "einer wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafe" verurteilt würde. In einem zweiten Vorschlag für einen sogenannten Rahmenbeschluss[2] sollte der strafrechtliche Sanktionsrahmen konkretisiert werden: Fluchthilfe sei mit einer Strafe zu belegen, die eine Auslieferung ermöglicht. Sofern die Tat von einer kriminellen Vereinigung ausgeführt bzw. bei der Ausführung das Leben von Personen gefährdet wird, soll eine Höchststrafe von acht Jahren verhängt werden können. Für Finnland, Schweden, Dänemark und Österreich geht dies allerdings zu weit.

Mit vergleichbaren repressiven Initiativen, so der Europäische Flüchtlingsrat (ECRE),[3] sei es der EU schon bisher nicht gelungen, die Schleuserkriminalität im Kern zu treffen. Die Maßnahmen hätten sich stattdessen immer gegen das Recht von Flüchtlingen auf Schutzgewährung gerichtet. ECRE kritisierte weiter, dass die neuen Vorschläge keine Ausnahmen für humanitäre FluchthelferInnen (z.B. von Kirchen, im ärztlichen oder im Bildungsbereich) vorsehen.[4]
Auch im EU-Ministerrat ist umstritten, ob nur die gewerbsmäßige oder auch die uneigennützige Fluchthilfe bestraft werden soll. Gegen letzteres sprachen sich insbesondere die Niederlande und Belgien, aber auch Österreich, Finnland und Schweden aus; man wolle nicht "der Arbeit humanitärer Hilfsorganisationen zugunsten der Flüchtlinge" schaden. Großbritannien und die Kommission wollen dagegen den Tatbestand nicht einengen, weil der Beweis des Gewerbsmäßigkeit nur schwer zu führen sei. Als Kompromiss stand zunächst eine "humanitäre Klausel" zur Debatte, derzufolge der Rahmenbeschluss die Verpflichtungen unberührt lassen solle, die sich für die Mitgliedstaaten aus den Art. 31 und 33 der Genfer Flüchtlingskonvention ergeben. Belgien wies den Vorschlag als halbherzig zurück. In rein humanitärer Absicht begangene Handlungen seien grundsätzlich auszuklammern.

Über den französischen Vorschlag hinaus hatte Deutschland die EU-weite Einführung von Straftatbeständen der "illegalen Einreise" und des "illegalen Aufenthaltes" gefordert. Das für die BRD in diesem Punkt federführende Bundesjustizministerium formulierte jedoch auf der Ratstagung am 30. November und 1. Dezember 2000 folgenden Lösungsvorschlag: Die Tatbestandsdefinition der vorgeschlagenen Richtlinie solle auch die humanitäre Hilfe für illegalisierte Flüchtlinge umfassen, denn auch die Verfolgung humanitärer Zwecke entbinde nicht von der Pflicht zur Beachtung von Rechtsvorschriften. Zusätzlich sollte aber im Rahmenbeschluss eine "geeignete Regelung für eine Strafbefreiung bei Handlungen zu humanitären Zwecken" gefunden werden. Dies war in den letzten Tagen der französischen Präsidentschaft aber nicht mehr möglich. Die Verhandlungen gehen unter schwedischer Leitung weiter.

(Mark Holzberger)


Neue Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU

Nachdem die Schweiz 1998 und 1999 Verträge über polizeiliche Zusammenarbeit mit ihren Nachbarstaaten - außer Liechtenstein alle EU-Mitglieder - abgeschlossen hat, will der schweizerische Bundesrat (die Landesregierung) nun auch in die innen- und justizpolitische Kooperation der EU-Staaten eingeklinkt werden. Demnächst wird ein Verbindungsbeamter zu Europol nach Den Haag entsandt. Angestrebt wird weiter ein Anschluss an das Schengener Informationssystem (SIS) und an das Dubliner Erstasylabkommen bzw. das im Entstehen begriffene Informationssystem über Fingerabdrücke von Asylsuchenden (EURODAC). Als Modell hat die Berner Regierung offensichtlich das Beispiel der Nicht-EU-Staaten Norwegen und Island vor Augen, die über einen "gemischten Ausschuss" in die nach dem Amsterdamer Vertrag neugeordnete Schengener Politikmaschinerie einbezogen sind und ab dem 1. Januar 2001 auch beim SIS mitmischen.

Norwegen und Island führen als Mitglieder der Nordischen Passunion im Unterschied zur Schweiz seit langem keine Kontrollen mehr an den Grenzen zu ihren EU-Nachbarstaaten durch. Sie erfüllten damit bereits vor ihrem Einbezug in die Schengen-Kooperation schon die Voraussetzungen des Schengener Durchführungsübereinkommens. Seitdem die StimmbürgerInnen der Schweiz in einer Volksabstimmung im Mai 2000 u.a. die schrittweise Einführung der Personenfreizügigkeit für EU-Staatsangehörige gut hießen, sind die Chancen für eine Lösung à la Norwegen und Island gestiegen.

Die vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) im November 1999 eingesetzte Arbeitsgruppe USIS (Überprüfung des Systems der Inneren Sicherheit) denkt nun auch über eine Aufhebung der Grenzkontrollen nach - eine auf den ersten Blick erstaunliche Entwicklung, die dem bisherigen Bestreben, vor allem die Südgrenze gegen Flüchtlinge und ImmigrantInnen abzudichten, zuwiderzulaufen scheint. Dem deutschen Vorbild gemäß sollen aber die bisherigen Checks "auf der Grenzlinie" ersetzt werden durch eine Schleierfahndung im Hinterland. Geht man vom üblichen 30 km-Grenzstreifen aus, könnte das 2.000 Personen starke Grenzwachtkorps (GWK) künftig auch in Großstädten wie Basel und Genf ohne Verdacht kontrollieren. Es träte in Konkurrenz zu den Polizeien der Kantone; der polizeiliche Föderalismus wäre einmal mehr in Frage gestellt. Das GWK könnte sich so zum Kern einer Bundessicherheitspolizei entwickeln. Die Chancen, dass die SchweizerInnen dieses Projekt wie 1978 in einem Referendum ablehnen, stehen denkbar schlecht.

(Heiner Busch)


Europol - mehr Befugnisse

Am 30. November 2000 billigte der Rat der Innen- und JustizministerInnen ein Protokoll zur Änderung der Europol-Konvention.[5] Das Protokoll, das von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss, folgt einer Empfehlung des Europäischen Rates von Tampere (Oktober 1999) und erweitert den Zuständigkeitsbereich des Amtes. Schon bisher konnte Europol in Geldwäschefragen Daten sammeln, bearbeiten und die nationalen Polizeien unterstützen, aber nur soweit die Vortat - also z.B. der illegale Drogenhandel - selbst im Katalog seiner Zuständigkeiten enthalten war. Mit dem Protokoll wird diese Begrenzung aufgehoben.

Zwei weitere Ratsentscheidungen im zweiten Halbjahr 2000[6] markieren den Einstieg in die Legalisierung operativer Tätigkeiten von Europol: Mit einer Empfehlung vom 28. September werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, "etwaige Ersuchen seitens Europol um die Einleitung, Durchführung oder Koordinierung von Ermittlungen ... unverzüglich" zu bearbeiten. Da es sich um eine Empfehlung handelt, ist es den nationalen Behörden freigestellt, ob sie der Aufforderung folgen. Das Instrument der Empfehlung erspart dem Rat eine ratifizierungsbedürftige und damit zeitaufwändige Änderung der Europol-Konvention.

Mit dem selben Trick hat man die Beteiligung des Amtes an gemeinsamen Ermittlungsgruppen gelöst. Am 30. November "empfahl" der Rat den Mitgliedstaaten, "in vollem Umfang die Möglichkeiten zur Unterstützung der gemeinsamen Ermittlungsteams durch Europol zu nutzen." Europol soll "Kenntnisse über kriminelle Kreise" bereit stellen, operative Maßnahmen koordinieren, die Teams technisch beraten und gegebenenfalls eine neue Analysedatei eröffnen. In beiden Fällen wird auf Art. 4 der Konvention Bezug genommen, der allerdings nur vorschreibt, dass die Kommunikation mit Europol über die nationalen Polizeizentralen abgewickelt wird. Zwar schwört man Stein und Bein auf die "Einhaltung des Europol-Übereinkommens", dennoch kann kein Zweifel bestehen, dass es sich um neue, nämlich operative Aufgaben handelt, die an den Parlamenten vorbei durchgesetzt werden sollen.

(Heiner Busch)



[1] Dok. 10675/00 v. 3.8.2000 DROIPEN 31/MIGR 59
[2] Dok. 10676/00 v. 3.8.2000 DROIPEN 32/MIGR 60
[3] ECRE: Comments on two French Proposals, Brussels 7.11.2000
[4] So auch der Ausschuss für die Freiheit und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten des Europaparlaments vom 25.10.2000 (EP-Dok. A5-0315/2000)
[5] Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 358 v. 13.12.2000, S. 1-7
[6] Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 298 v. 12.10.2000, S. 8; Nr. C 357 v. 13.12.2000, S. 7f.

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Erstellt am 14. Januar 2001 - letzte Änderung am 18.07.2002