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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 67 (3/2000)

abstand

Inland aktuell



Lauschangriffe 1999

Am 17.8.2000 legte die Bundesregierung zum zweiten Mal den Bericht über die akustische Wohnraumüberwachung durch die Polizei vor.[1] Auch dieser zweite Bericht registriert nicht die Überwachungsmaßnahmen auf polizeirechtlicher Grundlage, sondern nur diejenigen, die nach § 100c Nr. 3 StPO durchgeführt wurden. Danach wurden 1999 insgesamt 30 Wohnungen in elf Bundesländern abgehört. Dreizehnmal wurde wegen Drogendelikten, elfmal wegen Mord, Totschlag oder Völkermord abgehört. Bei zwei Fällen handelte es sich um Ermittlungen wegen (schweren) Bandendiebstahls sowie wegen Geldwäsche. Nur die Hälfte aller Lauschangriffe brachte für das Ermittlungsverfahren relevante Informationen. Die Lauschangriffe dauerten im Schnitt 22,8 Tage (der kürzeste 1 Tag, der längste 94 Tage) und verursachten insgesamt Kosten von mindestens 244.156,62 DM. Den "günstigsten" gab es in Baden-Württemberg - eine 27-tägige Überwachungsaktion kostete angeblich 0,00 DM. Dagegen wurden in Hessen für das jeweils acht Tage dauernde Abhören zweier Wohnungen zusammen 51.461,00 DM berechnet.

Als Betroffene sind 63 Beschuldigte und 79 Nichtbeschuldigte registriert. Angesichts anders lautender Erläuterungen ist davon auszugehen, dass - wie schon im ersten Bericht - nur WohnungsinhaberInnen, sonstige Nutzungsberechtigte und die Beschuldigten erfasst, hingegen Personen, die sich in der überwachten Wohnung "lediglich zufällig aufgehalten haben", ausgeklammert wurden.[2] Allenfalls ein Lauschangriff aus Brandenburg, bei dem neben den drei Beschuldigten auch 38 Nichtbeschuldigte als Betroffene gezählt wurden, könnte aus diesem Schema herausfallen. In 12 Fällen waren die Abgehörten zum Zeitpunkt der Meldung nachträglich über die Überwachung informiert worden. In der Mehrzahl der Fälle unterblieb die Benachrichtigung bislang.

Der aktuelle Bericht korrigiert auch die Zahlen für 1998. Demnach wurden zwischen dem 9. Mai und dem 31. Dezember 1998 nicht neun, sondern elf Wohnungen in neun (statt acht) Bundesländern abgehört.

(Andrea Böhm)


StVÄG in Kraft getreten

Am 1. November 2000 traten die Bestimmungen des "Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999" vollständig in Kraft, das im Juni von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden war.[3] Den Hauptteil der Novelle bilden die Regelungen über personenbezogene Dateien der Strafverfolgungsbehörden. Daneben wird die Position der Polizei im Ermittlungsverfahren weiter ausgebaut: Mit der "längerfristigen Observation" wird eine weitere verdeckte Polizeimethode in der Strafprozessordnung verrechtlicht. Ihr Einsatz ist an die (rechtlich unbestimmten) "Straftaten von erheblicher Bedeutung" gebunden. Bei "Gefahr im Verzuge" darf sie bis zu einer Dauer von drei Tagen auch von der Polizei angeordnet werden. Die neuen Bestimmungen über Fahndung und Öffentlichkeitsfahndung erlauben ebenfalls eine Anordnung durch die Polizei bei "Gefahr im Verzuge" - erst nach einer Woche müssen richterliche oder staatsanwaltschaftliche Bestätigungen eingeholt werden.

Der neue § 481 stellt klar, dass die Polizei personenbezogene Informationen, die im Rahmen von Ermittlungsverfahren erhoben wurden, "zur Gefahrenabwehr verwenden" darf. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach herrschender Lehre auch die "vorbeugende Verbrechensbekämpfung" zur Gefahrenabwehr gehört. Umgekehrt erlaubt der neue § 161 die Übernahme polizeirechtlich gewonnener Daten in Ermittlungsverfahren. Lediglich für Daten aus Lauschangriffen auf Wohnungen, die der Eigensicherung dienten, ist eine Kontrolle durch ein Amtsgericht vorgesehen. Im Rahmen der Novelle wurde auch das Gesetz über das Bundeskriminalamt um eine entsprechende Passage erweitert.

Die umfänglichen Dateiregelungen (§§ 474-491) ermächtigen neben der Polizei nun auch die Justiz, Personendaten für "Zwecke künftiger Strafverfahren" zu speichern, zu verändern und zu nutzen.

(Norbert Pütter)


Fenstersprung eines kurdischen Asylsuchenden

Mit gezogenen Pistolen stürmen am 24.11.2000 uniformierte Polizeibeamte die Psychotherapeutische Beratungsstelle Xenion in Berlin. Sie suchen den Asylbewerber Davut K., der in die Türkei abgeschoben werden soll. Der 17-jährige Kurde war beim Schwarzfahren erwischt und von der Polizei bis zu der Praxis verfolgt worden. Als die Beamten gegen den Willen des Therapeuten in die Räume eindringen, springt K. aus Angst vor den Verfolgern aus dem Fenster und verletzt sich lebensgefährlich.

Der martialische Auftritt der Polizei in einer Beratungsstelle, die von Folter und Krieg traumatisierte Flüchtlinge behandelt, ist nicht der einzige Behördenskandal in diesem Fall. K. war bereits im Alter von 15 Jahren als mutmaßliches PKK-Mitglied von türkischen Militärs inhaftiert worden. Unter Folter, so erklärt er im Asylverfahren, habe er sich bereit erklärt, gegen andere Aktivisten auszusagen, worauf die Haft ausgesetzt worden und er nach Deutschland geflohen sei. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge deklariert jedoch die Papiere des Jugendlichen als Fälschungen und lehnt den Asylantrag ab. Auch das Verwaltungsgericht bestätigt diese Entscheidung ohne weitere Prüfung der vorgelegten Kopien. Erst Recherchen des Nachrichtenmagazins "Kontraste" beim türkischen Sicherheitsgericht ergeben die Echtheit von Anklageschrift, Haftbefehl und Haftentlassungsschein.

Der Niedersächsische Flüchtlingsrat kritisierte angesichts dieses Falles die fahrlässige Praxis deutscher Behörden. Dokumentiert seien 32 Asylanträge von Kurden, die zu Unrecht abgelehnt wurden; dies sei jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Doch die Behörden leugnen ihre Verantwortung ebenso wie die Polizei. Anstatt das Verhalten seiner Beamten am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu überprüfen, spricht Berlins Polizeipräsident Hagen Saberschinsky von einem "tragischen Fall". Zwar wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet - allerdings nicht gegen die Polizisten, sondern gegen den Therapeuten und seine Sekretärin wegen unterlassener Hilfeleistung und Widerstandes.

(Christine Hohmeyer)


Schleierfahndungen durch den Bundesgrenzschutz (BGS)

Wenn sie nicht vorher verlängert wird, tritt die 1998 verabschiedete Befugnis des BGS, verdachtsunabhängige Personenkontrollen in Zügen, auf Bahnanlagen und Flughäfen auch jenseits des 30 km tiefen Grenzgebietes vorzunehmen, zum Jahresende 2003 außer Kraft. Der Bundesrat hatte diese Befristung im Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt und sich eine abschließende Bewertung vorbehalten. Auf Bitten des Bundestages wird die Bundesregierung vor Fristablauf eine Evaluation vorlegen.

In einer Kleinen Anfrage vom August 2000 hat die PDS-Fraktion eine Zwischenbilanz gefordert. In der Antwort erklärt die Bundesregierung, sie sähe "für einen vorgezogenen Zwischenbericht über den Stand der Evaluation ... keine Veranlassung".[4] Die "ständige begleitende Bewertung der Eingriffsbefugnis" sei "zum gegenwärtigen Zeitpunkt aussagekräftig nicht abgeschlossen." Aus der Antwort auf die Anfrage lässt sich jedoch bereits jetzt erahnen, welcher Güte die abschließende Evaluation sein wird. Präsentiert wird lediglich die Anzahl der verdachtsunabhängigen Personenkontrollen außerhalb (§ 22 Abs. 1a BGSG) und innerhalb des 30 km-Grenzgebietes (§ 23 Abs. 1 Nr. 3) sowie die Zahl der dabei festgestellten "illegalen Einreisen":

Jahr Kontrollen nach § 22 Abs. 1a Festgestellte unerlaubte Einreisen Kontrollen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 Festgestellte unerlaubte Einreisen
1999 206.651 2.377 387.375 5.087
2000 (1. Hj.) 159.315 797 280.728 2.288

Auf weitergehende Fragen - nach der Entfernung der Kontrolle von der Grenze, der Zahl der Personen ohne mitgeführten Ausweis, Folgeeingriffen, Auseinandersetzungen mit und Beschwerden von Kontrollierten etc. - heißt es stets, es gebe keine zentrale Erfassung oder: "hierzu wird keine statistische Anschreibung geführt." Ebenfalls unbeantwortet blieben Fragen nach der Effizienz der Schleierfahndung hinsichtlich organisierter (Schleuser-)Kriminalität. Die Behauptung, Personenkontrollen an einem "Kontrollpunkt" richteten sich an alle Angetroffenen, also auch an "einheimische Personen", lässt sich nur aufrecht erhalten, weil das Merkmal Staatsangehörigkeit gar nicht erst erhoben wird. Wie die Regierung trotz fehlender Erhebungen zu dem Urteil kommt, "dass sich die Notwendigkeit zum Erhalt dieser Norm auch nach Ablauf der zeitlichen Befristung ergeben wird", ist ihr Geheimnis.

(Martina Kant)



[1] BT-Drs. 14/3998 v. 17.8.2000
[2] BT-Drs. 14/2452 v. 27.12.1999
[3] Bundesgesetzblatt I, Nr. 38 v. 11.8.2000, S. 1252
[4] BT-Drs. 14/3990 v. 14.8.2000 und 14/4485 v. 6.11.2000

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HTML-Auszeichnung: Felix Bübl, Martina Kant
Erstellt am 14. Januar 2001 - letzte Änderung am 18.07.2002