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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 67 (3/2000)

abstand

Polizeiübergriffe auf AusländerInnen

Kaum Chancen vor Gericht


von Anja Lederer und Heiner Busch


Spätestens seit den Berichten von amnesty international und der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hat die deutsche Öffentlichkeit anerkennen müssen, dass polizeiliche Übergriffe gegen AusländerInnen keine Erfindung böswilliger KritikerInnen sind, sondern tagtägliche Realität. Diese wird allerdings nur selten gerichtsnotorisch.

Hintergrund dieser Realität ist ein gesellschaftliches Klima, in dem unterschieden wird zwischen "guten" AusländerInnen, "die uns nützen", und "schlechten", "die uns ausnützen". Auch der im Zuge der "green card" geführten Debatte um eine gesetzliche Regelung der Zuwanderung liegt offensichtlich die Prämisse zugrunde, dass noch zu viele AusländerInnen dieser zweiten Kategorie in der BRD leben. Dieses Klima hat Auswirkungen auf die Kriminalpolitik und damit auf das polizeiliche Handeln. Die ausländische Bevölkerung, die schon traditionell besonderer "krimineller Energie" verdächtig ist, gerät in weitaus stärkerem Maße als sogenannte NormalbürgerInnen ins Visier der Polizeibehörden und wird so fast zwangsläufig häufiger Opfer von deren Übergriffen.

Suchet, so werdet ihr finden

PolizeibeamtInnen haben unbestreitbar größere Chancen, eine Ordnungswidrigkeit oder gar eine Straftat aufzudecken, wenn sie statt der "NormalbürgerInnen" ausländische MitbürgerInnen kontrollieren. Wer Ausländerakten studiert, muss feststellen, dass es etwa hier lebenden Asylsuchenden, die jahrelang auf eine abschließende gerichtliche Entscheidung über ihren Asylantrag warten müssen, nahezu unmöglich ist, nicht irgendwann einmal gegen die speziell für sie geltende Sondergesetzgebung zu verstoßen und in eine Normfalle zu geraten.

Den Standardfall dessen bildet das "unerlaubte Verlassen des räumlichen Geltungsbereichs" der Aufenthaltsgestattung. Entsprechende Erlaubnisse werden von den Ausländerbehörden in vielen Fällen schlicht verweigert. Wenn Asylsuchende sich trotzdem außerhalb des ihnen zugewiesenen Kreises aufhalten und dabei von der Polizei kontrolliert werden, so ist eine Anzeige unausweichlich. Eine besondere Gefahr stellen dabei sogenannte polizeiliche Schwerpunktbereiche dar - in Berlin etwa der Bahnhof Zoo oder der Alexanderplatz -, an denen verdachtsunabhängige Kontrollen schon vor Einführung der Bestimmungen über die Schleierfahndung die Regel waren. Gezielte Kontrollen ausländisch aussehender Menschen sind für die Polizei verlockend, weil sie ihre Erfolgsstatistik ohne Aufwand und zeitraubende Ermittlungen aufpolieren kann. Die Praxis ist zwar legal, sie bleibt aber trotzdem diskriminierend. Mit der Zunahme solcher Eingriffe wird auch die Wahrscheinlichkeit von Gewalt und Übergriffen im engeren Sinne größer.

Gezielte Gewalt bei schwerpunktmäßiger Polizeiarbeit

Übergriffe gegen AusländerInnen geschehen auch in vielen anderen Fällen im Rahmen spezieller polizeilicher Schwerpunktsetzungen, die deutlich auf ausländische Klientel abstellen. Erinnert sei hier etwa an die Einrichtung von diversen polizeilichen Sondereinsatzgruppen für bestimmte ethnische Gruppen, "AG Vietnam" mit Schwerpunkt auf der Fahndung nach illegalem Zigarettenhandel, "AG Rumba" u.ä. Eine polizeiliche Schwerpunktsetzung mit gezielter Ausrichtung auf ausländische Tatverdächtige existiert darüber hinaus bei der Drogenbekämpfung. Bei all diesen Aufgabenbereichen kommt es vielfach zu systematischer Anwendung illegaler Gewalt durch die Polizei.

So finden zum Beispiel seit 1996 verstärkt Razzien am Breitscheidplatz in Berlin statt, im Rahmen derer mehrmals täglich gezielt gegen afrikanisch und arabisch aussehende Menschen vorgegangen wird. Diese Razzien beinhalten ein abgestuftes Programm verschiedener Eskalationsstufen, wobei nach Berichten Betroffener bereits die auf der ersten Stufe stattfindenden Personalienkontrollen teilweise mit Tritten, Fesselungen oder zu Boden werfen verbunden sind.[1] In vielen deutschen Großstädten dürfte das polizeiliche Vorgehen gegen offene Drogenszenen und den Drogenkleinhandel ähnlich aussehen. Dokumentiert sind z.B. Massenfestnahmen von Afrikanern am Düsseldorfer Hauptbahnhof.[2] Der Hamburger Polizeiskandal von 1994 war einer der wenigen Fälle, in denen es gelang, mit derartigen Schwerpunktsetzungen verbundene Übergriffe zu einem politischen Thema zu machen.

Ein scheinbar rechtsfreier Raum

Da sie im formalen Kontext staatlichen Handelns geschehen, werden Polizeiübergriffe nur selten sanktioniert. Üblicherweise werden entsprechende Vorwürfe zunächst pauschal geleugnet. Ermittlungen erfolgen, wenn überhaupt, erst einige Zeit nach dem Vorfall und führen letztlich nur in einer verschwindend geringen Zahl zu disziplinarischen oder strafrechtlichen Konsequenzen für die agierenden PolizeibeamtInnen. Handelt es sich bei den Betroffenen um AusländerInnen, so werden die Übergriffe häufig nicht einmal angezeigt. Dies versteht sich fast von selbst bei Personen, die sich illegal in Deutschland aufhalten und denen der Zugang zum Rechtssystem wegen ihres fehlenden Status faktisch verbaut ist. Aber auch AusländerInnen mit einem legalen Aufenthaltsstatus stehen vor überdurchschnittlichen Schwierigkeiten, nach einem Polizeiübergriff zu ihrem Recht zu kommen.

Wer polizeiliches Fehlverhalten anzeigt, muss immer damit rechnen, selbst BeschuldigteR einer Gegenanzeige zu werden. Gängigste Vorwürfe sind Widerstand gegen die Staatsgewalt, Beleidigung oder falsche Verdächtigung. Ein aktuelles Beispiel ist die gewaltsame Festnahme des britischen Journalisten chinesischer Herkunft Justin Jing im August 2000 durch zwei Polizistinnen in Rathenow. Jing war zuvor von einem 21-jährigen Skinhead angegriffen worden. Ein Augenzeuge, der Asylbewerber Christopher Nsoh, wurde prompt mit einer Anzeige wegen Verleumdung überzogen. Zudem bezichtigte man ihn öffentlich der Lüge.[3]

Während Deutsche bei einer solchen (Gegen-)Anzeige "nur" eine Verurteilung riskieren, laufen ausländische Personen zudem Gefahr, ausgewiesen oder abgeschoben zu werden. Eine strafrechtliche Verurteilung kann selbst für Personen mit einem gefestigten aufenthaltsrechtlichen Status einen Ausweisungsgrund darstellen. Angesichts dieses Risikos stellt die Frage, ob sie einen polizeilichen Übergriff überhaupt zur Anzeige bringen sollen und damit gegebenenfalls eine Gegenanzeige provozieren, viele ausländische Betroffene vor eine schwere Entscheidung. Wenn eine Gegenanzeige zu erwarten sei, so der Berliner Rechtsanwalt Martin Rubbert,[4] der in vielen einschlägigen Verfahren engagiert war, müsse man sich überlegen, was mehr bringe: den Übergriff anzuzeigen und damit zu einem juristischen Gegenschlag auszuholen oder im Verfahren gegen den eigenen Mandanten auf eine defensive Strategie zu setzen. So belegen etwa die von der "Aktion Courage" dokumentierten Fälle, dass bereits die Einstellung des Verfahrens gegen die Betroffenen polizeilicher Gewalt als juristischer Erfolg gewertet werden muss.[5]

Grundsätzlich, so betont auch Rechtsanwalt Rubbert, sei er zwar daran interessiert, dass polizeiliche Gewalt zur Anzeige gebracht wird. Wenn jemand wegen eines Übergriffs zu ihm komme, seien seine ersten Fragen aber: Was ist der aufenthaltsrechtliche Status des oder der Betroffenen? In welcher sozialen Situation leben sie? Halten sie das ganze Procedere überhaupt durch? Viele AusländerInnen kämen aber erst gar nicht in anwaltliche Beratung, weil sie polizeiliche Gewalt als Normalität wahrnähmen.

Die Chancen, dass ihren Aussagen und nicht denen der PolizeibeamtInnen vor Gericht Glauben geschenkt wird, sind tatsächlich eher gering. Sprachliche Probleme, mangelnde Ausdrucksfähigkeit und allgemeine Unsicherheit der ausländischen Betroffenen finden vielfach ihr Pendant in entsprechenden Vorbehalten seitens der Ermittlungsbehörden und Gerichte. Für viele Opfer stellt sich auch ein Kostenproblem, da sie in der Regel anwaltlicher Hilfe bedürfen, um auf eine sorgfältige Durchführung der oft zeitaufwendigen Ermittlungen Einfluss nehmen zu können.

Das geringe Interesse an entsprechenden Ermittlungen und die Dauer derartiger Ermittlungsverfahren bergen zudem immer die Gefahr, dass AnzeigenerstatterInnen bzw. ZeugInnen mit zuvor schon prekärem Aufenthaltsstatus inzwischen wegen Ausreise oder Abschiebung für eine Aussage vor Gericht nicht mehr zur Verfügung stehen. Zwar besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Personen, die als ZeugInnen in einem Strafverfahren benötigt werden, wegen des öffentlichen Interesses an ihrer Aussage eine ausländerrechtliche Duldung zu erteilen. Von diesem Ermessen machen die Ausländerbehörden - auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft - allerdings vor allem dann Gebrauch, wenn es um Aussagen in Verfahren gegen ausländische oder jedenfalls "übliche" Beschuldigte geht.

Aufklärung als Ausnahme

Zu den wenigen Fällen, in denen es dennoch gelungen ist, Polizeibeamte wegen Übergriffen auf AusländerInnen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, gehören die sogenannten "Bernauer Verfahren". Gegenstand der Verfahren waren planvolle brutale Misshandlungen von 15 vietnamesischen und einem polnischen Staatsangehörigen zwischen Februar 1993 und Juni 1994.[6] Unter dem Verdacht des illegalen Zigarettenhandels Festgenommene waren in Bernau Opfer von regelrechten Folterungen und exzessiven Demütigungen geworden, unter anderem durch gezielte Schläge auf den nackten Körper, versuchte Vergewaltigungen und Kastrationsdrohungen.

Im Sommer 1994 sei - so Rubbert, der in diesen Verfahren als Vertreter der Nebenklage auftrat - jenseits der Frage des Aufenthaltsstatus "eine Lawine losgegangen", nachdem der Berliner Verein "Reistrommel" die Misshandlungen öffentlich gemacht hatte. Seiner Einschätzung nach sind die Reaktionen auf diese Vorfälle ein Sonderfall. Einerseits habe es wohl auch aufgrund des Drucks der Presse einen politischen Willen zur Aufklärung gegeben. Maßgebend sei hier die Rolle der Eberswalder Polizeipräsidentin Uta Leichsenring gewesen, die sehr schnell nach Bekanntwerden der Übergriffe handelte. Die betreffenden Bernauer Polizeibeamten wurden sofort vom Dienst suspendiert.[7] Das brandenburgische Landeskriminalamt bildete eine Sonderkommission, die eine wahrhaft unglaubliche Ermittlungsbereitschaft und Flexibilität an den Tag legte. Rubbert berichtet etwa davon, dass ZeugInnenvernehmungen in den Räumen des Vereins "Reistrommel" stattfinden konnten, was den Ermittlungen zweifellos förderlich gewesen ist.

Andererseits hätten sich die Vorwürfe auf eine Schicht der Bernauer Polizei konzentriert, was die Aufklärungsmöglichkeiten überschaubar machte. Die Polizisten wurden wegen Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung und Aussageerpressung angeklagt und im Mai 1999 vom Landgericht Frankfurt/Oder verurteilt.[8] Demgegenüber verliefen die Ermittlungen in Berlin wegen ähnlicher Vorwürfe weitgehend im Sande. Nur in sehr wenigen Fällen kam es überhaupt zur Anklageerhebung. In einem Fall, so Rubbert, habe er sogar - vergeblich - ein Klageerzwingungsverfahren betrieben.

War es in Bernau der politische Wille der Polizeiführung, der dazu führte, dass Übergriffe auf AusländerInnen strafrechtlich verfolgt wurden, so zeigte sich in Frankfurt/Main 1994 eine mindestens ebenso große Seltenheit. Mit einer Aussage bei seinem Vorgesetzten sorgte ein 18-jähriger Polizeischulabsolvent dafür, dass die Misshandlung eines 18-jährigen Algeriers vor Gericht gelangte. Der Jugendliche war wegen eines Joints festgenommen und im Einsatzfahrzeug verprügelt worden. Damit die Schreie nicht nach außen drangen, hatte der Truppenführer das Radio aufgedreht. Anschließend sprühten die Beamten ihr Opfer mit Desinfektionsspray ein und zündeten es an. Ein Polizist schob dem Algerier schließlich seine Dienstwaffe in den Mund. Nach der Aussage des jungen Polizisten wurde die Waffe beschlagnahmt und Speichelspuren entdeckt. Die drei beteiligten Beamten wurden wegen Aussageerpressung, Körperverletzung im Amt und Bedrohung zu Freiheitsstrafen zwischen vierzehn Monaten und drei Jahren ohne Bewährung verurteilt.[9]

Dafür dass Übergriffe auf AusländerInnen nicht für die Opfer, sondern für die Täter Konsequenzen haben, bedarf es offenbar vieler Zufälligkeiten - zu vieler, um aus solchen Ausnahmen eine Regel werden zu lassen.

Anja Lederer ist Rechtsanwältin und Redakteurin von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.



[1] Antirassismusbüro Bremen: "Sie behandeln uns wie Tiere", Rassismus bei Polizei und Justiz in Deutschland, Berlin und Göttingen 1997, S. 202f.
[2] ebd., S. 204
[3] s. http://www.opferperspektive.de, Pressemitteilungen v. 27.8. und 2.9.2000
[4] Interview, 6.12.2000
[5] Aktion Courage - SOS Rassismus: Polizeiübergriffe gegen AusländerInnen, Bonn 1994, 1996 und 1999
[6] amnesty international: Neue Fälle - altes Muster, London 1997, ai-Index: EUR 23/04/99
[7] Antirassismusbüro Bremen a.a.O. (Fn. 1), S. 211
[8] ebd.
[9] ebd., S. 208f., vgl. auch das Interview mit dem anzeigenden Polizisten in: Behr, R.: Cop Culture. Der Alltag des Gewaltmonopols, Opladen 2000, S. 140-147

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HTML-Auszeichnung: Felix Bübl, Martina Kant
Erstellt am 14. Januar 2001 - letzte Änderung am 18.07.2002