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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 67 (3/2000)

abstand

Literatur


Zum Schwerpunkt

Je nachdem, wohin man blickt, lässt sich sagen, dass die Literatur zu Polizeiübergriffen reichhaltig oder dass sie ausgesprochen spärlich ist. "Reichhaltig" sind die Berichte der Opfer von Polizeigewalt. Dazu gehören nicht nur Nachrichten aus der Tagespresse, sondern auch die Veröffentlichungen, in denen kleine Gruppen immer wieder besonders gravierende Übergriffe dokumentieren, oder die Publikationen, in denen Menschenrechtsgruppen "Fälle" zusammenstellen. Sieht man die Summe derartiger Primärquellen, dann ließe sich die Geschichte der bundesdeutschen Polizei auch als eine Geschichte der Übergriffe schreiben. Demgegenüber beschäftigt sich die polizeiliche und wissenschaftliche Publizistik kaum mit illegaler und/oder übermäßiger polizeilicher Gewalt; in dieser Hinsicht ließe sich allenfalls eine Verdrängungsgeschichte schreiben.

Brusten, Manfred: Strafverfahren gegen Polizeibeamte in der BRD. Empirische Anmerkungen zur Theorie der "Schwarzen Schafe", in: Ders. (Hg.): Polizei-Politik, Kriminologisches Journal 4. Beiheft, Weinheim 1992, S. 84-115
Dieser Aufsatz thematisiert die "Kriminalität von Polizisten". Brusten diskutiert die Schwierigkeiten, aufgrund fehlender und lückenhafter Daten das Ausmaß polizeilichen Fehlverhaltens zu bestimmen. Die zum damaligen Zeitpunkt verfügbaren Daten werden präsentiert und kommentiert; Übergriffe, d.h. Körperverletzungen im Amt, stellen dabei nur eine polizeiliche Kriminalitätsform unter anderen dar.

amnesty international: Neue Fälle - altes Muster. Polizeiliche Mißhandlungen in der Bundesrepublik Deutschland, London 1997
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V. (Hg.): "Sie behandeln uns wie Tiere". Rassismus bei Polizei und Justiz in Deutschland (Gegen die Festung Europa, H. 4), Berlin, Göttingen 1997
Aktion Courage - SOS Rassismus: Polizeiübergriffe gegen AusländerInnen und Ausländer, Bonn 1999
Herrnkind, Martin: "Schwarze Schafe", in: Unbequem 1996, Nr. 27, S. 37-49 fortlaufend bis Unbequem 2000, Nr. 42, S. 23-28
Öffentliche Resonanz haben in den letzten Jahren insbesondere Polizeiübergriffe auf MigrantInnen erfahren, die von verschiedenen Gruppen dokumentiert wurden. Vor allem die Berichte von amnesty international haben zu heftigen Diskussionen geführt. SOS-Rassismus hat im letzten Jahr eine erneute Sammlung von Fällen vorgelegt. Martin Herrnkind stellt unter der ironischen Rubrik "Schwarze Schafe" fortlaufend polizeiliche Übergriffe - nicht nur gegenüber AusländerInnen - zusammen. Aufgrund von Zeitungsmeldungen kamen seit 1996 über 200 schwarze Polizeischafe zusammen.

Bornewasser, Manfred; Eckert, Roland; Willems, Helmut: Die Polizei im Umgang mit Fremden - Problemlagen, Belastungssituationen und Übergriffe, in: Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 1996, H. 1/2, S. 9-162
Als Reaktion auf die u.a. von amnesty international erhobenen Vorwürfe entstand diese von der Innenministerkonferenz in Auftrag gegebene Studie. Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Polizei wird auf Überlastung, Frust und schlechte Arbeitsbedingungen zurückgeführt. Es deute vieles darauf hin, dass "die Kumulation von Belastungen in Ballungszentren mit hoher illegaler Einwanderung und Kriminalität sowie bei Großeinsätzen gegen verbotene Demonstrationen manche Beamte überfordert". Die von ihnen wahrgenommene "Erfolg- und Folgenlosigkeit" ihres Handelns führe entweder dazu, dass sie resignierten und wegschauten oder "mit 'Ersatzjustiz' ihrem Gerechtigkeitsgefühl oder nur ihrer Frustration und Überlastung illegalen Ausdruck ... verleihen" würden (S. 160).

Jaschke, Hans-Gerd: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei der Polizei, in: Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 1996, H. 1/2, S. 199-220
Jaschke, Hans-Gerd: Öffentliche Sicherheit im Kulturkonflikt, Frankfurt/Main 1997
Mletzko, Matthias; Weins, Cornelia: Polizei und Fremdenfeindlichkeit, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 82. Jg., 1999, H. 2, S. 77-93
Aufgrund seiner Untersuchung bei der Frankfurter Schutzpolizei führt Jaschke fremdenfeindliche Einstellungen auf das Zusammenwirken bestimmter polizeilicher Arbeitsbedingungen und -formen mit Aus- und Fortbildungsdefiziten und dem allgemeinen gesellschaftlichen Klima zurück, in dem AusländerInnen als "verfolgenswert" hingestellt werden. "Fremdenfeindliche Orientierungs- und Verhaltensmuster sind angesichts all dessen rückwärts gewandte Rationalisierungsmechanismen, die das komplex gewordene Feld ethnisch-kultureller Beziehungen vereinfachen und auflösen in Stereotype und Bilder devianter Ausländergruppen, deren Ausgrenzung legitim erscheint."
Die Befragungsergebnisse, die Mletzko und Weins in einer westdeutschen großstädtischen Polizeidirektion erhielten, bestätigen den Zusammenhang zwischen (wahrgenommener) Arbeitsbelastung und der Entwicklung fremdenfeindlicher Einstellungen. Bei rund 15% der befragten PolizistInnen wurden "verfestigte fremdenfeindliche Einstellungen" festgestellt. Im Unterschied zu Jaschke wird jedoch ein größeres Fragezeichen hinter dem Vorschlag gemacht, dass entsprechende Aus- und Fortbildungsangebote derartige Einstellungen auflösen könnten.

Heuer, Hans-Joachim: Fremdenfeindlich motivierte Übergriffe der Polizei: Strukturelles Problem oder individuelle Überforderung?, in: Die Polizei 90. Jg., 1999, H. 3, S. 72-79
Heuer, Hans-Joachim: Fremdenfeindliche Einstellungen und polizeiliches Handeln. Forschungsstand, Gegenmaßnahmen und Ausblick, in: Kriminalistik 52. Jg., 1998, H. 6, S. 401-410
Nicht "Schwarze Schafe", sondern "strukturelle Probleme" führen nach Heuer, Leiter des Fachbereichs Rechts- und Sozialwissenschaften an der Polizei-Führungsakademie, zu Polizeiübergriffen. Diese strukturellen Probleme werden vor allem in den von Bornewasser u.a. diagnostizierten Überlastungen sowie in polizeilichen Organisationsdefiziten - im Anschluss an den Hamburger Untersuchungsausschuss - gesehen. Da die Belastungen des Polizeiberufs von "niemandem gemindert werden" könnten, schlägt Heuer die Vermittlung eines "realitätstüchtigen Aufgabenverständnisses" sowie die Rotation von Führungs- und Einsatzkräften und die Einführung von Supervision in "Schwerpunktdienststellen" vor.

Schäfer, Herbert: Identifikation mit dem gesetzlichen Auftrag und auftragswidrige Kameraderie, in: Der Kriminalist 28. Jg., 1996, H. 5, S. 210-221
Behr, Rafael: Funktion und Funktionalisierung von Schwarzen Schafen in der Polizei, in: Kriminologisches Journal 32. Jg., 2000, H. 3, S. 219-229
Dass sich die strukturellen Bedingungen polizeilicher Übergriffe nicht auf Belastungssituationen beschränken lassen, wird in diesen beiden Aufsätzen deutlich. Die entscheidenden Faktoren werden vielmehr in einer gewalthaften polizeilichen Subkultur gesehen, die Übergriffe gleichermaßen befördere wie sie deren Aufdeckung erschwere. Insbesondere der von Behr gelieferte Einblick in die Binnenmechanismen polizeilicher Arbeitsverhältnisse ist überzeugend und erschreckend zugleich. Mitunter verleitet dies jedoch dazu, den Zusammenhang zwischen der Subkultur der polizeilichen Handarbeiter und der polizeilichen (Hoch-)Kultur zu unterschätzen.

Proske, Manfred: Ethnische Diskriminierung durch die Polizei, in: Kriminologisches Journal 30. Jg., 1998, H. 3, S. 162-188
Ausgehend von der öffentlichen Skandalisierung von Übergriffen, die einer individualistischen Interpretation den Boden bereiteten, liefert der Artikel zunächst eine pointierte Kritik an dem Gutachten von Bornewasser u.a. Proske wirft den Autoren vor, die Sichtweisen der PolizistInnen ungebrochen zu übernehmen, "ethnische Diskriminierung" zu einem pädagogischen Problem umzudefinieren und die (polizeilichen) Täter zu Opfern zu erklären. Auf dieser Kritik aufbauend, zeichnet der Autor die Zusammenhänge von Polizeigewalt gegen AusländerInnen mit gesellschaftlich verbreiteter Fremdenfeindlichkeit, mit polizeilichen "Bekämpfungsstrategien" und politischen Kampagnen nach. Leider erschwert der sozialwissenschaftliche Jargon, dass dieser lesenswerte Aufsatz Wirkungen außerhalb des LeserInnenkreises des Kriminologischen Journals entfalten wird.
(sämtlich: Norbert Pütter)

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg: Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses "Hamburger Polizei", Drs. 15/6200 v. 13.11.1996
Rund 1.200 Seiten umfasst der Bericht des Untersuchungsausschusses über den Hamburger Polizeiskandal, der 1994 mit dem Rücktritt von Innensenator Hackmann endgültig zum Ausbruch kam. Davon sind mehr als 600 Seiten der Aufklärung von "Vorfällen" gewidmet (Haider-Kundgebung, Drogenbekämpfungskonzept, Misshandlungen auf Polizeiwachen etc.). Auf ca. 150 Seiten wird die Frage erörtert, ob sich in der Hamburger Polizei ausländerfeindliche oder rechtsextremistische Tendenzen finden. Fast notgedrungen musste der Ausschuss auch die "falsch verstandene Kollegialität innerhalb der Polizei" und die "Mauer des Schweigens" thematisieren. In diesem Zusammenhang wurde auch der Vorschlag eines bzw. einer Polizeibeauftragten diskutiert, von dem im Anschluss an den Ausschuss die Hamburger Polizeikommission übrig blieb.
Von dieser Kommission liegen nunmehr zwei Tätigkeitsberichte für 1999 und 2000 vor:

Freie und Hansestadt Hamburg, Polizeikommission: Jahresbericht 1999, Hamburg November 1999; Jahresbericht 2000, Hamburg Oktober 2000
Zur Arbeit der Kommission, ihren Befugnissen, den von ihr bearbeiteten Fällen und ihrer Ausstattung siehe den Beitrag von Rolf Gössner in diesem Heft (S. 34-41). Die Berichte können bezogen werden bei der Polizeikommission, Johanniswall 4, 20095 Hamburg, Tel.: (040) 3096890, Fax: (040) 30968920, E-Mail: Polizeikommission@bfi-a.hamburg.de.
(Heiner Busch)

Sherman, Lawrence W. (ed.): The Police and Violence, Philadelphia 1980 (The Annals of the American Academy of Political and Social Science 1980, Vol. 452)
Skolnick, Jerome H.; Fyfe, James J.: Above the Law. Police and the Excessive Use of Force, New York 1993
Adams, Kenneth; Alpert, Geoffrey P.; Dunham, Roger G. et al.: Use of Force by Police. Overview of National and Local Data (National Institute of Justice Research Report, NCJ 176330), Washington, D.C. 1999 - Im Internet: http://www.ncjrs.org/pdffiles1/nij/176330-1.pdf
Im Unterschied zu Deutschland existiert in den USA eine breite sozialwissenschaftliche Reflexion über die Praxis polizeilicher Gewaltanwendung. Die drei genannten Veröffentlichungen liefern einen exemplarischen Blick auf die US-amerikanische Diskussion. Hinsichtlich polizeilicher Übergriffe sind in dem von Sherman herausgegebenen Sammelband vor allem die Beiträge von C.B. Klockars über das "Dirty Harry Problem" und von R.J. Friedrich über die individuellen, situativen und organisationsbezogenen Merkmale polizeilicher Gewaltausübung interessant. Die Misshandlung Rodney Kings in Los Angeles war der Anlass für das Buch von Skolnick und Fyfe. Besonders lesenswert ist das zweite Kapitel, in dem unter den Überschriften "The Culture of the Police", "Cops as Soldiers" und "Beyond Accountability" die Ursachen polizeilicher Übergriffe beleuchtet werden. Die Veröffentlichung des National Institute of Justice liefert empirische Einblicke, wie häufig Gewalt von der Polizei (und gegen die Polizei) in den USA angewandt wird. Aus deutscher Perspektive ist besonders auffällig, wie offen die Frage der Polizeigewalt in Amerika diskutiert wird.
(Norbert Pütter)

Jobard, Fabien: Les violences policières. État des recherches dans les pays anglo-saxons, Paris 1999 (L'Harmattan), 320 S.
Jobards rund 300-seitiger Überblick über die Soziologie polizeilicher Gewalt vor allem in den USA, Kanada und Großbritannien ist u.a. an die Adresse der französischen PolizeisoziologInnen gerichtet. Ihnen schreibt er ins Stammbuch: Es genüge nicht, mit Max Weber davon auszugehen, dass die Polizei eine der zentralen Institutionen des Monopols legitimer physischer Gewaltsamkeit sei, um sich anschließend nicht mehr um die tatsächlich von der Polizei ausgeübte Gewalt zu scheren. Diese Gewalt - vom Schusswaffengebrauch bis zur Misshandlung im Polizeigewahrsam -, ihre Umstände, Rechtfertigungen und Opfer, ihre rechtliche und organisatorische Einbindung müssten empirisch untersucht werden. Vor diesem Hintergrund präsentiert er nicht nur die Forschungsansätze und Methoden der englischsprachigen Polizeisoziologie, sondern auch einen großen Teil ihrer empirischen Ergebnisse und der sich daran anschließenden Fragen der Kontrolle. Dem Buch und dem deutschen Publikum wäre eine Übersetzung zu wünschen.
(Heiner Busch)


Neuerscheinungen

Roggan, Fredrik: Auf legalem Weg in einen Polizeistaat. Entwicklung des Rechts der Inneren Sicherheit, Bonn 2000 (Pahl-Rugenstein), 248 S., DM 38,-
Das Buch war überfällig. Seit einem Vierteljahrhundert sind die bundesdeutschen Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene unaufhörlich mit immer neuen Novellierungen des Polizei- und Eingriffsrechts beschäftigt. Dabei wird die Gesetzgebung von drei Motiven angetrieben: Erstens sollen die Befugnisse nach Strafprozess- und Polizeirecht angeglichen werden, damit rechtliche Hindernisse ausgeräumt werden, die die Wirksamkeit der fließenden Übergänge von der Repression zur Prävention behindern könnten. Zweitens sollen die Rechtsgrundlagen für neue Polizeistrategien und -methoden geschaffen werden. Und drittens reagieren die Gesetzgeber zwangsweise auf Gerichtsentscheidungen, die den Entgrenzungen der Eingriffsermächtigungen Fesseln anzulegen versuchen. Fredrik Roggan hat in seiner juristischen Dissertation nicht allein die Wandlungen der Polizeigesetze und der Strafprozessordnung untersucht. Er hat darüber hinaus die gesetzlichen Bestimmungen in Zusammenhang gestellt mit deren polizei- und eingriffsfreundlichen Interpretationen durch die Rechtsprechung, mit der Beteiligung der Geheimdienste an strafprozessualen Entwicklungen und mit allgemeinen Veränderungen im Polizeirecht. Letztere werden unter den Stichworten "Generalprävention" durch das Polizeirecht und Ausweitung der polizeilichen Generalklausel diskutiert und praktiziert. In dieser weiten Perspektive liegt ein besonderer Vorzug des Buches. Nicht die Rechtsbereiche bestimmen den Untersuchungsgegenstand, sondern aus dem Interesse des Autors ergeben sich die Felder, die er der juristischen Analyse unterzieht. Deshalb finden sich in der Arbeit Passagen zu vielen Problemen, die die Veränderungen des Eingriffsrechts in der jüngeren Vergangenheit aufwarfen: Verdeckte Ermittler und polizeiliche Freiheitsentziehungen, Lauschangriffe und Schleierfahndungen, Videoüberwachung und Global-Positioning-System, Kriminalitätsbekämpfung durch Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst etc.
Normativer Bezugspunkt der Rogganschen Arbeit ist ein liberales Polizeiverständnis, für das die Begrenzungen staatlicher Eingriffe und Eingriffsmöglichkeiten zentral sind. Als deren Ausdruck identifiziert er einige Rechtsprinzipien der (alten) Bundesrepublik: das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten, die Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, das Erfordernis gesetzlicher Grundlagen für Eingriffe, die Zweckbindung von Daten und die "prinzipielle Offenheit" staatlichen Handelns. Am Ende seiner Untersuchung bilanziert der Autor, was Gesetzgebung und Rechtsprechung in den letzten beiden Jahrzehnten von diesen Prinzipien übriggelassen haben. Die Überschriften des Schlussteils stehen für seine Befunde: "Ausweitung von Befugnissen", "Überwachung von Jedermann", "Ineffektivierung von Rechtsschutz" oder "Prinzip: Prinzipienlosigkeit".
Die einzelnen Befunde sind nicht neu. Die Vergeheimdienstlichung der Polizeien und des Strafprozesses, die gewachsene Eingriffsmacht der Polizei, das Aufweichen klassischer rechtsstaatlicher Ansprüche wie die der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit wird von kritischen JuristInnen seit Jahren - erfolglos - kritisiert. Doch Roggan hat eine aktuelle und umfassende Zwischenbilanz vorgelegt, in der verschiedene Entwicklungen systematisch zusammengefügt werden. So wertvoll das Buch für die weitere rechtspolitische Diskussion sein wird, so problematisch ist die bereits im Titel umschriebene Interpretation seiner Befunde. Angesichts der Entgrenzung der Staaten (Internationalisierung), der Verbreitung von Überwachungstechnologien, des Wachstums privater Sicherheitsagenturen und deren Verquickung mit den Polizeien erscheint der Weg in "einen Polizeistaat" zwar ein provokatives Szenarium, das aber analytisch zu kurz greift.

Diederichs, Otto: Polizei, Hamburg 2000 (Europäische Verlagsanstalt/Rotbuch Verlag), 95 S., DM 14,90
Auf weniger als einhundert Seiten liefert der kleine Band aus der Reihe "Rotbuch 3000" einen breit gefächerten Überblick über die Polizei in Deutschland. In kleinen, zwei- bis vierseitigen Kapiteln wird der Bogen von der Polizeigeschichte bis zu Vorschlägen für eine demokratische Polizei(reform) gespannt. Die LeserInnen werden über die internationale Polizeiarbeit ebenso informiert wie über die Grundlagen der Polizeiorganisation, die Ausbildung von PolizistInnen, die rechtlichen Grundlagen polizeilichen Handelns, die Aufgaben der Polizei, die Polizeigewerkschaften etc. Durch Zitate in den Randspalten, die Weitergabe von Fakten in Tabellen und die Illustration mit Bildern, Cartoons und Diagrammen ist der Band zudem ansprechend gestaltet. Zwar bietet das Buch PolizeiexpertInnen kaum Neues, für diejenigen jedoch, die schnell einen Einblick in die Institution Polizei und deren engeres Umfeld gewinnen möchten, ist Otto Diederichs "Polizei" eine lohnende Lektüre.

Korell, Jürgen; Liebel, Urban: Polizeiskandal - Skandalpolizei. Demokratiemangel bei der Polizei?, Münster 2000 (Verlag Westfälisches Dampfboot), 175 S., DM 29,80
Aus der Perspektive derer, die den Polizeiapparat von innen kennen, werfen Korell und Liebel, beide ehemalige Vorstandsmitglieder der "Kritischen PolizistInnen", einen Blick auf die Verfassung der bundesdeutschen Polizei. Ihr Plädoyer für "notwendige Veränderungen bei der Polizei" wird in sechs Kapiteln entwickelt. Das erste Kapitel besteht aus einem - an Patrick Wagners Untersuchung orientierten - historischen Rückblick auf die Entwicklung der Kripo in der Weimarer Republik. Als "Fundament der heutigen Polizei" werden im zweiten Kapitel die Ausbildung, die "innere Führung" und deren Defizite ("unsägliche Hierarchieebenen") sowie das Verhältnis der PolizistInnen untereinander (Mobbing, Sexismus) geschildert. Das dritte Kapitel unternimmt eine Reise durch die Republik der "Polizeiskandale": München, Magdeburg, Frankfurt, Gießen, Zweibrücken, Baden-Baden, Göttingen usw. Im vierten Kapitel werden die Reaktionen "von Polizei und Politik" und "von Bürgerrechtsgruppen" auf die Skandale vorgestellt. Der Diskussion gegenwärtiger Reformansätze dient das fünfte Kapitel. Dabei knüpfen die Autoren vorsichtige Hoffnungen an die Budgetierung der Polizeiarbeit: Würden etwa Kosten und Nutzen der Telefonüberwachung betriebswirtschaftlich in Beziehung gesetzt, dann würde Deutschland seinen Spitzenplatz im Abhören wohl verlieren (S. 148). Auch in der Leitbilddiskussion wird "eine Chance" für Veränderungen gesehen, die "unbedingt vonnöten" seien. Zentral für die Argumentation von Korell und Liebel ist der Zusammenhang von innerer Verfassung der Polizei und ihrem Auftreten gegenüber den BürgerInnen: Eine Institution, der es im Innern an Demokratie mangelt, produziert systematisch undemokratische Verhaltensweisen. Mehr als der Skandal ist deshalb der Alltag das Skandalöse.

Gössner, Rolf: »Big Brother« & Co. Der moderne Überwachungsstaat in der Informationsgesellschaft, Hamburg 2000 (Konkret Literatur Verlag), 191 S., DM 32,-
Rolf Gössner hat in dem Band in überarbeiteter Version viele seiner Aufsätze aus den vergangenen drei Jahren zusammengefasst. Diesem Umstand ist geschuldet, dass das Buch weniger eine systematische Analyse als ein buntes, aber gleichwohl erschreckendes Potpourri der bundesdeutschen Sicherheitslandschaft liefert. Mit Sicherheit, so könnte die Gössnersche Quintessenz lauten, lässt sich in Deutschland alles durchsetzen: von der Videoüberwachung bis zum Lauschangriff auf Wohnungen, von der Fahndung in Computerdateien bis zu "verdachtslosen" Kontrollen auf Straßen und in Bahnen, von der "Totalerfassung per AFIS" bis zum Göttinger "Terrorismus-Dauerverdacht", vom elektronischen Hausarrest bis zur 30-jährigen Überwachung des Autors durch den Verfassungsschutz. In seiner kurzen Einleitung verwirft Gössner die Vision vom Staat als "Big Brother" als eine "sozusagen vorsintflutliche und dinosaurierhafte" Legende. Vielmehr diagnostiziert er neben der staatlichen Überwachung viele "kleine und kleinste Brüder", die sich in "verschiedenen, mehr oder weniger abgegrenzten staatlichen, kommerziellen und privaten Kontrollräumen" ausbreiten. Gerne wüsste man mehr über die Verbindungen zwischen diesen Kontrollpotentialen, über das Ausmaß, in dem die technischen Möglichkeiten genutzt werden und darüber, ob die Kontrolle funktioniert oder vielleicht die Kontrolleure an ihrer eigenen Manie ersticken. Vielleicht Themen für den nächsten Gössner?!
(sämtlich: Norbert Pütter)

Wolf, Arved: Brutaler Alltag in Frankfurt. Protokolle eines Polizisten, Berlin 2000 (Verlag Frieling & Partner), 80 S., DM 12,80
Manche Bücher müssen zwingend besprochen werden, um eindringlich davor zu warnen. Dazu gehört der "Brutale Alltag in Frankfurt", denn bereits der Titel grenzt hart an Betrug (§ 263 StGB). Zur Veröffentlichung seiner "Protokolle" sah sich der Autor, seit 20 Jahren Polizist in Frankfurt am Main, "geradezu genötigt", weil Freunde und Bekannte ihm die Erzählungen aus seinem Dienstalltag manchmal "kaum glauben" wollten (S. 5). Sie hätten es besser getan, denn nun muss man ihnen den Vorwurf machen, sich an einem abscheulichen Verbrechen an weißem Papier beteiligt zu haben. Herausgekommen ist bei Wolf nämlich ein Bündel ungeordneter, unzusammenhängender Belanglosigkeiten. Kaum eine Schilderung ist länger als 10 Zeilen. Satzfetzen! Eine Leseprobe: "Leichensache. Alte Frau (88 Jahre) lag tot in der Badewanne ihrer Wohnung. In der Wanne lag der Fön. Ihre Haare waren jedoch trocken, alle Sicherungen intakt. Mysteriös" (S. 17). Mehr erfährt man hier ebenso wenig wie zum Fall des Taxifahrers, der vorsätzlich zwei Fußgänger umfährt, zur Festnahme von Geldtransportfahrern, die 70.000 DM unterschlagen hatten, oder zu der Frau, die Opfer eines brutalen Straßenraubes wird. Auf 80 Seiten völlig sinnlos aneinander gereihte "Unglaublichkeiten". Wirklich unglaublich ist bei diesem Buch nur, dass der Autor hierfür einen Verleger gefunden hat.
(Otto Diederichs)



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HTML-Auszeichnung: Felix Bübl, Martina Kant
Erstellt am 14. Januar 2001 - letzte Änderung am 18.07.2002