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Zum Schwerpunkt
Je nachdem, wohin man blickt, lässt sich sagen, dass die Literatur zu
Polizeiübergriffen reichhaltig oder dass sie ausgesprochen spärlich
ist. "Reichhaltig" sind die Berichte der Opfer von Polizeigewalt. Dazu
gehören nicht nur Nachrichten aus der Tagespresse, sondern auch die
Veröffentlichungen, in denen kleine Gruppen immer wieder besonders
gravierende Übergriffe dokumentieren, oder die Publikationen, in denen
Menschenrechtsgruppen "Fälle" zusammenstellen. Sieht man die Summe
derartiger Primärquellen, dann ließe sich die Geschichte der
bundesdeutschen Polizei auch als eine Geschichte der Übergriffe schreiben.
Demgegenüber beschäftigt sich die polizeiliche und wissenschaftliche
Publizistik kaum mit illegaler und/oder übermäßiger
polizeilicher Gewalt; in dieser Hinsicht ließe sich allenfalls eine
Verdrängungsgeschichte schreiben.
Brusten, Manfred: Strafverfahren gegen Polizeibeamte in der BRD.
Empirische Anmerkungen zur Theorie der "Schwarzen Schafe", in: Ders. (Hg.):
Polizei-Politik, Kriminologisches Journal 4. Beiheft, Weinheim 1992, S.
84-115
Dieser Aufsatz thematisiert die "Kriminalität von Polizisten". Brusten
diskutiert die Schwierigkeiten, aufgrund fehlender und lückenhafter Daten
das Ausmaß polizeilichen Fehlverhaltens zu bestimmen. Die zum damaligen
Zeitpunkt verfügbaren Daten werden präsentiert und kommentiert;
Übergriffe, d.h. Körperverletzungen im Amt, stellen dabei nur eine
polizeiliche Kriminalitätsform unter anderen dar.
amnesty international: Neue Fälle - altes Muster. Polizeiliche
Mißhandlungen in der Bundesrepublik Deutschland, London 1997
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V. (Hg.): "Sie
behandeln uns wie Tiere". Rassismus bei Polizei und Justiz in Deutschland
(Gegen die Festung Europa, H. 4), Berlin, Göttingen 1997
Aktion Courage - SOS Rassismus: Polizeiübergriffe gegen
AusländerInnen und Ausländer, Bonn 1999
Herrnkind, Martin: "Schwarze Schafe", in: Unbequem 1996, Nr. 27,
S. 37-49 fortlaufend bis Unbequem 2000, Nr. 42, S. 23-28
Öffentliche Resonanz haben in den letzten Jahren insbesondere
Polizeiübergriffe auf MigrantInnen erfahren, die von verschiedenen Gruppen
dokumentiert wurden. Vor allem die Berichte von amnesty international haben zu
heftigen Diskussionen geführt. SOS-Rassismus hat im letzten Jahr eine
erneute Sammlung von Fällen vorgelegt. Martin Herrnkind stellt unter der
ironischen Rubrik "Schwarze Schafe" fortlaufend polizeiliche Übergriffe -
nicht nur gegenüber AusländerInnen - zusammen. Aufgrund von
Zeitungsmeldungen kamen seit 1996 über 200 schwarze Polizeischafe
zusammen.
Bornewasser, Manfred; Eckert, Roland; Willems, Helmut: Die Polizei im
Umgang mit Fremden - Problemlagen, Belastungssituationen und Übergriffe,
in: Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 1996, H. 1/2,
S. 9-162
Als Reaktion auf die u.a. von amnesty international erhobenen Vorwürfe
entstand diese von der Innenministerkonferenz in Auftrag gegebene Studie.
Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Polizei wird auf Überlastung, Frust
und schlechte Arbeitsbedingungen zurückgeführt. Es deute vieles
darauf hin, dass "die Kumulation von Belastungen in Ballungszentren mit hoher
illegaler Einwanderung und Kriminalität sowie bei Großeinsätzen
gegen verbotene Demonstrationen manche Beamte überfordert". Die von ihnen
wahrgenommene "Erfolg- und Folgenlosigkeit" ihres Handelns führe entweder
dazu, dass sie resignierten und wegschauten oder "mit 'Ersatzjustiz' ihrem
Gerechtigkeitsgefühl oder nur ihrer Frustration und Überlastung
illegalen Ausdruck ... verleihen" würden (S. 160).
Jaschke, Hans-Gerd: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei
der Polizei, in: Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 1996, H. 1/2,
S. 199-220
Jaschke, Hans-Gerd: Öffentliche Sicherheit im Kulturkonflikt,
Frankfurt/Main 1997
Mletzko, Matthias; Weins, Cornelia: Polizei und Fremdenfeindlichkeit,
in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 82. Jg., 1999, H.
2, S. 77-93
Aufgrund seiner Untersuchung bei der Frankfurter Schutzpolizei führt
Jaschke fremdenfeindliche Einstellungen auf das Zusammenwirken bestimmter
polizeilicher Arbeitsbedingungen und -formen mit Aus- und Fortbildungsdefiziten
und dem allgemeinen gesellschaftlichen Klima zurück, in dem
AusländerInnen als "verfolgenswert" hingestellt werden.
"Fremdenfeindliche Orientierungs- und Verhaltensmuster sind angesichts all
dessen rückwärts gewandte Rationalisierungsmechanismen, die das
komplex gewordene Feld ethnisch-kultureller Beziehungen vereinfachen und
auflösen in Stereotype und Bilder devianter Ausländergruppen, deren
Ausgrenzung legitim erscheint."
Die Befragungsergebnisse, die Mletzko und Weins in einer westdeutschen
großstädtischen Polizeidirektion erhielten, bestätigen den
Zusammenhang zwischen (wahrgenommener) Arbeitsbelastung und der Entwicklung
fremdenfeindlicher Einstellungen. Bei rund 15% der befragten PolizistInnen
wurden "verfestigte fremdenfeindliche Einstellungen" festgestellt. Im
Unterschied zu Jaschke wird jedoch ein größeres Fragezeichen hinter
dem Vorschlag gemacht, dass entsprechende Aus- und Fortbildungsangebote
derartige Einstellungen auflösen könnten.
Heuer, Hans-Joachim: Fremdenfeindlich motivierte Übergriffe der
Polizei: Strukturelles Problem oder individuelle Überforderung?, in: Die
Polizei 90. Jg., 1999, H. 3, S. 72-79
Heuer, Hans-Joachim: Fremdenfeindliche Einstellungen und
polizeiliches Handeln. Forschungsstand, Gegenmaßnahmen und Ausblick, in:
Kriminalistik 52. Jg., 1998, H. 6, S. 401-410
Nicht "Schwarze Schafe", sondern "strukturelle Probleme" führen nach
Heuer, Leiter des Fachbereichs Rechts- und Sozialwissenschaften an der
Polizei-Führungsakademie, zu Polizeiübergriffen. Diese strukturellen
Probleme werden vor allem in den von Bornewasser u.a. diagnostizierten
Überlastungen sowie in polizeilichen Organisationsdefiziten - im Anschluss
an den Hamburger Untersuchungsausschuss - gesehen. Da die Belastungen des
Polizeiberufs von "niemandem gemindert werden" könnten, schlägt
Heuer die Vermittlung eines "realitätstüchtigen
Aufgabenverständnisses" sowie die Rotation von Führungs- und
Einsatzkräften und die Einführung von Supervision in
"Schwerpunktdienststellen" vor.
Schäfer, Herbert: Identifikation mit dem gesetzlichen Auftrag
und auftragswidrige Kameraderie, in: Der Kriminalist 28. Jg., 1996, H. 5, S.
210-221
Behr, Rafael: Funktion und Funktionalisierung von Schwarzen Schafen
in der Polizei, in: Kriminologisches Journal 32. Jg., 2000, H. 3, S.
219-229
Dass sich die strukturellen Bedingungen polizeilicher Übergriffe nicht auf
Belastungssituationen beschränken lassen, wird in diesen beiden
Aufsätzen deutlich. Die entscheidenden Faktoren werden vielmehr in einer
gewalthaften polizeilichen Subkultur gesehen, die Übergriffe
gleichermaßen befördere wie sie deren Aufdeckung erschwere.
Insbesondere der von Behr gelieferte Einblick in die Binnenmechanismen
polizeilicher Arbeitsverhältnisse ist überzeugend und erschreckend
zugleich. Mitunter verleitet dies jedoch dazu, den Zusammenhang zwischen der
Subkultur der polizeilichen Handarbeiter und der polizeilichen (Hoch-)Kultur zu
unterschätzen.
Proske, Manfred: Ethnische Diskriminierung durch die Polizei, in:
Kriminologisches Journal 30. Jg., 1998, H. 3, S. 162-188
Ausgehend von der öffentlichen Skandalisierung von Übergriffen, die
einer individualistischen Interpretation den Boden bereiteten, liefert der
Artikel zunächst eine pointierte Kritik an dem Gutachten von Bornewasser
u.a. Proske wirft den Autoren vor, die Sichtweisen der PolizistInnen
ungebrochen zu übernehmen, "ethnische Diskriminierung" zu einem
pädagogischen Problem umzudefinieren und die (polizeilichen) Täter zu
Opfern zu erklären. Auf dieser Kritik aufbauend, zeichnet der Autor die
Zusammenhänge von Polizeigewalt gegen AusländerInnen mit
gesellschaftlich verbreiteter Fremdenfeindlichkeit, mit polizeilichen
"Bekämpfungsstrategien" und politischen Kampagnen nach. Leider erschwert
der sozialwissenschaftliche Jargon, dass dieser lesenswerte Aufsatz Wirkungen
außerhalb des LeserInnenkreises des Kriminologischen Journals entfalten
wird.
(sämtlich: Norbert Pütter)
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg: Bericht des
Parlamentarischen Untersuchungsausschusses "Hamburger Polizei", Drs. 15/6200
v. 13.11.1996
Rund 1.200 Seiten umfasst der Bericht des Untersuchungsausschusses über
den Hamburger Polizeiskandal, der 1994 mit dem Rücktritt von Innensenator
Hackmann endgültig zum Ausbruch kam. Davon sind mehr als 600 Seiten der
Aufklärung von "Vorfällen" gewidmet (Haider-Kundgebung,
Drogenbekämpfungskonzept, Misshandlungen auf Polizeiwachen etc.). Auf ca.
150 Seiten wird die Frage erörtert, ob sich in der Hamburger Polizei
ausländerfeindliche oder rechtsextremistische Tendenzen finden. Fast
notgedrungen musste der Ausschuss auch die "falsch verstandene
Kollegialität innerhalb der Polizei" und die "Mauer des Schweigens"
thematisieren. In diesem Zusammenhang wurde auch der Vorschlag eines bzw. einer
Polizeibeauftragten diskutiert, von dem im Anschluss an den Ausschuss die
Hamburger Polizeikommission übrig blieb.
Von dieser Kommission liegen nunmehr zwei Tätigkeitsberichte für 1999
und 2000 vor:
Freie und Hansestadt Hamburg, Polizeikommission: Jahresbericht 1999,
Hamburg November 1999; Jahresbericht 2000, Hamburg Oktober 2000
Zur Arbeit der Kommission, ihren Befugnissen, den von ihr bearbeiteten
Fällen und ihrer Ausstattung siehe den Beitrag von Rolf Gössner in
diesem Heft (S. 34-41). Die Berichte können bezogen werden bei der
Polizeikommission, Johanniswall 4, 20095 Hamburg, Tel.: (040) 3096890, Fax:
(040) 30968920, E-Mail: Polizeikommission@bfi-a.hamburg.de.
(Heiner Busch)
Sherman, Lawrence W. (ed.): The Police and Violence, Philadelphia
1980 (The Annals of the American Academy of Political and Social Science 1980,
Vol. 452)
Skolnick, Jerome H.; Fyfe, James J.: Above the Law. Police and the
Excessive Use of Force, New York 1993
Adams, Kenneth; Alpert, Geoffrey P.; Dunham, Roger G. et al.: Use of
Force by Police. Overview of National and Local Data (National Institute of
Justice Research Report, NCJ 176330), Washington, D.C. 1999 - Im Internet: http://www.ncjrs.org/pdffiles1/nij/176330-1.pdf
Im Unterschied zu Deutschland existiert in den USA eine breite
sozialwissenschaftliche Reflexion über die Praxis polizeilicher
Gewaltanwendung. Die drei genannten Veröffentlichungen liefern einen
exemplarischen Blick auf die US-amerikanische Diskussion. Hinsichtlich
polizeilicher Übergriffe sind in dem von Sherman herausgegebenen
Sammelband vor allem die Beiträge von C.B. Klockars über das "Dirty
Harry Problem" und von R.J. Friedrich über die individuellen, situativen
und organisationsbezogenen Merkmale polizeilicher Gewaltausübung
interessant. Die Misshandlung Rodney Kings in Los Angeles war der Anlass
für das Buch von Skolnick und Fyfe. Besonders lesenswert ist das zweite
Kapitel, in dem unter den Überschriften "The Culture of the Police",
"Cops as Soldiers" und "Beyond Accountability" die Ursachen polizeilicher
Übergriffe beleuchtet werden. Die Veröffentlichung des National
Institute of Justice liefert empirische Einblicke, wie häufig Gewalt von
der Polizei (und gegen die Polizei) in den USA angewandt wird. Aus deutscher
Perspektive ist besonders auffällig, wie offen die Frage der Polizeigewalt
in Amerika diskutiert wird.
(Norbert Pütter)
Jobard, Fabien: Les violences policières. État des
recherches dans les pays anglo-saxons, Paris 1999 (L'Harmattan), 320 S.
Jobards rund 300-seitiger Überblick über die Soziologie polizeilicher
Gewalt vor allem in den USA, Kanada und Großbritannien ist u.a. an die
Adresse der französischen PolizeisoziologInnen gerichtet. Ihnen schreibt
er ins Stammbuch: Es genüge nicht, mit Max Weber davon auszugehen, dass
die Polizei eine der zentralen Institutionen des Monopols legitimer physischer
Gewaltsamkeit sei, um sich anschließend nicht mehr um die
tatsächlich von der Polizei ausgeübte Gewalt zu scheren. Diese Gewalt
- vom Schusswaffengebrauch bis zur Misshandlung im Polizeigewahrsam -, ihre
Umstände, Rechtfertigungen und Opfer, ihre rechtliche und organisatorische
Einbindung müssten empirisch untersucht werden. Vor diesem Hintergrund
präsentiert er nicht nur die Forschungsansätze und Methoden der
englischsprachigen Polizeisoziologie, sondern auch einen großen Teil
ihrer empirischen Ergebnisse und der sich daran anschließenden Fragen der
Kontrolle. Dem Buch und dem deutschen Publikum wäre eine Übersetzung
zu wünschen.
(Heiner Busch)
Neuerscheinungen
Roggan, Fredrik: Auf legalem Weg in einen Polizeistaat. Entwicklung
des Rechts der Inneren Sicherheit, Bonn 2000 (Pahl-Rugenstein), 248 S., DM
38,-
Das Buch war überfällig. Seit einem Vierteljahrhundert sind die
bundesdeutschen Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene unaufhörlich mit
immer neuen Novellierungen des Polizei- und Eingriffsrechts beschäftigt.
Dabei wird die Gesetzgebung von drei Motiven angetrieben: Erstens sollen die
Befugnisse nach Strafprozess- und Polizeirecht angeglichen werden, damit
rechtliche Hindernisse ausgeräumt werden, die die Wirksamkeit der
fließenden Übergänge von der Repression zur Prävention
behindern könnten. Zweitens sollen die Rechtsgrundlagen für neue
Polizeistrategien und -methoden geschaffen werden. Und drittens reagieren die
Gesetzgeber zwangsweise auf Gerichtsentscheidungen, die den Entgrenzungen der
Eingriffsermächtigungen Fesseln anzulegen versuchen. Fredrik Roggan hat in
seiner juristischen Dissertation nicht allein die Wandlungen der Polizeigesetze
und der Strafprozessordnung untersucht. Er hat darüber hinaus die
gesetzlichen Bestimmungen in Zusammenhang gestellt mit deren polizei- und
eingriffsfreundlichen Interpretationen durch die Rechtsprechung, mit der
Beteiligung der Geheimdienste an strafprozessualen Entwicklungen und mit
allgemeinen Veränderungen im Polizeirecht. Letztere werden unter den
Stichworten "Generalprävention" durch das Polizeirecht und Ausweitung der
polizeilichen Generalklausel diskutiert und praktiziert. In dieser weiten
Perspektive liegt ein besonderer Vorzug des Buches. Nicht die Rechtsbereiche
bestimmen den Untersuchungsgegenstand, sondern aus dem Interesse des Autors
ergeben sich die Felder, die er der juristischen Analyse unterzieht. Deshalb
finden sich in der Arbeit Passagen zu vielen Problemen, die die
Veränderungen des Eingriffsrechts in der jüngeren Vergangenheit
aufwarfen: Verdeckte Ermittler und polizeiliche Freiheitsentziehungen,
Lauschangriffe und Schleierfahndungen, Videoüberwachung und
Global-Positioning-System, Kriminalitätsbekämpfung durch
Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst etc.
Normativer Bezugspunkt der Rogganschen Arbeit ist ein liberales
Polizeiverständnis, für das die Begrenzungen staatlicher Eingriffe
und Eingriffsmöglichkeiten zentral sind. Als deren Ausdruck identifiziert
er einige Rechtsprinzipien der (alten) Bundesrepublik: das Trennungsgebot von
Polizei und Geheimdiensten, die Trennung von Gefahrenabwehr und
Strafverfolgung, das Erfordernis gesetzlicher Grundlagen für Eingriffe,
die Zweckbindung von Daten und die "prinzipielle Offenheit" staatlichen
Handelns. Am Ende seiner Untersuchung bilanziert der Autor, was Gesetzgebung
und Rechtsprechung in den letzten beiden Jahrzehnten von diesen Prinzipien
übriggelassen haben. Die Überschriften des Schlussteils stehen
für seine Befunde: "Ausweitung von Befugnissen", "Überwachung von
Jedermann", "Ineffektivierung von Rechtsschutz" oder "Prinzip:
Prinzipienlosigkeit".
Die einzelnen Befunde sind nicht neu. Die Vergeheimdienstlichung der Polizeien
und des Strafprozesses, die gewachsene Eingriffsmacht der Polizei, das
Aufweichen klassischer rechtsstaatlicher Ansprüche wie die der
Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit wird von kritischen
JuristInnen seit Jahren - erfolglos - kritisiert. Doch Roggan hat eine aktuelle
und umfassende Zwischenbilanz vorgelegt, in der verschiedene Entwicklungen
systematisch zusammengefügt werden. So wertvoll das Buch für die
weitere rechtspolitische Diskussion sein wird, so problematisch ist die bereits
im Titel umschriebene Interpretation seiner Befunde. Angesichts der Entgrenzung
der Staaten (Internationalisierung), der Verbreitung von
Überwachungstechnologien, des Wachstums privater Sicherheitsagenturen und
deren Verquickung mit den Polizeien erscheint der Weg in "einen Polizeistaat"
zwar ein provokatives Szenarium, das aber analytisch zu kurz greift.
Diederichs, Otto: Polizei, Hamburg 2000 (Europäische
Verlagsanstalt/Rotbuch Verlag), 95 S., DM 14,90
Auf weniger als einhundert Seiten liefert der kleine Band aus der Reihe
"Rotbuch 3000" einen breit gefächerten Überblick über die
Polizei in Deutschland. In kleinen, zwei- bis vierseitigen Kapiteln wird der
Bogen von der Polizeigeschichte bis zu Vorschlägen für eine
demokratische Polizei(reform) gespannt. Die LeserInnen werden über die
internationale Polizeiarbeit ebenso informiert wie über die Grundlagen der
Polizeiorganisation, die Ausbildung von PolizistInnen, die rechtlichen
Grundlagen polizeilichen Handelns, die Aufgaben der Polizei, die
Polizeigewerkschaften etc. Durch Zitate in den Randspalten, die Weitergabe von
Fakten in Tabellen und die Illustration mit Bildern, Cartoons und Diagrammen
ist der Band zudem ansprechend gestaltet. Zwar bietet das Buch
PolizeiexpertInnen kaum Neues, für diejenigen jedoch, die schnell einen
Einblick in die Institution Polizei und deren engeres Umfeld gewinnen
möchten, ist Otto Diederichs "Polizei" eine lohnende Lektüre.
Korell, Jürgen; Liebel, Urban: Polizeiskandal - Skandalpolizei.
Demokratiemangel bei der Polizei?, Münster 2000 (Verlag Westfälisches
Dampfboot), 175 S., DM 29,80
Aus der Perspektive derer, die den Polizeiapparat von innen kennen, werfen
Korell und Liebel, beide ehemalige Vorstandsmitglieder der "Kritischen
PolizistInnen", einen Blick auf die Verfassung der bundesdeutschen Polizei. Ihr
Plädoyer für "notwendige Veränderungen bei der Polizei" wird in
sechs Kapiteln entwickelt. Das erste Kapitel besteht aus einem - an Patrick
Wagners Untersuchung orientierten - historischen Rückblick auf die
Entwicklung der Kripo in der Weimarer Republik. Als "Fundament der heutigen
Polizei" werden im zweiten Kapitel die Ausbildung, die "innere Führung"
und deren Defizite ("unsägliche Hierarchieebenen") sowie das
Verhältnis der PolizistInnen untereinander (Mobbing, Sexismus)
geschildert. Das dritte Kapitel unternimmt eine Reise durch die Republik der
"Polizeiskandale": München, Magdeburg, Frankfurt, Gießen,
Zweibrücken, Baden-Baden, Göttingen usw. Im vierten Kapitel werden
die Reaktionen "von Polizei und Politik" und "von Bürgerrechtsgruppen"
auf die Skandale vorgestellt. Der Diskussion gegenwärtiger
Reformansätze dient das fünfte Kapitel. Dabei knüpfen die
Autoren vorsichtige Hoffnungen an die Budgetierung der Polizeiarbeit:
Würden etwa Kosten und Nutzen der Telefonüberwachung
betriebswirtschaftlich in Beziehung gesetzt, dann würde Deutschland seinen
Spitzenplatz im Abhören wohl verlieren (S. 148). Auch in der
Leitbilddiskussion wird "eine Chance" für Veränderungen gesehen, die
"unbedingt vonnöten" seien. Zentral für die Argumentation von Korell
und Liebel ist der Zusammenhang von innerer Verfassung der Polizei und ihrem
Auftreten gegenüber den BürgerInnen: Eine Institution, der es im
Innern an Demokratie mangelt, produziert systematisch undemokratische
Verhaltensweisen. Mehr als der Skandal ist deshalb der Alltag das
Skandalöse.
Gössner, Rolf: »Big Brother« & Co. Der moderne
Überwachungsstaat in der Informationsgesellschaft, Hamburg 2000 (Konkret
Literatur Verlag), 191 S., DM 32,-
Rolf Gössner hat in dem Band in überarbeiteter Version viele seiner
Aufsätze aus den vergangenen drei Jahren zusammengefasst. Diesem Umstand
ist geschuldet, dass das Buch weniger eine systematische Analyse als ein
buntes, aber gleichwohl erschreckendes Potpourri der bundesdeutschen
Sicherheitslandschaft liefert. Mit Sicherheit, so könnte die
Gössnersche Quintessenz lauten, lässt sich in Deutschland alles
durchsetzen: von der Videoüberwachung bis zum Lauschangriff auf Wohnungen,
von der Fahndung in Computerdateien bis zu "verdachtslosen" Kontrollen auf
Straßen und in Bahnen, von der "Totalerfassung per AFIS" bis zum
Göttinger "Terrorismus-Dauerverdacht", vom elektronischen Hausarrest bis
zur 30-jährigen Überwachung des Autors durch den Verfassungsschutz.
In seiner kurzen Einleitung verwirft Gössner die Vision vom Staat als
"Big Brother" als eine "sozusagen vorsintflutliche und dinosaurierhafte"
Legende. Vielmehr diagnostiziert er neben der staatlichen Überwachung
viele "kleine und kleinste Brüder", die sich in "verschiedenen, mehr
oder weniger abgegrenzten staatlichen, kommerziellen und privaten
Kontrollräumen" ausbreiten. Gerne wüsste man mehr über die
Verbindungen zwischen diesen Kontrollpotentialen, über das Ausmaß,
in dem die technischen Möglichkeiten genutzt werden und darüber, ob
die Kontrolle funktioniert oder vielleicht die Kontrolleure an ihrer eigenen
Manie ersticken. Vielleicht Themen für den nächsten Gössner?!
(sämtlich: Norbert Pütter)
Wolf, Arved: Brutaler Alltag in Frankfurt. Protokolle eines
Polizisten, Berlin 2000 (Verlag Frieling & Partner), 80 S., DM 12,80
Manche Bücher müssen zwingend besprochen werden, um eindringlich
davor zu warnen. Dazu gehört der "Brutale Alltag in Frankfurt", denn
bereits der Titel grenzt hart an Betrug (§ 263 StGB). Zur
Veröffentlichung seiner "Protokolle" sah sich der Autor, seit 20 Jahren
Polizist in Frankfurt am Main, "geradezu genötigt", weil Freunde und
Bekannte ihm die Erzählungen aus seinem Dienstalltag manchmal "kaum
glauben" wollten (S. 5). Sie hätten es besser getan, denn nun muss
man ihnen den Vorwurf machen, sich an einem abscheulichen Verbrechen an
weißem Papier beteiligt zu haben. Herausgekommen ist bei Wolf
nämlich ein Bündel ungeordneter, unzusammenhängender
Belanglosigkeiten. Kaum eine Schilderung ist länger als 10 Zeilen.
Satzfetzen! Eine Leseprobe: "Leichensache. Alte Frau (88 Jahre) lag tot in der
Badewanne ihrer Wohnung. In der Wanne lag der Fön. Ihre Haare waren jedoch
trocken, alle Sicherungen intakt. Mysteriös" (S. 17). Mehr
erfährt man hier ebenso wenig wie zum Fall des Taxifahrers, der
vorsätzlich zwei Fußgänger umfährt, zur Festnahme von
Geldtransportfahrern, die 70.000 DM unterschlagen hatten, oder zu der Frau, die
Opfer eines brutalen Straßenraubes wird. Auf 80 Seiten völlig
sinnlos aneinander gereihte "Unglaublichkeiten". Wirklich unglaublich ist bei
diesem Buch nur, dass der Autor hierfür einen Verleger gefunden hat.
(Otto Diederichs)
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