zurück zur CILIP-Startseite
Bürgerrechte & Polizei/CILIP 68 (1/2001)

abstand

Inland aktuell



Schleierfahndungen in Sachsen

Anfang des Jahres hat die sächsische Staatsregierung dem Landtag erstmals einen Bericht über die Anwendung "ereignis- und verdachtsunabhängiger Kontrollen" vorgelegt.[1] Die jährliche Berichtspflicht ist im Polizeigesetz vorgeschrieben. Der Unterrichtung zufolge wurden im Zeitraum vom 1.7.1999 bis 30.6.2000 insgesamt 18.261 Kontrollen durchgeführt, bei denen 120.139 Personen und 83.699 Fahrzeuge überprüft wurden. Die Kontrollen nahm die Polizei an folgenden Orten vor:

Kontrollort Anzahl der Kontrollen Kontrollierte Personen davon ausl. Staatsangehörige
innerhalb des 30-km-Grenzbereichs 10.546 76.374 11.410
außerhalb des 30-km-Grenzbereichs 7.715 43.765 12.726
   davon
   auf BAB/Bundesstraßen
5.566 27.682 9.733
   in öffentl. Einrichtungen/Anlagen des intern. Verkehrs 322 1.294 613
   in öffentl. Verkehrsmitteln des intern. Verkehrs 2 1 0
   auf anderen Straßen mit erheblicher Bedeutung 1.825 14.788 2.380
Gesamt 18.261 120.139 24.136

Die Schleierfahndung sei entweder mobil oder mittels stationärer Kontrollstellen durchgeführt und in der Regel mit anderen Maßnahmen der Polizei, z.B. Verkehrskontrollen oder Streifendienst, verbunden worden. Als Ergebnisse listet der Bericht 1.052 eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 1.080 Freiheitsentziehungen, davon 122 zur Gefahrenabwehr, 10.206 Durchsuchungen von Fahrzeugen oder Sachen und 1.114 sonstige Folgeuntersuchungen auf. Betäubungsmittel wurden in 137 Fällen sichergestellt, Waffen in 21 und Kfz in 62 Fällen. Lediglich 596 "illegal" Eingereiste stellte die Polizei fest. Während die "Erfolge", so Innenminister Klaus Hardraht, die Schleierfahndung als "unverzichtbares Instrument" auswiesen, zeigt der Bericht nur eines deutlich: AusländerInnen sind überproportional häufig von polizeilichen (Folge-) Maßnahmen bei Kontrollen betroffen, insgesamt in rund 42% der Fälle; bei Freiheitsentziehungen gar in 70% - ohne dass deutlich würde, ob sich der Verdacht gegen sie bestätigt hat.
(Martina Kant)


"Gefahr im Verzug" bei Hausdurchsuchungen beschränkt

Nach Schätzungen von AnwältInnen werden in Deutschland 50-70% aller Hausdurchsuchungen von Polizei und Staatsanwaltschaft ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss aufgrund von "Gefahr im Verzug" vorgenommen. Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 20.2.2001[2] wird diese exzessive und z.T. missbräuchliche Praxis nun erschwert. Geklagt hatte ein Polizeibeamter, der selbst von einer Durchsuchung betroffen war. Er sollte einen mutmaßlichen Drogendealer vor einer Telefonüberwachung gewarnt haben. Das Gericht stellte klar, dass Durchsuchungen ohne richterliche Anordnung die Ausnahme darstellen müssen. Zudem müssten die Justizbehörden die organisatorischen Voraussetzungen für eine wirksame präventive Kontrolle schaffen, insbesondere indem sie die Erreichbarkeit von ErmittlungsrichterInnen sicherstellen. Ferner entschied das BVerfG, dass "Gefahr im Verzug" mit einzelfallbezogenen Tatsachen begründet werden müsse und nicht allein auf Spekulationen und kriminalistische Alltagserfahrung gestützt werden könne. Im Falle des Polizeibeamten hatte die Staatsanwaltschaft lediglich behauptet, dass belastende Daten auf Disketten in Sekundenschnelle gelöscht werden könnten und daher "Gefahr im Verzuge" vorliege. Eine Vermutung, mit der sich - wäre sie zulässig - wohl in vielen Fällen eine sofortige Durchsuchung rechtfertigen ließe. Schließlich will das BVerfG die ausufernde Praxis der Polizei durch Dokumentationspflichten eindämmen. Damit die Gerichte nachträglich das Vorliegen von "Gefahr im Verzug" überprüfen können, sind die BeamtInnen angewiesen, ihre Entscheidung und die Gründe "zeitnah" zur Durchsuchung in den Ermittlungsakten festzuhalten.

Insgesamt eine grundrechtsstärkende Entscheidung, von der man sich jedoch nicht zu viel und vor allem nicht so bald etwas erwarten sollte. Die Justizorganisation mahlt langsam, auch fehlt der Polizei der Anreiz. Denn solange die - rechtswidrig - erlangten Beweise vor Gericht verwertet werden dürfen, lohnt sich die Durchsuchung.
(Martina Kant)


G 10-Novelle vorgelegt

Am 26.1.2001 hat die Bundesregierung im Bundesrat ihren Gesetzentwurf zur "Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses" vorgelegt.[3] Mit dem Gesetz reagiert die Regierung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die strategische Fernmeldekontrolle des Bundesnachrichtendienstes (BND). Das Gericht hatte einige Bestimmungen des G 10-Gesetzes als verfassungswidrig beanstandet und eine Frist bis zum 30.6.2001 gesetzt, um verfassungsgemäße Regelungen herzustellen. Der vorliegende Entwurf beinhaltet eine Neufassung des gesamten G 10-Gesetzes sowie Folgeänderungen u.a. im BND- und Verfassungsschutzgesetz. Verbesserungen gegenüber der bestehenden Rechtslage betreffen Kompetenzen und Ausstattung der G 10-Kommission sowie die Vernichtungs-, Protokollierungs- und Kennzeichnungspflichten. Während zu erwarten ist, dass diese Bestimmungen im Gesetzgebungsverfahren wieder zurückgeschraubt werden, räumt die Novelle den Geheimdiensten weitere Überwachungsmöglichkeiten ein. Drei Beispiele:

  • Der Katalog der Straftaten, wegen derer die Dienste lauschen dürfen, ist erheblich erweitert worden. Zu den alten Staatsschutzdelikten wie Hochverrat, Landesverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates treten nun Volksverhetzung, Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub oder Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion - sofern sie die "freiheitliche demokratische Grundordnung" gefährden. Mit dieser Ausweitung wird offenkundig das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten nachhaltig durchlöchert.
  • Bislang darf der BND im Rahmen der strategischen Fernmeldeüberwachung nur den satellitengestützten Verkehr überwachen. Künftig soll der Dienst auch in den internationalen Festnetzen mithören und mitlesen dürfen.
  • Der BND darf zukünftig auch internationale Telekommunikationsbeziehungen überwachen, "um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für Leib und Leben einer Person im Ausland rechtzeitig zu erkennen", wenn "die Belange der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar in besonderer Weise berührt sind". Diese auf Geiselnahmen im Ausland zugeschnittene Regelung gibt dem BND ein zukunftsträchtiges, globales Betätigungsfeld.

Statt Demokratisierung oder Rückbau der Geheimdienste dient das neue G 10-Gesetz deren Existenzsicherung. Die Dienste werden endgültig als Akteure der "Verbrechensbekämpfung" anerkannt, die Überwachungsmöglichkeiten erheblich ausgeweitet.
(Norbert Pütter)


Telefonkontrollen des BND

Die G 10-Novelle veranlasste die PDS-Bundestagsfraktion zu einer Kleinen Anfrage über die "Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis in den letzten zehn Jahren". Im Hinblick auf die Geheimdienste beschreitet die Bundesregierung in ihrer Antwort[4] unbekümmert die alten Pfade pauschaler Geheimhaltung. Einige der Fragen bezögen sich "auf die Informationserhebung durch die Nachrichtendienste des Bundes und eignen sich daher nicht für eine Beantwortung im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage". Ansonsten verweist sie auf das Parlamentarischen Kontrollgremium und die G 10-Kommission, die für die Kontrollen zuständig seien. In den beiden Berichten, die das Kontrollgremium in der laufenden Legislaturperiode dem Bundestag vorlegte, finden sich keine nennenswerten Informationen. Im ersten wird lediglich erwähnt, das Bundesinnenministerium habe das Kontrollgremium halbjährlich über die Maßnahmen unterrichtet. Diese Berichte seien "zustimmend zur Kenntnis genommen" worden.[5] Im jüngsten Bericht wird immerhin mitgeteilt, dass seit 1996 bestehende Überwachungsanordnungen im Bereich "Proliferation/Internationaler Rüstungshandel und -produktion" mehrfach verlängert wurden. Vom 1.7.1999 bis zum 30.6.2000 wurden 634 Meldungen wegen Rüstungsproduktion und 158 wegen Rüstungshandel als "nachrichtendienstlich relevant" ausgefiltert. Keine dieser Meldungen sei an Sicherheits- oder Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet worden. Die BND-Fernmeldeüberwachung in den Bereichen "Terrorismus und internationaler Drogenhandel" sei 1998 nicht verlängert worden, da gegenwärtig "keine hinreichenden Erfolge" erwartbar seien.[6] Den "geringen Ertrag" in diesen Deliktsbereichen hatte die Bundesregierung bereits in ihrer Stellungnahme vor dem Bundesverfassungsgericht eingeräumt. Dort finden sich auch weitere Angaben: Zwischen 1996 und 1998 wurden im Bereich Rüstung "5.200 Meldungen" selektiert, von denen 17 nach der "Auswertung" an das Zollkriminalamt übermittelt wurden.[7] In der Begründung zum G 10-Gesetz wird ausgeführt, dass der BND gegenwärtig technisch in der Lage sei, täglich 100.000 "Telekommunikationen" zu erfassen und "in die Wortbank" zu leiten. Rund 750 dieser Meldungen würden von oder nach Deutschland geführt. Von diesen enthielten ca. 40 Suchbegriffe aus einer Anordnung, die von den Mitarbeitern des BND "inhaltlich und rechtlich geprüft" würden. "Erfahrungsgemäß" würden 37 der 40 Telekommunikationen "sogleich vernichtet"; im Durchschnitt würden täglich ca. 3 Meldungen "der weiteren Auswertung zugeführt".[8] Somit liest bzw. hört der BND jährlich bei rund 14.000 bis 15.000 ausgefilterten Mitteilungen genauer; ca. 1.000 Meldungen werden der "weiteren Auswertung" unterworfen - was auch immer das heißen mag.
(Norbert Pütter)


Postkontrolle des ZKA

Die Antwort auf die genannte PDS-Anfrage enthält auch Angaben über die Überwachungstätigkeit des Zollkriminalamtes (ZKA).[9] Am 23. Oktober 1992 machte das ZKA erstmals von seinen Eingriffsrechten in das Postgeheimnis Gebrauch. Seitdem wurden 24.356 Brief-, Post- und Paketsendungen durch das Amt geöffnet. Diese Kontrollen erfolgten im Rahmen von 36 Überwachungsmaßnahmen gegen 159 natürliche oder juristische Personen. Bei 81 Zielpersonen handelte es sich um "Beschuldigte", bei den übrigen 78 um Kontaktpersonen. Über die (strafrechtlichen) Erfolge dieser Kontrolle schweigt die Bundesregierung.
(Norbert Pütter)


[1] LT Sachsen, Drs. 3/3264 v. 4.1.2001
[2] http://www.bundesverfassungsgericht.de, Urt. v. 20.2.2001 (Az.: 2 BvR 1444/00), http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/text/2001/2/20
[3] BR-Drs. 54/01 v. 26.2.2001
[4] BT-Drs. 14/5463 v 8.3.2001
[5] BT-Drs. 14/3552 v. 8.6.2000, S. 4
[6] BT-Drs. 14/4948 v. 8.12.2000, S. 3
[7] http://www.bundesverfassungsgericht.de, Entscheidung v. 14.7.1999 (Az.: 1 BvR 2226/94, 1 BvR 2420/95, 1 BvR 2437/95), http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/text/rs19990714_1bvr222694
[8] BR-Drs. 54/01 v. 26.1.2001, S. 32
[9] BT-Drs. 14/5463 v. 8.3.2001

zurück zur CILIP-Startseite Inhaltsverzeichnis

© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 2001-2002
HTML-Auszeichnung: Felix Bübl, Martina Kant
Erstellt am 6. Mai 2001 - letzte Änderung am 19.09.2002