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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 68 (1/2001)

abstand

Weshalb ich als radikaler NPD-Gegner fast ebenso radikal gegen ein Verbot derselben votiere


von Wolf-Dieter Narr


All das, was ich von und über die NPD kenne, belegt eindeutig und klar: diese Partei und die sich um sie herum gruppierenden Personen denken, propagieren und agieren undemokratisch. Sie achten nicht die Freiheit und die gleichen Lebensrechte der Andersdenkenden und anders Lebenden. Sie vertreten in ihren aggressiv geladenen, gewaltträchtigen Vorurteilen all das, was ich, wie glücklicherweise viele andere, radikal ablehne und mit allen menschenrechtlich demokratisch möglichen Mitteln bekämpfe. Deswegen könnte die NPD auch zweifelsohne gemäß Art. 21 Abs. 2 GG vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. Ja, sie müsste verboten werden, auch wenn das Verfassungsgericht sich wiederum zu Recht nicht auf höchst zweifelhafte Zeugnisse verfassungsschützerischer V-Leute und deren Camouflage durch sog. Behördenzeugnisse einließe.

Und dennoch argumentiere ich gegen einen Verbotsantrag obgleich viele von mir geschätzte BürgerrechtlerInnen, Personen, die für die Rechte anderer, der AusländerInnen, der Asylsuchenden besonders eintreten, und nicht zuletzt diskriminierte, von rechtsextremer Gewalt gefährdete Menschen in dieser Bundesrepublik Deutschland ein Verbot begrüßten. Ich tue dies aus wohlerwogenen menschenrechtlich demokratischen Gründen. Dieselben bündele ich, ohne sie aus Umfangsgründen zureichend belegen zu können, in acht Gründen.

1. Der demokratietheoretische und der demokratiepraktische Grund

Es ist falsch zu vermeinen, und es war bereits ein Irrtum auch der Eltern des Grundgesetzes, Demokratie könne dadurch befördert werden, dass sie eingeschränkt, dass sie teilweise außer Kraft gesetzt wird. Wenn Vertreter der "abwehrbereiten" oder "streitbaren" Demokratie darauf zielen, die politischen Freiheiten anderer regierungsamtlich, justiziell, polizeilich, strafverfolgerisch, illiberal zu beschneiden, dann knebeln sie die demokratische Atemluft für sich selbst; dann fördern sie in Bewusstsein und Verhalten der BürgerInnen, in ihren Einrichtungen und in ihnen selbst einen grundrechtlichen Erosionsprozess. Dieser kann je nach Umständen schwer angehalten werden. Gerade die Geschichte der Bundesrepublik bietet dafür schlagende - Demokratie und Grundrechte schlagende - Beispiele. Das prinzipielle Argument, dass demokratisch menschenrechtlich substantiierte Normen die ihnen allein angemessenen Formen bedürften, wird durch das demokratiepraktische unterstrichen. Demokratie und Menschenrechte leben davon, dass sich die überwiegende Mehrheit ihrer BürgerInnen ihnen gemäß verhält. Am Mangel solchen Verhaltens ist die Weimarer Republik gescheitert. Solches Bewusstsein und solches demokratische Verhalten müssen jedoch täglich praktisch geübt und gelernt werden. Dass man mit Andersdenkenden diskutieren, dass man sich streiten muss. Dass eigenes demokratisches Verhalten den Ausschlag gibt, sich im Kampf um Verfassungspositionen einzusetzen. Keine Schau-Bündnisse, keine Gewalt; auch keine Verbotsgewalt.

2. Das analytische Gegenargument (1)

Das, was als rechtsextreme Gewalt Angst und auch Wut macht, das was niemand von uns ,haben kann`, wird durch Verbot von gerichtsoben nicht weggewirklicht. Kriegte man es repressiv weg, dann müssten all die Polizeien, Gerichte und anderen Institutionen bis jetzt schon ungleich erfolgreicher rechtsextreme Gewalttaten bekämpft und verhindert haben. Die Vorurteils-Gewalt von dumpf unten wird durch soziale, durch ökonomische, durch politische Bedingungen geschaffen - gerade in den fünf nicht mehr so neuen Bundesländern -; durch Bedingungen, die nicht durch ein verfassungsrichterliches Verbot und nachfolgende Strafverfolgungen beseitigt werden können. Diese Feststellung gilt gerade auch für die NPD, die sich seit den 60er Jahren außerparteilich bis hin zu den sog. Skinheads besser verankert zu haben scheint. Zu meinen, ein Verbot der NPD behöbe das in ihr, um sie herum und unter ihr gegebene Problem, ist nichts anderes als eine allzu bequeme (Selbst-)Täuschung.

3. Das analytische Gegenargument (2)

Die Selbst-, vor allem die Fremdtäuschung besteht darin, dass die Instanzen und ihre VertreterInnen, die das Verbot beantragt haben, selbst in erheblichem Umfang schuld an dem sind, was nun als Gewalt bis hin zu schrecklich "befreiten Räumen" ganz jung aus dem Schoß der neuen und der alten Bundesrepublik kriecht.

War es nicht bis in jüngste Zeit geradezu regierungsamtliche Lebenslügen-Parole: "Deutschland ist kein Einwanderungsland"? Haben nicht die etablierten Parteien - CDU/CSU-geführt, von der SPD mitbetrieben, freidemokratisch ohnehin unterstützt - jahrelang das Gespenst der die Existenz der Bundesrepublik bedrohenden "Asylantenfluten" an die Wand gemalt? Und dies so, dass ein wichtiger Grundrechtsartikel, auf den man bundesdeutsch stolz sein konnte - Art. 16 Abs. 2 GG ("Politisch Verfolgte genießen Asylrecht") -, bis zur Unkenntlichkeit geschleift worden ist. Wird heute eine Asyl- und Ausländerpolitik betrieben, die keine Vorurteile schürt? Wie steht es um die Art der deutschen Einigung, die den BürgerInnen der ehemaligen DDR kaum Chancen gab, sich selbstbewusst verändernd zu entwickeln, die bis heute gerade den Jugendlichen viel zu wenig eigene Formen der Gestaltung und Anerkennung in eigenen Räumen bietet? Besieht man sich die geradezu regierungs- und parteiensystematische Breite, in der Vorurteile geschaffen, gefördert und politisch mobilisierend genutzt worden sind, dann wird einsichtig: Das Verbot soll Geräusch machen, an Stelle eigenen nötigen Handelns; das Verbot soll ablenken von dem, was man selbst (mit-) verschuldet hat und unbeschadet aller kostenlosen Toleranz-Märsche weiter mitverschuldet.

4. Die Missbrauchsgefahr

Auf sie deutet schon die Erwägung der Innenminister, dem Verfassungsgericht nicht alle Informationen durch ihre Zeugen präsent zu stellen. Die Voraussetzungen und die Nachwirkungen eines Verbots greifen in Grund- und Menschenrechte von Bürgerinnen und Bürgern ein bzw. haben für diese negative Folgewirkungen, denen das Verbot nicht unmittelbar gilt. Ob gewollt oder nicht, die Äußerungsmöglichkeiten der BürgerInnen - beispielsweise qua Demonstration - werden eingeengt. Erneut wird der menschenrechtlich fundierte Rechtsstaat im verbotserpichten Voraus- und Nachgriff eingeschränkt. Wenigstens insoweit sind die NPD und ihre Kumpane erfolgreich. Das Misstrauen gegenüber der eigenen Bevölkerung und ihrer demokratischen ,Reife` dominiert. Darum auch erhalten die Ämter für Verfassungsschutz einen neuen verfassungspolitischen Heiligenschein, obwohl sie und ihre bürgerausspionierende Tätigkeit unnötig, für eine lebendige Verfassung unnötig, ja schädlich sind wie ein Kropf. Wenigstens so viel könnte man vom ehemaligen Stasi-Geschwür lernen. Politik verdummt, wenn sie sich auf Geheimdienste verlässt.

5. "Demokratie ist eine Sache des guten Gedächtnisses"

Diesem wichtigen Wort Kurt Schumachers kommt gerade in Sachen Parteien-Verbotswirkungen Bedeutung zu. Das Verbot der SRP (1952) und der KPD (1956) hat einschließlich des damit in Verbindung stehenden politischen Strafrechts und seiner Praktizierung nur negative Effekte für den demokratischen Prozess und die innere Freiheit der Bundesrepublik gezeitigt. Es hat kein einziges Demokratie und Grundrechte gefährdendes Problem gelöst, keiner entsprechend gefährdeten Person geholfen. Im Gegenteil: Die Verbote haben das Verfassungsverständnis massiv beeinträchtigt. Noch das unsägliche "Berufsverbot" der 70er Jahre wäre ohne das seinerzeit gekürte restriktiv-repressive Fehlverständnis dessen, was einer demokratischen Verfassung und ihren BürgerInnen Not tut, nicht möglich gewesen.

6. Denken und Handeln in Verboten ist falsche Politik

Nicht allein gäbe ein Verbot nur vor, dass etwas gegen menschenverachtende Gewalt getan worden wäre, dass etwas bewirkt würde. Das ist symbolischer Politikgebrauch bzw. -missbrauch. Vielmehr sind seine Wirkungen kontraproduktiv. Statt sich um die Gruppen, die Jugendlichen zu kümmern, statt alles human Phantasievolle zu tun, um sie aus ihrer Vorurteilsfalle herauszuholen, werden sie dort hineingestopft. Die Falle wird von außen verstärkt.

7. Verbot, das Gegenteil demokratischer Politik

Nicht nur die Parteien sind gefragt, die Regierungen. Das Verbot wirkte wie ein Liegebett fürs Nichtstun. Wir können uns weiterhin eine den Jugendlichen schadende Bildungs- und Sozialpolitik leisten, das Verfassungsgericht wird es schon richten. Wir brauchen uns weiter nur um unsere Angelegenheiten kümmern, für Bürger- und Menschenrechte sorgen Verbote und Strafverfahren. Nein. Nicht Verbotsprojektionen schützen unsere und anderer Menschenrechte. Nur wir selbst, individuell und kollektiv. Ein Verbotsantrag ist nichts anderes als Ausdruck einer Politik, die ihren grundrechtlich demokratischen Aufgaben nicht nachkommt.

8. Der Verbotsantrag ist ein Missbrauch des Verfassungsgerichts

All die vorstehenden Bemerkungen bedeuten zusammengefasst: Es war ein folgenschwerer Fehler, das Bundesverfassungsgericht, für ein eventuelles Verbot einer Partei zuständig, damit zu belangen. Die Institutionen, die den Verbotsantrag gestellt haben, missbrauchen das Bundesverfassungsgericht, indem sie ihm zumuten, über das Verbot zu entscheiden. Hierbei spielen all die vielerseits auch staatsrechtlich vorgetragenen taktischen Erwägungen keine gewichtige Rolle. Dass das Verfassungsgericht lange Zeit brauche; dass die NPD so oder so durch die ausführliche Diskussion aufgewertet werden könnte; dass das Verfassungsgericht sich in einer Zwickmühle befinde, die NPD aufgrund aller ihrer Merkmale verbieten zu müssen, ohne jedoch feststellen zu können, dass sie eine große, gar unmittelbare Gefahr für die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland darstelle u.ä.m. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass ein NPD-Verbot der lebendigen Verfassung des Grundgesetzes durchgehend schadete und nur einen fragwürdigen positiven Zweck besäße: der (vor allem auch ausländischen) Öffentlichkeit zu signalisieren, dass die bundesdeutschen Regierungen und ihre Parlamente eine harte, unmissverständliche Attitüde gegenüber jeder rechtsextremen Gewalt repräsentieren, soweit sie in einer eigenen Partei organisiert ist. Ansonsten tun sie nichts, was ihren populistischen und wirtschaftsnahen Interessen auch nur anscheinshaft schadete. Kurzum: eines nur vordergründigen Effekts willen werden Gewicht und eigenständige Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts fahrlässig riskiert. Letzteres wird wie schon früher zuweilen zur abhängigen Größe einer politisch demokratischen, einer wahrhaft verfassungsgemäßen Drückebergerei.

Wolf-Dieter Narr lehrt Politikwissenschaft an der FU Berlin und ist Redaktionsmitglied von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.



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Erstellt am 6. Mai 2001 - letzte Änderung am 19.09.2002