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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 69 (2/2001)

abstand

Editorial


von Heiner Busch


Als der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) 1974 mit einer Konferenz seinen "Europol-Gedanken" lancierte, erhielt er von seinen Gästen aus der polizeilichen Elite und der Ministerialbürokratie eine klare Abfuhr. Horst Herold, seinerzeit BKA-Präsident, warnte davor, Interpol mit einer Behörde auf europäischer Ebene zu verdoppeln, Hans-Peter Bochmann, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, erklärte den staunenden Kriminalern, dass die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft beim besten Willen nicht der Rahmen für ein solches Unternehmen sein könnte, weil sie eben keine politische Gemeinschaft sei.

Wenn sich die konservativen Vordenker des BDK heute noch an ihre Vorschläge aus den 70er Jahren erinnern, müssten sie sich für große Visionäre halten. Europol existiert und wächst, und die Europäische Union ist längst auch eine "Gemeinschaft der Inneren Sicherheit", fast so wie der BDK es damals forderte. Über die ominöse informelle TREVI-Kooperation, die vor exakt 25 Jahren ins Leben gerufen wurde, ist man längst hinaus. Rückblickend auf die 70er Jahre ist die heutige Geschwindigkeit, in der der Rat für Inneres und Justiz der EU Vorschläge produziert und umsetzt, geradezu atemberaubend. Die Geheimniskrämerei von ehedem besteht weiter; sie wurde ergänzt durch eine neue Unübersichtlichkeit. Der im "Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften" ohne die vertraulichen Dokumente veröffentlichte Schengen-"Besitzstand" umfasst alleine 473 Seiten. Der gesetzgeberische Prozess, der zu solchen Ergebnissen führt, findet sich dagegen nicht im Amtsblatt, sondern in den Ratsdokumenten. Die Arbeitsgruppe, die mit der Ausarbeitung des Ratsbeschlusses über Eurojust beschäftigt ist, produzierte im vergangenen Jahr 21 Dokumente. Am 18. Juli dieses Jahres war die Europol-Arbeitsgruppe bereits bei ihrem 65. Papier für das Jahr 2001 angelangt.

Der Versuch, bei diesem Tempo auf dem Laufenden zu bleiben, fällt schwer. Hilfe zum Verständnis dieser Vorgänge werden die Bürgerinnen und Bürger auch aus den Medien kaum erhalten. Nach wie vor ist Europa nur ein Randgebiet der Berichterstattung - eines das im Nichts zwischen den Inlands- und den Auslandsseiten der Zeitungen seinen Platz hätte. Was für die Medien gilt, trifft in ähnlicher Weise für die kleine Bürgerrechtsbewegung zu: Zwar gelingt es uns auch "zu Hause" nur selten, wirklichen Einfluss auf die Innenpolitik und die Entscheidungen der Polizei zu nehmen, dennoch haben wir uns an den Nationalstaat gewöhnt. Die europäisch gewendete Innenpolitik kann uns - wie in Göteborg und Genua - sehr unmittelbar (be)treffen. Aber beim Versuch gemeinsam zu agieren, stellt sich uns, sofern wir überhaupt AnsprechpartnerInnen in anderen EU-Staaten finden, häufig bereits das Sprachenproblem in den Weg. Einen Übersetzungsdienst, wie ihn das Europäische Parlament zur Verfügung hat, kann sich keiner unserer kleinen Vereine leisten.

Um so wichtiger ist es, dass diejenigen, die an der Verwirklichung von Grundrechten und Demokratie in Europa interessiert sind, zumindest auf der jeweiligen nationalen Ebene gemeinsame Initiativen entwickeln. Das vorliegende Heft ist in enger Zusammenarbeit und mit finanzieller Unterstützung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) entstanden. Der RAV ist seit 1988 im Rahmen der Europäischen Demokratischen Rechtsanwälte (EDA) mit fortschrittlichen Juristenorganisationen in West- und Südeuropa zusammengeschlossen. Nicht nur die EU-Grundrechtecharta, zu der der RAV Ende Juni in Berlin eine Tagung organisierte, sondern vor allem die polizeiliche und strafrechtliche Kooperation in der EU gehören dort zu den regelmäßigen Themen.

Dieses Heft ist nicht das erste, das wir zur Politik Innerer Sicherheit in der EU vorlegen. Es wird auch nicht das letzte sein. Bis zum nächsten Europa-Schwerpunkt werden wir unsere LeserInnen regelmäßig mit den "Meldungen aus Europa", die sich in dieser Ausgabe erübrigt haben, informieren. CILIP 70 wird sich schwerpunktmäßig mit der staatlichen Überwachung von Informations- und Kommunikationstechnologien befassen.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.



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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 03.10.2001 - letzte Änderung am 23.10.2001