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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 70 (3/2001), S. 20-27


§ 129b und Kronzeugenregelung

Alte Instrumente in neuem Gewand

von Albrecht Maurer

Schon mit dem ersten Anti-Terror-Paket hat die Bundesregierung entschieden, das politische Strafrecht rund um den § 129a des Strafgesetzbuchs (StGB) auszubauen. Erneuern will sie auch die 1999 ausgelaufene Kronzeugenregelung.

"Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland." Dies ist der ganze Text des geplanten § 129b StGB, mit dem die Bundesregierung das Instrumentarium, das seit den 70er Jahren gegen den inländischen Terrorismus aufgebaut wurde, nun auch gegen den internationalen nutzbar machen will.[1] Grund genug, dieses Instrumentarium noch einmal unter die Lupe zu nehmen.

Der § 129a - terroristische Vereinigung - wurde 1976 eingeführt. Bis dahin hatte sich die "Terrorismusbekämpfung" in der BRD auf § 129 - kriminelle Vereinigung - gestützt, der mit leichten Veränderungen und kurzen Unterbrechungen seit Kaisers Zeiten galt. Der Straftatbestand der "terroristischen" Vereinigung ist ein schwererer und mit härteren Strafen bedrohter Fall der "kriminellen". Die "Zwecke" und "Tätigkeiten" der terroristischen Vereinigung sollen nicht auf die Begehung von Straftaten allgemein, sondern auf bestimmte schwere Straftaten gerichtet sein, die in einem Katalog festgehalten sind. Dazu gehörten zunächst Mord, Totschlag, Völkermord, Geiselnahme und erpresserischer Menschenraub sowie Brandstiftung, seit einer Verschärfung 1986 auch weitere "gemeingefährliche Straftaten" wie "gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr" oder "Störung öffentlicher Betriebe". Neben terroristischen Straftaten im engeren Sinne waren nun auch Formen des militanten sozialen Protests - etwa das Absägen von Strommasten - erfasst.

Kriminalisiert werden durch den § 129a nicht die im Katalog genannten Handlungen, die bereits als solche mit Strafe bedroht sind, sondern der organisatorische Zusammenhang und die Intention. Dass es sich nicht um Tat-, sondern um Täterstrafrecht handelt, zeigt sich insbesondere bei den Tatbeständen der Unterstützung und Werbung für eine solche Vereinigung. Sie ermöglichten abstruse Verfahren und Verurteilungen, die nicht im Ansatz etwas mit Terrorismus zu tun hatten: gegen Drucker, die dafür verantwortlich gemacht wurden, dass eine von ihnen hergestellte Zeitung ein Bekennerschreiben dokumentierte; gegen Buchläden oder Kneipen, bei denen diese "Druckwerke" ausgelegt oder verkauft wurden; gegen Personen, die RAF-Embleme an die Mauern von Autobahn-Unterführungen malten... Auch da, wo Verfahren eingestellt wurden oder nur mit geringen Strafen endeten, waren die Folgen für die Betroffenen enorm. Die hohen Gerichtskosten trieben viele Projekte in den finanziellen Ruin. Bereits das Ermittlungsverfahren war häufig Strafe genug. Noch in den 90er Jahren wurde gegen 1.326 Personen ein Ermittlungsverfahren nach § 129a eröffnet, nur 38 wurden verurteilt.[2]

Politische Strafparagrafen sind in erster Linie Ermittlungsparagrafen. Der § 129a eignet sich hierfür vor allem, weil er mit einer Vielzahl besonderer strafprozessualer (und polizeirechtlicher) Sonderbefugnisse verknüpft ist: von der Speicherung in besonderen Dateien über die Errichtung von Kontrollstellen und die Durchsuchung ganzer Häuserblöcke, den Einsatz von V-Leuten oder verdeckten Ermittlern und die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung bis hin zur Verhängung von U-Haft - auch ohne Fluchtgefahr - und verschärften Haftbedingungen.

Zuverlässige Gerichte

Schon das alte, 1951 zur Kommunistenverfolgung erlassene politische Strafrecht hatte Staatsschutzverfahren bei speziellen Kammern von den Landgerichten aufwärts geschaffen. Das schmutzige Geschäft der politischen Justiz sollte "besonders hochwertigen Richtern" bei "besonders sachkundigen Stellen" aufgetragen werden, auf dass "die Rechtsprechung in diesem Bereich besonders zuverlässig" würde.[3]

Parallel zu dieser faktischen Sondergerichtsbarkeit wurde der Generalbundesanwalt (GBA) zur Schaltstelle für die Anklageerhebung in politischen Verfahren. Er kann entscheiden, ob er ein Verfahren wegen dessen besonderer Bedeutung an sich zieht, womit automatisch die Oberlandesgerichte zur ersten Instanz werden. Mit einer Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes wurde 1986 die Zuständigkeit der Staatsschutzkammern der Oberlandesgerichte und damit des GBA als Strafverfolgungsbehörde auch auf sämtliche im § 129a enthaltenen Katalogstraftaten - von der Geiselnahme bis zum Mastabsägen - ausgedehnt.

Die Zuständigkeiten des GBA hatten auch Folgen auf polizeilicher Ebene. Der GBA konnte seit 1973 dem Bundeskriminalamt (BKA) die Ermittlungen übertragen. Das BKA wurde damit zur Staatsschutzzen-trale. Seine neue Kompetenz schlug sich u.a. in einem Personalzuwachs seiner politischen Abteilungen nieder. 1975 arbeiteten bei diesen 857 Personen, davon 144 in der erst im Jahr zuvor gegründeten Terrorismusabteilung (TE). 1991 gab es bei den Staatsschutzabteilungen insgesamt 1.425 Stellen, in der Abteilung TE 409.

"Zuverlässige" politische Polizeien, Staatsanwaltschaften und Gerichte bewirkten, dass die Terrorismus-Verfahren seit den 70er Jahren sich zu einer "Feindjustiz" auswuchsen, die nicht nur für die Angeklagten, sondern auch für ihre VerteidigerInnen massive Einschränkungen ihrer Rechte zur Folge hatte. Die Durchführung der Hauptverhandlungen in speziellen Sicherheitssälen, die Durchsuchung der VerteidigerInnen, die Überwachung ihres Kontakts mit den Angeklagten gehörten nicht nur zu den Verfahren in Stuttgart-Stammheim. Einige Verteidiger in Prozessen gegen die RAF mussten schließlich selbst Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung über sich ergehen lassen. Ein wild gewordenes Parlament hat in den 70er Jahren die Einschränkung von Verteidigungsrechten teilweise gesetzlich festgeschrieben: die Beschränkung der Zahl und die Vereinfachung des Ausschlusses von VerteidigerInnen, das Verbot der Mehrfachverteidigung etc.

Ausländische "terroristische Vereinigung"

Gründe dafür, dieses in den 70er und 80er Jahren geschaffene politische Straf- und Strafprozessrecht wieder zu beseitigen, hätte es seit langem gegeben. Die RAF, aber auch die Revolutionären Zellen (RZ) existieren schon lange nicht mehr, die Recht gewordene Feinderklärung hatte ihren Gegenstand verloren. Mit dem Amtsantritt der rot-grünen Regierung wuchsen die Erwartungen auf eine Abschaffung der §§ 129 und 129a, um so mehr, als die Grünen selbst dies immer wieder gefordert hatten.

Dass dies nicht geschah, liegt zunächst an einer gemeinsamen Maßnahme des Rates der Innen- und Justizminister der EU von 1998, die von allen Mitgliedstaaten die Einführung von Straftatbeständen der "kriminellen Organisation" forderte. Die EU-Staaten verpflichteten sich, "Mitglieder krimineller Vereinigungen zu verfolgen - unabhängig davon, an welchem Ort der EU sich die eigentliche Operationsbasis dieser Gruppe befindet bzw. wo sie agiert. Konkret heißt das, dass deutsche Strafverfolgungsbehörden beispielsweise das Mitglied eines finnischen Schmuggler- oder eines griechischen Fluchthelferrings oder aber der baskischen ETA hierzulande verfolgen können - obwohl klar ersichtlich ist, dass die Bundesrepublik nicht zu deren Aktionsfeld zählt."[4] Seit längerem kursieren Pläne für einen § 129b, der diese Verfolgung von ausschließlich ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigungen ermöglichen sollte. Immerhin hätte trotz der EU-Steilvorlage weiter die Chance bestanden, zumindest die Tatbestände des Werbens und der Unterstützung aus den §§ 129 und 129a zu streichen.

Die jetzt vorgeschlagene Version eines § 129b geht über die ursprüngliche weit hinaus. Sie macht nicht mehr an den Grenzen der EU halt, in deren Rahmen sich - bei aller Kritik an der Art, wie das geschieht - ein gemeinsamer Rechtsraum entwickelt. Ihr Ziel besteht nicht mehr nur darin, die Rechtshilfe zwischen EU-Staaten dadurch zu erleichtern, dass das Hindernis der beidseitigen Strafbarkeit beseitigt wird.

Die Formulierung des § 129b im ersten Anti-Terror-Paket soll zwar vordergründig dazu dienen, die Hintermänner der Attentate vom 11. September zu verfolgen. Faktisch lässt sie sich aber auf jedwede bewaffnete Organisation in irgendeinem Staat der Welt beziehen - unabhängig von der Frage, ob deren Tätigkeit einen legitimen Widerstand gegen ein unterdrückerisches Regime darstellt oder eben terroristisch ist. Die Bundesanwaltschaft wäre damit theoretisch für Delikte z.B. auf Sri Lanka zuständig, die Oberlandesgerichte müssten darüber urteilen.

Praktisch wird der § 129b noch weniger Urteile bewirken als der § 129a. Die Bundesanwaltschaft müsste dafür im Ausland, d.h. auf dem Rechtshilfeweg, Beweise beschaffen, dass die betreffende Organisation im Lande x überhaupt eine solche Vereinigung darstellt, welche Struktur sie hat, welche Rolle die Angeklagten darin haben und vor allem: dass es sich hierbei um Terroristen und weder um eine Bürgerkriegspartei noch um einen zwar bewaffneten, aber legitimen Widerstand handelt. Eine solche Beweiserhebung, womöglich noch in einem Staat, zu dessen regelmäßigen Fahndungsmethoden die Folter gehört, dürfte selbst bedenkenlose politische Strafverfolger vor Probleme stellen. Zu erwarten ist vielmehr, dass die Regelung zu willkürlicher Verfolgung bestimmter politischer "Ausländervereinigungen" und zu ebenso willkürlichen ausländerrechtlichen Maßnahmen führt. Nicht umsonst will das zweite Anti-Terror-Paket Ausweisungen bereits ermöglichen, wenn gegen eine Person der Hauch eines Verdachtes der Unterstützung des "internationalen Terrorismus" vorliegt.

Kronzeugen

Mit Angeboten eines Strafnachlasses werde ein "Anreiz zu falschen Verdächtigungen und Denunziationen" gegeben. "Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Kronzeugen", verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Einschränkung des Legalitätsprinzips - das waren die zutreffenden Argumente, mit denen die innenpolitischen Sprecher von SPD und Grünen im November 1999 ihren Entschluss begründeten, die 1989 beschlossene Kronzeugenregelung auslaufen zu lassen.[5]

Tatsächlich war die Geschichte der Regelung unmittelbar mit der Erwartung verbunden, Beweisschwierigkeiten und mangelnde Fahndungserfolge bei der Terrorismusbekämpfung ausgleichen zu können. 1972, 1975 und 1977 waren erste Entwürfe gescheitert. Beweisnot in den RAF-Verfahren und anhaltende Fahndungsmisserfolge - seit den Festnahmen von Adelheid Schulz, Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar 1982 war den Ermittlern kein bedeutender Fang mehr geglückt - führten 1986 zu einer erneuten Initiative von CDU/CSU und FDP. Parallel zur Verschärfung des § 129a sollte in Artikel 3 eines neuerlichen Gesetzes "zur Bekämpfung des Terrorismus" eine Kronzeugenregelung erlassen werden. Das Gesetz wurde im Dezember 1986 verabschiedet - dank des massiven Drucks von StrafrechtsprofessorInnen und JuristInnenorganisationen ohne den Artikel 3. Durchgesetzt werden konnte die Kronzeugenregelung erst im fünften Anlauf 1989.[6] Das Gesetz war zunächst bis 1992 befristet, wurde aber zweimal - zuletzt bis Ende 1999 - verlängert. 1994 wurde es auch auf Delikte der "organisierten Kriminalität" ausgedehnt.

Faktische Kronzeugen - wenn auch ohne bzw. gegen den Wortlaut des Gesetzes - gab es schon seit Beginn der Terroristenprozesse in den frühen 70er Jahren. Erinnert sei hier stellvertretend an die Rolle Jürgen Bodeux' im Verfahren um den Mord an dem ehemaligen Mitglied der Bewegung 2. Juni und Verfassungsschutz-Informanten Ulrich Schmücker in Berlin 1974. Die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft am Landgericht Berlin sorgte seinerzeit dafür, dass der zur Tatzeit 20-jährige Bodeux für seine Mittäterschaft mit einer Jugendstrafe von fünf Jahren davon kam und gegen die fünf anderen Beschuldigten aussagte.[7]

Für eine rechtsstaatliche Justiz sind Kronzeugen nicht nur inakzeptabel, weil sie das Legalitätsprinzip durchbrechen und Staatsanwaltschaft und Gericht mit zweifelhaften Aussagen aus der Patsche helfen, für die sie dann durch Strafrabatt oder -freiheit belohnt werden. Vielmehr werden derartige Handelsgeschäfte mit der Wahrheit erst denkbar vor dem Hintergrund jener oben geschilderten "Feindjustiz", bei der eine Verurteilung um (fast) jeden Preis erreicht werden soll. Nur eine solche Justiz stellt die Betroffenen vor die Wahl, entweder einen unerträglichen Prozess über sich ergehen zu lassen, an dessen Ende sie auf nicht absehbare Zeit in Haft verschwinden - oder mit Polizei und Bundesanwaltschaft zu kollaborieren.

Die gesetzliche Kronzeugenregelung beanspruchten insbesondere die quasi im "offenen Vollzug" in der DDR lebenden ehemaligen RAF-Mitglieder, die sich längstens von der Gruppe entfernt hatten. Ihre Aussagen betrafen lange zurück liegende Straftaten. Den milden Umgang der Justiz erkauften sie sich durch die Belastung von bereits seit langem inhaftierten Ex-GenossInnen, die nunmehr erneut vor Gericht gestellt wurden. Neue Täter wurden nicht "ergriffen".

Die in Frankfurt mitten im Berufsleben stehende Monika Haas wurde wegen des Vorwurfs, durch den Schmuggel von Waffen die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" 1977 vorbereitet zu haben, zu fünf Jahren Haft verurteilt. Grundlage waren Aussagen von Souhaila Andrawes, einer Beteiligten der Entführung, die zunächst in Mogadischu in Haft war, dann über verschiedene Stationen 1991 nach Oslo kam, dort Asyl beantragte und schließlich nach Deutschland ausgeliefert wurde. Unter Anwendung der Kronzeugenregelung wurde sie zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Anrechnung bisheriger Haft blieben 21 Monate. Die Kronzeugin widersprach sich in mehreren Vernehmungen gravierend, mal hatte sie Monika Haas ganz sicher nicht, mal genau erkannt. Sie widersprach auch Ermittlungsergebnissen des BKA. In der Hauptverhandlung bestätigte die physisch und psychisch angegriffene Frau nur mehr, widersprüchliche Aussagen gemacht zu haben.

Den letzten offiziellen Kronzeugen angelte sich die Bundesanwaltschaft im November 1999, zu einem Zeitpunkt, da bereits klar war, dass die Regelung nicht verlängert werden würde. Seine Aussagen belasten derzeit fünf Angeklagte im Berliner RZ-Verfahren. Tarek Mousli war dem BKA 1995 aufgefallen, nachdem Diebe Sprengstoff aus dem Keller seiner Wohnung hatten mitgehen lassen. Nach seiner ersten Verhaftung im April 1999 folgten weitere, eine nahezu ununterbrochene Telefonüberwachung, diverse Schikanen und die Drohung der Bundesanwaltschaft, ihm die Rädelsführerschaft für die Berliner RZ anzulasten. Mousli akzeptierte schließlich einen Deal mit der Bundesanwaltschaft: Aussagen über die Berliner RZ-Gruppe gegen Abtrennung seines Verfahrens und einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Im Dezember 2000 hat das Berliner Kammergericht diesen Deal in einem äußerst freundlichen Verfahren eingehalten. Die von Mousli belasteten fünf Personen sitzen nunmehr seit zwei Jahren in U-Haft und erleben seit April das Verfahren einer Feindjustiz, die sich nur auf die Aussagen des Kronzeugen stützen kann. Vorgeworfen wird ihnen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Anschläge auf die Berliner Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) 1987 und die Siegessäule 1991 - letzterer ist gescheitert -, Knieschüsse auf den früheren Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg 1986 und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Günter Korbmacher 1987 - beides verjährt. Mouslis Aussagen konnten weder die beiden Durchsuchungen im Berliner Alternativzentrum Mehringhof noch die kriminaltechnischen Gutachten des BKA bestätigen. Einer der Angeklagten saß zur Zeit des Anschlags auf die ZSA in Polizeigewahrsam, im Falle der Schüsse auf Hollenberg gibt es Widersprüche zu den Aussagen des Opfers. Die Bundesanwaltschaft hält trotzdem an ihrem Zeugen fest.[8]

Das Gesetz von 1989 hat sein erklärtes Hauptziel, neue Straftaten zu verhindern, verfehlt. Die Aussagen der Kronzeugen in den genannten Prozessen dienten der Bundesanwaltschaft vielmehr dazu, Uralt-Verfahren mit hohen Strafen abschließen zu können oder - im Falle des Berliner RZ-Verfahrens - einen solchen Abschluss anzustreben.

Neue Kronzeugenregelung

Die nun angestrebte neue Regelung ist nicht erst Ergebnis von Überlegungen nach dem 11. September. Das bezeugen nicht nur die Vorlagen des Bundesrates und der CDU vom April bzw. August dieses Jahres, die derzeit Grundlage der parlamentarischen Beratung sind.[9] Wer im November 1999 genauer hingehört hat, als die Regierung verkündete, die alte Regelung auslaufen zu lassen, wird dabei schon Pläne für eine eventuelle neue vernommen haben. Diese sollte nicht nur für Straftaten terroristischer Vereinigungen und krimineller Organisationen gelten, sondern für das ganze Strafrecht. Die rot-grüne Koalition debattiert eine Ergänzung des § 46 StGB, der die Grundsätze der Strafzumessung regelt. Beim Verhalten nach der Tat wäre nicht nur der Wille zur Wiedergutmachung strafmildernd zu würdigen, sondern auch analog zur "kleinen Kronzeugenregelung" im § 31 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) "das Bemühen des Täters", zu der Aufklärung geschehener und Verhinderung neuer Straftaten beizutragen.

An der Funktion von Kronzeugen in politischen Verfahren dürfte diese Regelung kaum etwas ändern. Die Übertragung auf das gewöhnliche Strafrecht jedoch birgt die Gefahr, dass Kronzeugen wie heute bereits im Drogenbereich massenweise auftauchen. "Es wird nirgends so gelogen, wie vor Gericht; und es gibt kompetente Beobachter, die stellen fest, dass vor Gericht nirgends so gelogen wird wie im BtM-Verfahren."[10]

Albrecht Maurer arbeitet in der Erwachsenenbildung und lebt in Göttingen.


[1] BT-Drs. 14/7025 v. 4.10.2001
[2] BT-Drs. 14/2860 v. 6.3.2000
[3] so ein Vertreter des Bundesjustizministeriums, zit. n. Brünneck, A. v.: Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1968, Frankfurt/M. 1978, S. 225
[4] Holzberger, M.: Steilvorlage aus Europa, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 66 (2/2000), S. 75-79 (77f.)
[5] taz v. 15.11.1999
[6] Texte und Materialien zu den Entwürfen im Anhang von Bocker, U.: Der Kronzeuge, Hamburger Studien zur Kriminologie Bd. 9, Pfaffenweiler 1991
[7] Zu diesem und weiteren Beispielen siehe Hannover, H.: Terroristenprozesse, Terroristen und Richter Bd. 1, Hamburg 1991, S. 129-156.
[8] zusammenfassend in Freitag v. 29.6.2001
[9] BT-Drs. 14/5938 v. 29.4.2001 und 14/6834 v. 26.8.2001
[10] Krempf, E.: Der geliebt/gehasste Kronzeuge, in: Strafverteidiger 1999, H. 1, S. 67f. (67)


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