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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 70 (3/2001), S. 100-107


Literatur

Zum Schwerpunkt

Im Unterschied zu Veröffentlichungen über "den Terrorismus" ist die Literatur über die staatliche "Terrorbekämpfung" spärlich. Für die deutschen Anti-Terror-Reaktionen, auf die wir uns in diesem Heft konzentrieren, gilt dies uneingeschränkt. Die drei Jahrzehnte, in der Politik, Gesetzgebung, Polizei und Geheimdienste auf die RAF, die Bewegung 2. Juni, Revolutionäre oder Anti-Imperialistische Zellen etc. reagierten, haben bislang zu keiner Gesamtbilanz geführt. Was vorliegt, sind Teilstudien oder Einblicke in einzelne Maßnahmen, Verfahren oder Vorgänge. Es ist kennzeichnend für die gegenwärtige Anti-Terror-Politik, dass sie diese Bilanzen nicht vermisst. Noch bevor man sich darüber im Klaren ist, was Strategien und Maßnahmen "gebracht" haben, werden im Schnellverfahren die alten Rezepte herausgekramt und "aktualisiert". Für die gegenwärtige Auseinandersetzung sei auch an dieser Stelle auf unsere Homepage verwiesen, auf der wir unter http://www.cilip.de/terror neben den aktuellen Gesetzentwürfen eine Reihe kritischer Stellungnahmen bereitstellen. Im Folgenden können wir nur Hinweise auf wenige wichtige Veröffentlichungen geben. Vollständig verzichten wir auf die Darstellungen einzelner Vorgänge und Verfahren, die in Buchform u.a. zum Schmücker-Verfahren, zum Celler Loch, zum Multiagenten Werner Mauss, zur Stasi-RAF-Connection oder zum "RAF-Phantom" vorliegen.

Waldmann, Peter: Terrorismus. Provokation der Macht, München 1998
Aus der Flut der Veröffentlichungen über Terrorismus ist diese Übersichtsdarstellung herauszuheben. Waldmann gibt eine auch Laien verständliche Einführung in das Phänomen "Terrorismus". Seine Darstellung reicht von der Diskussion des Begriffs Terrorismus über die historische Entwicklung terroristischer Gewalttaten bis zu den (staatlichen) Gegenmaßnahmen. Im Hinblick auf die staatlichen Reaktionen warnt der Autor vor Übereifer. Häufig führe verschärfte Repression dazu, die Gruppen nach innen zu stabilisieren und deren Weltbild zu bestätigen. Mit liberalen Demokratien sei es nicht vereinbar, den Terrorismus ein für allemal beseitigen zu wollen. Vielmehr komme es darauf an, ihm in konkreten Fällen entgegenzutreten.

Gössner, Rolf: Das Anti-Terror-System. Politische Justiz im präventiven Sicherheitsstaat (Terroristen & Richter, Bd. 2), Hamburg 1991
Dieser Band liefert am ehesten einen Einblick in die Anti-Terror-Maßnahmen der 70er und 80er Jahre: die Praxis des § 129a StGB, von Kontrollstellen, Schleppnetz- und Rasterfahndung, der Verlauf von Terrorismusprozessen, von Verdachtschöpfungsstrategien im Vorfeld, der polizeilichen und verfassungsschützerischen Arbeit mit V-Personen. Wer nach Beispielen für die vielfältigen Entgrenzungen und Entgleisungen des Anti-Terror-Systems sucht, der oder die wird in diesem Band fündig werden.

Lau, Stefan; Mischau, Anina: Normgenese, Zielsetzung und Rechtswirklichkeit des § 129 (R)StGB und § 129a StGB, in: Politisches Strafrecht und politische Kriminalität, Kriminologisches Journal 3. Beiheft 1991, S. 65-82
Der Aufsatz informiert in kompakter Form über die Entstehungsgeschichte und Anwendungsbereiche der beiden Paragrafen. Seit ihren Anfängen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts dienten die Bestimmungen zur Kriminalisierung der linken Opposition. Bedeutsam sind die Paragrafen kaum für die Strafverfolgung, sondern für die Überwachung, Kontrolle und Einschüchterung kritischer Bewegungen und Gruppen.

Bocker, Uwe: Der Kronzeuge. Genese und Funktion der Kronzeugenregelung in der politischen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland, Pfaffenweiler 1991
Mühlhoff, Uwe; Mehrens, Stefanie: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis (Interdisziplinäre Beiträge zur kriminologischen Forschung, Bd. 16), Baden-Baden 1999
Breucker, Matthias; Engberding, Rainer O.M.: Die Kronzeugenregelung. Erfahrungen, Anwendungsfälle, Entwicklungen, Stuttgart 1999
In der juristischen Dissertation von Bocker wird die Diskussion um die Einführung einer Kronzeugenregelung zwischen 1985 und 1986 nachgezeichnet. Die Argumente, die der Autor mit den Bestimmungen des Grundgesetztes und mit den Grundprinzipien eines fairen Verfahrens gegen den "Verrat als Mittel der Strafverfolgung" vorbringt, haben bis heute nichts an ihrer Gültigkeit verloren. Demgegenüber haben wir die Schwächen der beiden Monografien aus dem Jahr 1999 bereits in CILIP 66 (S. 105 ff.) [http://www.cilip.de/ausgabe/66/lit66.htm] ausführlich erörtert.

Kruse, Gesine: Bundesrepublik Deutschland, in: Gropp, Walter (Hg.): Besondere Ermittlungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, Freiburg im Breisgau 1993, S. 105-209
Sokol, Bettina: Rasterfahndung vor 20 Jahren und heute, in: Bäumler, Helmut (Hg.): Polizei und Datenschutz. Neupositionierung im Zeichen der Informationsgesellschaft, Neuwied, Kriftel 1999, S. 188-198
In Kruses Beitrag wird das gesamte Repertoire der verdeckten Polizeimethoden vorgestellt. Die Rasterfahndung (S. 148-172) ist nur ein Element in diesem Gefüge, dem - so die Darstellung - nur eine geringe kriminalistische Bedeutung zukommt. Der Aufsatz der nordrhein-westfälischen Datenschutzbeauftragten Sokol ist ein Beispiel für jene Stimmen, die angesichts der geringen Erfolge der Rasterfahndung auf die mit ihr verbundenen massenhaften Grundrechtseingriffe hinweisen. Vorsichtig, aber in der Aussage uneindeutig fordert Sokol, die Rasterfahndung aus dem Arsenal der polizeilichen Verdachtschöpfungsinstrumentarien zu streichen - eine Forderung, die heute aktueller, aber zugleich illusorischer ist als damals.
(sämtlich: Norbert Pütter)


Neuerscheinungen

Freund, Thomas; Lindner, Werner (Hg.): Prävention. Zur kritischen Bewertung von Präventionsansätzen in der Jugendarbeit. Opladen 2001 (Leske + Budrich), 188 S., DM 29,80
Spätestens seit dem 1. Sicherheitsbericht der Bundesregierung gilt als amtlich besiegelt, dass Kriminalprävention nicht allein Aufgabe der Sicherheitsbehörden, sondern vor allem auch der Sozialpolitik zu sein habe. Umso erfrischender sind inmitten des harmonischen Lobgesangs jene Stimmen, die sich dissonierend gegen die gesamtgesellschaftliche Präventionseuphorie erheben. Werner Lindner, Dezernent im niedersächsischen Landesjugendamt, hat zusammen mit dem Soziologen Thomas Freund eine Streitschrift herausgegeben, die wichtige Artikel zum Thema zusammenträgt. Besonders lesenswert ist der Beitrag des unlängst verstorbenen Kriminologen Detlev Frehsee, der das politische Kalkül auf einen knappen Nenner zu bringen vermag: "Systemische Risiken, wie sie sich aus technischer Komplexität, Marktzwängen, Entfremdungsbedingungen oder sozialen Ungleichheiten ergeben, werden den handelnden Akteuren aufgebürdet und somit in menschliche Risiken umgedeutet, woraufhin die riskanten Verhältnisse und Zustände entlastet werden und weiter so belassen werden dürfen, wie sie sind." (S. 52) Logisch und präzise entwickelt der Autor, wie aus dem Leitprinzip "Prävention" die Polizei "zwangsläufig zu einer prioritären gesellschaftlichen Instanz" avanciert; wie zunehmend das "Förderungsparadigma" der Sozialpädagogik durch ein generalisiertes "Störungsparadigma" ersetzt wird (S. 59). Was dies speziell für die Jugendarbeit bedeutet, davon zeichnen die Herausgeber selbst ein düsteres, gleichwohl amüsant zu lesendes Szenario. Dadurch, dass Prävention "nie breit genug und auch nie früh genug" ansetzen könne, führe der Diskurs zu einer "Einverleibung" der gesamten Jugendhilfe. Von pränataler Prävention bis hin zu "Kickern und Kaffeetrinken" verfalle jedwede Handlung dem "endgültigen und allumfassenden pädagogischen Overkill" (S. 87). Dieser defizitorientierten Logik setzt Norbert Herriger, langjähriger Präventionskritiker, das Konzept des Empowerments entgegen - eine Pädagogik, die sich an den Stärken junger Menschen orientiere, unkonventionelle Lebensentwürfe akzeptiere und Freundschaftsnetzwerke unterstütze. Doch auch wenn die theoretischen Entwürfe eine Antwort schuldig bleiben, wie dies in die Praxis übersetzt werden kann, so sind allein diese drei Artikel ein Muss für alle, die sich als AnwältInnen ihrer jugendlichen "Klientel" verstehen.
(Christine Hohmeyer)

Schenk, Dieter: Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA, Köln 2001 (Kiepenheuer & Witsch), 370 S., DM 44,90
Der ehemalige Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes (BKA) Dieter Schenk beschreibt in diesem Buch die Entstehung des Amts und die daran beteiligten Personen. Er zeigt anhand zahlreicher Beispiele, wie halbherzig auch im Bereich der Kriminalpolizei die Entnazifizierung in Westdeutschland betrieben wurde. Mit umfassendem Archivmaterial belegt der Autor die Nazivergangenheit von vielen leitenden Kriminalbeamten, die häufig genug bereits Unterschlupf in Landeskriminalämtern gefunden hatten. Mit der Gründung des BKA wurde jedoch eine regelrechte Heimstätte für NS-Verbrecher geschaffen. In enger personeller Verbundenheit mit dem Verfassungsschutz und dem BND.

Schenk beschreibt als zentrale Person Otto Dickopf. Als Karrierist in der Nazidiktatur wurde er gegen Kriegsende zu einem Agent des CIC und später der CIA. Er förderte im Nachkriegsdeutschland den Aufbau des BKA und wurde hierin durch den amerikanischen Geheimdienst bestärkt, der im Rahmen seiner Besatzerrolle erheblichen Einfluss auf die deutsche Innenpolitik der Nachkriegszeit hatte. Dickopf sorgte nicht nur dafür, dass das BKA sich in seinem Aufbau unmittelbar am von den Nazis geschaffenen Reichskriminalamt orientierte, sondern auch dafür, dass die leitenden Beamten aus der Nazidiktatur erneute Verwendung fanden.

Es war wohl unvermeidbar, dass sich diese Personenkontinuität auch in der täglichen Arbeit niederschlug. Erschreckend ist, in welchem Maße es den Beamten gelang, die späteren Ermittlungsversuche der Staatsanwaltschaften wegen der Verstrickungen in die Verbrechen des Dritten Reiches zu behindern, und wie diese dabei von der Politik unterstützt wurden. Ebenso erschreckend ist, dass das BKA heute noch nicht bereit ist, sich mit seiner Vergangenheit auseinander zu setzen. Dem Autor wurde trotz Weisung des Bundesinnenministers der Einblick in das Archiv des BKA verweigert. Damit behindert das BKA die Aufklärung über den Umfang der Beschäftigung von Naziverbrechern sowie die systematische Rechtsbeugung der Behörde zum Schutz ihrer Mitarbeiter. Auch wenn das Fehlen dieses Archivmaterials die Qualität des Buches nicht nachhaltig beeinträchtigen konnte, so stellt die Verweigerung der Einsichtnahme ein Armutszeugnis für eine demokratische Polizei dar.
(Olaf Griebenow)

Fürmetz, Gerhard; Reinke, Herbert; Weinhauer, Klaus (Hg): Nachkriegspolizei. Sicherheit und Ordnung in Ost- und Westdeutschland 1945-1969, Hamburg 2001 (Ergebnisse Verlag), 358 S., DM 58,-
Der Entnazifizierung der Polizeien gilt auch in deutsch-deutsch vergleichender Perspektive ein Kapitel dieses Bandes, in dem Entwicklungslinien der beiden "Nachkriegspolizeien" nachgezeichnet werden. Symptomatisch für die Situation im Nachkriegsdeutschland ist die folgende Episode aus dem Mai 1946. Kurt Schumacher waren aus Sicherheitsgründen fünf Polizisten an die Seite gestellt. Da deren Gespräche den SPD-Parteivorsitzenden zunehmend entsetzten, ließ er seine Bewacher überprüfen: Vier waren ehemalige SS-Angehörige, zwei von ihnen sogar so belastet, dass sie eigentlich unter die automatischen Arrestkategorien der Alliierten gefallen wären. Dass die von den Siegermächten angestrebte vollständige Entnazifizierung hier kaum funktionierte hat mehrere Gründe. Einmal ist da die fortdauernde Kumpanei unter den früheren Angehörigen von SS, SD, Gestapo und Nazi-Polizei. Besonders in Schleswig-Holstein, wohin viele ihrer Führungskräfte geflohen waren, gelang es mit Hilfe einstiger Kollegen, in den Reihen der in Auflösung befindlichen Wehrmacht unterzutauchen. Bekannt ist etwa eine Anweisung Himmlers aus dem Mai 1945, sich hierzu bei der Flensburger Polizei zu melden: "Alles weitere macht Standartenführer Hinsch, der Polizeipräsident von Flensburg". Nach Unterlagen des Landesarchivs Schleswig-Holstein wurden allein in der ersten Maiwoche 1945 etwa 2.000 bis 3.000 Kennkarten gefälscht. Begünstigt wurde die Rückkehr ehemaliger NS-Schergen in die Polizei durch ein zunehmendes Desinteresse der mit der Entnazifizierung beauftragten Security-Einrichtungen der westlichen Siegermächte an einer durchgreifenden Säuberung. Insbesondere die britischen Offiziere hatten häufig ein größeres Interesse daran, möglichst rasch eine funktionsfähige deutsche Polizei zu erhalten, die ihnen bei Plünderungen, Schwarzhandel, Prostitution und anderen typischen Nachkriegsdelikten die Arbeit abnahm.

Völlig anders ging zunächst die sowjetische Siegermacht vor. Sie begann bereits unmittelbar im Mai/Juni 1945 mit der Säuberung der bestehenden Polizei, teilweise bis zur völligen Auflösung. Hierdurch entstand jedoch schnell das Problem, dass die neuangeworbenen Polizisten beruflich völlig unerfahren waren. So gelang es Angehörigen der alten Nazi-Polizei auch in der späteren DDR, wieder in die Reihen der neuen Sicherheitsbehörden einzusickern. Wenn auch nicht in gleichem Maße wie in den Westzonen.

Ein weiteres, äußerst interessantes Kapitel deutscher Polizeigeschichte schlägt das Buch zudem am Beispiel von Frauen im Polizeidienst auf. Auch hier zeigen sich - ebenfalls auf unterschiedlichem Niveau - deutsch-deutsche Parallelen. Schon aus Mangel an genügend geeigneten männlichen Bewerbern öffneten die Besatzungsbehörden die Polizei für Frauen. Gern gesehen waren diese in der Männerdomäne jedoch weder in West noch in Ost. Je weiter sich die Strukturen wieder festigten, umso stärker wurden die Vorbehalte. Während auf Westseite offen chauvinistisch gegen Frauen argumentiert wurde, griffen die Kollegen der Ostseite eher zu ideologischen Begründungen und erklärten, es sei "besonders schwierig, die weiblichen Angestellten auch weltanschaulich zu schulen ... Nach den bisherigen Erfahrungen legen die meisten in politischen Dingen eine gewisse Naivität und Uninteressiertheit an den Tag". Lange währte das Intermezzo von Frauen in der Polizei dann auch nicht. Erst seit Ende der 70er Jahre hat sich die deutsche Polizei, wiederum nach erheblichen Widerständen, vollständig für Frauen geöffnet.

Insgesamt ein äußerst interessantes Buch. Ärgerlicherweise fehlt im Anhang jedoch ein Personenregister. Das macht das Wiederauffinden der Akteure und ihrer beruflichen Kontinuität unnötig schwer.

Diedrich, Torsten; Wenzke, Rüdiger: Die getarnte Armee. Geschichte der Kasernierten Volkspolizei der DDR 1952-1956, Berlin 2001 (Christoph Links Verlag), 921 S., DM 68,-
Die Anfänge der Polizei (und des Militärs) in der DDR zeichnet dieses Buch nach. Unmittelbar nach Kriegsende sollten möglichst schnell funktionsfähige Polizeiorgane geschaffen werden. Nach dem Willen der sowjetischen Militäradministration (SMAD)und KPD sollten die neuen Polizisten aus der Arbeiter- und Bauernschaft rekrutiert und von Funktionären der Partei geführt werden. Ehemalige Polizeibeamte wurden mehr und mehr heraus gedrängt. Ende 1945 bestanden die Schutzpolizeiformationen bereits zu 80% aus Angehörigen der Arbeiterschaft. Viele von ihnen mussten nach kurzer Zeit wegen mangelnder Qualifikation wieder entlassen werden oder gingen von selbst, wenn sie in ihren Berufen wieder Arbeit fanden. Dennoch erreichte die neuaufgestellte "Volkspolizei" Ende 1946 eine Gesamtstärke von rund 40.000 Mann, die schrittweise nun auch mit Handfeuerwaffen ausgerüstet wurden.

Doch die Pläne gingen von Anbeginn weiter, wie die Autoren vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam überzeugend darlegen. Im Frühjahr 1948 versammelten sich die ostdeutschen Innenminister zu einer besonderen Konferenz. Wichtigster Tagesordnungspunkt war die Aufstellung einer "kasernierten Polizei". Um Schwierigkeiten mit dem Alliierten Kontrollrat zu vermeiden, schlug der stellvertretende SED-Vorsitzende Walter Ulbricht hierfür die Bezeichnung "Bereitschaften" vor. Für diese neue Truppe, so Ulbricht, brauche man "Leute, die Fronterfahrungen, Leute, die Spanienerfahrungen oder sich auch sonst im Kampf bewährt haben". Geplant war der verdeckte Aufbau militärischer Strukturen. Noch im selben Jahr begann die Werbung für die neuen Bereitschaften und auch ein Großteil der Polizisten wurde, trotz permanenter Unterbesetzung aller Sparten, zwangsweise dorthin versetzt. Dennoch reichten die zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht aus. Durch Vermittlung des SMAD erklärte sich die Sowjetunion daher bereit, in ihren Gefangenenlagern ehemalige Wehrmachtsangehörige, darunter auch Offiziere und Generäle, zu werben. Sie wurden vor die Alternative gestellt, sich entweder dem Aufbau der Polizeibereitschaften zur Verfügung zu stellen oder weiter in Gefangenschaft zu bleiben. Die Wahl war nicht schwer, und für nicht wenige ehemalige Wehrmachtsoffiziere war es der Beginn einer neuen militärischen Karriere. Im Sommer 1953 gehörten den nach sowjetischem Vorbild strukturierten Verbänden der "Kasernierten Volkspolizei" (KVP), wie die Truppe seit einem Jahr hieß, bereits rund 113.000 Mann an. Bewaffnet waren sie unter anderem mit Panzern, Artillerie, Flugzeugen und Küstenschutzbooten. Allerdings traute die Staatsführung der neuen Truppe nicht. Die unter strenger Geheimhaltung durchgeführten KVP-Übungen wurden ohne oder nur mit begrenzter Munition durchgeführt. Auch während des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 wurden die Kräfte der KVP erst spät und auf Weisung der DDR-Führung in den meisten Fällen ohne Munition eingesetzt. So sollte sichergestellt werden, dass den sowjetischen Truppen auch dann nur schwache Kräfte gegenüber stünden, wenn die KVP-Angehörigen sich auf die Seite der Bevölkerung stellen sollten. Auf solche, ebenso überraschenden wie häufig erschreckenden Einzelheiten stößt man im Buch von Diedrich/Wenzke des öfteren. Insgesamt schließt das umfangreiche Werk sowohl in der Geschichts- wie auch in der Polizeiforschung eine Lücke. Detailliert stellt es die einzelnen Etappen der KVP auf dem Weg zur "Nationalen Volksarmee" dar.
(beide: Otto Diederichs)

Verein für ein multikulturelles Europa e.V.: Untersuchung und Dokumentation des Polizeieinsatzes im Zusammenhang mit den sogenannten "Chaostagen" im August 2001 in Cottbus (Brandenburg), http://www.zelle79.info/ctd
Nachdem eine Zeitung berichtet hatte, für Anfang August hätten sich Punks zu "Chaostagen" in Cottbus verabredet, unternahmen Stadtverwaltung und Polizei alles, um ein solches Treffen zu verhindern: Veranstaltungsverbote, Polizei- und BGS-Kontrollen von Bahnhöfen und Straßen, Platzverweise, Aufenthaltsverbote und Ingewahrsamnahmen. Die lesenswerte Online-Dokumentation zeigt eine Kleinstadt im Ausnahmezustand - hervorgerufen durch vage Spekulationen und fast ohne Punks.
(Norbert Pütter)


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