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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 74 (1/2003)

abstand

Inland aktuell



Köln: Hausbesuch vom Staatsschutz

"Staatsschutz gegen Extremismus durch Prävention" (STEP) lautet seit Oktober 2002 der Titel eines Programms der Abteilung Staatsschutz beim Polizeipräsidium Köln. Die StaatsschützerInnen führen dabei unangemeldet Hausbesuche bei Jugendlichen durch, um deren Abdriften in eine "extremistische" Szene zu verhindern. Es handelt sich um Jugendliche, die erstmals bei der Polizei auffällig wurden oder deren Identität durch eine "Mitteilung" oder "Bitte" Dritter der Polizei bekannt ist. Bei solchen "Dritten", so der Kölner Polizeipressesprecher Wolfgang Beus, könne es sich z.B. um LehrerInnen handeln, für die die Polizei eigens Fortbildungsveranstaltungen über rechtsextremistische Kennzeichen anbiete. "Mitteilungen" sind aber auch über eine Hotline des Staatsschutzes möglich. Mit dem Hausbesuch sollen den Jugendlichen die Konsequenzen extremistischen Handelns verdeutlicht und ihren Eltern Angebote zum weiteren Dialog unterbreitet werden.

Hausbesuche als polizeiliches Instrument sind nicht ganz neu: Im August 2001 startete das Innenministerium Nordrhein-Westfalen ein "Aktionsprogramm gegen Rechts". Innerhalb eines Jahres fanden in diesem Rahmen rund 1.000 "Gefährderansprachen" bei rechten Jugendlichen statt; auch Bayern (seit 1996), Baden-Württemberg und Brandenburg bedienen sich seit längerem dieses Mittels gegen Rechte.[1] In das Kölner Programm werden dagegen auch linke und ausländische Jugendliche einbezogen. Laut Beus erhielten seit Jahresbeginn zehn rechte und zwei linke Jugendliche Besuch vom Staatsschutz. Außerdem handele es sich nicht um "Gefährderansprachen", da die Jugendlichen erst einmal aufgefallen seien. Die Erfolgsquote sei hoch: Nach einem Polizeigespräch sei kaum eineR der Angesprochenen erneut im Dunstkreis der rechten Szene aufgetaucht. Problematisch an STEP ist nicht nur, dass die Staatsmacht erneut Rechte, Linke und AusländerInnen in einen "extremistischen" Topf wirft, sondern auch die Mischung aus Überwachung und Denunziation einerseits und aufsuchender Jugendarbeit andererseits. Letztere sollte die Polizei in der Tat der Sozialarbeit überlassen. Allein die politische Gesinnung nimmt die Polizei hier zum Anlass für ihr Vorgehen und weitet damit ihre Arbeit noch weiter ins Vorfeld aus. Minderjährige auf diese Weise abzuschrecken, wie es das erklärte Ziel der Aktion sei, ist jedenfalls bislang keine normierte Polizeibefugnis. Daher: Einfach nicht öffnen, wenn es klingelt.

(Marion Knorr)


Aus für Überwachungsstatistik?

Seit dem 20. Februar 2003 kursiert ein Arbeitspapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA), das Grundlage ist für den im April erwarteten Referentenentwurf eines neuen Telekommunikationsgesetzes (TKG). Interessant ist vor allem, was darin nicht mehr vorkommen soll: Bisher verpflichtete das TKG die TK-Firmen nicht nur, die Abhöranordnungen der Justiz umzusetzen, sondern in § 88 Abs. 5 auch die Zahlen der überwachten Anschlüsse an die Regulierungsbehörde (RegTP) zu melden. Letztere Bestimmung soll nun entfallen. Eine Begründung dafür findet sich im Arbeitsentwurf selbst nicht. Auf dem Workshop der Vereinigung der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) am 12.2.2003 in Bonn ließ das BMWA jedoch verlauten, die Streichung des § 88 Abs. 5 solle die Firmen von Arbeit und damit von Kosten entlasten - ein vorgeschobenes Argument, denn die TK-Firmen haben mit dem Zählen kein Problem. "Das überlassen wir geeigneter Software", so Ulrike Stöckle von WEB.DE.

Probleme mit Zahlen haben allerdings die Behörden. "Das Material der Regulierungsbehörde lud zu allen möglichen Zahlenspielen und unsystematischen Spekulationen über Telekommunikationsüberwachung ein, die mit der Realität nichts zu tun hatten", beschwert sich Amtsrat Jürgen Ullrich vom BMWA; und der Chef der TK-Abteilung des Ministeriums Horst Ehrnsperger verweist auf die Justizverwaltungen, die ihre eigene Statistik erstellen. Gezählt werden darin die Ermittlungsverfahren, in denen es zu TK-Überwachungen kommt. Die RegTP präsentiert demgegenüber aufgrund der Meldungen der Anbieterfirmen eine Statistik der überwachten Anschlüsse und kommt dadurch immer auf erheblich höhere Zahlen. Mit diesen unangenehm hohen Zahlen soll nun Schluss sein; wenn der Entwurf so verabschiedet wird, dürfte die kritische Berichterstattung zur TK-Überwachung massiv erschwert werden.

(Stephan Stolle)


BVerfG zur Telefonüberwachung von JournalistInnen

Am 12. März 2003 verwarf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zwei Verfassungsbeschwerden von JournalistInnen.[2] Edith Kohn vom "Stern" und die beiden ZDF-RedakteurInnen Beate Thorn und Udo Frank hatten unabhängig voneinander gegen die Überwachung ihrer Telefonanschlüsse in den Jahren 1995 bzw. 1998 geklagt. In beiden Fällen war es nicht um den Inhalt der geführten Gespräche, sondern um eine "Zielwahlsuche" genannte Sonderform der Rasterfahndung gegangen. Dabei wird die Gesamtheit der in und nach Deutschland abgewickelten Anrufe (ca. 220 Mio. Datensätze) mit fixen Anschlussnummern (hier diejenigen der JournalistInnen) abgeglichen.

Beide Male waren die Medienschaffenden nicht als Beschuldigte, sondern als "Nachrichtenmittler" überwacht worden. Ins Visier der ErmittlerInnen waren sie geraten, weil angenommen wurde, dass sie mit den Beschuldigten in Kontakt stünden. Kohn hatte jahrelang über das Ex-Mitglied der "Bewegung 2. Juni" Hans-Joachim Klein berichtet, dem die Staatsanwaltschaft dreifachen Mord während des Überfalles auf die OPEC-Konferenz 1975 vorwarf. Die Überwachungsaktion führte zu seiner Festnahme in der Normandie am 8.9.1998. Klein stand damals kurz davor, sich den Behörden zu stellen. Thorn und Frank hatten im ZDF-Magazin "Frontal" eine Tonbandkassette mit der Stimme des gesuchten Milliarden-Pleitiers Jürgen Schneider präsentiert. Durch die Überwachung gelang auch Schneiders Verhaftung am 18.5.1995 in Miami.

Das BVerfG hielt beide Überwachungen für gerechtfertigt. Zwar sei von der Zielwahlsuche eine Vielzahl Unbeteiligter betroffen, dieser Eingriff sei aber verhältnismäßig, wenn er der Verfolgung schwerer Straftaten diene. Letztere rechtfertige auch einen Eingriff in die Pressefreiheit recherchierender JournalistInnen. Die ErmittlungsrichterInnen müssten sich aber in jedem Falle "eigenverantwortlich" ein Urteil bilden und dürften nicht nur die Anträge der Staatsanwaltschaft gegenzeichnen.

Letztlich sei es "Sache des Gesetzgebers über die Freistellung von Journalisten ... von strafprozessualen Maßnahmen zu entscheiden".

(Stephan Stolle)


Neuanfang der Kritischen Polizistinnen und Polizisten?

Totgesagte leben länger, lautet ein Sprichwort, das im Falle der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal e.V.) nicht unbedingt gilt. Zwar wurde die einstweilige Verfügung gegen die ehemalige Bundessprecherin Bianca Müller wegen der Mobbing-Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Suizid eines Berliner Polizeibeamten in der Berufung am 15.4.2002 aufgehoben.[3] Das Verfahren hatte wegen der hohen Kosten zur Insolvenz des Vereins geführt. Die inneren Zerwürfnisse zwischen ehemaligen und noch aktiven BAG-Mitgliedern bestehen nach wie vor weiter. Dokumentiert wird dies auf den konkurrierenden Internetseiten von Bianca Müller, die nun als "Koordinatorin" der neu gegründeten "Arbeitsgemeinschaft Kritische PolizistInnen" fungiert (www.kritische-polizistinnen.de) und den Seiten der weiterhin existierenden, wenn auch rechtlich nicht geschäftsfähigen BAG (www.kritische-polizisten.de) unter Bundessprecher Thomas Wüppesahl. Auch wenn die gerichtlichen Niederlagen abgewendet werden konnten, ist die inhaltliche Krise offenbar noch nicht überwunden. Vom früheren Selbstverständnis, zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung zu nehmen und sich als Teil der Bürgerrechtsbewegung aktiv einzumischen, sind die "Kritischen" um Müller wie auch um Wüppesahl weit entfernt. Statt dessen verharren beide AGs beim Thema Mobbing und drohen damit zu polizeiinternen Selbsthilfegruppen zu werden.

Das Zwischenspiel bei der Humanistischen Union (HU), zu deren Beitritt der frühere BAG-Vorstand im August 2001 für den Fall der Auflösung aufgerufen hatte, war auch nur kurz. Nur wenige Mitglieder folgten dem Vorschlag zusammen mit Bianca Müller, die Ansprechpartnerin einer zu gründenden Polizei-Arbeitsgruppe werden sollte. Mittlerweile haben sich Müller und HU einvernehmlich getrennt. Eine Polizei-Arbeitsgruppe unter Leitung von Reinhard Mokros und Fredrik Roggan befindet sich bei der HU aber weiterhin in der Planung.

(Martina Kant)


[1] vgl. Kant, M.; Pütter, N.: Polizei gegen Rechtsextreme, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 68 (1/2001), S. 36-49 (47 f.)
[2] Az.: 1 BvR 330/96 und 1 BvR 348/99, s. BVerfG-Pressemitteilung Nr. 20/2003 v. 12.3.2003 und das Urteil unter http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20030312_1bvr033096.html
[3] siehe unter www.kritische-polizistinnen.de/urteil_saberschinsky.html


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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 25.07.2003 - letzte Änderung am 25.07.2003