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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 77 (1/2004)

abstand

Editorial


von Heiner Busch


"Frieden, das ist nur Schlamperei, erst der Krieg schafft Ordnung. Die Menschheit schießt ins Kraut im Frieden. Mit Mensch und Vieh wird herumgesaut, als wärs gar nix ... Wie viele junge Leut und gute Gäul diese Stadt da vorn hat, weiß kein Mensch, es ist niemals gezählt worden. Ich bin in Gegenden gekommen, wo kein Krieg war vielleicht siebzig Jahr, da hatten die Leut überhaupt noch keine Namen, die kannten sich selber nicht. Nur wo Krieg ist, gibt's ordentliche Listen und Registraturen, kommt das Schuhzeug in Ballen und das Korn in Säck, wird Mensch und Vieh sauber gezählt und weggebracht, weil man eben weiß: Ohne Ordnung kein Krieg."

Recht hat er, der Intellektuelle Ziffel in Bertolt Brechts "Flüchtlingsgesprächen": Das Identifizieren, Erfassen und Zählen gehört zu jedem ordentlichen Staat, und welcher Staat wäre nicht aus dem Krieg geboren. Ohne Ordnung kein Krieg, ja noch nicht mal ein "Krieg gegen das Verbrechen" im Innern des Staates. Statistik ist eine herrschaftliche Angelegenheit und das bedeutet, dass auch die scheinbar so sauberen Zahlen nicht neutral sind.

Die polizeiliche Statistik, um die es in dieser Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei/CILIP geht, ist eine höchst ungleichgewichtige: Sie ist dort bis ins i-Tüpfelchen ausdifferenziert, wo es um die Registratur des vermeintlichen "Feindes" im "Krieg gegen das Verbrechen" geht. In dem halben Jahrhundert ihrer Existenz hat sich die Polizeiliche Kriminalstatistik der Bundesrepublik Deutschland von einem dünnen Heft zu einem Wälzer entwickelt, der sich nicht nur ob seiner materiellen, 400-seitigen Gestalt als Schlagwaffe eignet, sondern mehr noch in übertragenem Sinne: Die jährliche Veröffentlichung der PKS mit ihren sauber ausgerechneten immer irgendwie steigenden "Kriminalitätsbelastungsziffern" ist ein Totschlagritual. Trotz aller einschränkenden methodischen Warnungen, die seit Anfang der 70er Jahre in die Vorbemerkungen der Statistik aufgenommen wurden, ist dieses Zahlenwerk ein scharfes Schwert für Politiker, die in den genannten "Krieg" ziehen wollen.

Soweit die üppige Seite der polizeilichen Statistik, und die magere folgt sogleich. Wo man Daten über die Polizei selbst sucht, über ihre Organisation, ihre Finanzen, ihr Personal oder die verschiedenen Formen ihres Handelns, findet man kein Fleisch mehr, sondern nur noch Haut und Knochen. Selbst dort, wo wie im Falle der Schleierfahndung ein großer Zahlensalat angerichtet wird, stößt man irgendwann auf den Hinweis, dass wegen des unverhältnismäßigen Arbeitsaufwandes die Erhebung gerade der interessanten Daten unterblieb.

Und dies ist noch die freundliche Antwort: Die pampige kommt dort, wo es um Telefonüberwachungen oder andere verdeckte Ermittlungsmethoden geht. Sie lautet, dass die Kriminellen - und vor allem die "organisierten" unter ihnen - keine Chance erhalten sollen, die polizeiliche Strategie auszukundschaften, weshalb dann auch die ganze restliche Öffentlichkeit ausgeschlossen wird.

Das Ungleichgewicht in der polizeilichen Statistik hat also seinen Sinn. Die Öffentlichkeit soll sich auf die "steigenden Kriminalitätsraten" und die Aufklärungsquoten konzentrieren, denn aus ihnen ziehen Polizei und Sicherheitspolitiker ihre Rechtfertigungen. Sie soll den Pudding sehen, aber nicht, wie er angerichtet wird.

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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 78 (2/2004) wird sich den Geheimdiensten und ihrer Zusammenarbeit mit der Polizei zuwenden. Dass der Zugang zu Informationen hier besonders schwierig ist, bedarf keiner besonderen Erläuterung.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.



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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 30.04.2004 - letzte Änderung am 30.04.2004