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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 80 (1/2005)

abstand

Editorial


von Heiner Busch


"Schließen wir 'nen kleinen Kompromiss ..." Kurt Tucholskys Liedchen handelte von den Kompromissen der SPD zu Beginn der Weimarer Republik. Heute bedarf es nur leichter Abwandlungen und es passt wie angegossen auf die derzeitigen Verhandlungen zwischen den Koalitionsfraktionen. In der Hektik anti-terroristischer Gesetzgebungswut hat der Bundestag Ende 2001 ein dickes Sicherheitspaket verabschiedet, mit dem er vor allem die Geheimdienste reich beschenkte: Sie erhielten unter anderem Zugriff auf Telekom-Verbindungsdaten, auf Daten von Flugreisenden und auf die bei den Banken gespeicherten Kontendaten. Damit die Grünen KoalitionspartnerInnen "keine Kümmernis" mit dem Kompromiss hätten, verabreichte ihnen der große sozialdemokratische Bruder eine Beruhigungspille: Das geheimdienstliche Datenzugriffsrecht ist auf fünf Jahre befristet. Jetzt steht die "Evaluation" dieser Befugnisse an, und der Bericht, den die Exekutive dafür produziert hat, ist selbstverständlich vertraulich. Eigentlich ist er ein Nicht-Bericht. Er liegt zwar mittlerweile diversen Zeitungsredaktionen vor, ist aber noch nicht regierungsamtlich bereinigt und deshalb gibt es ihn auch nicht auf Anfrage.

"Einerseits und andrerseits ..." Die Koalitionsfraktionen müssen erst verhandeln, was von den befristeten Befugnissen bleiben und was vielleicht zu ihnen noch hinzukommen soll. Wie die Frankfurter Rundschau am 28. April berichtete, haben sich "Rot" und "Grün" im Grundsatz geeinigt. Einerseits erhalten die Grünen wieder ihre Pille: Die Befugnisse der Schlapphüte sollen wiederum nach fünf Jahren auslaufen (macht zusammen zehn). Andrerseits darf auch der sozialdemokratische Innenminister etwas haben: Seine Geheimdienste sollen nun nicht mehr nur auf die bei den Banken gespeicherten Kontendaten zugreifen dürfen, sondern auch auf die Stammdaten, die beim Bundesamt für Finanzdienstleistungen erfasst sind. Dieser "kleine Kompromiss macht keine Kümmernis", meint der grüne Innenpolitiker Volker Beck auch jetzt wieder. Denn verglichen mit den Daten über Kontenbewegungen, an denen sich die Geheimdienste seit dreieinhalb Jahren bedienen dürfen, sei der Zugriff auf die Stammdaten der kleinere Grundrechtseingriff.

" ... so ein Ding hat seinen Reiz". Den hat dieser neuerliche Kompromiss vor allem für die Dienste. Die könnten dann nämlich husch-husch beim Finanzbundesamt erfahren, wer denn bei welcher Bank sein Konto hat. Der kleine Grundrechtseingriff des Herrn Beck macht so den großen viel einfacher. Noch mehr Zugeständnisse wollen die Grünen aber nicht machen.

Während die Regierungsparteien vertraulich evaluieren, haben auch wir eine Bilanz des Anti-Terrorismus vorgelegt. Für die Bürgerrechte und vor allem für die Rechte derer, die keine Staatsbürgerrechte haben, fällt diese Bilanz düster aus. Dass die Rasterung von Daten über 8,3 Millionen Personen zu keinem Ergebnis geführt hat, kann kaum beruhigen. Denn für rund zehn Prozent der hier Lebenden gilt das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" so gut wie nicht. Dass Razzien in Moscheen nachträglich für rechtswidrig erklärt werden, dass es doch nicht 2.000 Leute sind, denen die Ausweisung wegen kaum begründetem Terror-Verdacht droht, dass es in der Bundesrepublik (noch) keine Sicherungshaft wie in Großbritannien und keine Folterlager wie in Guantánamo gibt ... all das ist nur ein halber Trost, der nicht darüber hinweg täuschen kann, dass der neue Anti-Terrorismus zu einer erneuten Aufweichung grundlegender Rechte führt.

Beruhigungspillen gibt es hier nicht: Die Aufgabe einer radikaldemokratischen Zeitschrift ist weder das Kompromisseschließen noch das Trösten, sondern die Aufklärung. Die nächste Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei/CILIP wird sich mit Sicherheitsstrategien im öffentlichen Raum befassen.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.


Wo bleibt das Positive?

Hier kommt es: Werner Holtfort war der Gründungsvorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins. Die Stiftung, die seinen Namen trägt, verleiht dieses Jahr ihren Preis an die Redaktion Bürgerrechte & Polizei/CILIP - und zwar "für die langjährige und materiell oft schwierige publizistische Tätigkeit zur Verteidigung der Bürgerrechte". [LINK zur Preisverleihung] Dies ist für uns erstens eine große Ehre und Anerkennung, für die wir herzlich danken. Und zweitens hilft uns dieser Preis, unsere Arbeit weiterzumachen. Diese bleibt trotzdem "materiell schwierig". Im Klartext: Wir brauchen das Geld unserer Leserinnen und Leser. Unterstützen kann man uns auch durch den Beitritt zum Verein "Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit", der CILIP bekanntlich herausgibt. Spenden und Mitgliedsbeiträge sind steuerlich abzugsfähig. Informationen gibt es unter www.cilip.de.



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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 17.05.2005 - letzte Änderung am 26.09.2005