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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 88 (3/2007)

abstand

Polizeireporter

Öffentlichkeitsarbeiter für die Polizei


von Oliver Brüchert


Die Presse wird häufig als vierte Gewalt bezeichnet, der eine demokratische Kontrollfunktion gegenüber dem Staat zukomme. Der Realität der Polizeireportage entspricht das nicht.

Wenn vom Umgang der Medien mit Kriminalität, Strafrecht und Polizei die Rede ist, dann geht es so gut wie immer um Beispiele skandalisierender Berichterstattung, die nahezu ausnahmslos Kriminalität überzeichnet, Täter moralisiert und ein hartes Durchgreifen staatlicher Autoritäten nahe legt. Viel seltener wird nach den institutionellen Voraussetzungen solcher Berichterstattung gefragt, z.B. nach den Arbeitsbedingungen der Journalisten, die in diesem Bereich tätig sind. In meiner Untersuchung über Kriminalität in den Medien[1] habe ich die Journalisten selbst zu ihren Arbeitsbedingungen befragt und die strukturellen Normen und Zwänge herausgearbeitet, denen sie in ihrer täglichen Arbeit unterworfen sind. Diese Mechanismen prägen Form und Inhalt der Berichterstattung in einem viel weitergehenden Ausmaß als das allgemeine Lamento über die "Diktatur der Einschaltquote" erahnen lässt.

In dieser Studie spielten Polizeireporter zwangsläufig eine wichtige Rolle: Polizeireportage macht einen großen Teil der medialen Berichterstattung über Kriminalitätsthemen aus. Einen speziell zuständigen Polizeireporter gibt es in nahezu jeder Tageszeitung. Die Arbeit als fester Polizeireporter scheint eine typische Durchgangsstation für den journalistischen Nachwuchs zu sein, weil fast überall Polizeireporter gebraucht werden, dafür offenbar auch gerne junge, unerfahrene (männliche) Kollegen genommen werden, die dann aber häufig nach einer Weile in andere Positionen aufsteigen und ihr Themenfeld erweitern:

Und da ist es dann so gewesen, dass dann mal ein Polizeireporter krank war ... und, also Polizeireporter war da, in dieser Redaktion, in der Lokalredaktion eigentlich im Prinzip das Wichtigste, es wurde am höchsten angesehen ... weil die damit eben auch viele Schlagzeilen gemacht haben und es war wichtig, dass die Fotos da waren zu den Sachen ... jo, und ... da bin ich dann so reingerutscht, ne? Also das habe ich wohl ganz gut gemacht, dass ich Leute so ... äh ... dass Leute mit mir geredet haben, dass ich Fotos beschafft habe, von irgendwelchen Leuten ... und eben auch die Artikel ganz gut geschrieben habe ... und ... ja, so ist das dann passiert. (Polizeireporter beim Fernsehen)

Die Stellung des Polizeireporters wurde von allen Gesprächspartnern als wohl angesehene Position beschrieben, die man gerne annimmt, weil sie interessante und aufregende Tätigkeiten umfasst und man viel lernen kann. Im Unterschied zu anderen journalistischen Arbeitsfeldern wurde als Zugangsvoraussetzung weder ein vorgängiges inhaltliches Interesse noch besondere fachliche Qualifikationen benannt.

Harte Kerle

Polizeireporter orientieren sich in ihrer Berichterstattung an den Ereignissen, bei denen die Polizei tätig wird. Daher ist die Polizei auch ihre erste und wichtigste Informationsquelle. Die Polizei wiederum betreibt zu diesem Zweck eigene Pressestellen und Informationssysteme, versorgt die lokalen Polizeireporter mitunter auch persönlich mit den aktuellen Nachrichten. Ein Polizeireporter einer überregionalen Tageszeitung beschreibt seine Arbeit folgendermaßen:

Wir müssen ja rund ... also einer der beiden Polizeireporter muss praktisch, muss immer erreichbar sein ... Jetzt zum Beispiel hab ich eben auch Bereitschaft und ... okay, diese Bereitschaft teilen sich fünf Leute, weil man sonst ja durchdrehen würde ... also das gehört dazu, wenn ich jetzt Bereitschaft habe und jetzt fällt das Rathaus um oder so, dann kriege ich halt einen Anruf von entweder Feuerwehr oder Polizei oder beiden, und dann würde ich mich halt in Marsch setzen und würde den Fotografen – es gibt auch immer einen diensthabenden Fotografen, also rund um die Uhr ist immer jemand zuständig und zu erreichen – würde da hingehen, würde halt Berichterstattung machen und dann, je nachdem wann es ist, entweder sofort dann in die Redaktion und in die Tasten hauen ... und das dann, je nachdem wie sich die Sache weiterentwickelt, aktualisieren im Laufe des Tages.

F: Ja, das heißt, Ihr geht immer selber hin, vor Ort, oder gibt es auch Sachen, die über Polizeimeldungen einfach laufen?

Ja, das andere ist halt, dass die ... die Polizei und die Feuerwehr geben täglich so einen Bericht raus mit den Vorkommnissen, die die für wichtig halten ... und die verarbeitet man dann zum Teil zu Meldungen, oder auch nicht, und zum Teil sind es auch größere Geschichten, ich meine: wir haben ja relativ viel Kriminalität in Großstadt, auch viel ... relativ viel Spektakuläres ...

Zuerst erzählt er vom aufregenderen Part seiner Rolle als Polizeireporter: Er ist rund um die Uhr in Bereitschaft, genau wie die Polizisten und Feuerwehrleute, über die er berichtet. Wenn etwas passiert, setzt er sich sofort "in Marsch". Das klingt nach spannenden Geschichten, vor allem aber nach hohem persönlichen Einsatz. Er stellt sich als harter Kerl dar, der auch mitten in der Nacht an den Ort des Geschehens eilt und anschließend seinen Bericht "in die Tasten haut". Erst auf Nachfrage erzählt er, wie die vielen täglichen Meldungen entstehen: anhand der offiziellen Vorlagen, die von Feuerwehr und der Polizei herausgegeben werden und die er dann zu Meldungen "verarbeitet". Dabei lässt er auch durchblicken, dass die Mehrzahl der Berichte auf diesem Wege entstehen, denn es gibt ja so viel "Spektakuläres" in der Großstadt, dass er selbst bei "größeren Geschichten" nicht immer vor Ort gehen kann. Die Betonung der spannenden Anteile seiner Tätigkeit dient einer bestimmten Selbstdarstellung: Das Selbstbild als harter Kerl, der zusammen mit Feuerwehr und Polizei nachts raus geht, um die Ereignisse selbst in Augenschein zu nehmen, gehört zum Berufsethos des Polizeireporters – so wie Recherche überhaupt im Zentrum des journalistischen Berufsethos steht. Dagegen entspricht es nicht einmal annäherungsweise den (eigenen und gesellschaftlichen) Erwartungen an "seriösen" Journalismus, lediglich offizielle Polizeiberichte zu Meldungen umzuarbeiten. Die Kluft zwischen diesem Ethos und großen Anteilen der Arbeitswirklichkeit muss überbrückt werden. Eine Möglichkeit besteht darin, die spannenden Anteile stärker zu betonen und (so können wir vermuten) sie sich bei den anderen Tätigkeiten hinzuzudenken: Wenn ich weiß, wie es an einem Tatort aussieht, brauche ich es nicht jedes Mal mit eigenen Augen zu sehen. Oder: Ich weiß, dass es ohnehin weniger "spektakulär" ist, als die gute Geschichte, die ich daraus mache.

Gute Kontakte

Ein sowohl für Polizei- wie auch für Gerichtsreportagen zuständiger Agenturjournalist beschreibt, dass man im Vorfeld eines Gerichtsprozesses häufig selbst beim "Gerichtssprecher" anrufen müsse, um auf dem Laufenden zu bleiben. Er macht sofort deutlich, dass er selbst kaum einmal vor Ort geht. Meine in der Nachfrage geäußerte Annahme, dass die Journalisten doch häufig gleichzeitig mit der Polizei am Tatort einträfen, weist dieser Gesprächspartner als Vorurteil zurück (als verklärte Vorstellung, die auf Fernsehkrimis basiert, aber nicht auf tatsächlicher Kenntnis seines Berufs) – damit auch die Möglichkeit, sich als "harter" Polizeireporter darzustellen. Seine Strategie, die geschilderte Kluft zu überbrücken ist eine ganz andere. Der Hinweis, gar nicht an vielen Tatorten gewesen zu sein, unterstützt seine allgemeine Selbstdarstellung in mehrfacher Hinsicht: Erstens verfügt er über Praktikanten und freie Mitarbeiter, die er schicken kann, zweitens grenzt er sich vom Boulevardjournalismus ab, und drittens legt er Wert darauf, dass sein Aufgabenbereich erheblich weiter gefasst sei, als nur Polizeiberichterstattung. In anderem Zusammenhang bekundet er, das "Rausgehen" sei einer der schöneren Teile seiner Arbeit: "schöner als hier im Büro zu sitzen und anhand von Papier verschiedene Vorgänge zu bearbeiten". Aber es beschränkt sich auf Ausnahmesituationen:

F: Also dann reicht Ihnen das, was der ... was per Anruf mitgeteilt wird? Also das passiert schon öfter, dass Sie angerufen werden und gesagt wird, da ist jetzt was und Sie fahren dann gar nicht selber hin?

Genau. Es ist natürlich ab einer gewissen Bedeutung ... des Verbrechens sieht das natürlich anders aus. Wenn dann also klar wird: Mann, oh, jetzt müssen wir aber doch eine größere Berichterstattung machen. Also wirklich ein richtig spektakuläres Verbrechen, wie ... da ist vor knapp vier Jahren ein Junge in der ... in einer ... in einem unterirdischen Bachlauf in der Nähe vom Bahnhof Vorort bestialisch ermordet und zerstückelt worden. Äh das ist ein Fall gewesen, der sehr großes Aufsehen hier in Großstadt erregt hat. Da ist es dann irgendwann doch mal so weit, da muss man ... oder dann bietet es sich halt auch einfach an, dass man da vor Ort geht und kuckt, was jetzt äh ... versucht das irgendwie szenisch einzufangen halt auch, was da passiert, wie das da aussieht, was die Polizei jetzt macht, wie die mit Hundertschaften da die Umgebung ... durchsucht und Ähnliches...

Bezüglich der geschilderten Arbeitsweise entsprechen sich die Erzählungen der beiden Polizeireporter weitgehend – sie lassen auf ähnliche Erfahrungen schließen. Selbst an den Tatort gehen muss der Reporter nur bei den "richtig spektakulären Verbrechen" und die sind relativ selten, stehen im Kontrast zum Berufsalltag. Für den Tageszeitungs-Journalisten ergibt sich diese Situation offensichtlich häufiger; seine Voraussetzungen dafür, dass ein Fall die "gewisse" Bedeutung erreicht hat, sind weniger eng begrenzt. Sein Bild vom Rathaus, das umfällt, legt auch nahe, dass er sich nicht allein an der "Schwere" der Straftat orientiert, sondern einfach an allem, was ihm ungewöhnlich erscheint, was eben nicht alltäglich passiert. Die Betonung der besonderen "Bedeutung" des Verbrechens eignet sich hingegen zur Selbstdarstellung als bedeutender Redakteur, der nur in Aktion tritt, wenn sich wirklich wichtige Dinge ereignet haben. Erst wenn der Fall bereits "großes Aufsehen" erregt, wird klar, dass er selbst vor Ort gehen "muss". Die Laufarbeit machen Bildreporter, freie Mitarbeiter oder Boulevardjournalisten.

Es gehört durchaus zu seiner Vorstellung einer seriösen Polizeireportage, an Tatorte zu gehen und eigene Recherchen zu betreiben. Auch dabei knüpft er, wie das Beispiel zeigt, an der Arbeit der Polizei an, wie sie mit "Hundertschaften" die Umgebung durchsucht. Das bezieht er jedoch nicht (explizit) auf eine Kontrollfunktion der Öffentlichkeit gegenüber den staatlichen Instanzen, sondern begründet es mit der öffentlichen Erregung, aus der sich besondere Anforderungen an die Darstellung ergeben: Er versucht das Geschehen "szenisch einzufangen". Wenn das öffentliche Interesse groß ist, wird die Berichterstattung ausführlicher, braucht mehr Material und man muss die Geschichte möglichst lebhaft darstellen. Dann ist es Chefsache, selbst vor Ort zu gehen. Die meisten Darstellungsprobleme lassen sich anders lösen, zum Beispiel indem er mit den offiziellen Stellen telefoniert. Auch für ihn ist Recherche ein wichtiges Qualitätsmerkmal, muss aber nicht (jedenfalls nicht regelmäßig) am Tatort stattfinden, sondern durch gute Kontakte zu "Institutionen und Behörden", die ihm als "Informationsgeber" dienen. Nach dem Anteil von Routinearbeiten gefragt, erzählt er: "Man kennt mit der Zeit natürlich auch die Leute, die man schnell anrufen kann, dann hat man alle notwendigen Informationen zusammen."

Gute Kontakte zu haben, gehört zu den Selbstbeschreibungen aller Polizeireporter. In den Vorgesprächen zu den Interviews und bei der Kontaktvermittlung signalisierten mir die anderen Polizeireporter allerdings, dass Kollegen, die nicht "raus gehen", keinen guten Ruf in der Branche hätten. So jemanden wollten sie mir nicht als Gesprächspartner empfehlen. Der gehobene Redakteur grenzt sich hingegen genau in die andere Richtung ab: Er distanziert sich ausdrücklich von den "harten Kerlen", die er grundsätzlich in die Nähe eines unseriösen Boulevardjournalismus rückt, der sich vor allem dadurch auszeichnet, Angehörige von Opfern zu belästigen – eine Berufsauffassung, die er durch seine Abgrenzung noch einmal als vorherrschend bestätigt. Auch eine im Rahmen der Untersuchung befragte Gerichtsreporterin führt das hohe Ansehen der Polizeireporter darauf zurück, dass man "nachts rausgeht und dass man gute Kontakte pflegt", aber auch, dass man "Leichen sehen" müsse. Das sei nichts für sie, die das Geschehen lieber "von der sicheren Warte" des Gerichtsverfahrens aus betrachte. Der "gehobene" Polizeireporter muss die Harte-Kerle-Männlichkeit offensiver abwerten, um alleine auf Basis seiner guten Kontakte Überlegenheit reklamieren zu können.

Eigene Ermittlungen

Alle Polizeireporter hängen in hohem Maße von Informationen ab, die die Polizei veröffentlichen möchte. Das können sie unterlaufen und ergänzen, indem sie z.B. den Polizeifunk abhören (das ist zwar nicht erlaubt, wird aber offenbar toleriert) und eigene Nachforschungen anstellen. Je nach Sparte werden sie versuchen, Bilder vom Tatort zu beschaffen, die Beteiligten (meist Angehörige der Opfer) zu interviewen, Hintergründe auszuleuchten, Expertenmeinungen einzuholen oder Interna zum Stand der Ermittlungen aufzuschnappen. Trotz all dieser Bemühungen, eine eigenständige, unabhängige Berichterstattung zu etablieren, sind sie doch immer auf Informationen von Seiten der Polizei angewiesen, um überhaupt zu erfahren, welche Fälle der Mühe wert sein könnten. Dazu ist es hilfreich, sich mit den entsprechenden Auskunftspersonen bei der Polizei – und das sind nicht nur die Pressestellen – gut zu stellen. Wenn man ohnehin an den selben Fällen arbeitet, bietet sich mitunter auch eine engere Zusammenarbeit an. Ein ehemaliger Polizeireporter bei einer Boulevardzeitung schildert das anhand der besonderen Situation kurz nach der "Wende" in einer ostdeutschen Großstadt:

F: ... also zum Teil wussten Sie dann auch Sachen, die die Polizei nicht wusste? Was hat die Polizei davon gehalten?

Ja, sie hat versucht natürlich genauso Informationen von uns zu kriegen, wie wir versucht haben, von der Polizei Informationen zu kriegen. Und das ist dann letztendlich ... ist das auch so ein Geben und Nehmen.

F: Das heißt: mit denen hat man auch abends zusammen gesessen und dann gedealt?

Man hat auch mit denen ... gedealt und hat gesagt: Okay ... ja, es gab so eine Geschichte, die war, die ist vielleicht exemplarisch für die Zeit: (überlegt kurz) Das Dezernat "Organisierte Kriminalität", zu denen hatte ich sehr, sehr gute Kontakte und ... da gab es einen ... einen Menschen der nach Großstadt kam und das erste Rauschgift verkaufen wollte in größerem Stil und dieser Mann sollte observiert werden. Das Problem war aber, dass dieser Mann im teuersten Hotel von Großstadt wohnte und auch sich hauptsächlich aufhielt. Und die Polizei hat einfach keine Kohle gehabt. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen, aber sie haben gesagt: "Wir können uns da nicht in das Hotel setzen, in die Lobby von dem Hotel und können da in fünf Stunden drei Cola trinken." So, da muss man dann schon sitzen und muss irgendwie auch so tun, als wenn man dazugehört und da haben wir halt einen Deal gemacht mit der Polizei – das kann man heute, kann man das glaube ich locker erzählen – wir haben praktisch alle Informationen bekommen, dafür haben wir für die Polizei die Leute observiert, haben selber Fotos gemacht, wie sie dort sitzen, wie sie sich mit Leuten treffen, mit Kunden, die das Rauschgift abnehmen wollten, und haben dies dann der Polizei zur Verfügung gestellt. Davon, dafür waren wir die ganze Zeit an den Informationen nah dran und als dann der Zugriff erfolgte ... war ich halt mit meinen, ich hatte teilweise auch selber Fotos gemacht, war ich halt dabei und hatte eine Exklusivgeschichte. So ist zum Beispiel eine Geschichte zustande gekommen, was aber auch glaube ich deutlich macht, wie besonders die Zeit damals war. Das ist heute undenkbar also ...

Das unter anderen Umständen "Undenkbare" an der geschilderten Situation ist weniger die gute Zusammenarbeit von Presse und Polizei – die wird durch die besonderen Umstände begünstigt, ist aber immer erstrebenswert –, sondern vielmehr, dass die Presse der Polizei hinsichtlich der Mittel, die ihnen für ihre Ermittlungen zur Verfügung stehen, überlegen ist. Dadurch löst sich das sonst übliche Machtgefälle auf: Nun ist die Polizei ihrerseits auf den Reporter angewiesen, der sonst nur hoffen kann, dass die Polizei ihn einweiht. Das gilt nicht nur für den geschilderten Sonderfall, dass Journalisten im Auftrag der Polizei einen Verdächtigten observieren. Ein gleichberechtigtes "Geben und Nehmen" ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass die Presse eigene "Informanten" hat und der Reporter eigene "Ermittlungen" anstellt, so dass beide Seiten davon profitieren Informationen auszutauschen. Es geht bei dieser Nähe der Polizeireportage zur polizeilichen Ermittlungsarbeit weniger um "Vetternwirtschaft" oder einseitige Parteinahme – derselbe Reporter behauptet auch, ebenso gute Kontakte ins "kriminelle Milieu" gehabt zu haben –, sondern vielmehr um eine grundsätzliche Verwandtschaft im Zugang: Der Polizeireporter ermittelt. Dafür ist es gelegentlich notwendig, mit anderen Ermittlern zusammenzuarbeiten, aber man muss auch selber in der Lage sein, "Informanten" anzuzapfen. Der Polizeireporter imaginiert sich letztendlich selbst als Polizist. Umgekehrt schätzt die Polizei den Reporter als Gelegenheit zur öffentlichen Selbstdarstellung:

F: Das ist was, was sich nicht nur auf diese Umbruchsituation beschränkt?

Nein, das ist generell so, das ist ... klar, das ist im Grunde genommen wirklich überall so: Jeder Polizist, der irgendwie seinen Job macht, hat ein Bedürfnis da drüber zu reden und er darf nicht drüber reden. Und ... der möchte ja auch, dass seine Arbeit irgendwo in die Öffentlichkeit kommt, dass gezeigt wird, wie gut man gearbeitet hat und da drüber sitzt halt die Pressestelle, die versucht, das zu steuern. Deswegen ist man als guter Polizeireporter sicherlich ... ist man immer weiter mit seinen Kontakten als bis zur Pressestelle. Dass man die Pressestelle irgendwann einfach umgehen kann. Um dann mal zu sagen, so im Vier-Augen-Gespräch: "Mensch, was ist da eigentlich, was steckt da wirklich dahinter? Wir denken, das geht in diese Richtung, sind wir da völlig falsch, liegen wir auf dem ..." Ich meine, das ist nicht so, dass da einer kommt und sagt: "so und so, das ist der Name", aber dass der sagt "ja, die Richtung, die ihr da eingeschlagen habt, die ist schon richtig. Wenn ihr da weiterbohrt, dann stoßt ihr wahrscheinlich irgendwann auch auf Öl".

Die Öffentlichkeitsarbeit der Pressestelle entspricht offenbar weder dem Bedürfnis des Polizisten, der zeigen will, wie gut er gearbeitet hat, noch dem des Journalisten, der Tipps für seine eigenen Ermittlungen braucht. Aus den Arbeitsbedingungen entsteht ein "natürliches" Bündnis der Männer an der Basis, an der Pressestelle vorbei, im persönlichen Kontakt von Mensch zu Mensch, von Ermittler zu Ermittler.

Zwei Tendenzen ergeben sich aus den Schilderungen: Je stärker eine Zeitung lokal verankert ist und je mehr sie zum Boulevardjournalismus tendiert, desto eher braucht sie Polizeireportagen, die auf eigenen Recherchen und der lebensnahen Schilderung des Geschehens am Tatort basieren. Aus diesen Arbeitsbedingungen ergibt sich ein Selbstbild des Polizeireporters als "harter Kerl", als Kriminalpolizist, der über gute persönliche Kontakte verfügt und selbst – mitunter also gegen die Darstellungsinteressen der institutionalisierten Öffentlichkeitsarbeit der Pressestellen – ermittelt. Je stärker sich die Polizeiberichterstattung hingegen an amtlichen Verlautbarungen und den zahlreichen kleinen Meldungen der Polizeipressestellen orientiert, desto stärker wird Recherche mit (telefonischen) Kontakten zu den offiziellen Stellen gleichgesetzt. "Natürliche" Bündnispartner des – in seiner Selbstwahrnehmung – gehobenen Polizeireporters sind Pressesprecher und andere autorisierte Personen, weniger die Polizeibeamten an der "Basis". Das sind zwei Pole einer Selbstdarstellung, die vor allem der Abgrenzung gegen die mit dem journalistischen Ethos unvereinbare Tätigkeit des Umarbeitens amtlicher Pressemeldungen dient, die aber immer auch Teil ihrer Arbeit ist. Die realen Arbeitsbedingungen stellen sich als jeweils unterschiedliche Kombinationen dieser drei Elemente dar. Allen Varianten der Selbstdarstellung ist gemeinsam, dass Polizeireporter stark auf die (Zusammenarbeit mit der oder Eingaben durch die) Polizei angewiesen sind und im Wesentlichen deren Arbeit dokumentieren. Im Ergebnis handelt es sich jeweils um Formen von Öffentlichkeitsarbeit, sei es in der amtlichen Version oder im Namen der Beamten an der Basis.

Oliver Brüchert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt am Main.


[1] Die gesamte Studie liegt als Buch vor: Brüchert, O.: Autoritäres Programm in aufklärerischer Absicht. Wie Journalisten Kriminalität sehen, Münster 2005.

Bibliographische Angaben: Brüchert, Oliver: Polizeireporter. Öffentlichkeitsarbeiter für die Polizei, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 88 (3/2007), S. 33-40

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© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 2009
HTML-Auszeichnung: Eric Töpfer
Erstellt am 15.01.2009 - letzte Änderung am 15.01.2009