Bürgerrechte & Polizei/CILIP 94 (3/2009) Druckversion |
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Never ending storyKennzeichnung von PolizeibeamtInnen | |
von Otto Diederichs |
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Die obligatorische Kennzeichnung von PolizeibeamtInnen mit Dienstnummern oder Namensschildern steht zwar immer wieder auf der politischen Tagesordnung. Auch unter der "rot-roten" Landesregierung in Berlin ist die Identifizierbarkeit der BeamtInnen jedoch bisher nur ein Projekt. "Ich habe sehr viel von diesen Demokraten gelernt, es muss dahin gestrebt werden, dass sie ihren Einfluss verlieren, dadurch dass die Polizei bessere Dinge bringt".[1] So begründete der im November 1848 nach der Niederschlagung der Revolution eingesetzte Berliner Polizeipräsident Karl Ludwig Friedrich Freiherr von Hinckeldey, ein bürokratischer Reaktionär, die Kennzeichnung seiner Beamten. In den ersten Jahren seiner Amtszeit (bis 1856) trugen die Berliner "Schutzmänner" noch eine betont bürgerliche Uniform: einen Zweireiher und einen Zylinder, auf dem gut sichtbar die Dienstnummer angebracht war. Schon 1852 wurde der Hut durch den Helm ersetzt, die Dienstnummer rutschte auf die Schulterklappe, war logischerweise erheblich kleiner und kaum mehr zu erkennen. Anfang des 20. Jahrhunderts verschwand dieses Überbleibsel der gescheiterten bürgerlichen Revolution ganz. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es im britisch besetzten Rheinland zu einer kurzen Renaissance der Dienstnummer, die diesmal den Kragenspiegel der Uniformjacke zierte. "Nach Beendigung der Besetzung entfiel die Kennzeichnung der Polizei mit Zustimmung der damaligen Parteien", wusste die Berliner Morgenpost 1979 zu berichten.[2] Ob es im Nachkriegsdeutschland weitere Versuche dieser Art gegeben hat, konnte nicht geklärt werden.[3] In Berlin gab es sie jedenfalls nicht. Neue Koalition – neuer VersuchSeit rund drei Jahrzehnten rückt die Kennzeichnung von PolizeibeamtInnen hier immer wieder auf die politische Agenda. Die Debatte zeigt aber vor allem die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung dieser demokratischen Selbstverständlichkeit. Das gilt auch für die neusten Versuche, die mit dem Amtsantritt der "rot-roten" Koalition in der Hauptstadt einsetzten: Bereits in ihrer Koalitionsvereinbarung von 2002 hatten sich SPD und PDS (heute: Die Linke) auf eine Kennzeichnung von PolizeibeamtInnen verständigt. Die neue Landesregierung stieß jedoch auf heftigen Widerstand innerhalb der Polizei und ihrer Gewerkschaften. Somit gilt in Berlin, dass PolizistInnen freiwillig ein Namensschild tragen können – eine Regelung, von der überwiegend nur jene im Höheren Dienst des Präsidiums oder der Direktionen publikumswirksamen Gebrauch machen, die ohnehin selten oder gar nicht im Außendienst zu finden sind. BeamtInnen der Einsatzbereitschaften tragen mehrstellige Codenummern auf Helmen und Uniform, die aber keine individuelle Identifikation erlauben. StreifenbeamtInnen verteilen nach wie vor ihre Visitenkarten mit Dienstnummern je nach Gutdünken. Mit der Einführung neuer, blauer Polizeiuniformen, mit der 2010 schrittweise begonnen werden soll, will Polizeipräsident Dieter Glietsch mit Rückhalt des (Innen-)Senates die Kennzeichnung nun ab Februar 2010 obligatorisch einführen:[4] Die PolizistInnen sollen an Diensthemden, Anoraks oder Overalls bedruckte Klettbänder tragen, die auf der einen Seite mit dem Namen und auf der anderen mit der Nummer bedruckt sind und je nach Einsatzgeschehen umgedreht werden können.[5] Natürlich gab man hierzu vorher bei der Freien Universität Berlin (FU) ein Gutachten in Auftrag.[6] Dieses 2008 vorgelegte 133 Seiten starke Werk ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil man es im Präsidium sofort und gewohnheitsmäßig als "VS – nur für den Dienstgebrauch" stempelte. Für seine Erstellung hatte das Team um den FU-Professor Klaus Rogall Akteneinsicht in 143 staatsanwaltliche Strafakten aus den Jahren 2006 bis 2008 nehmen können, bei denen es mehrheitlich um Vorwürfe wegen Körperverletzung im Amt ging. Diese wurden dann auf knapp 120 Seiten nachgezeichnet, wobei man einige gleich als frei erfunden oder mutmaßliche Falschbeschuldigungen klassifizierte. Lediglich bei zwölf Fällen kam der Professor zu dem Ergebnis, dass eine Dienstnummer oder ein Namensschild die Identifizierung des polizeilichen Täters vereinfacht hätte. Er resümiert denn auch, "dass eine individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamten in ca. 83,5 Prozent der untersuchten Fälle nicht zu einer Erleichterung der Ermittlungsarbeit geführt hätte." Zudem könnten bei Einsätzen, die sich durch ein "dynamisches Geschehen auszeichnen (wie z.B. bei Versammlungen, Aufzügen usw.) individuelle Kennzeichnungen in der Regel nicht erkannt werden."[7] Die Staatsanwaltschaft hätte es nicht besser machen können. Auf die Idee, dass viele Übergriffe erst gar nicht zur Anzeige gebracht werden, weil die Betroffenen die polizeilichen Täter nicht identifizieren können und den strafrechtlichen Weg deshalb (zurecht) für vergebene Liebesmüh’ halten, kommt Rogall erst gar nicht. Ein RückblickDie neuere Diskussion um eine Kennzeichnung von (Schutz-)PolizistInnen geht zurück bis in die Mitte der 1970er Jahre. Angestoßen hatte sie seinerzeit die Humanistische Union. Ende 1978 nahm sich dann auch die FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus der Frage an und forderte zunächst Namensschilder zumindest für die etwa 800 Kontaktbereichsbeamten.[8] Ein halbes Jahr später machten die Liberalen das Thema sogar erfolgreich zum Gegenstand ihrer Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Polizeigewerkschaften, der Gesamtpersonalrat und auch die Beamten selbst liefen Sturm; Polizeipräsident Hübner drohte gar mit Rücktritt, sollte es zu Namensschildern für seine Beamten kommen, und natürlich wurde erst einmal nichts aus dem ab 1980 geplanten "Modellversuch".[9] Der Kompromiss bestand schließlich im Dezember 1981 in einer aus "taktischen Gründen erforderlichen Kennzeichnung" an den Schutzhelmen und Einsatzfahrzeugen der polizeilichen Hundertschaften – kleine Aufkleber mit kurzen Buchstaben- und Ziffernkombinationen, die jedoch immer wieder zwischen den Direktionen und ihren Einsatzkräften rotierten.[10] Die Identifizierung einzelner Beamter war damit allenfalls zufällig möglich. Und dabei blieb es über die Jahrzehnte, nur die Zahlenkolonnen wurden länger. Auch spätere Koalitionsvereinbarungen änderten daran nichts: Weder jene der FDP mit der CDU im Jahre 1983,[11] noch die der Alternativen Liste (später: Berliner Landesverband der Grünen) mit der SPD von 1989[12] und auch nicht jene zwischen SPD-Ost und CDU-Ost/DA in der Noch-DDR von 1990.[13] Argumente der Kennzeichnungsbefürworter …Von Anbeginn haben sich die Befürworter einer Polizeikennzeichnung nicht ausschließlich auf eine verbesserte Strafverfolgung nach Übergriffen oder sonstigem Fehlverhalten von Polizisten bezogen. Ebenso wichtig war ihnen stets, die BeamtInnen aus der Anonymität und einem möglichen Gruppendruck zu befreien und so insgesamt zu einer Demokratisierung der Polizei beizutragen. Insbesondere "die vehemente Kritik an der … Kennzeichnung spricht geradezu für deren Notwendigkeit", erklärte denn auch zu Recht der seinerzeitige Berliner FDP-Vorsitzende Horst Vetter 1979.[14] Der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Neumann verwies darauf, dass Namensschilder "zu einem besseren und persönlicheren Verhältnis zwischen Bürgern und Polizei führen" könnten.[15] Und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) argumentierte bereits in einer Pressemeldung 1984 damit, Namensschilder trügen "zur Vertrauensbildung zwischen Bürger und Polizei bei".[16] Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in der DDR-Bürgerbewegung kam 1991 auch die innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Marion Seelig, zu einem ähnlichen Ergebnis: "Eine Kennzeichnung von Polizisten bringt Bürgern ein Stück Rechtssicherheit." [17] Das Argument einer Demokratisierung der Polizei und einer stärkeren gesellschaftlichen Einbindung ihrer einzelnen BeamtInnen – ein Aspekt, der im aktuellen FU-Gutachten mit keinem Wort erwähnt wird – stand und steht auch bei den wenigen BefürworterInnen der Kennzeichnung im Vordergrund, die sich aus dem Polizeiapparat zu Worte melde(te)n: So zum Beispiel die (inzwischen aufgelöste) "Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten", die in einer Kennzeichnung ihrer Kollegen einen ersten Schritt "für eine verbesserte Kontrolle, aber auch eine vertrauensbildende Maßnahme für die Bürger" erkannte.[18] Ihr seinerzeitiger Sprecher Manfred Such hatte die Forderung bereits im Juni des Jahres 1988 so begründet: "Der Polizist, der sich hinstellt und sagt, hier hat ein Polizeibeamter rechtswidrig gehandelt, muss damit rechnen, dass er letztlich unmöglich gemacht wird bei der Polizei und dass er seinen Dienst quittieren muss, weil es für ihn persönlich unerträglich wird".[19] Dass Such mit dieser Meinung wohl recht hatte, zeigt seine daraufhin erfolgte Zwangsversetzung. Unterstützt wurde er auch durch den damaligen Bundesvorsitzenden der "Sozialdemokraten in der Polizei", Jörg Kramer: "Übergriffe und Straftaten in unseren Reihen dürfen nicht in falsch verstandenem Korpsgeist verdeckt werden. Die Förderung der Zivilcourage und die Kultivierung der Selbstreinigungskräfte innerhalb der Polizei brächte für meine Kolleginnen und Kollegen ein neues Selbstverständnis und größere Berufszufriedenheit".[20] Auch Kramer konnte sich "eine namentliche Kennzeichnung aller Polizisten vorstellen".[21] Heute sind es die PolizistInnen, die sich in der "Sektionskogruppe Polizei" bei amnesty international (ai) für eine Kennzeichnungspflicht engagieren.[22] … und der GegnerGenützt hat auch solche (vereinzelte) Unterstützung aus dem Polizeiapparat nicht viel. Zu mächtig waren – und sind – hier die Polizeigewerkschaften und ihre Sekundanten in Politik und Ministerialbürokratie. Geändert hat sich deren Argumentation in all den Jahren kaum. Immer wieder ist dabei die Rede von dem "bewährten Verfahren der Aushändigung von Dienstkarten" und "pflichtbewusstem Handeln", von einem "Signal in die falsche Richtung" und einer schädlichen "Verunsicherung der Kollegen" … und so weiter und so weiter. Als Illustration mag hier die Position des Berliner Landesverbandes der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ausreichen. Kaum waren 2002 die neuerlichen Kennzeichnungspläne der SPD-PDS-Koalitionäre bekannt geworden, lud die GdP bereits wieder durch. Sie betrachte "die Planung zu einer Kennzeichnung als pauschales Misstrauensvotum und Diskriminierung der Schutzpolizei … Die Gewerkschaft der Polizei wird alle Mittel nutzen, die Kennzeichnungspflicht zu verhindern", erklärte der Berliner GdP-Chef Eberhard Schönberg umgehend[23] und fügte gleich noch eine Warnung mit an: "Wenn Sie die Polizisten so richtig gegen sich aufbringen wollen, dann sollten Sie das ruhig tun".[24] Da diese Haltung sich über die Jahre stets bewährt hat, haben die Kennzeichnungsgegner als einzig neues Argument bei ihrem Barrikadenkampf in letzter Zeit nur die (statistisch) gestiegenen Angriffe auf PolizistInnen und eine damit einhergehende "unkontrollierbare Gefahr" für die Ordnungshüter und ihre Familien eingefügt.[25] Kleine Geschichte vom "offenen Visier"Klüger verhielt sich in dieser Situation der neue Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch. Er halte viel davon, "dass Polizeibeamte mit ‚offenem Visier‘ arbeiten, und zwar möglichst bei allen Gelegenheiten", erklärte Glietsch im Juli 2002, wolle jedoch die Kennzeichnung (noch) nicht verordnen.[26] Der Erfolg versprechendere Weg sei es, dafür zu werben und das freiwillige Tragen der Namensschilder zu befördern. "Ich habe nicht vor, in den nächsten Wochen initiativ zu werden".[27] Damit war dem Ansinnen der rot-roten Koalitionäre Rechnung getragen und gleichzeitig die Kuh wieder vom Eis. Was folgte, war eine Geschäftsanweisung über ein freiwilliges Tragen von Namensschildern: Vollmundig heißt es in der Einleitung: "In der modernen und bürgernahen Polizei der weltoffenen Bundeshauptstadt ist das Tragen von Namensschildern an der Uniform heutzutage eine von allen Bürgerinnen, Bürgern und Gästen unserer Stadt erwartete selbstverständliche Geste der Service- und Kundenorientierung" – um postwendend wieder Ausnahmen für "Angehörige der Einsatzeinheiten bei Einsätzen aus besonderen Anlässen" festzuschreiben.[28] Beschlossen und verkündet und vom Berliner Senat als neuerlicher "Modellversuch" abgenickt. Bis zum Herbst 2005 hatten sich zunächst sogar rund die Hälfte der etwa 16.000 BeamtInnen tatsächlich ein Schildchen angeheftet,[29] bzw. wie die Angestellten im Objektschutz anheften lassen müssen. Für Einsatzhundertschaften wurde die Nummerierung neu geordnet: An der vierstelligen Nummer ist nun nicht mehr nur die Hundertschaft erkennbar, zu der der Beamte oder die Beamtin gehört, sondern auch deren jeweilige Zug (8-10 PolizistInnen). Dass dies nicht ausreichte, um nach (unzweifelhaften) polizeilichen Übergriffen die Beteiligten zu identifizieren, zeigte sich schnell. Und wieder drehte Polizeipräsident Glietsch eine bemerkenswerte Pirouette: "Ich muss meinen Mitarbeitern erklären können, warum die Gruppenkennzeichnung nicht reicht, die ich vor zwei Jahren eingeführt habe. Das kann ich zurzeit nicht. Dagegen spricht auch, dass es bundesweit eine individuelle Kennzeichnung von geschlossenen Einheiten nicht gibt. Die Mitarbeiter fragen sich, warum die Berliner Beamten bundesweit die einzigen sein sollen".[30] Als nächster Schritt folgte das bereits erwähnte Gutachten. Kaum lag es vor, überraschte Glietsch die PolitikerInnen und seine gesamte Behörde mit der Ankündigung, er beabsichtige, mit der für 2010 geplanten Umkleidung auf die neuen blauen Polizeiuniformen eine verbindliche Kennzeichnung aller Berliner PolizistInnen, "die nicht verdeckt, nicht in Zivil und nicht in Spezialeinheiten eingesetzt sind".[31] Dies sei Teil eines wünschenswerten Selbstverständnisses als "bürgernahe Polizei".[32] Recht hat der Mann, doch natürlich weiß auch er, dass eine solche Entscheidung über die Kennzeichnung mitbestimmungspflichtig ist und somit der Zustimmung der Personalvertretungen bedarf. "Ich gehe davon aus, dass die Personalräte nicht zustimmen", bekennt der Polizeipräsident, der 2011 in Pension geht, denn auch unverblümt.[33] Somit wäre für eine zukünftige verbindliche Kennzeichnung also ein eigenes Landesgesetz notwendig. Ob sich der Senat bis zu den Neuwahlen 2012 dazu jedoch durchringen wird, erscheint höchst fraglich. Man darf also gespannt sein, wie es ab 2010 weitergeht. Kurzer Blick über den ZaunBereits vor zwei Jahren hat die "ai-Sektionskogruppe Polizei" eine Aufstellung jener europäischen Staaten erarbeitet, in denen bereits eine Kennzeichnungspflicht besteht. Danach ist dies in der Bundesrepublik lediglich im Bundesland Hamburg der Fall. In Großbritannien (einschließlich Nordirland) tragen PolizeibeamtInnen Kennnummern an der Uniform. In den Niederlanden ist ein Namensschild Pflicht (ausgenommen sind die Einheiten zur Bekämpfung von "Unruhen" und von Fußballrowdytum). In Spanien sind die Policía Nacional und die Guardia Civil mit Identifizierungsnummern ausgestattet; in Tschechien ebenfalls.[34] Viel ist das nicht; aber die Auflistung erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aufschlussreich ist sie allemal. So bleibt als Fazit lediglich ein Blick in den "Code für Polizeiethik", den der Europarat bereits 2001 verabschiedet hat: "Ohne die Möglichkeit, eine/n Polizisten/in persönlich zu identifizieren, wird der Begriff der Rechenschaftspflicht aus der Perspektive der Öffentlichkeit sinnentleert".[35] Otto Diederichs arbeitet als freier Journalist in Berlin. [1] zit.
nach: taz v. 19.11.1981 |
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Bibliographische Angaben: Diederichs, Otto: Never ending story.Kennzeichnung von PolizeibeamtInnen, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 94 (3/2009), S. 58-65 |
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Inhaltsverzeichnis | |
© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 2009 Erstellt am 15.07.2009 - letzte Änderung am 20.06.2009 |