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GHI: Krieg und Überwachung führen in die Irre.
Wer die Freiheit der Sicherheit opfert, wird beide verlieren.
Auf ihrer Fachtagung in Halle vom 19. bis 21. Oktober 2001 zum 'Stand der Demokratie in Deutschland' hat die Gustav-Heinemann-Initiative (GHI) einen Katalog von Anforderungen an die Terrorismusbekämpfung erarbeitet. Die GHI, gegründet im "Deutschen Herbst" 1977 zur Bewahrung von Bürgerrechten und Rechtsstaat beim damaligen Kampf gegen die RAF-Terroristen, erklärt zur aktuellen Terrorismusbekämpfung:
Die Terroranschläge von New York und Washington haben uns schockiert . Sie haben allerdings politische Reaktionen ausgelöst, die in eine falsche Richtung führen und z.T. gefährlich für Frieden, Demokratie und Menschenrechte sind. Zwar können auch wir nicht mit Sicherheit sagen, was die richtigen Antworten in dieser Situation sind. Soviel aber ist sicher: Der Anschlag vom 11.September war ein Verbrechen, dessen Anstifter, Komplizen und Mitwisser zur Verantwortung gezogen werden müssen. Dazu sind Luftangriffe, auch noch mit sogenannten Streubomben, jedenfalls ungeeignet. Sie treffen vor allem die Zivilbevölkerung in Afghanistan, vergrößern Hunger und Elend und hindern Hilfsorganisationen an ihrer dringend notwendigen Arbeit. Außerdem birgt das militärische Vorgehen in Afghanistan die Gefahr unkontrollierbarer Entwicklungen in der gesamten islamischen Welt.
Die USA setzen im Kampf gegen den Terrorismus auf Unterstützung durch ihre NATO-Verbündeten; eine uneingeschränkte und kritiklose Gefolgschaft darf es in einer demokratischen Staatengemeinschaft nicht geben. Die GHI fordert die Bundesregierung und die parlamentarischen Gremien auf, die nachfolgenden Grundsätze zu beachten:
- Eine militärische Unterstützung der USA bedarf der Zustimmung des Bundestages. Wir erwarten von den Abgeordneten, dass sie bei dieser Grundsatzentscheidung wirklich ihrem Gewissen folgen (Art. 38 GG).
- Erfahrungen aus vielen Ländern, vor allem auf dem Balkan und im Nahen Osten, haben gezeigt, dass militärische Mittel in der Regel ungeeignet sind, Terrorismus zu beenden. So schwer es auch sein mag: Grundsätzlich sind politische Lösungen anzustreben. Gewalt birgt die Gefahr, neue Gewalt hervorzurufen.
- Terrorismus findet vor allem Zustimmung, wenn Menschen vorgegaukelt wird, er werde zur Lösung drängender Probleme führen. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass das Verhalten der politischen und wirtschaftlichen Eliten, vor allem der reichen und mächtigen Staaten, keine Wege aufzeigt, Gerechtigkeit zu verwirklichen sowie Elend und Not zu überwinden. Zwar ist es richtig, dass Terror nicht das Ergebnis von Armut ist, Terroristen nutzen aber Armut und Missachtung für ihre Ziele. Nur wenn Armut und Not in allen Teilen der Erde konsequent bekämpft werden, wird Terroristen der Nährboden für Zustimmung zu ihrem Handeln entzogen. Dann würde es ihnen auch erschwert, den Islam zur Begründung terroristischer Akte zu missbrauchen.
Für die Innenpolitik fordert die GHI die strikte Wahrung der Grundrechte. Bereits in unserem Gründungsaufruf haben wir im Herbst 1977 gegen Terrorismus-Ängste erklärt: "Heute ist unsere Freiheit durch Angst, Trägheit und Resignation bedroht. Einschüchterung und Selbstzensur engen den Raum freier Diskussion ein und drängen vor allem junge Menschen an den Rand einer Gesellschaft, in der Unduldsamkeit wieder modern werden könnte....Lassen Sie uns allem widerstehen, was den Raum der Freiheit einengt, den Rechtsstaat aushöhlt und Menschen davon abhält, von ihren Freiheitsrechten Gebrauch zu machen". Kurz gesagt: Wer die Freiheit der Sicherheit opfert, wird beide verlieren (Johannes Rau am 14.9.2001 in Berlin).
Die Geschichte der Bundesrepublik hat gezeigt, dass die dem Staat zur Verfügung stehenden Mittel zur Wahrung unserer freiheitlichen Ordnung ausreichen. Zu bisher bekannt gewordenen Vorschlägen für neue Regelungen nimmt die GHI wie folgt Stellung:
- Religionsfreiheit ist ein Grundrecht. Eine Einschränkung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht ist sehr sorgfältig darauf hin zu prüfen, dass dieses Grundrecht nicht eingeschränkt wird.
- Eine Diskriminierung von Moslems, insbesondere von Menschen arabischer Herkunft, darf bei Regelungen zur Einwanderung und zum Aufenthalt in Deutschland nicht stattfinden.
- Die Regelungen der Zuwanderung und die Verfahrensweisen bei Asylanträgen müssen dem Prinzip einer offenen Gesellschaft entsprechen, die auf Einwanderung angewiesen und bereit ist, Menschen in Not zu helfen. Immigranten haben Anspruch auf Hilfen zur Integration, die auch im Interesse unserer Gesellschaft liegt.
- Die Zuständigkeiten von Polizei, Bundesgrenzschutz, Militär und Geheimdiensten müssen getrennt bleiben. Den Einsatz von Militär außerhalb der im Grundgesetz vorgesehenen Möglichkeiten lehnt die GHI ab.
- Die Kontrolle von Menschen in Deutschland darf nur auf einen konkret begründeten Verdacht hin erfolgen und muss sich am Prinzip der Verhältnismäßigkeit orientieren. Eine pauschale Verdächtigung aller oder bestimmter Gruppen ist nicht akzeptabel. Wer mehr fordert, leistet einem Überwachungsstaat Vorschub, der keine völlige Sicherheit geben kann, jedoch Machtmissbrauch gefährlich erleichtert.
- Die GHI beobachtet mit großer Sorge, wie der Datenschutz als angeblicher Täterschutz abgewertet wird. Jede fehlerhafte Eingabe, eventuell sogar Verleumdungen, können, wenn sie auf Dauer festgehalten werden, Menschen ein Leben lang schaden. Wir befürchten, dass gerade bei der Rasterfahndung Personen verdächtigt werden, die Anspruch auf das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung haben. Datenschutz ist ein Grundrecht, das nicht beliebig in Frage gestellt werden darf.
- Auch wer keinen deutschen Pass besitzt, hat Anspruch auf Achtung seiner Menschenrechte. Abschiebungen und Visumsverweigerungen allein auf Grund eines Verdachts widersprechen rechtsstaatlichen Grundsätzen.
- Wer sich vor schwerwiegenden Folgen von Terror und seinen Auswirkungen wirksam schützen will, muss insbesondere Atomkraftwerke wegen ihres ungeheuren Gefährdungspotentials, das durch den Unfall in Tschernobyl deutlich geworden ist, abschalten.
Die GHI ruft dazu auf, gerade in der gegenwärtigen Situation das Grundgesetz ernst zu nehmen, die Grundrechte zu wahren und an rechtsstaatlichen Prinzipien festzuhalten.
Halle, den 21. Oktober 2001
Kontakt: Gustav-Heinemann-Initiative · c/o Dr. Dieter Wunder · Franz-Groedel-Str. 5 · 61231 Bad Nauheim · Telefon: (06032) 72 183 · Telefax: (06032) 6168 · E-Mail: wunder@gustav-heinemann-initiative.de · http://www.gustav-heinemann-initiative.de
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