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Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein

Quelle: http://www.rewi.hu-berlin.de/datenschutz/DSB/SH/material/themen/presse/sichpak.htm

7. November 2001

P R E S S E M I T T E I L U N G

Sicherheitspaket weiterhin in der Kritik

Zur Verabschiedung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus durch das Bundeskabinett erklären die Datenschutzbeauftragten von Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Schleswig-Holstein:

Das heute vom Bundeskabinett verabschiedete Bündel von erneuten Verschärfungen der Sicherheitsgesetze ist unter rechtsstaatlichen Aspekten nicht akzeptabel. Zwar ist der ursprüngliche Entwurf von Innenminister Schily an einigen Stellen korrigiert worden, gleichwohl ist insgesamt Folgendes festzustellen:

  • Der Gesetzentwurf schießt weit über das Ziel einer angemessenen und zielorientierten Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September hinaus.
  • Er sieht für Polizei und Geheimdienste neue Befugnisse vor, die sensible Bereiche des Rechtsstaates wie die förderale Struktur der Polizei, die Trennung von Polizei und Geheimdiensten sowie die Unterscheidung von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr empfindlich stören. Statt dass die Notwendigkeit hierfür begründet würde, werden verfassungsrechtliche Bindungen wie überflüssiges Beiwerk beiseite geschoben.
  • Die Frage, welchen Sicherheitsgewinn die vielen Antiterrorgesetze der letzten 20 Jahre gebracht haben, wird nicht gestellt; damit wird auch der Frage aus dem Weg gegangen, welche Vollzugsdefizite bei den deutschen Sicherheitsbehörden bestehen. Die Erweiterung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden mit schwammigen Begriffen wie "Bestrebungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung" und das "friedliche Zusammenleben der Völker" erweckt beispielsweise den Eindruck, als habe es nicht längst vor dem 11. September zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden gehört, Gewaltbestrebungen oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen von Ausländern zu beobachten.

Im Einzelnen stechen aus der Vielzahl der angestrebten Veränderungen die folgenden besonders hervor:

  • Das Bundeskriminalamt soll bei sämtlichen öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen ohne nähere Begründung "zur Erfüllung seiner Aufgabe als Zentralstelle" "oder sonst zu Zwecken der Auswertung" Daten erheben dürfen. Damit wird eine Grauzone eröffnet, die zu Vorfeldermittlungen des BKA ohne justizielle Aufsicht führt, die deutlich über die vom Grundgesetz zugelassene unterstützende Zentralstellenfunktion hinausgehen und die die Zuständigkeiten der Länder zur Gefahrenabwehr ignorieren. Wie weit dieser Spielraum definiert wird, sieht man daran, dass das BKA seit Tagen versucht, bei Firmen und öffentlichen Stellen in den Bundesländern umfangreiche Datenbestände zu erheben und damit Abgleiche durchzuführen, ohne dass die gesetzlichen Bestimmungen der Rasterfahndung eingehalten werden.
  • Die Geheimdienste, neben den Verfassungsschutzbehörden teilweise auch der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst, sollen umfangreiche Auskunftsansprüche gegenüber Banken, Post- und Telekommunikations- und Teledienstunternehmen über die dort vorhandenen Daten und gegenüber Luftverkehrsunternehmen über alle Reisebewegungen erhalten. Anders als bei polizeilichen Ermittlungen soll es nicht darauf ankommen, ob die Betroffenen sich in irgendeiner Weise strafrechtlich verdächtig gemacht haben. Zudem wird durch die neuen Ermittlungsbefugnisse der Geheimdienste auf Gebieten, für die die Polizei zuständig ist, das verfassungsrechtliche Trennungsgebot verletzt. Zwar sollen diese Maßnahmen im Gegensatz zum Vorentwurf nur durch die Behördenleitung bzw. das Ministerium angeordnet werden können, außerdem sind parlamentarische Kontrollen und eine spätere Benachrichtigung der Betroffenen vorgesehen. Einer Gesetzgebung, die explizit unter dem Motto betrieben wird, Hindernisse müssten weggeräumt werden, damit die Zusammenarbeit zwischen den Behörden "reibungslos" funktioniert, ist aber zuzutrauen, dass derartige Verfahrenshindernisse bei nächster Gelegenheit bereinigt werden.
  • Aus der Begründung ist ersichtlich, dass sogar geplant ist, dem Bundesamt für den Verfassungsschutz die Durchführung des Großen Lauschangriffs in Privatwohnungen zu gestatten, wenn es zur "effektiven Bekämpfung des Ausländerterrorismus" notwendig erscheint. Die entsprechende Gesetzesformulierung soll im Laufe der Parlamentsberatungen nachgeschoben werden.
  • Die Möglichkeit der Aufnahme biometrischer Merkmale in Pässe und Ausweise soll ausdrücklich eröffnet werden. Während bei Deutschen die Einzelheiten einem Ausführungsgesetz vorbehalten bleiben, sollen solche Dokumente für Ausländerinnen und Ausländer per Rechtsverordnung durchgesetzt werden. Die Frage, ob die biometrischen Merkmale auch außerhalb des Verfügungsbereiches der Betroffenen, also z.B. in zentralen oder dezentralen Referenzdateien gespeichert werden dürfen, wird ausdrücklich offen gelassen. Damit sieht der Gesetzentwurf ohne Notwendigkeit die Einführung einer komplexen neuen Technologie vor, ohne offen zu legen, welche Nutzungen insbesondere von Fingerabdrücken und Gesichtsgeometrie durch die Polizei oder andere Behörden möglich und geplant sind.
  • In einer Vielzahl von ausländerrechtlichen Bestimmungen wird ohne Nachweis der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der nicht deutschen Mitbürger eingegriffen. Auf jeden Fall abzulehnen ist, dass die sensiblen und für die Betroffenen unter Umständen buchstäblich lebensbedrohlichen Informationen aus Asylanträgen ohne Schutzvorkehrungen an die Geheimdienste übermittelt werden sollen; selbst die Weiterübermittlung an den Geheimdienst des Verfolgungsstaates ist nicht ausgeschlossen. Durch die beim BKA vorgesehene zentrale Speicherung von Fingerabdrücken und von Sprachprofilen vieler Ausländerinnen und Ausländer wird eine polizeilich vielfach nutzbare Vorratsdatenverarbeitung aufgebaut.
  • Zum ersten Mal sollen sogar Sozialdaten in die Rasterfahndung einbezogen werden dürfen.

Es bleibt zu hoffen, dass der Deutsche Bundestag die Gesetzentwürfe der Regierung einer gründlichen Beratung unterzieht. Möglicherweise ist es sinnvoll, wirklich eilbedürftige Teile vorzuziehen und die nicht terrorismusbezogenen Vorhaben ohne Zeitdruck und mit der gebotenen verfassungsrechtlichen Sensibilität zu beraten.

Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein
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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 29.11.2001 - letzte Änderung am 29.07.2002